Читать книгу Die Rache der Rosalie Salino - Gloria Murphy - Страница 7
KAPITEL 5
ОглавлениеVictoria lag quer über dem Bett, die Puppe neben sich, und starrte das Bild vor sich an. Dann schloß sie die Augen und verließ sich nur noch auf ihre Erinnerung... Immer kam ihr Elaines Gesicht zuerst in den Sinn... für sie hatte sie ihren tiefsten Haß aufbewahrt.
Es war verständlich, daß Mutter damals auf die Idee kommen konnte, sie zu der Geburtstagsparty einzuladen. Rosalie hatte so viel über die Clique erzählt, hatte immer so getan, als ob, daß Mutter schließlich überzeugt gewesen war, sie wären wirklich Rosalies Freunde... Und weil Rosalie erwartet hatte, daß nur Mutter, Mrs. Mills und ein paar von Mutters Freundinnen kommen würden, hatte sie das alberne rosa Spitzenkleid angezogen, das Mutter ihr extra zu diesem Anlaß gekauft hatte.
Das erste Gesicht, das sie sah, als sie in den Keller kam, war das von Elaine... dann das der anderen... Und sie riefen alle: »Überraschung!«
»So sag doch etwas«, meinte Mutter schließlich und suchte dabei auf Rosalies Gesicht nach einer entsprechenden Antwort.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie ruhig zu Mutter.
»Was verstehst du denn nicht?« Dann schob sie sie zu den anderen, die alle enge Jeans und modische Pullover trugen, und sagte: »Geh zu deinen Freunden, amüsiere dich. Ich werde oben die Pizza zubereiten.«
Und dann war Mutter gegangen, und sie stand Elaine gegenüber. »He, mir gefällt dein Kleid, Rosalie«, sagte Elaine und berührte die Spitze am Ärmel. »Hat es deine Mutter für dich gemacht?«
Schweigen.
»Sag doch etwas, Rosalie. Was soll das – wir kommen hierher, um mit dir zu feiern, und du redest nicht einmal mit uns.«
Rosalie schluckte hart. »Ich wollte nicht... Vielen Dank.« Noch im selben Augenblick erkannte sie, wie dumm die Worte klangen, aber sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen.
»Wofür bedankst du dich bei mir?«
Sie konnte spüren, wie ihr Gesicht heiß wurde. Sie zuckte mit den Achseln. »Du weißt schon... daß ihr gekommen seid.«
Elaine wandte sich kichernd an die anderen. »Habt ihr das gehört, Leute – Rosalie will sich bei uns bedanken, weil wir gekommen sind.« Dann drehte sie sich wieder zu ihr um. »Keine Ursache. He, hast du irgendwelche Platten?«
Sie nickte.
»Gut... hol sie her. Wir müssen etwas Leben in diese Party bringen.«
Rosalie ging nach hinten in den Keller, um die Platten zu holen, aber vorher hörte sie noch, wie Roxanne zu Elaine sagte: »Ich weiß immer noch nicht, was wir hier sollen.«
»Vertrau mir, das wird noch ein Riesenspaß werden.«
»Wann werden wir ihr unsere Geschenke geben?«
»Später... Zuerst soll sie etwas auftauen.«
»Wo ist Rusty?«
»Muß irgendeinen Vortrag für seine Schwester schreiben. Keine Angst, er wird schon noch kommen.«
Elaine wandte sich an die anderen. »He, trinken wir doch was. Mac hat gerade noch eine geheimnisvolle Zutat in diesen Früchtepunsch gekippt.«
Rusty... er würde auch kommen. War es möglich, daß sie wirklich ihre Freunde sein wollten?
Victoria schlug die Augen auf und starrte auf Elaines Gesicht, das auf dem Foto direkt über dem von Rusty war. Elaine mochte ihn immer noch, aber es war klar, daß seine Gefühle nicht mehr dieselben sein konnten. Victoria hatte es selbst vom Wagen aus gesehen... Sie war Rusty bis zu Mac nachgefahren, war wieder weggefahren und rechtzeitig genug zurückgekommen, um die beiden zusammen zu sehen. Sie schaute die Puppe an. »Ich frage mich, wie Elaine mit einer Abfuhr fertig wird. Ihrem Gesichtsausdruck heute abend nach zu schließen, nicht allzu gut, nehme ich an.«
Dann dachte sie an das Mädchen, das bei Rusty wohnte... auch sie hatte sie sich gut angesehen. Sie war blond... hatte ein hübsches Gesicht, so wie Elaine. Und sie war auch jung – eigentlich viel zu jung für Rusty. Sie würde etwas tun müssen, um das Mädchen zu überzeugen, wie falsch die Situation zwischen ihnen war. Rusty gehörte ihr... Sie hatte geduldig gewartet, und jetzt war sie an der Reihe.
