Читать книгу Die Rache der Rosalie Salino - Gloria Murphy - Страница 6
KAPITEL 4
ОглавлениеErst als Rusty in die Vorhangabteilung des Einkaufszentrums kam, entdeckte er den roten Haarschopf und die dunkelrote Haarklammer. Er ging zu ihr hin, klopfte ihr auf die Schulter, und sie drehte sich um. »Hallo«, sagte er. »Ich wollte dich nur wissen lassen, daß ich hier unterwegs bin.« Er sah sich ihren fast vollen Einkaufswagen an. »Wenn du also ein Auge offenhalten könntest...«
Ihre dunklen Augen trafen die seinen, dann meinte sie: »Das beste ist, du nimmst dir deinen eigenen Einkaufswagen.«
»Das habe ich schon versucht – es klappt nicht. Ich erwische immer den mit den schiefen Rädern.«
»Ich glaube, die Beschwerdeabteilung ist am anderen Ende des Ladens.« Und sie schob ihren Wagen weiter.
»He, warte«, sagte er und schloß seine Hand um ihren Einkaufswagen.
»Kaufst du immer so ein... das heißt, so viel? Heute morgen... jetzt. So wie dein Wagen aussieht, würde ich sagen, daß du ein sehr ernsthafter Käufer bist. Jemand, der weiß, was er will.«
Sie hielt den Kopf schräg und musterte ihn. »Ist das eine dieser hinterlistigen Fragen, bei der man immer verliert, welche Antwort man auch gibt?«
Er ließ ihren Wagen los. »Nicht genau«, sagte er lächelnd. »Weißt du, die Sache ist nämlich die, ich bräuchte ein paar Vorhänge für meine Wohnung. Ich habe momentan nur welche im Wohnzimmer, und die waren schon da, als ich einzog.«
»Du willst also sagen, daß du selbst keine Vorhänge aussuchen kannst?«
Zögern. »Nun, die Sache ist die, ich habe es noch nie getan.«
»Das ist wirklich nicht schwer. Du siehst dich um, schaust, was dir gefällt und kaufst es dann.«
Rusty nahm ein paar in Zellophan verpackte Vorhänge vom Ladentisch und sah sie an. »Wie mache ich mich?«
»Nicht besonders.« Dann meinte sie mit einem Seufzer:
»Okay... für welches Zimmer brauchst du sie?«
»Für die Küche.«
Rae führte Rusty in den nächsten Gang und fragte dann: »Welche Maße?«
»Laß mich mal sehen... es ist ein ziemlich großes Fenster. Ich würde sagen ein Meter vierzig breit.«
»Damit kann man doch schon etwas anfangen.« Rae sah sich die Ware an, beugte sich nach vorne und befühlte den Stoff.
»Wie wär’s damit?«
»Ist in Ordnung.«
»Welche Farbe?«
Er zuckte mit den Achseln. »Mir ist jede Farbe recht.«
Sie preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Okay, wie war’s mit rot?« »Welche Farbe haben die Wände?«
»Weiß.«
»Und die Küchengeräte, die Einbauten?«
»Die Küchengeräte sind weiß, und die Einbauten sind gelb.«
»Und der Boden?«
»Warte mal... der ist gesprenkelt, glaube ich. Dunkelbraun, beige, gelb...«
»Nun... dann würde entweder braun oder gelb dazu passen. Du mußt dich entscheiden.«
Er nahm zwei braune, die einen Meter und vierzig breit waren, und warf dann einen Blick in Raes Gesicht. »Gelb ist besser, stimmt’s?«
»Das mußt wirklich du entscheiden.«
Rusty legte die braunen Vorhänge wieder zurück, nahm zwei gelbe und drehte sich zu Rae um. »Vielen Dank.«
»Keine Ursache. Aber ich erwarte, daß du das nächste Mal selbst weißt, wie man so etwas macht.«
Rusty betrachtete ihren Gesichtsausdruck und wußte nicht, ob sie das ernst gemeint oder sich nur über ihn lustig gemacht hatte. Dann fragte er: »Hast du das Schränkchen schon zusammengebaut?«
»Na, laß mir doch etwas Zeit. Ich habe es doch eben erst gekauft.«
»Bist du sicher, daß du keine Hilfe brauchst?«
»Oh, ich bin ganz sicher.«
»Okay. Aber wenn ich mich sonst irgendwie revanchieren könnte.« Er hielt die Vorhänge in die Höhe. »Du weißt schon, als Gegenleistung für deinen Rat.«
Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Weißt du, Rusty, es gibt da etwas...«
»Nur zu, raus damit.«
»Ich habe meine Tante Anna vor einiger Zeit angerufen und versucht herauszufinden, wo Bobby ist... Und es ist seltsam. Ich meine, nicht, daß er täglich bei seiner Mutter anrufen würde oder so. Aber auch sie hat versucht, ihn zu erreichen.«
»Vielleicht ist er ein paar Tage weggefahren, macht Urlaub. Kennt er nicht ein Mädchen in Connecticut?«
»Ja, aber es sieht ihm nicht ähnlich, niemandem zu sagen, wohin er fährt.«
»Ich glaube, du bauschst die Geschichte etwas auf, aber ich werde mich umhören und mich erkundigen, ob ihn irgend jemand gesehen hat oder weiß, wo er ist.«
»Danke, das fände ich nett. Wenn du etwas herausfindest, ruf mich an. Meine Nummer steht im Telefonbuch.« Sie legte ihre Hände wieder auf den Wagen, schob ihn den Gang hinunter, blieb dann stehen und drehte sich um. »Hast du eine Vorhangstange?«
Er schüttelte den Kopf.
Sie deutete auf den Gang, der zum hinteren Ende des Ladens führte. »Gleich da drüben, neben der Beschwerdeabteilung.«
Rusty stellte die Tüte neben sich auf den Sitz, ließ den Motor an und dachte dabei über die Arbeit bei dieser Louise nach. Er wußte immer noch nicht, was er von ihren seltsamen Plänen für das Spielzimmer halten sollte – die Fenster zuzumauern, es schalldicht auszustatten und so weiter –, aber in seiner kurzen Karriere als Architekt hatte er schon seltsamere Aufträge als diesen erledigt.
Wenn Victoria alles so haben wollte, wie sie gesagt hatte, dann würde er mindestens für drei Monate Arbeit haben. Ohne Materialkosten würde es bestimmt nicht unter zweiundzwanzigtausend Dollar zu machen sein. Und dazu war es noch genau so ein Haus, wie er es gerne umbaute. Und das Schönste daran war, daß die Arbeit zur richtigen Zeit kam, im Winter, wo es am wenigsten zu tun gab.
Doch er wußte nicht genau, was er von Victoria zu halten hatte. Er hätte blind sein müssen, um nicht zu bemerken, wie sie ihm entgegengekommen war. Das passierte ihm sicher nicht zum ersten Mal – einer der Vorteile oder auch Risiken seiner Arbeit, je nachdem, wie man es betrachtete. Frauen, die ihren gutbürgerlichen Ehemännern im Bett die kalte Schulter zeigten, tauten am nächsten Morgen bei einem Typen im T-Shirt und mit einem Hammer in der Hand erst so richtig auf. Normalerweise ging er mit einer solchen Situation so um, daß er so tat, als sei er zu beschränkt, um die Annäherungsversuche zu bemerken, und schließlich gaben die Frauen ihre Versuche auf. Nicht, daß er manchmal nicht versucht gewesen wäre, auf so ein Angebot einzugehen, aber das letzte, was er brauchen konnte, war, in eine aussichtslose Beziehung verwickelt zu werden.
Natürlich entsprach diese Frau nicht dem Klischee... Sie war nicht verheiratet, zumindest hatte es den Anschein... war wahrscheinlich in seinem Alter, und er wäre wirklich ein Dummkopf gewesen, hätte er nicht bemerkt, wie attraktiv sie war. Doch sie hatte ganz eindeutig etwas Seltsames, fast Berechnendes an sich. Vielleicht war es die Art gewesen, wie sie ihn über dieses Mädchen, das vorher in dem Haus gelebt hatte, ausgefragt hatte... Rosalie, so hatte sie geheißen. Oder vielleicht reagierte er nur auf die Art, wie sie mit dieser Frau, Mrs. Mills, gesprochen hatte. Es waren nicht die Worte gewesen, er hatte vielmehr den Eindruck gehabt, als hätte Victoria die Hand wirklich sehr fest gedrückt, allerdings hatte die Frau nicht reagiert. Er mußte es sich eingebildet haben.
