Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 24
ОглавлениеEs war schon recht seltsam.
Genau um 18.26 Uhr wurde der Verkehr auf der Collins Avenue in Miami Beach wie von einer unsichtbaren Hand gestoppt. Die chromfunkelnden Cadillacs und teuren, ausländischen Sportwagen, um nur einige Beispiele zu nennen, bremsten durchweg jäh ab und fuhren an den Straßenrand. Die versnobten Fahrer in diesen Wagen starrten aus hervorquellenden Augen auf die Mitte des breiten Prachtkorsos.
Im Dienst erfahrene und ergraute, clevere Hotelportiers bekamen den Schluckauf und zweifelten an ihrem gesunden Menschenverstand. Auch sie konnten sich vom Anblick, der sich ihnen bot, nicht losreißen.
Die lässig einherschreitenden Passanten am Rande der Avenue vergaßen den Strand und die sich dort bietenden, reizvollen Aussichten. Wie auf ein geheimes Kommando hin wandten sie sich alle der Straße zu. Die ganze Collins Avenue samt den Menschen, die sich auf ihr bewegten, schien den Atem anzuhalten. Für einige, quälend lange Sekunden wurde es unheimlich still.
Diese konzentrierte Aufmerksamkeit galt einem skurril aussehenden Gefährt, das sich auf vier großen Lastwagenreifen bewegte. Auf dem Rahmen dieses hochbeinigen Monstrums befand sich ein hoher, eckiger Aufbau, in dem man ohne Mühe aufrecht zu stehen vermochte. Die Wagenscheiben waren von innen mit gepflegten Gardinen versehen worden.
Der eckige, langgestreckte Kühler wurde mit diversen Lederriemen zusätzlich gegen ein Selbständigmachen gesichert. Große, blank polierte Scheinwerfer ließen den Eindruck entstehen, daß dieses Vehikel an der Basedowschen Krankheit litt. Aus dem armdicken Zwillingsauspuff kräuselten sich blaue Rauchwölkchen.
Dieses Monstrum auf Rädern schien einem Museum für Alterskunde zu entstammen. Daher auch die allgemeine Aufmerksamkeit auf der Collins Avenue. Solch einen Wagen hatte man noch nie gesehen. Selbst von Fachleuten ließ er sich baujahrmäßig nicht einordnen.
Am Steuer dieses Vehikels saß Butler Josuah Parker. Natürlich übersah er die erstaunten und belustigten Blicke. Im Lauf der Zeit hatte er sich daran gewöhnt, daß man ihn übersah, daß man ihn nicht für voll nahm. Daß dieser erste Eindruck dann später meist revidiert werden mußte, stand auf einem anderen Blatt. Parker hatte seine Gegner bisher immer noch verblüfft und in Verlegenheit gebracht.
Übrigens paßte er überhaupt nicht in diese feudale Umgebung. Sein Wagen war an sich bereits ein Anachronismus. Butler Parker aber schien direkt aus der Zeit der englischen Queen Victoria in die Gegenwart gesprungen zu sein.
Selbstverständlich trug er seinen schwarzen Anzug, den schneeweißen steifen Eckkragen und den schwarzen Binder. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone. Dicht neben dem Steuer hing der Universal-Regenschirm, von dem Parker sich nur höchst selten trennte. Seine Hände staken in schwarzen Zwirnhandschuhen.
Josuah Parker steuerte sein Monstrum direkt auf die Auffahrt des teuren und exklusiven Bay-Beach-Hotels zu. Daß hinter ihm der Verkehr nur zögernd und langsam wieder in Bewegung kam, interessierte ihn nicht. Parker konzentrierte sich ganz auf seine Aufgabe. Natürlich war er nicht als Tourist nach Miami-Beach gekommen.
Als der Portier das Monstrum in der Auffahrt sah, rieb der Mann sich verzweifelt die Augen. Er glaubte zuerst an eine Halluzination. Er wurde weich in den Beinen, als diese Halluzination vor dem Baldachin hielt. Parker entstieg seinem Wagen, öffnete eine seitlich angebrachte Klappe und griff nach einem handlichen, fingerdicken Seil. Er spulte es ab und sicherte damit sein Monstrum. Er band es an einem der Baldachinpfoten fest.
Sich den Universal-Regenschirm fest unter den Arm klemmend, schritt Parker dann mit der unnachahmlichen Würde eines Königreihers auf die Hotelhalle zu. Der Portier wich entsetzt zurück. Er war derart fassungslos, daß er nicht in der Lage war, Parker mit einigen Worten zu stoppen, eine Tatsache übrigens, die für sich sprach.
Josuah Parker erreichte inzwischen die Rezeption. Er nahm höflich die schwarze Melone ab und blies einige unsichtbare Stäubchen ab.
»Ich komme im Auftrag Mr. Ben Zalakoffs«, begann Parker mit leiser, verhaltener Stimme und fixierte den Mann hinter der Anmeldung. »Die telegrafische Ankündigung muß bereits vorliegen, wenn mich nicht alles täuscht. Haben Sie die Güte, mir die Apartments zu zeigen. Ich möchte sehr hoffen, daß alles nach den Wünschen meines jungen Herrn gerichtet worden ist.«
Der Name Zalakoff wirkte elektrisierend auf den Empfangschef. Er verbeugte sich mit der Regelmäßigkeit eines Automaten und fischte dabei nach einem Schlüssel.
»Mein junger Herr wird in etwa einer Stunde eintreffen«, redete Parker würdevoll weiter. »Kein Aufsehen, wenn ich bitten darf. Mr. Zalakoff reist inkognito. Er haßt jede Anspielung auf seine Position im internationalen Ölgeschäft.«
»Selbstverständlich, selbstverständlich …!«
»Mr. Zalakoff wird vorerst für drei bis vier Wochen hier wohnen«, erklärte der Butler weiten »Ich möchte an dieser Stelle allerdings meiner Besorgnis darüber Ausdruck verleihen, daß der Urlaubsfriede von Miami-Beach augenscheinlich gestört wird.«
»Wie meinen Sie?« Der nervöse Empfangschef hatte endlich den Schlüssel erwischt und überreichte ihn dem Butler.
»Mit anderen Worten, hier in Miami-Beach scheinen Gangster ihr Unwesen zu treiben«, präzisierte Parker seine umständlichen Andeutungen. »Ich will nicht hoffen, daß Mr. Zalakoff ebenfalls gestört werden wird.«
»Keineswegs, keinesfalls …!« Der Empfangschef dienerte eifrig. »Ich möchte behaupten, daß die Behörden bereits wieder Herr der Lage sind. Die ›Strandhaie‹ haben sich in den vergangenen beiden Tagen nicht mehr gerührt.«
»Ich wäre sonst auch sehr peinlich berührt«, murmelte Josuah Parker. Er griff nach Melone und Universal-Regenschirm, deutete eine leichte Verbeugung an und schritt zum Lift.
