Читать книгу Die besten 10 Liebesromane November 2021: Romanpaket - Glenn Stirling - Страница 75
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Dr. Ina Bender erfuhr von den Inhalt des Briefes bereits kurz vor der Mittagspause. Es war Nicole, die sie in der Inneren Abteilung anrief und sie zu sprechen wünschte. Ina, die viel zu tun hatte, sagte nur: „Nicole, ich werde nach dem Essen einmal bei dir hereinschauen. Aber im Augenblick geht es nicht.“
„Dann hör nur, was ich dir zu sagen habe“, rief Nicole aufgeregt, und Ina hörte schon daran heraus, dass es offenbar eine freudige Nachricht war, die Nicole erhalten hatte.
„Er wird kommen! Nächste Woche kommt er! Er ist in Toronto, und er kommt für ein paar Tage. Er will mit mir über alles reden.“
„Wie schön! Dann hat dein Brief sicher Erfolg gehabt. Aber wir reden gleich darüber, nach dem Mittagessen“, sagte Ina nur.
Nach dem Essen ging sie tatsächlich zu Nicole, die nicht mehr in ihrem Bett lag, sondern auf dem Sessel saß, der am Fenster stand. Sie war so aufgekratzt, dass sie Ina entgegenkam, die Arme ausbreitete und Ina damit umschloss, sie aufgeregt auf die Wange küsste und immer wieder übermütig rief: „Er wird kommen! Er wird kommen!“
Ina freute sich von ganzem Herzen mit Nicole. Und dann zeigte die ihr den Brief von Hansjörg.
Es stand wirklich nicht viel mehr drin, als dass Hansjörg kommen wollte. Das einzige, was über diese sachliche Mitteilung hinausging, war der Satz vor seiner Unterschrift: Ich liebe dich noch immer! Und dieser eine Satz war es wohl auch, der Nicole in stürmische Euphorie geraten ließ.
„Kann ich nicht entlassen werden?“, fragte Nicole dann und blickte Ina bang an. „Das muss doch zu machen gehen. Ich bin so munter, mir geht es so gut! Ich kann ihn doch nicht hier in einem Krankenzimmer empfangen. Und bei mir zu Hause.“
„Ein paar Dinge solltest du dir aus dem Kopf schlagen. Das kann ich sehr gut beurteilen, obwohl ich keine Chirurgin bin“, sagte Ina sehr ernst. „Einmal bist du noch nicht so fit, wie du glaubst. Zweitens war es eine sehr schwere Operation. Du hast in Lebensgefahr geschwebt. Dein Körper braucht nicht Tage, sondern Wochen, ja, Monate, bis alles wieder richtig ist. Und das betrifft auch den nächsten Punkt, den ich dir unbedingt sagen muss. Das, was du glaubst, ist vorerst nicht möglich. Du weißt, was ich meine. Es würde dir auch wahnsinnig wehtun.“
Nicole ließ den Kopf sinken und nickte.
„Ich weiß. Dabei denke ich an nichts anderes. Es ist wirklich schizophren. Ich will das, aber ich weiß, dass es gar nicht geht, jetzt nicht. Und trotzdem sehne ich mich danach. Ich habe mich selten so danach gesehnt wie jetzt.“
„Auch das wäre chirurgisch zu erklären, rein physiologisch“, erwiderte Ina. „Ich möchte dir das aber jetzt ersparen und mich darauf beschränken, dir zu sagen, dass es auch die nächsten sechs Wochen nicht möglich ist. Danach vielleicht, wenn ein Mann sehr behutsam mit dir umgeht.“
„Aber ich habe gelesen, dass es viel früher sein könnte“, meinte Nicole.