Seine Gedanken wanderten zu Rae. Und hier wußte er wirklich nicht, was er von der Sache halten sollte: sie war hübsch – noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte... war klug und nahm wirklich kein Blatt vor den Mund. Bilde dir nur ja nichts ein, Rusty... sie hat dich ganz bestimmt nicht angemacht.
»Ich bin beeindruckt, Rusty. Wirklich, das bin ich. Das Gelb paßt hervorragend zur Küchentheke und hellt die ganze Küche auf. Irgendwie habe ich mir vorgestellt, du würdest etwas Grelles aussuchen... Rot zum Beispiel.«
Er warf ihr einen gespielten Blick des Entsetzens zu und sprang dann vom Stuhl, nachdem er die Vorhänge zu seiner großen Befriedigung aufgehängt hatte. »Manchmal glaube ich wirklich, du traust mir überhaupt nichts zu.«
»Nun, sehen wir den Tatsachen ins Auge, du hast überhaupt keinen Geschmack.«
»Vielen Dank.« Er zog eine Schublade heraus, in der sie allen möglichen Krimskrams aufbewahrten, holte einen gelben Schreibblock heraus, warf ihn auf den Küchentisch und sagte dann, wobei er mit der Hand auf das Wohnzimmer deutete: »Ich muß noch etwas arbeiten, also, wie wär’s?«
»Okay, aber bevor ich gehe« – sie ging zum Telefon und nahm das Blatt Papier, das daneben lag – »hier sind zwei Anrufe für dich.«
Er sah auf. »Geschäftlich?«
»Nein.« Carol hob die Stimme um zwei Oktaven und meinte säuselnd, wobei sie jedes Wort betonte: »Einer ist von Elaine. Wollte wissen, wann du heimkommst. Ich sagte ihr, daß ich keine Ahnung hätte.«
»Gut. Und von wem ist der andere?«
»Von Gena. Sie und Mac haben für heute abend ein paar Leute eingeladen. Sie möchten, daß du auch kommst. So gegen acht Uhr.« Rusty nahm einen Kugelschreiber und fing an, die Materialien aufzulisten, die er für seine Arbeit brauchte. »Gehst du hin?« fragte Carol.
»Ich weiß nicht, vielleicht. Das hängt davon ab, wie weit ich mit der Arbeit komme.« Er sah hoch. »Was hast du denn heute abend vor?«
»Ich gehe jetzt zu Franny. Später gehen wir wahrscheinlich zu Gary Schuler nach Hause, er hat ein paar von uns eingeladen.«
»Werden seine Eltern daheim sein?«
Schweigen.
»Könntest du vielleicht etwas lauter sprechen, ich habe deine Antwort nicht verstanden.«
»Laß das, Rusty. Du weißt genausogut wie ich, daß es keine Party gäbe, wenn seine Eltern zu Hause wären.«
»Ich will nicht, daß du etwas trinkst.«
Sie schüttelte den Kopf, und ihr dicker, goldener Zopf blieb auf einer Schulter liegen. »Mach dir keine Sorgen. Ich hasse den Geschmack von Bier.«
»Aber du trinkst gern Wein, stimmt’s?«
»Woher willst du das wissen?«
Er lächelte verschmitzt. »Ich weiß das eben, Carol. Das ist etwas, was Brüder den Eltern voraushaben.«
»Du hast eines meiner Telefongespräche belauscht, stimmt’s?«
»Falsch. Und um zum Anfang unserer Unterhaltung zurückzukommen – kein Alkohol.«
»Okay, okay.«
»Wann wirst du wieder zu Hause sein?«
»Ich weiß nicht... so gegen eins, vermute ich.«
»Punkt eins, nicht später. Und hör mal, ich will nicht, daß du mit jemandem fährst, der betrunken ist, also ruf mich an, wenn ich dich abholen soll. Wenn ich nicht hier bin, versuch’s bei Mac.«
»In Ordnung.« Sie nahm einen ärmellosen blauen Parka, zog ihn an und holte sich ihre Handtasche. »Weißt du, Rusty, du solltest wirklich hingehen.«
Er notierte sich gerade ein paar Zahlen. »Wohin?«
Ein Seufzer. »Zu Mac und Gena natürlich. Du steckst zu sehr in deiner Arbeit, du scheinst dich überhaupt nicht mehr zu amüsieren.« Sie lächelte kokett: »Ich kenne eines oder zwei der älteren Mädchen. Ich könnte mit ihnen etwas ausmachen, wenn du Interesse hast. Sie erzählten mir, daß du einen tollen Körper haben mußt.