Die Menschen in der großen Lounge des Hotels starrten Parker nach, als handele es sich um eine gespensterhafte Erscheinung. Der Empfangschef schnappte nach Luft und lockerte sich den Kragen. Einer der Gäste aber, ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, im grauen Anzug und mit hellen Schuhen, hatte es plötzlich sehr eilig. Er hastete auf den Ausgang zu und setzte sich in einen simplen Ford, der auf der anderen Straßenseite parkte.
Er fuhr so schnell los, als ginge es um sein Leben …
*
Herbert L. Shradon kam etwa um diese Zeit zurück in sein Hotel. Er hatte den Nachmittag am weißen Sandstrand zugebracht und sich von der Sonne rösten lassen. Nach einem Cocktail an der Hotelbar wollte er sich ausgiebig mit den Vorbereitungen für das Abendessen befassen. Herbert L. Shradon, groß, korpulent, ohne dick zu sein, war Junggeselle. Er war Generalvertreter in der sanitären Porzellanbranche und den Freuden des Lebens außerordentlich zugetan. Er hielt sich schon seit fast acht Tagen in Miami-Beach auf und hatte sich bisher herzlich wenig um die Dinge gekümmert, die die Zeitungen in großen Schlagzeilen herausstellten.
Als er sich in seinem Apartment umkleiden wollte, wurde ihm ein Brief zugestellt, Shradon wunderte sich. Er konnte sich nicht vorstellen, wer ihm schrieb. Der Brief war nämlich hier in Miami-Beach aufgegeben worden.
Gelassen öffnete er den Umschlag und faltete das Schreiben auseinander. Er stutzte, als er das Fehlen eines Briefkopfes vermißte. Er stutzte noch mehr, als er die wenigen Zeilen, die mit einer Maschine getippt worden waren, überlas.
Man forderte von ihm die Zahlung von einhundert Dollar, versprach ihm dafür ruhige Urlaubstage in Miami-Beach. Die Verfasser dieses obskuren Briefes versicherten ihm darüber hinaus, seinem Cadillac würde ganz gewiß nichts geschehen. Man sei sicher, daß die einhundert Dollar sein Urlaubsbudget nicht gefährlich einschrumpfen ließen. Die einhundert Dollar solle er aus praktischen Gründen in bar entrichten und sie in einem Umschlag auf den Vordersitz seines Cadillac legen. Unterschrieben waren diese Zeilen mit dem gefährlich klingenden Namen: Die Strandhaie.
Shradon hatte diese Unterschrift noch nicht ganz verdaut, als er das durchaus höfliche Schreiben wütend zusammendrückte und in den Papierkorb warf. Zum Teufel mit solchen Bettelbriefen, dachte er, eine neue Masche, Erpressungen in die Wege zu leiten. Da es sich nur um einhundert Dollar handelte, nahm er den Brief nicht weiter ernst. Irgendein Verrückter mußte ihn geschrieben haben.
Als Shradon sich ein neues Hemd überstreifte, klingelte das Telefon. Shradon knurrte, griff nach dem Hörer und meldete sich.
»Haben Sie unseren Brief erhalten?« fragte eine freundlich klingende Stimme.
»Welchen Brief? Moment mal, haben Sie mir diesen Wisch geschrieben? Sind Sie das, der die einhundert Dollar will?«
»Sehr richtig, Mr. Shradon. Sie werden doch zahlen, nicht wahr?«
»Ich denke nicht daran. Ich werde mich an die Polizei wenden, wenn Sie mich noch mal belästigen. Wo leben wir denn, he?«
»Sie sollten die Banknoten möglichst innerhalb von zehn Minuten in Ihren Cadillac legen, Mr. Shradon. Dieser Brief ist kein Witz gewesen.«
»Und wenn ich es nicht tue? Ich lasse mich nicht unter Druck setzen!«
»Nun, dann wäre es doch sehr schade um Ihren neuen Wagen«, antwortete der Anrufer. »Stellen Sie sich vor, er ginge in Flammen auf. Nur so zum Beispiel!«
»Mich jagen Sie nicht ins Bockshorn«, schnaufte Shradon gereizt. »Sie bekommen keinen Cent von mir.«
Er warf den Hörer in die Telefongabel und setzte sich. Er hatte sich derart erregt, daß er einen Moment verschnaufen mußte. Er griff nach den Importzigarren und zündete sich eine an. Als sie brannte, schaute er unwillkürlich auf seine Armbanduhr. Innerhalb von zehn Minuten sollte er die hundert Dollar in seinen Wagen legen. Ausgeschlossen! Darauf ließ er sich nicht ein.
Dann aber dachte er an seinen Cadillac.
Der Wagen hatte ihn sehr viel Geld gekostet. Er hing an ihm. Und wenn dieser Wagen nun doch angezündet würde? Das alles wegen lumpiger hundert Dollar?
Herbert L. Shradon, der sich angeblich nicht unter Druck setzen ließ, hatte es plötzlich sehr eilig, sich anzukleiden. Er schaffte es innerhalb weniger Minuten. Er verließ sein Zimmer, rannte zum Lift und fuhr hinunter in die Hotelhalle.
Ohne nach links oder rechts zu sehen, eilte er auf den Vorplatz, wo sein Cadillac stand. Alles sah unverdächtig aus. Shradon schlängelte sich durch die dicht zusammenstehenden Wagen und öffnete erleichtert seinen Wagen.
Da ihm ein Umschlag fehlte, legte er fünf Zwanzigdollarscheine auf den Vordersitz. Nachdenklich klinkte er den Wagen zu und ging zögernd zurück zum Hotel. Am Eingang blieb er stehen. Er wollte doch sehen, wie zu seinem Wagen ging, wer die Banknoten abholte.
»Entschuldigen Sie, Sir, haben wir uns nicht schon mal gesehen?« fragte eine Stimme neben ihm. Es handelte sich um eine Frauenstimme. Sie klang rauchig und aufregend. Shradon, immerhin Junggeselle und recht ansehnlich, wandte sich unwillkürlich zu der jungen Dame um.
Sie war seiner Schätzung nach etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Sie trug ein einfaches, aber raffiniert geschnittenes Leinenkostüm. Ihr Haar war tizianrot, Die moderne Sonnenbrille verlieh ihr ein rätselhaftes Aussehen.
»Oh, entschuldigen Sie«, sagte die junge Dame bestürzt. »Ich habe Sie verwechselt. Jetzt habe ich den Irrtum bemerkt.« Sie grüßte und verschwand in der Hotelhalle.
Shradon wollte ihr interessiert nachsehen, doch dann erinnerte er sich der fünf Zwanzigdollarscheine in seinem Wagen.
Hastig wandte er sich um. Am Wagen war kein Mensch zu sehen. Das heißt, der Parkplatzwächter, ein bereits betagter Mann von gut und gern sechzig Jahren, winkte gerade einen abfahrenden Wagen hinaus auf die Straße.
Shradon ging zurück auf den Parkplatz. Er konnte es kaum erwarten, einen Blick in den Wagen zu tun. Ob die Banknoten noch auf dem Sitz lagen?
Sie waren verschwunden!
Sie mußten genau in dem Moment abgeholt worden sein, als die junge, tizianrote Dame ihn angesprochen hatte.