Victoria stand auf, zog sich aus, schlüpfte in ein Nachthemd, ging dann ins Bett und zog die Decke über sich und die Puppe. Sie strich mit den Fingern durch ihr Haar und versuchte, es zu entwirren. »Ich bin total erschöpft, Rosalie«, sagte Victoria zu der Puppe. »Bei den vielen Dingen, die ich heute zu erledigen hatte, und dann mußte ich mich auch noch um Bobby kümmern...«
Bobby hatte ihr mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie erwartet hatte. Sie hatte geglaubt, er würde nur aus Langeweile so um sich schlagen, weil er der erste Gast war. Niemand war gern der erste, aber leider mußte es einer sein. Um sein Jammern zu beenden, hatte sie den Knebel wieder
in seinen Mund stopfen müssen. Es schien zu wirken, denn er wirkte viel ruhiger, als sie ihn verließ.
»Autsch! Verdammt, jetzt habe ich es wieder geschafft!« Sie beugte sich vor und holte ein Papiertuch aus der Schachtel am Nachttisch, preßte es gegen ihre Lippe, nahm es weg und untersuchte es. Blut, sie hatte geblutet. Sie starrte auf den roten Fleck auf dem Tuch, schaltete dann die Lampe aus und kuschelte sich an die Puppe. Sie mußte besser aufpassen. Das letzte, was sie vor der Party haben wollte, war eine zerbissene und wunde Lippe.
Plötzlich wanderten Victorias Gedanken zu der alten Frau, die sie im Bus getroffen hatte. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt an sie? Immer wenn ihre Gedanken so herumflatterten, bekam sie Angst.
Mrs. Mills zog sich von der Tür zurück. Mit wem konnte sie gesprochen haben? Es waren nur ein oder zwei Sätze gewesen, doch sie hatten genügt, daß die Frau auf ihrem Weg nach oben etwas hörte und stehenblieb. Doch jetzt war es still, und das Licht war ausgeschaltet worden.
Agnes Mills hielt sich am Geländer fest und nahm die nächsten Stufen in Angriff. Sie vermutete, daß das nicht so ungewöhnlich war. Schließlich sprachen Menschen manchmal mit sich selbst, besonders wenn sie einsam waren. Aber Victoria schien ihr nicht der Typ dafür zu sein. Was sollte eine so gutaussehende junge Frau, die problemlos mit Menschen zurechtkam, schon über Einsamkeit wissen?
Agnes Mills hatte in ihrer Jugend darunter gelitten und Rosalie auch. Aber wie sehr sie sich auch bemüht hatte, das Mädchen von ihrer Erfahrung profitieren zu lassen, sie davon zu überzeugen, daß eines Tages auch ihre Zeit kommen würde, wenn sie aufhörte, gar so verbissen Freundschaft schließen zu wollen, es hatte nie funktioniert. Rosalie war hartnäckig und ungeduldig – sie wollte unbedingt dazugehören.
Die Frau blieb auf dem Absatz stehen, blickte wieder auf die geschlossene Tür zurück, drehte sich dann um und stieg die restlichen Stufen zu ihrem Zimmer hinauf. Sie betrachtete die Fotos, die noch immer die Wände bedeckten. Irgendwie hatte sie es noch nicht über sich gebracht, diese abzunehmen. Doch die Zeit wurde allmählich knapp... morgen würde sie ausziehen. Sie ging zu dem großen Foto, das über ihrem Bett hing und Alex Salino in seiner Uniform als Lieutenant der Polizei zeigte, und zog die Reißnägel heraus. Dann ging sie im Zimmer umher und nahm alle übrigen ab. Die von Rosalie und ihrem Vater.