»Zwei Minuten, Carol. Wenn du dann nicht draußen bist –« Er blickte hoch, konnte aber nur noch ihren Zopf sehen, der um die Ecke verschwand.
Mac, der bereits im Alter von fünfzehn Jahren die stattliche Größe von einem Meter neunzig überschritten hatte, öffnete die Tür. Er beugte die breiten Schultern weit nach vorne – eine Gewohnheit, die er vor Jahren angenommen hatte –, als ob er sich niemals mit seiner Größe abfinden könnte. Er stieß die Eingangstür mit einer Hand auf: die Finger der anderen Hand waren um eine feuchte Dose mit Budweiser geklammert. Hätte er sich nicht in seinem zweiten Jahr am Boston College eine Knieverletzung beim Basketball zugezogen, wäre er vielleicht Profispieler geworden. Aber wie die Dinge lagen, gab er sich mit einem Abschluß in Wirtschaftswissenschaften und einer guten Stelle im Honda-Handel seines Vaters zufrieden. Er begrüßte Rusty mit seinem üblichen freudlosen, schläfrigen Blick. »Na so was, du Halunke, wie kommen wir zu der Ehre? Wir dachten schon, du wärst ins Kloster gegangen.«
Rusty betrat das Haus, streckte sich und legte Mac einen Arm auf die Schulter. »Da habt ihr Pech. Wie geht es Gena?«
»Hervorragend, seit sie schwanger ist, ist sie nur noch beim Einkaufen. Das Kinderzimmer ist mit allem ausgestattet, es fehlt nur noch eine Badewanne.«
Rusty lächelte. »Ich habe über der Garage ein Basketballnetz entdeckt. Ich nehme doch nicht an –«
Mac hob abwehrend die Hand. »Das ist für mich, ich schwöre, nur für mich.«
Rusty spähte ins Wohnzimmer. »Wer ist denn sonst noch da?«
»Ich weiß nicht, wen suchst du denn?«
»Ist Bobby da?«
»Nein, tut mir leid. Gena hat ihn unzählige Male angerufen, hat ihn aber nicht erreicht.«
Unter den ungefähr zwanzig Leuten, die sich im Zimmer aufhielten, erkannte Rusty neun der Freunde, mit denen er an der High-School zusammengewesen war. Es war fast die ganze Clique gekommen, nur drei oder vier fehlten, die nach dem Abschluß fortgezogen waren. Drei hatten bisher geheiratet – Mac und Gena und Brad Kagan, der unmittelbar nach dem Jurastudium und nachdem er in der Firma seines Onkels zu arbeiten angefangen hatte, ein Mädchen aus New Hampshire geheiratet hatte. Im letzten Jahr war Rusty nicht auf vielen Parties gewesen, und so schlenderte er eine Weile herum, schnappte hier und da ein paar Neuigkeiten auf und erkundigte sich, ob jemand Bobby gesehen habe. Niemand hatte das, zumindest nicht in der letzten Zeit.