Handelte es sich um ein abgekartetes Spiel?
Shradon wußte es nicht genau, doch er kam sich sehr blamiert vor. Er hatte solch eine Wut, daß er mit dem Gedanken spielte, sich an die Polizei zu wenden …
*
William McLee saß zusammen mit seinen Freunden in einer kleinen Strandbar in der Nähe des Jachthafens. Er war vor einer Stunde von einer Ausfahrt zurückgekommen. Sie hatten draußen auf See sehr viel Spaß gehabt. McLee war ein großzügiger Gastgeber, der sich Extravaganzen leisten konnte.
Er sah aus wie ein Playboy, war braungebrannt, sportlich und schien von ehrlicher, harter Arbeit nichts zu halten. Das Gegenteil aber war der Fall. William McLee, erst achtundzwanzig Jahre alt, war der Juniorchef eines großen Chemieunternehmens im Mittelwesten. Er war es nicht nur dem Namen nach. Er leitete praktisch den ganzen Betrieb und hatte sich in der Vergangenheit durch geschickte Vertragsabschlüsse ausgezeichnet. Wenn er allerdings Urlaub machte, wollte er ihn auch vollkommen genießen. Dazu gehörte eine Motorjacht, die ständig in Miami-Beach lag.
Als er ans Telefon gerufen wurde, winkte er seinen Freunden zu, ging ohne große Eile in die Telefonzelle und zündete sich gelassen eine Zigarette an.
»McLee. Mit wem spreche ich?«
»Hier ist Canters, Sir.« Die Stimme seines Bootswartes klang aufgeregt.
»Was liegt an?« Kurz und knapp kam McLees Frage.
»Ihre Jacht, Sir …, ich meine … Die Jacht …!«
»Was ist mit meiner Jacht?«
»Sie ist … ist … in die Luft geflogen.«
»Wie war das …?« McLee schnappte nach Luft.
»Das Heck ist wegexplodiert, Sir. Eben erst … Ich kann von Glück sagen, daß mir nichts passiert ist. Das Boot ist daraufhin abgesoffen.«
»Warten Sie, ich komme sofort! Haben Sie die Polizei schon verständigt?«
»Klar, die ist bereits im Anrollen, Sir …!«
»In zehn Minuten bin ich bei Ihnen, Canters.«
William McLee legte im Gegensatz zu Mr. Herbert L. Shradon den Hörer fast vorsichtig zurück in die Gabel. Nachdenklich rieb er sich das glattrasierte Kinn. Er wußte plötzlich, warum das Heck seiner Motorjacht in die Luft geflogen war.
*
Er hatte nämlich vergessen, zweihundert Dollar in bar für die ›Strandhaie‹ zu reservieren …
Helen Lockhart war eine attraktive, junge Frau von zweiunddreißig Jahren. Groß, schlank und dunkelblond, war sie der Prototyp eines amerikanischen Karrieregirls. Helen galt in Fachkreisen als ungemein tüchtig. Sie konnte sehr hart sein, wenn es sein mußte. Helen Lockhart war die Vertreterin eines New Yorker Betriebes, der sich auf Damenoberbekleidung spezialisiert hatte. Diese Firma stellte in erster Linie Badeanzüge und Strandmoden her. Miami-Beach war für Helen einer der besten Plätze. Hier tätigte sie Umsätze, die sie zu einer unabhängigen, wohlhabenden Frau hatten werden lassen.
Sie wohnte im ›Strand‹, einem mittelgroßen Haus. Ihr Caravan stand in der hoteleigenen Tiefgarage. In diesem Wagen befanden sich die Verkaufsmuster, wohlverpackt in geschmackvollen Schrankkoffern. Helen hatte zwei sehr gute Verkaufstage hinter sich, als sie einen Brief der ›Strandhaie‹ erhielt.
Sie wußte sofort, daß sie niemals zahlen würde. Und sie hatte sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt. Dort hatte sie den bewußten Brief abgeliefert und um polizeilichen Schutz gebeten.
Zu der Stunde, als Josuah Parker Quartier für einen gewissen Mr. Ben Zalakoff machte, wurde auch sie angerufen. Sie meldete sich mit kühler, beherrschter Stimme.
»Wir schrieben Ihnen einen Brief«, sagte eine höflich klingende Stimme. »Leider haben Sie bisher versäumt, die kleine Schutzgebühr von einhundert Dollar auf den Sitz Ihres Wagens zu legen, Miss Lockhart.«
»Ich habe es nicht vergessen.« Helen Lockhart kam nicht einen Moment aus der Fassung. »Ich habe das Geld absichtlich nicht gezahlt. Damit Sie es genau wissen, ich lasse mich nicht einschüchtern! Holen Sie sich Ihr Geld, wo immer Sie wollen, nur nicht bei mir!«
»Ob Ihr Verhalten sehr klug ist?«
»Das wird sich erweisen.«
»Ob es auch klug war, sich an die Polizei zu wenden?«
»Sie sind gut informiert.« Helens Stimme klang ironisch.
»Wir werden leider ein Exempel statuieren müssen«, entgegnete die freundliche Stimme. »Es tut mir besonders leid, da Sie eine sehr schöne Frau sind.«
»Vielen Dank für die Blumen«, meint Helen mokant. »War sonst noch etwas, Mr. Unbekannt?«
»Im Augenblick nicht, Miss Lockhart. Schade um Ihre Musterkoffer, schade, wirklich, sehr schade …!«
Bevor Helen Lockhart antworten konnte, klickte es in der Leitung. Die junge Frau legte den Hörer zurück. Jetzt, nachdem sie diese Stimme gehört hatte, kamen ihr doch einige Bedenken. Sie schalt sich nachträglich eine Närrin, die einhundert Dollar nicht gezahlt zu haben. Sie konnte dieses Geld doch sehr gut verschmerzen.
Unruhig geworden, verließ sie das Apartment und fuhr mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage. Während der Fahrt fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, die Polizei zu benachrichtigen. Aber dazu war es jetzt zu spät.
In der Tiefgarage angekommen, schritt sie energisch und ohne jedes Angstgefühl auf die Garagenbox zu, in der ihr Caravan stand. Ein kleiner, untersetzter Garagenwart kam ihr entgegen. Seine Beine waren unwahrscheinlich gebogen und krumm. Sie bildeten fast ein O.
»Ich glaube, an Ihrem Wagen stimmt was nicht«, sagte der Wart hastig. »Er raucht …«
»Kommen Sie!« Helen kümmerte sich nicht weiter um den Krummbeinigen. Sie verzichtete auf alle Selbstbeherrschung und lief auf ihren Caravan zu. Sie sah gelb-weiße Rauchschwaden, die aus den geöffneten Seitenfenstern quollen. Hastig riß Helen die hintere Tür des Wagens auf.
Sie schluchzte vor Empörung.
Die Schrankkoffer mit den Verkaufsmustern waren geöffnet. Die Verkaufsmuster: einteilige Badeanzüge, Bermuda-Shorts, Freizeithemden und Strandhosen, lösten sich in ihre Bestandteile auf. Eine starke Säure zerfraß die Latexstoffe. In einigen Koffern hatte sich bereits ein trüber Brei gebildet, der sich nun daran machte, auch die Kofferwände anzunagen.