Als Rusty den Raum betrat, konnte er sofort sehen, daß seine Freunde betrunken waren. Alle, bis auf das Mädchen namens Rosalie, das still und steif in der Mitte saß und die Geschenke auspackte. Ein gezwungenes Lächeln verzerrte ihren Mund zu einer scharfen Linie. Die anderen lachten... Sammy kugelte auf dem Boden umher und hielt sich dabei den Bauch; Mac warf Bälle aus dem zusammengeknüllten Geschenkpapier in die Luft. Rusty hatte gewußt, daß sie nur Scherzartikel als Geschenke mitbringen würden, aber offensichtlich waren sie zu weit gegangen.
Er betrachtete die Geschenke, die jetzt den Zementboden um Rosalie bedeckten: ein unförmiger Hüftgürtel, ein T-Shirt mit einem Bild von Schweinchen Dick, ein Schminkkasten für Halloween, eine übergroße Lunchbox, eine Packung mit Geruchsvertilger, eine Küchenschabe aus Gummi... Und das Bild, das jetzt in ihren Händen wie eine Schriftrolle entrollt wurde und eindeutig von Bobby stammte: eine Karikatur von Rosalie, die ihre Hakennase und ihren unförmigen Körper übertrieb.
»Rusty, da bist du ja endlich! He, ihr schlaffen Typen«, rief Elaine durch das Gelächter, »Rusty ist da!«
»Wo zum Teufel hast du gesteckt?« schnarrte Mac.
Alle Augen richteten sich auf ihn, auch die von Rosalie. Er ließ schnell die kleine Schachtel mit dem miesen, stinkenden Parfüm in der Tasche seiner Jeans verschwinden und nickte Rosalie zu.
Keine Antwort.
»Komm und schau dir die lustigen Geschenke an, die Rosalie hier hat«, rief Millie. Elaine hob den Strapsgürtel auf, beugte sich vor und hielt ihn Rosalie an die Hüfte. »Glaubst du, daß er paßt?« fragte sie ihn.
Rosalie stieß Elaines Hand weg.
»He, paß auf... was machst du da? Gefällt dir mein Geschenk nicht? Es ist doch wirklich super.« Elaine hielt sich selbst den Gürtel vor und fing an, mit den Hüften zu wackeln. »Ist vielleicht ein ganz kleines bißchen zu groß für mich...« Jemand drehte die Musik lauter, und Elaine tanzte im Kreis um Rosalie, und die Strapse klatschten gegen ihre Schenkel.
»Hör auf damit!« rief Rusty, aber da war es schon zu spät. Die anderen fielen in den makabren Tanz mit ein, und einige stolperten über ihre eigenen Füße und fielen in betrunkenem Gelächter zu Boden.
Plötzlich stand Rosalie auf. »Hinaus mit euch!« schrie sie. Tränen strömten unter ihrer Brille hervor. »Ich hasse euch alle! Hört ihr mich... ich hasse euch! Versteht ihr mich?«
Rustys Hand schoß nach oben und berührte die Lampe auf dem Nachttisch. Sie fiel um, auf den Boden. Er stand auf, hob sie auf, schaltete sie an und fuhr sich mit dem Arm über seine schweißnasse Stirn.
Ein Flüstern. »Rusty?«
Er drehte sich um. »Ja, Carol?«
»Ich habe den Lärm gehört. Was ist passiert?«
»Ich habe geträumt... Ich habe versehentlich die Lampe umgestoßen. Ich hoffe, ich habe deine Freundin nicht auch aufgeweckt.«
Carol kam zu der Schlafcouch und setzte sich. »Mach dir keine Sorgen, sie schnarcht noch. Bist du in Ordnung?«
»Mir geht es gut. Geh zurück ins Bett.«
»Was hast du denn geträumt, Rusty?«
»Nichts Wichtiges. Du weißt doch, wie das ist, sobald man aufwacht, hat man alles vergessen. Komm schon, geh ins Bett zurück.«
Carol zögerte noch einen Moment und ging dann in ihr Zimmer zurück. Rusty schaltete die Lampe aus und legte sich wieder hin. Als er letzte Nacht nach Hause gekommen war, hatten sich die beiden Mädchen gerade das Haar zu unzähligen Zöpfen geflochten – Tausende von Zöpfen, die in allen Richtungen vom Kopf abstanden. Er hatte sie über den geheimnisvollen Wagen befragt, aber beide bestanden darauf, daß sie es sich wahrscheinlich nur eingebildet hatten. Sie hatten sich erst vor einer Woche die neunundneunzigste Folge von Freitag, der Dreizehnte angesehen, »und vielleicht ist uns das im Kopf herumgegangen. Außerdem ist der Wagen jetzt weg, also was soll die Aufregung?«
Ein paar seltsame Telefonanrufe, ein blauer Wagen, der zweimal gesehen wurde, ein Freund, der wahrscheinlich spontan in Urlaub gefahren war, und ein seltsames Mädchen, das in einem Haus lebte, in dem er einmal gewesen war. Und er lag da und hatte Alpträume wegen einer dummen Geschichte aus der Vergangenheit... Was, zum Teufel, war nur mit ihm los?