„Nein, nicht in deinem Falle. Ich habe mir, und ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel, in deinem Interesse einmal die Operationsunterlagen angesehen. Das ist wirklich sehr schwierig gewesen. Der Kollege Happling hat erstklassige Arbeit geleistet. Aber das schließt nicht aus, dass du dich danach eine Weile enthalten musst. Geschlechtsverkehr nach einer solchen Operation ... da muss man schon etwas warten.“
„Schon gut, ich sehe es ein. Er wird sehr enttäuscht sein.“
„Wenn er dich wirklich liebt, ist er da gar nicht enttäuscht“, widersprach Ina. „Wirkliche Liebe ist mehr, als nur miteinander zu schlafen. Wirkliche Liebe ist Nachsicht, ist Zärtlichkeit, ist Einfühlungsvermögen, ist vor allen Dingen menschliche Wärme und natürlich auch körperliche Liebe. Aber diese körperliche Liebe ist nur ein Baustein, nicht das alles. Du hast früher Liebe und Leidenschaft auch verwechselt, Nicole. Es ist nicht so lange her, dass ich es vergessen hätte.“
„Du hast recht, Ina. Ich habe mich früher doch sehr dumm benommen. Wahrscheinlich tue ich es noch heute. Ich weiß nicht, warum ich so bin.“
„Du wirst ja wahrscheinlich in Bälde entlassen werden, zehn Tage vielleicht. Und wenn er kommt, dann wird er all das, was er dir zu sagen hat, auch hier sagen können. Du bist ja allein in diesem Zimmer und teilst es nicht mit anderen, die zuhören könnten. Außerdem könntest du hinausgehen ins Café. Wir haben ja ein Café im Hause. Immerhin kannst du dorthin gehen und brauchst dich nicht anzuziehen.“
Nicole schüttelte den Kopf.
„Dann soll er lieber hierherkommen. Aber ständig kommen hier Leute herein.“
„Dann wirst du der Zimmerschwester ein paar Worte sagen, oder der Stationsschwester, und sie wird dafür sorgen, dass niemand hereinkommt. So etwas gibt es. Wir leben ja nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Aber auf alle Fälle freue ich mich, dass er kommen wird. Aber er schreibt nichts von Verena Schwarz.“
„Vielleicht ist alles vorbei“, meinte Nicole hoffnungsvoll, „Womöglich haben sie sich getrennt.“
„Vielleicht“, meinte Ina.
„Du bist so ernst, so traurig.“
„Das bin ich auch“, gestand Ina ein. „Ich hatte heute ein anderes Erlebnis. Erinnerst du dich, dass ich dir von diesem Mädchen erzählt habe, von der aufgeweckten Kleinen? Kathrin heißt sie.“
„Ja, ja, du hast mir davon erzählt. Ich habe oft daran denken müssen.“
„Wir waren am Wochenende mit der Kleinen zusammen. Am Montag dann mussten wir sie zurückbringen ins Waisenhaus. Ich habe sie jeden Tag besucht. Frank konnte nicht mitkommen, er ist zur Zeit auf der Rio de Janeiro Route, und ich sehe ihn wahrscheinlich erst in drei Wochen wieder.“
„O Gott, du tust mir leid, Ina.“
„Ich brauche dir nicht leid zu tun. Ich weiß ja, wie es geht, wenn er immer unterwegs ist. Aber zurück zu der Kleinen. Es wird nichts aus ihr werden, wenn sie in diesem Waisenhaus bleibt. Aber das wird die nächsten Jahre ihr Schicksal sein. Noch ist sie unverdorben, noch ist sie voller Optimismus. Aber manchmal entdecke ich an ihr Züge, da ist sie wie eine Erwachsene, richtig abgeklärt, um nicht zu sagen, abgebrüht. Und das ist mir besonders bei den Besuchen im Waisenhaus aufgefallen. Hier im Krankenhaus war das gar nicht so deutlich. Sie passt sich dort an. Sie ist auch längst nicht so fröhlich, wie sie hier war. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist im Gefängnis. Alle diese Kinder machen diesen Eindruck, obgleich ich zugeben muss, dass man sich sehr bemüht, ihnen Abwechslung zu verschaffen. Aber was ihnen allen fehlt, ist die Wärme, die Wärme eines Nestes. Zum Teil wirken diese Kinder verroht. Man kann es auf mannigfaltige Art und Weise erkennen. Das äußert sich mitunter ganz versteckt. Ich habe mir überlegt, Kathrin irgendwie da herauszuholen, ihr ein Zuhause zu bieten. Frank hätte nichts dagegen und Tante Hilde schon gar nicht. Aber es ist kein Dauerzustand. Ich müsste mich beruflich total umstellen. Ich mache mir Sorgen um die Kleine, wenn es darauf auch auf einen Tag mehr oder weniger nicht ankommt. Aber ich möchte nicht zu lange warten, sie dort herauszubekommen. Die Behörden machen es einem aber nicht leicht. Das Kind müsste adoptiert werden. Und das ist es.“
„Kann ich da irgendetwas tun?“, fragte Nicole. Aber sie wirkte mit dieser Frage noch ratloser, als sie ohnehin war. Ina fragte sich in diesem Augenblick, ob Nicole eigentlich die Fantasie dazu fehlte, wie sehr sie helfen konnte.