Helen drängte die Tränen zurück.
Sie drehte sich nach dem Garagenwart um und rief nach ihm. Doch der Mann mit den unwahrscheinlich krummen Beinen war verschwunden. Erst jetzt fiel Helen Lockhart auf, daß sie diesen Mann hier unten in der Tiefgarage noch nie gesehen hatte. Nun wunderte sie sich nicht mehr darüber, daß dieser Mann sie und ihren Wagen gekannt hatte. Der Krummbeinige mußte die Säure in die Schrankkoffer geschüttet haben.
Helen wich vor den Schwaden zurück.
Warum habe ich die hundert Dollar nicht gezahlt, fragte sie sich jetzt. Ich mußte natürlich wieder grundsätzlich werden. Das hier ist die Quittung dafür …
*
»Hoffentlich haben Sie nicht übertrieben, Parker.«
Mike Rander, der junge, sympathische Strafverteidiger aus Chikago, schüttelte lächelnd den Kopf. »Als ich unten in der Hotelhalle war, trat schlagartig Stille ein. Man hat mich angestaunt wie ein Weltwunder.«
»Das ist verständlich, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Sie sind Mr. Ben Zalakoff, der Ölkönig aus dem Mittleren Osten.«
»Die Hotelrechnungen werden dementsprechend ausfallen, Parker.«
»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Sir, daß diese Rechnungen als Spesen beglichen werden sollen? Der Verband der Hoteliers hat einen Blankoscheck ausgestellt. Er wird jede Summe zahlen, wenn es Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit gelingen sollte, die ›Strandhaie‹ zu überführen.«
»Was haben Sie bisher herausgefunden, Parker?« Mike Rander ließ sich in einem Sessel nieder und griff nach einer Zigarette. Als er sie anzünden wollte, war Josuah Parker natürlich schneller. Der Butler ließ seinen jungen Herrn niemals aus den Augen. Zuerst hatte Rander das als äußerst störend und peinlich empfunden, stets umhegt und umsorgt zu werden. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. Parker dachte nicht daran, auf seine Gewohnheiten zu verzichten. Als original englischer Butler, der in den besten Häusern der Insel gedient hatte, wußte er, was sich als Butler gehörte.
»Wenn ich die Lage kurz umreißen darf, Sir.« Parker räusperte sich diskret und blieb vor seinem jungen Herrn stehen. »Miami-Beach wird seit fast drei Wochen von einer eigentümlichen Erpresserbande bedroht, die sich kurz und treffend die ›Strandhaie‹ nennt. Überraschend an der Arbeitsweise dieser Haie ist die Tatsache, daß ausschließlich Besucher und Touristen dieser Stadt angesprochen werden. Gegen an sich lächerliche Zahlungen, die sich in den Größenordnungen zwischen einhundert bis dreihundert Dollar bewegen, verspricht man den Belästigten, sie in Ruhe zu lassen. Kommt man diesen seltsamen Zahlungsaufforderungen jedoch nicht nach, explodieren Jachten, werden Autos in Brand gesetzt, Kinder bedroht oder die Garderobe der Betreffenden zerstört.«
»Was hat die Polizei bisher ermitteln können?«
»Wenig, Sir, zumal die meisten Gäste sich wohl nicht melden, sondern stillschweigend zahlen. Alle Spuren sind im Sande verlaufen. Die Polizei konnte es bisher nicht verhindern, daß die Gäste scharenweise Miami-Beach verlassen.«
»Wer vom Hotelverband weiß, in welcher Rolle wir hier auftreten, Parker?«
»Ich nahm mir die Freiheit, Sir, unser Erscheinen erst für die kommende Woche anzukündigen. Ich hoffe, daß Sie und meine Wenigkeit ungestört ermitteln können.«
»Ich soll die ›Strandhaie‹ anlocken, wie?«
»So dachte ich es mir, und ich hoffe, Sir, daß Sie mit meinen Vorbereitungen einverstanden sind. Mr. Ben Zalakoff wird nicht unbelästigt bleiben. Die ›Strandhaie‹ werden sich solch eine Möglichkeit nicht entgehen lassen. Während Sie, Sir, die Gangster beschäftigen, werde ich den bescheidenen Versuch unternehmen, mich an die ›Strandhaie‹ heranzuarbeiten.«
»Hört sich gut an, Parker. Hoffentlich gehen die Gangster darauf ein.«
»Man sollte ihnen eine ehrliche Chance geben, in die Falle zu laufen, Sir.«
»Komischer Verein, diese ›Strandhaie‹«, sagte Mike Rander nachdenklich. »Warum begnügen diese Gangster sich mit diesen lächerlich geringen Summen? Sie könnten doch in viel größerem Stil abräumen.«
»Wenn ich dazu etwas sagen darf, Sir, so würde ich die Meinung vertreten, daß die Gangster absichtlich nur geringe Forderungen stellen. Jeder Besucher von Miami-Beach wird in der Lage sein, zwischen einhundert und dreihundert Dollar abzuzweigen. Den Betroffenen tut es also nicht sonderlich weh, wenn sie auf die Wünsche der Gangster eingehen. Sie zahlen und dürfen all ihren Ärger vergessen. Es dürfte sich aus der Sicht der ›Strandhaie‹ heraus gesehen um ein Dauergeschäft handeln. Zudem muß unterstellt werden, Sir, daß diese ›Strandhaie‹ wahrscheinlich sehr viele Touristen ansprechen und dementsprechend auch kassieren.«
»Also schön, Parker, machen wir uns an die Arbeit. Ich bin gespannt, ob die ›Strandhaie‹ auch uns anschreiben werden.«
»Oh, in dieser Beziehung, Sir, kann ich Sie beruhigen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Hier wäre bereits der Brief, Sir. Er kam vor knapp einer Viertelstunde an. Man verlangt von Mr. Ben Zalakoff die Summe von dreihundert Dollar und garantiert ihm dafür ungestörte Ferientage in Miami-Beach.«
Parker hatte plötzlich ein Silbertablett in der Hand. Darauf lag das bewußte Schreiben. Mike Rander mußte neidlos anerkennen, daß Parkers Vorbereitungen wieder einmal erstklassig waren …
*
Mike Rander hielt sich genau an die befohlenen Anordnungen.
Nach Einbruch der Dunkelheit verließ er das Bay-Beach-Hotel, überquerte die breite Avenue und ging hinunter zum Strand. Von See kam eine sanfte, erfrischende Brise. Die Reklamebeleuchtungen auf den Hotels und an den unzähligen Nachtbars waren eingeschaltet worden. Nervös zuckten die bunten Lichter und kämpften gegen die Nacht an.
Mike Randers Ziel war der Parkplatz neben dem Nachtclub ›Zero‹. Die großen Wagen drängten sich auf dem kleinen Platz wie eine verängstigte Schafherde zusammen. Nur eine große Bogenlampe erhellte die Mauerlücke zwischen zwei großen Häusern.