Er ging wieder zurück zur Bar, als er ein ausgelassenes Lachen hörte und dann den buschigen schwarzen Schnurrbart von Sam Regis entdeckte. Rusty bahnte sich einen Weg zu ihm hin und streckte die Hand aus. »Sam, warum höre ich dich eigentlich immer schon lange, bevor ich dich sehe?«
Sam Regis lachte wieder, als er Rustys Hand fest packte. »He, Rusty. Wie stehen die Dinge, Mann?«
Der alte Sam. »Nicht übel«, sagte Rusty. »Sag mal, arbeitest du immer noch als Elektriker?«
»Sicher. Warum?«
»Ich hätte Arbeit für dich, bist du interessiert?«
Sam strich sich mit der Hand über den Schnurrbart. »Ich kann immer Arbeit brauchen. Wo denn?«
»In der Stadt. Die Frau ist eben erst in eines der großen alten Häuser eingezogen und will es renovieren lassen. Mir scheint, ein paar der Leitungen sind hinüber. Man müßte Stromkreisunterbrecher und einen neuen Sicherungskasten einbauen.«
»Kein Problem. Gib mir den Namen und die Telefonnummer der Frau, und ich werde sie am Montag anrufen.«
Rusty zog eine Visitenkarte und einen Kugelschreiber aus der Tasche, notierte die Information und gab ihm die Karte. »Das Lustige daran ist, sie hat das alte Haus in der Valley Road gekauft. Du kennst es vielleicht – zwischen der Patterson und der Greene. Ein Mädchen namens Rosalie hat früher dort gewohnt, sie ist mit uns zur Schule gegangen.«
»Ich kann mich nicht erinnern. Wie sah sie aus?«
Aus heiterem Himmel legte sich ein Arm um Sams Schultern und ein zweiter um die von Rusty. »Welches Mädchen?«
»Hallo, Elaine«, sagte Sam, »wie geht’s dir?«
»Ganz gut«, sagte sie und bohrte dabei zornige Blicke in Rusty. »Natürlich könnte es mir viel besser gehen, wenn Rusty es für angebracht hielte, mich mal wieder anzurufen.«
Sie schüttelte ihre blonden Locken, riß ihre blaßblauen Augen auf und rümpfte die Nase. Wie an der High-School, dachte Rusty, nur die Stimme schien schriller geworden zu sein. Dann sagte sie zu ihm: »Welches Mädchen?«
Rusty stürzte seine Dose mit Budweiser hinunter.
»Komm schon, wer?«
»Rosalie. Ich kann mich nicht an ihren Nachnamen erinnern. Wir sind mal zu einer Party hingegangen.« Elaine wartete auf weitere Information. »Sie war ein stilles Wasser. Hielt sich sehr zurück.«
»Oh... ja, jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte sie. »Rosalie Salino. Sie war wirklich fett, sah nicht sehr gut aus. Sie hat nicht viel gesagt, aber wenn sie den Mund aufgemacht hat, dann klang es, als ob man mit einem Fingernagel über die Tafel fährt. Ein wirklich trauriger Fall. Was ist los mit ihr?«
»Nichts. Ich arbeite nur an dem Haus, in dem sie gewohnt hat.« Rusty machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort: »Hör mal, Elaine, hast du Bobby gesehen?«
»Nein, warum?«
»Aus keinem besonderen Grund, ich versuche nur, ihn zu erreichen.« Dann: »Wenn du mich entschuldigst...« Er tauchte an die Bar weg, wo Mac gerade einen Drink mixte. Mac sah ihn an und zuckte mit den Achseln. »Tut mir leid, ich weiß, daß das Mädchen dich nervt, aber Gena hat darauf bestanden, sie einzuladen.«
»Ist nicht so schlimm.« Er holte sich eine weitere Büchse mit Budweiser, zog die Lasche ab und warf dann einen Blick auf Genas beträchtlichen Bauch, als sie in die Küche ging. »Ich weiß nicht, Mac, aber ich würde sagen, das sieht nach Zwillingen aus.«
»Das kann ich mir nicht leisten. Ich hoffe, es ist ein kräftiger Bursche. Wie sein Alter.«
»Rusty!« Er wandte sich zur Küche um, wo Gena auf den Telefonhörer deutete, der über ihrer Schulter hing. »Für dich«, formulierte sie lautlos mit den Lippen.
Rusty sah auf die Uhr – es war noch nicht zwölf –, als er zum Telefon ging.