Rae Lemkin war gegen zwei Uhr nachts aufgewacht und hatte nicht mehr einschlafen können. Bevor sie ins Bett gegangen war, hatte sie die neuen Bücherregale aufgebaut, die Bücher eingeräumt und eine Kanne Kaffee getrunken. Sie hatte auch mindestens fünfmal versucht, Bobby anzurufen.
Tante Sara hatte eigentlich nicht so besorgt gewirkt. Vielleicht weil Bobby das jüngste von acht Kindern war... So viele Kinder zu haben, das konnte einen ganz schön fertigmachen, überlegte Rae. Entweder blieb man gelassen oder war mit vierzig ein nervliches Wrack. Und schließlich war es nicht gerade ein Grund, alarmiert zu sein, wenn ein Vierundzwanzigjähriger, ein erwachsener Mensch, für ein paar Tage nicht auffindbar war.
Saras Schwester Rochelle, die Mutter von Rae, war genau das Gegenteil gewesen. Wendig, einfallsreich und lustig, sich aber immer der Gefahren bewußt, die auf kleine Mädchen lauerten. So furchtlos wie Mutter sonst war, wenn es um Rae ging, war sie ganz anders. Sie war fest davon überzeugt, bei allem immer dabeisein zu müssen: das hieß, nach Einbruch der Dunkelheit durfte man nicht mehr allein auf die Straße gehen, und ohne sie in der Nähe zu haben, durfte man auch nicht wagen, zum Schwimmen zu gehen – nicht einmal mit dreizehn Jahren in einem kniehohen Swimmingpool. Aber, um Mutter gegenüber fair zu sein, sie war allein und tat ihr Bestes, um ihr einziges Kind gut zu erziehen. Das heißt, bis sie an Leukämie erkrankte und ein Jahr später, im Alter von achtunddreißig Jahren, starb, und Rae daraufhin zu ihrer Tante Sara kam.
Rae fragte sich, ob sie wohl auch eine so nachgiebige Mutter wie ihre Tante sein könnte, oder würde sie eher dazu neigen, streng, mißtrauisch und übervorsichtig zu sein? Sie seufzte.
Alle Anzeichen waren bis jetzt schon sehr entmutigend. Vielleicht wäre es eine Lösung, gleich acht Kinder zu haben. Mein Gott... was dachte sie da bloß? Sie hatte ja noch nicht einmal einen Freund, geschweige denn Heiratspläne.
Während ihrer ganzen Zeit am College war sie nur selten ausgegangen – war immer zu beschäftigt gewesen, entweder mit Lernen oder mit Geldverdienen, wobei sie soviel wie möglich, soweit es ihr Stundenplan erlaubte, als Bedienung gearbeitet hatte. Und als sie die Ausbildung schließlich beendet hatte, war sie zu sehr in ihrer neuen Karriere aufgegangen, um sich noch viel um Verabredungen zu kümmern. Aber sie war sehr gefragt, und gelegentlich traf sie sich auch mit jungen Männern... Aber nicht ein einziges Mal wurde aus diesen Verabredungen eine engere Bindung. Entweder verschwand ihr anfängliches Interesse an dem jungen Mann sehr schnell, oder sie brachte es fertig, ihn wieder zu vertreiben, indem sie etwas sagte, was besser ungesagt geblieben wäre. Diplomatie war nicht gerade ihre starke Seite.
Sie stand auf, ging ins Schlafzimmer und öffnete die Schachtel mit dem Schrank für die Stereoanlage. Ihr blieben noch ungefähr vier Stunden, bis ihre Schicht im Krankenhaus begann. Und sie würde diese Zeit nicht mit sinnlosen Gedanken vergeuden, während ihr Cousin Bobby sich wahrscheinlich irgendwo eine schöne Zeit mit diesem Mädchen aus Connecticut machte.