Mike Rander zündete sich gelassen eine Zigarette an. Dabei schaute er sich unauffällig nach dem Papierkorb um, der dicht neben dem Glasverschlag stand, in dem der Parkwächter saß.
Dieser Mann war deutlich zu sehen. Er las in einer Zeitung und schien mit dem ganzen Erpressungsmanöver nichts zu tun zu haben.
Rander bog auf den Parkplatz ein.
Einen Moment lang fühlte er sich unbehaglich. Wenn er hier angegriffen wurde, hatte er kaum eine Möglichkeit zu flüchten. War auf dem Umweg über den Hotelverband wirklich nicht durchgesickert, daß Parker und er als Detektive nach Miami-Beach gekommen waren? Die ›Strandhaie‹ waren bestimmt keine Neulinge im Fach. Sie mußten doch damit rechnen, daß man sich auf ihre Spuren setzte.
Nichts tat sich.
Der Parkwächter blätterte gelangweilt in seiner Zeitung. Von der Collins Avenue her drang der Lärm der vielen Wagen. Aus irgendeinem geöffneten Fenster in der Nähe war leise Radiomusik zu hören.
Der junge Strafverteidiger blieb vor dem Papierkorb stehen und griff in seine Rocktasche. Er holte einen flachen Umschlag hervor und warf ihn in den Papierkorb. Nachdem er sich noch einmal nach allen Seiten umgesehen hatte, ging er langsam zurück zur Straße.
Wie gesagt, er hielt sich strikt an die Anweisungen.
An der Straße aber blieb er kurz stehen. Er fragte sich, wie die ›Strandhaie‹ wohl an den Umschlag kamen. Der Bote mußte sich ganz in der Nähe auf halten und ihn beobachten. Die Erpresser mußten ja stets damit rechnen, daß die Polizei ihnen eine Falle stellte. Wie mochten sie dieses Problem wohl gelöst haben?
Ein Taxi hielt am Straßenrand.
Eine junge Dame stieg aus. Sie entlohnte den Fahrer und wollte die Straße hinuntergehen. Plötzlich sprang der Verschluß ihrer Handtasche auf. Puderdöschen, Lippenstift, ein Schlüsselbund und eine kleine Geldbörse kollerten zu Boden. Die junge Dame stieß einen kleinen Schrei aus.
Mike Rander war mit wenigen Schritten neben ihr.
»Das werden wir gleich haben, Madam«, sagte er höflich und bückte sich nach den verlorenen Dingen.
»Sie sind wirklich sehr liebenswürdig«, antwortete die junge, mittelgroße Dame, die vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte. Sie bedankte sich mit einem freundlichen Lächeln, als Rander ihr die Gegenstände zurückreichte. Als sie in der Bar gleich nebenan verschwunden war, erinnerte sich Rander seiner dreihundert Dollar.
Plötzlich kam er sich etwas düpiert vor.
Hastig ging er zurück zum Papierkorb. Ob der Briefumschlag noch darin lag?
Er war verschwunden.
Während Rander nach Lippenstift, Geldbörse, Puderdöschen und Schlüsselbund gesucht hatte, war der Umschlag mit dem Geld aus dem geheimen Briefkasten herausgenommen worden.
Mike Rander ging zum Parkplatzwächter.
Der Mann, bestimmt schon an die fünfzig Jahre alt, war eingenickt. Die Zeitung lag am Boden. Selbst als Rander sich räusperte, erwachte der Mann nicht aus seinem tiefen Schlaf.
Die Frau muß mit den ›Strandhaien‹ unter einer Decke stecken, sagte sich Mike Rander. Schnell ging er zurück zur Straße, bog nach rechts ab und betrat den Nachtclub ›Zero‹. Er hielt Ausschau nach einer mittelgroßen, schlanken, tizianroten Frau.
Es wunderte ihn schon gar nicht mehr, daß er sie nicht entdecken konnte. Als Rander sogar noch einen zweiten Ausgang fand, war ihm alles klar. Die ›Strandhaie‹, das mußte er zugeben, arbeiteten raffiniert und gekonnt. Sie gingen jedem Risiko aus dem Weg.
Es war nur eine Frage, ob ihnen das auch im Hinblick auf Josuah Parker gelungen war …
*
Der Parkwächter wartete, bis Anwalt Mike Rander den Parkplatz verlassen hatte. Dann bückte er sich und hob die Gummimatte hoch, die die Füße gegen nächtliche Kühle schützen sollte. Er nahm den Briefumschlag und steckte ihn in die Tasche. Nach einem vorsichtigen Blick in die Runde verließ der Parkwächter seine Glasbox und ging eilig hinüber zur Collins Avenue.
Am Straßenrand stand ein kleiner Lieferwagen mit einem blau gestrichenen Kastenaufbau. Der Parkwächter setzte sich ans Steuer und fuhr los. Er schaltete das Radio ein und pfiff die Melodie mit, die aus dem Lautsprecher kam. Er hielt es nicht für nötig, in den Rückspiegel zu schauen. Er war sicher, nicht verfolgt zu werden.
Nach etwa dreihundert Meter bog er von der breiten Prachtstraße ab und fuhr hinunter zur Bay. Er ließ den Lieferwagen stehen und ging den Rest zu Fuß. Bald darauf saß er in einem kleinen Außenborder und preschte hinüber zum Festland. Das kleine Boot verschwand sehr schnell in der Dunkelheit. Etwaige Verfolger hatte der Mann damit bestimmt abgeschüttelt. Seine Spur verlor sich in der Dunkelheit.
Dachte er …!
Josuah Parker, der dem Lieferwagen in einem Taxi gefolgt war, nahm die Kamera herunter und barg sie in der Lederhülle. Er hatte alle Phasen dieser Verfolgung verfilmt. Wegen der Dunkelheit brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Wenn Parker in der Dunkelheit filmte, dann wußte er auch, daß dies technisch möglich war. Zur näheren Erklärung mag gesagt sein, daß er selbstverständlich einen Infrarot-Film benutzte. Auf diesem Streifen befanden sich einmal der kleine Lieferwagen, dessen polizeiliches Kennzeichen, das kleine Boot mit dem Außenbordmotor und selbstverständlich auch der Parkplatzwächter.
Josuah Parker konnte mit seiner filmischen Ausbeute zufrieden sein, wenngleich er auch nicht wußte, wohin der Parkwächter gefahren war, um die dreihundert Dollar des Mr. Zalakoff abzuliefern.
Der Butler gab sich mit diesem Teilerfolg zufrieden. Er rechnete mit der Rückkehr des Parkwächters. Parker setzte sich auf eine Bank. Steif und würdevoll wie ein Denkmal verschmolz er mit der Dunkelheit. Er sah hinaus auf die Bay, die Miami mit der vorgelagerten Halbinsel Miami-Beach verbindet. Wenn es sein mußte, brachte er die Geduld eines Orientalen auf …
*
Schon nach knapp dreißig Minuten knatterte der Außenborder wieder heran.
Parker stand auf. Er vergewisserte sich, daß es sich tatsächlich um das Boot des Parkwächters handelte. Als er sicher war, daß er sich nicht irrte, schritt der Butler ohne Hast oder Eile zu dem kleinen Lieferwagen.