„Und ob du helfen kannst“, erwiderte Ina, „Nur kann ich dir das nicht aufpflanzen. Ich meine, ich kann dir meine Gedanken nicht so aufpfropfen, dass du sie zu deinen eigenen machst. Du musst schon selbst zu der Überzeugung gelangen.“
„Meinst du, ich sollte sie adoptieren?“
„Das wäre eine Möglichkeit. Aber dazu gehört eben mehr als nur der Wille, dem Kind zu helfen. Du müsstest sie lieben. Aber du kennst sie gar nicht. Ich bin zwar sicher, du würdest sie liebgewinnen, aber das kann man nie im Voraus bestimmen. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, sie zu adoptieren. Auch Frank war dafür. Und ich habe ihm neulich sogar etwas gesagt, liebe Nicole, was ich dir als erstem außenstehenden Menschen verrate. Ich habe ihm gesagt, dass ich bereit bin, ihn zu heiraten. Ich habe das noch nie einem Mann gesagt. Bis jetzt hatte ich eine panische Scheu davor. Ich würde Frank heiraten. Die einzigen Probleme, die dazwischen stehen, ergeben sich aus der Tatsache, dass ich mich um meinen Opa und um Tante Hilde kümmern muss. Aber Frank hatte da eine glorreiche Idee. Ich habe sogar schon mit Tante Hilde darüber gesprochen, die war sofort Feuer und Flamme. Mit Opa werde ich vielleicht heute Abend reden. Ich bin nicht sicher, wie er reagieren wird. Tante Hilde hätte die Kleine auch sehr gern. Das Hindernis ist Opa. Er kann es mit kleinen Kindern nicht, und Kathrin hat auch vor ihm Angst. Das ist eine ganz natürliche Geschichte. Ich möchte auch jetzt darauf nicht eingehen. Aber ich will der Kleinen irgendwie helfen, nur nicht so, dass es keinen Bestand hat.“
„Wie soll ich die Kleine lieben, wenn ich sie gar nicht kenne?“, erklärte Nicole.
Ina nickte. „Du hast sehr recht mit dieser Feststellung. Wenn es dir so gut geht, dass du entlassen wirst, sollten wir beide einmal zu ihr fahren. Und ich habe auch daran gedacht, dass es für dich vielleicht ein Ausweg ist. Aber du musst dir selbst nichts vormachen. Du solltest da ganz ehrlich mit dir sein. Wenn du sie willst, wenn du sie liebst, wenn alles zusammenpasst, nur dann kannst du ihr wirklich helfen. Mit deinem Geld kannst du es nicht unbedingt. Da verschaffst du ihr vielleicht Wohlstand, aber noch lange kein glückliches Leben.“
„Hör auf! Das hast du mir jetzt schon so oft erzählt, das mit dem Geld und dem Glück. Ich kann es nicht mehr hören. Du hast recht, ich gebe das zu. Aber es ist eine Wunde, in der du herumrührst. Und ich möchte, dass sie endlich heilt. Ich habe mich ja besonnen, Ina. Sei mir nicht böse, wenn ich das sage. Aber du musst nicht immer wieder nachschieben.“
Ina lächelte und strich Nicole zärtlich über die Wange.
„Verzeih mir, Nicole, ich wollte dir nicht wehtun.“ Sie seufzte. „Ich muss schon wieder weg. Auf alle Fälle sieht deine Zukunft nicht so traurig aus, wie du denkst. Er kommt, und ich bin sicher, es wird wieder alles gut.“
Nicole nickte nur und blickte Ina voller Zuversicht an. Als Ina gegangen war, hätte Nicole am liebsten voller Überschwang aus vollem Halse gejubelt.