»Warum gibst du Elaine nicht eine Chance, Rusty«, sagte Gena und hielt dabei die Sprechmuschel mit einer Hand bedeckt. »Sie ist immer noch ganz verrückt nach dir. Und ihr seid immer so ein schönes Paar gewesen. Alle haben immer gedacht –«
Er streckte die Hand aus. »Bitte, Gena... das Telefon.«
Sie seufzte. »Ihr Männer...« Sie gab ihm den Hörer, ging weg und schloß die Küchentür hinter sich.
Er hielt sich den Hörer ans Ohr. »Ja?«
Zögernd ertönte ein »Bist du’s, Rusty?«.
»Carol, was ist los?«
»Nichts.«
»Wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Ist etwas passiert?«
»Nein, nichts. Die Party war so schrecklich, daß Franny und ich eher gegangen sind.«
»Okay. Aber was ist los, du klingst so komisch.«
»Franny ist hier bei mir. Ich wollte dich fragen, ob sie über Nacht bleiben kann.«
»Nein.«
»Oh, bitte, Rusty. Wir werden ganz leise sein, das verspreche ich dir. Du wirst uns nicht einmal hören.«
»Vergiß es. Ich habe dir schon einmal gesagt, ich will nicht am Morgen aufwachen und mich mit kichernden Mädchen herumschlagen müssen.«
Schweigen.
»Bist du noch dran, Carol?«
»Ich habe Angst, allein hierzubleiben, Rusty.«
»Du hast Angst... wovon sprichst du?«
»Nun, ich wollte dir eigentlich nichts sagen.« Rusty wartete. »Aber als ich heute wegging, da stand ein blauer Wagen vor der Tür. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht.«
»Erzähl weiter.«
»Nun, als Franny mich heimfuhr, sah ich den Wagen wieder, das heißt, ich dachte, es wäre derselbe Wagen. Er war auf jeden Fall blau. Franny und ich glaubten, daß er uns gefolgt ist.« Sie schluckte fest. »Als Franny anhielt, um mich aussteigen zu lassen, hielt er auch an. Nicht direkt vor unserem Haus, etwas weiter oben in der Straße. Also ist sie mit reingekommen.«
»Sieh mal nach, ob der Wagen noch da ist.«
»Eine Sekunde« – dann hörte er etwas leiser – »sieh mal, ob er jetzt da ist, Franny.« Einige Augenblicke vergingen...
»Carol, bist du da?«
Wieder am Telefon, sagte sie: »Sie sieht ihn nicht, Rusty. Er muß weggefahren sein. Also, kann sie bleiben?«
Ein Seufzer. »Okay, aber sag ihr, sie soll erst ihre Eltern anrufen. Ich werde bald zu Hause sein.«
»Du mußt meinetwegen nicht gehen. Mit Franny hier geht es mir ganz gut.«
»Bist du sicher?«
»Ja... mach dir keine Sorgen.«
Er hängte ein. Wahrscheinlich bildeten sie sich das nur ein, zwei Mädchen, die sich gegenseitig Angst einjagten. Doch selbst, wenn es so war, etwas stimmte nicht. Erst hatten er und Carol diese seltsamen Telefonanrufe bekommen, und nun das...
Er ging in die Halle, holte seine Jacke aus dem Schrank und ging zur Eingangstür hinaus.
»Rusty... warte!« Elaine holte ihn auf der Rasenfläche vor dem Haus ein. »Wo gehst du hin?«
»Nach Hause.«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. »Komm doch, bleib noch ein bißchen. Die Nacht ist noch jung, wir wollen uns doch noch etwas amüsieren.«
Er befreite sich aus der Umarmung. »Tut mir leid, ich muß gehen.«
Wieder schlang sie ihre Arme um ihn. »Nimm mich mit.«
Er musterte sie eine Minute, hielt sie fest, und seine Hände glitten zu ihren Hüften hinunter. »Kann ich dich etwas fragen?«
Sie rieb ihren Körper an seinem und legte ihren Kopf an seine Schulter. »Sicher, Rusty, alles.«
»Und du wirst mir eine ehrliche Antwort geben?«
»Natürlich.«
»Hast du bei mir zu Hause angerufen und aufgelegt, wenn meine kleine Schwester am Telefon war?«
Sie ließ ihre Hände sinken. »Ach, zum Teufel mit dir, Rusty!«