Während der Überbringer der dreihundert Dollar sein Boot am Steg festmachte, öffnete der Butler die Tür des Kastenaufbaus. Mit einem Spezialbesteck war das keine Arbeit. Im Öffnen widerspenstiger Schlösser war Josuah Parker ohnehin ein Meister, der erfahrenen Tresorknackern noch manch wertvollen Tip hätte geben können. Gelassen und ganz selbstverständlich nahm Parker in dem Aufbau des kleinen Lieferwagens Platz und machte es sich den Umständen entsprechend bequem.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis er Schritte hörte. Nach einem Räuspern klinkte der Fahrer die Wagentür auf und setzte sich ans Steuer. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß ein illegaler Fahrgast hinter ihm saß.
Der Lieferwagen ruckte an. Parker zog angewidert die Nase. In dem engen Blechkasten roch es penetrant nach Teer, nach Farben und nach rostigem Eisen. Um nicht aufzufallen, verzichtete er darauf, sich mit seiner Kugelschreiber-Taschenlampe näher umzusehen.
Die Fahrt dauerte vielleicht zehn Minuten. Der Wagen wurde angehalten, der Motor jedoch nicht abgestellt. Der Fahrer stieg aus, öffnete ein Tor und steuerte anschließend seinen Wagen in eine Garage. Bald darauf entfernten sich seine Schritte.
Der Butler stieg nun ebenfalls aus.
Der gebündelte Lichtstrahl seiner kleinen Taschenlampe, die in einen Kugelschreiber eingebaut war, wies ihm den Weg. Eine Brettertür stand nur halb auf, dahinter befand sich ein langer Korridorgang. Ein breiter Lichtstreifen beleuchtete ihn.
Wie Parker es schaffte, geräuschlos über ausgetretene Dielenbretter zu gehen, war und blieb sein Geheimnis. Mit der Geräuschlosigkeit einer erfahrenen Katze erreichte er die geöffnete Tür.
Hinter ihr war eine primitiv eingerichtete Küche. Der Parkplatzwächter stand vor einem gußeisernen Herd und schlug sich gerade einige Eier in die Pfanne.
»Ich wünsche von Herzen einen guten Appetit«, sagte Parker und betrat die Küche.
Der Parkwächter wirbelte herum und starrte Parker an. Sein Mund öffnete sich zu einer Frage. Er war jedoch derart überrascht, daß kein Ton über seine Lippen kam.
»Die Eier werden anbrennen, wenn Sie nicht aufpassen«, redete der Butler höflich weiter. »Es wäre doch sehr schade um diese Naturprodukte, nicht wahr?«
»Wer … wer sind Sie?« stotterte der Parkwächter endlich.
»Ich möchte mich in aller Form vorstellen. Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Ich habe die Ehre, der Butler des Mr. Ben Zalakoff zu sein.«
»Zalakoff …?« Der Parkwächter schien mit diesem Namen nichts anfangen zu können. Er schüttelte hilflos den Kopf, um dann aber blitzschnell nach der Bratpfanne zu greifen. Er schleuderte die Spiegeleier in Richtung auf Parker.
Der Butler verbeugte sich leicht. Die drei Spiegeleier zischten über ihn hinweg und landeten an der Wand. Sie platzten auseinander und rannen langsam zu Boden.
»Sie gehen geradezu verschwenderisch mit den Gaben der Natur um«, meinte Parker vorwurfsvoll. »Ihr schlechtes Gewissen scheint Sie zu dieser Zweckentfremdung der Spiegeleier zu treiben.«
»Raus …!« keuchte der Parkwächter. Er hielt die Pfanne noch immer in der Hand. Und als Parker sich nicht rührte, drang er damit auf ihn ein. Josuah Parker war peinlich berührt. Er hielt nichts davon, daß seine Kleidung mit Fettspritzern versehen wurde.
Um den wütenden Mann zu stoppen, drückte er auf einen kleinen Knopf, der am Griff seines Universal-Regenschirms angebracht war. Augenblicklich federte eine lange Degenklinge aus dem Schirmstock hervor. Die Spitze dieser Degenklinge legte sich auf die Brust des wütenden Mannes.
»Ich möchte doch sehr um Zurückhaltung und Höflichkeit bitten«, sagte Parker mißbilligend. »Stellen Sie die Pfanne ab! So ist es richtig. Und nun möchte ich wissen, wem Sie die dreihundert Dollar meines jungen Herrn gebracht haben.«
»Wovon reden Sie eigentlich?« Die Stimme des Parkwächters klang nun gepreßt. Der Mann hatte Angst. Er schielte in gekonnter Weise auf die Degenklinge. Er wagte nicht, sich zu rühren.
»Ich habe Beweise dafür, daß Sie den Umschlag mit den dreihundert Dollar aus dem Papierkorb des Parkplatzt genommen haben und anschließend hinüber nach Miami transportiert haben. Wenn es sein muß, werde ich diese Beweisstücke der Polizei übergeben. Mein junger Herr und ich sind nicht gewillt, uns erpressen zu lassen.«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, behauptete der Mann. »Sie müssen sich irren.«
»Diesen Irrtum werden wir vor der Polizei klarstellen«, schlug der Butler vor. »Darf ich Sie zu dieser Besprechung herzlich einladen?«
»Sie wollen mich zur Polizei bringen?«
»So drückte ich mich aus.«
»Also gut, dann wird sich der Irrtum heraussteilen. Und Sie werde ich anzeigen! Sie haben mich mit diesem Dingsda bedroht.« Der Parkwächter schielte nach wie vor ängstlich auf die leicht gebogene Degenklinge.
»Ich werde Ihrer Anzeige mit Gelassenheit entgegensehen«, meinte Josuah Parker. »Mir ist es allerdings rätselhaft, warum ein Mann wie Sie sich mit den ›Strandhaien‹ einläßt. Früher oder später werden Sie von diesen Gangstern geopfert werden.«
»Strandhaie?«
»Sie verstehen mich recht gut, wie ich unterstellen möchte. Sie haben den bewußten Briefumschlag doch nicht aus reiner Höflichkeit nach Miami gebracht.«
»No, dafür habe ich zehn Dollar bekommen. Ich weiß überhaupt nicht, was in dem Umschlag gewesen ist.«
»Ich fürchte, daß die Polizei Ihnen diese Version nicht abnehmen wird«, entgegnete der Butler. »Ich schlage vor, endlich zu gehen.«
»Und ich schlage vor, hier zu bleiben«, sagte da eine freundliche, höfliche und glatte Stimme. Von woher sie kam, konnte Parker nicht ausmachen. Diese Stimme schien aus jeder Ritze dieser einfachen Bretterhütte zu kommen. »Nehmen Sie Ihren komischen Spieß runter, Mann, oder soll ich schießen?«
»Ich beuge mich den Tatsachen«, erklärte Parker. Er senkte die Klinge des Stockdegens und ließ sie zurück in den Universal-Regenschirm gleiten.
»Sie werden sich noch ganz anderen Dingen beugen.« Die Stimme klang nach wie vor freundlich, ja, fast höflich. »Nehmen Sie die Hände hoch! Rühren Sie sich nicht! Drehen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand!«
Butler Parker gehorchte widerspruchslos.
Gewiß, er hätte sich dieser Bedrohung vielleicht entziehen können. Parkers Trickkiste war ja stets gut gefüllt. Doch in diesem Fall ging es ihm darum, den Besitzer dieser freundlichen Stimme kennenzulernen. Er hatte das Gefühl, gleich auf Anhieb an den richtigen Mann geraten zu sein.
Unter diesen Umständen machte es ihm auch wenig aus, daß der Parkwächter ihm die Bratpfanne auf die Melone schlug. Da sie stahlgefüttert war, fing sie die Hauptwucht des Schlages auf. Dennoch ging Parker in die Knie. Er täuschte eine wohltuende Ohnmacht vor und wartete auf den günstigen Moment, schleunigst wieder zu sich zu kommen …
*
Josuah Parker machte einen verschüchterten Eindruck.
Er saß steif und unbequem auf einem Küchenstuhl. Der Parkwächter hatte ihn darauf festgebunden. Starke Stricke strammten sich um die makellosen Hemdmanschetten des Butlers. Parker war an einen Mann geraten, der sich in Knoten auskannte. Der Parkwächter hatte seine Künste spielen lassen.
Vor Parker stand ein mittelgroßer, schlanker Mann, der einen tadellosen grauen Anzug trug. Das Gesicht dieses Mannes war oval. Die Augen verbargen sich hinter einer Sonnenbrille. Nase und Mund waren ausgeprägt. Das dunkle Haar dieses Mannes war bereits etwas schütter.
»Sie sprachen von Beweisen«, sagte dieser Mann mit der wohlklingenden, freundlichen Stimme. »Welche Beweise wollen Sie denn haben?«
»Nun, ich muß einräumen, daß ich vielleicht etwas übertrieben habe«, antwortete Josuah Parker.
»Wer hat Sie überhaupt beauftragt, sich an unsere Fersen zu heften?« Der freundliche Mann mit der Sonnenbrille wies auf den Parkwächter, der neben dem Herd stand, jedoch keine neuen Spiegeleier buk, sondern Parker nicht aus den Augen ließ.
»Ich tat es, wie es so treffend heißt, auf eigene Faust, Sir«, gab Parker Auskunft.
»Ich wollte meinen jungen Herrn damit überraschen, daß ich ihm die bewußten dreihundert Dollar zurückbeschaffe.«
»Hat Ihr Chef das nötig?«
»Gewiß nicht, Sir. Mr. Zalakoff ist unermeßlich reich. Für mich war es eine Prinzipienfrage.«
»Sie haben wohl keine Ahnung, auf was Sie sich da eingelassen haben, oder?«
»Nun, ich möchte annehmen, Sir, daß ich es mit den ›Strandhaien‹ zu tun habe.«
»Stimmt haargenau, Parker. Und die lassen nicht mit sich spaßen. Wenn man uns nachspioniert, reagieren wir sauer!«
»Ich hätte es nicht tun sollen«, seufzte Parker. »Aber ein alter, verbrauchter Mann wie ich hat wohl nicht mehr die erforderliche Übersicht. Wie kann ich meinen Fehler wiedergutmachen?«
»Indem Sie sich ab sofort zurückhalten. Vergessen Sie, was Sie hier erlebt haben! Zu keinem Menschen ein Wort! Haben wir uns verstanden?«
»Gewiß, Sir, gewiß …!«
»Sollten Sie weiterhin neugierig sein, oder nicht den Mund halten können, bekommen Sie es mit wirklichen Haien zu tun. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Sie erschrecken mich, Sir …!«
»Das wäre es«, sagte der Mann mit der unheimlichen Sonnenbrille.
»Vielleicht eine kleine Frage am Rande, Sir?«
»Die wäre?«
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich nur mit dreihundert Dollar begnügen. Sir.«
»Taktik, Parker, nichts als Taktik. Kleine Summen verschmerzt jeder. Wegen solcher Lappalien geht man nicht zur Polizei, zumal wir niemals zweimal einen bestimmten Klienten belästigen.«
»Mr. Zalakoff würde sich daraus nichts machen.«
»Ginge er denn zur Polizei?«
»Wahrscheinlich nicht, Sir. Diese Dinge pflege ich zu regeln. Mr. Zalakoff hat andere Interessen.«
»Und die sind?«
»Frauen würde ich sagen, Sir.«
»Seine Sache, Parker. Denken Sie an meine Warnung! Sie können jetzt gehen. Und halten Sie sich aus allem heraus. Wenn wir noch einmal zusammengeraten sollten, geht es Ihnen schlecht!«
»Sie überschätzen die Möglichkeiten eines alten Mannes«, versicherte Josuah Parker treuherzig. »Darf ich mich für die ebenso freundliche wie menschliche Behandlung an dieser Stelle bedanken?«
Der Mann mit der Sonnenbrille nickte, lächelte spöttisch und ging zur Tür. Dann allerdings schien ihm ein wichtiges Detail eingefallen zu sein. Er wandte sich noch einmal zu Parker um.
»Woher haben Sie diesen ulkigen Regenschirm?« fragte er. »Regenschirm mit eingebautem Stockdegen, so etwas findet man nicht alle Tage.« Leichtes Mißtrauen schwang in dieser Frage mit.
Parker spürte es sehr deutlich. Sein Universal-Regenschirm war der schwache Punkt in seiner Verteidigung.
»Es handelt sich um ein Erbstück«, redete er sich heraus. »Als ich seinerzeit die Ehre hatte, für den dritten Earl of Hammersmith zu arbeiten, eine glückliche Zeit für mich, wie ich an dieser Stelle feststellen möchte, da wurde mein Dienstherr von dem französischen Grafen de la Mottal besucht, der seinerseits, als er einige Wochen auf dem Schloß verbrachte, sich veranlaßt sah …«
»Mann, hören Sie auf«, stöhnte der Mann mit der Sonnenbrille. »Geschenkt, was Sie sonst noch erzählen wollen. Schnappen Sie sich Ihren ulkigen Schirm und verschwinden Sie!«
»Ich hätte Ihnen meine Geschichte wirklich sehr gern erzählt«, gab der Butler enttäuscht zurück, »zumal es sich um eine Pointe handelt, die an Delikatesse wirklich nichts zu wünschen übrig läßt, denn ich möchte betonen, daß …«
Der Mann mit der Sonnenbrille hörte nicht lange zu. Er nickte dem Parkwächter knapp zu und verließ den Raum. Josuah Parker wurde losgebunden und durfte gehen.
Der Parkwächter brachte ihn hinauf zum Damm. Dann verschwand der Mann in der Dunkelheit. Obwohl der Butler sich am liebsten sofort um seine Beweisstücke gekümmert hätte, mußte er vorerst so tun, als beeile er sich, diese gefährliche Gegend hinter sich zu bringen.
Es handelte sich um seine Kamera mit den Infrarot-Aufnahmen, die noch immer still und friedlich im Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens lag. Parker mußte sie zu einem späteren Zeitpunkt an sich bringen. Aufnahmen enthielten ja tatsächlich wichtige Hinweise.
Während Parker sich seinen Weg suchte, sah er sich die Gegend, in die der Parkwächter ihn ungewollt gebracht hatte, etwas genauer an.
Hier befanden sich kleine Bootswerften, Lagerschuppen und Reparaturwerkstätten. Das hier war die Kehrseite des strahlenden Miami-Beach, das richtige Versteck für Gangster, die sich die ›Strandhaie‹ nannten …
*
»Parker, Sie lassen sich wieder einmal auf eine verdammt gefährliche Geschichte ein«, meinte Anwalt Rander und schüttelte zweifelnd den Kopf. »Die Drohungen dieses Burschen mit der Sonnenbrille waren doch deutlich genug.«
»Nun, Sir, ich würde sie auch nicht überschätzen«, gab Parker zurück. »Ihre Erlaubnis voraussetzend, möchte ich die Dinge etwas beschleunigen. Die ›Strandhaie‹ müssen auf den Verdacht kommen, daß ich mich ihrer Mittel bediene, um meinen Herrn um einige Geldscheine zu erleichtern.«
»Und wie wollen Sie das erreichen?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir, müßten Sie der Polizei gegenüber aussagen, sie seien einmal um dreihundert, dann wenig später noch einmal um fünfhundert Dollar erleichtert worden. Da die ›Strandhaie‹ verständlicherweise nur von den bewußten dreihundert Dollar wissen, werden sie sich mit Recht fragen, wer die weiteren fünfhundert Dollar in ihrem Namen verlangt hat. Ich möchte als sicher unterstellen, daß die ›Strandhaie‹ sich auskunftheischend an mich wenden werden.«
»Also gut, Parker, mir bleibt doch nichts anderes übrig, als auf Ihren Vorschlag einzugehen. Wann soll ich die Polizei alarmieren?«
»Vielleicht morgen mittag, Sir.«
»Bis dahin kann ich ja immerhin noch herausbekommen, wer der Besitzer des bewußten Kleinlieferwagens ist und wem der Außenbordmotor gehört.«
»Das würde meine Arbeit in der Tat ungemein erleichtern, Sir.«
»Und ich muß unbedingt herausbekommen, wer die tizianrote Frau ist«, ] erklärte Rander mit Nachdruck. »Sie hat mich bewußt vom Parkplatz abgelenkt. Sie muß mit den ›Strandhaien‹ unter einer Decke stecken.«
»Das, Sir, ist eine jener Spezialaufgaben, denen ich mich nicht gewachsen fühle«, wehrte der Butler ab, »Darf ich vorschlagen, daß Sie Ihre Ermittlungen erst einmal im ›Zero? Nachtclub beginnen?«
»Genau das hatte ich vor, Parker. Und diese Ermittlungen werde ich nicht auf die lange Bank schieben.«
»Sie wollen gleich in dieser Nacht?«
»Natürlich, Parker. Noch in dieser Nacht. Ich werde mich von Ihnen doch nicht beschämen lassen. Wie ich Sie kenne, werden Sie sich doch auch noch nicht ins Bett legen, oder?«
»In der Tat, Sir. Ich spiele mit dem Gedanken, meine Beine etwas zu bewegen.«
»Sie verfolgen damit doch eine bestimmte Absicht, Parker.«
»Vielleicht führt mich mein Weg noch einmal zurück zum Holzhaus des Parkwächters, Sir.«
»Passen Sie auf sich auf, Parker!«
»Ich werde mich ehrlich darum bemühen.« Parker verbeugte sich und verließ Mike Randers Hotelzimmer, Was er wirklich plante, konnte Mike Rander nicht ahnen. Parker ging stets seine eigenen Wege.
Nach zwanzig Minuten hatte der Butler das kleine Holzhaus in die Nähe der Werften und Reparaturwerkstätten erreicht. Bis hierher reichte nicht mehr das Licht der Leuchtreklamen. Nur einige Bogenlampen und Straßenlaternen schufen kleine Lichtinseln, die der Butler allerdings sorgsam mied. Er wollte ungesehen an das Haus des Parkwächters herankommen.
Daß er seine Kamera mit dem belichteten Infrarotfilm bereits mit ins Hotel genommen hatte, versteht sich am Rande. Parker war nicht der Mann, der solch wertvolle Beweisstücke unachtsam herumliegen ließ.
Das kleine Holzhaus war dunkel. Entweder schlief der Parkwächter bereits, oder er war fortgegangen. Vielleicht zusammen mit dem ›Strandhai‹, dessen Bekanntschaft Parker ja bereits gemacht hatte.
Bevor er zur Tür ging, blieb der Butler in Deckung stehen. Er wollte sichergehen, daß er nicht in eine Falle lief.
Als er sich gerade in Bewegung setzen wollte, wurde die Haustür geöffnet. Eine Gestalt erschien, zog die Tür leise zu und lief dann genau auf den Butler zu. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie Parkers Höhe erreicht.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Parker höflich aus der Dunkelheit heraus.
Der Mann – um solch einen handelte es sich nämlich – zuckte wie ein ertappter Dieb zusammen. Als er die Umrisse des Butlers sah, drehte er schnell ab und wollte flüchten.
Josuah Parker war dagegen.
Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hakte er das linke Bein des Flüchtenden hoch. Dieser verlor daraufhin das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Er war aber sofort wieder auf den Beinen und warf sich auf Parker.
»Ich will doch nicht hoffen, daß Sie einen alten Mann angreifen wollen«, entrüstete sich der Butler. Da der Mann aber nicht von ihm abließ, brachte Parker den Bambusgriff in die Nähe des Kinns seines Angreifers.
Das Kinn war diesem Zusammenprall nicht gewachsen. Der Mann stöhnte leise auf und fiel in Parkers Arme. Der Butler schleifte die schlaffe Gestalt hinter einen niedrigen Zaun. Dann beugte er sich nieder und untersuchte sein Opfer.
Es kam schon wieder zu sich.
»Ich hab’ das nicht getan«, wimmerte der Mann mit ängstlicher Stimme. »Ich hab’ das nicht getan.«
»Das wird sich unter Umständen heraussteilen«, gab Parker zurück. Seine Stimme klang bestimmt. Parker schien wieder einmal alles im voraus zu wissen.
»Er war … er war schon tot, als ich kam«, flüsterte der Mann und richtete seinen Oberkörper auf. »Er sah schrecklich aus …«
»Was wollten Sie von ihm?« erkundigte sich Parker.
»Meine Sachen zurückholen«, stieß der Mann erregt hervor. »Ich hatte ihm den Mantel und die Mütze geliehen. Er hatte sie nicht zurückgebracht. Das war gegen die Verabredung.«
Parker schaltete sofort.
»Warum liehen Sie ihm Ihren Mantel und die Mütze?«
»Ich habe doch zehn Dollar dafür bekommen.«
»Daß er Sie auf dem Parkplatz vertrat, nicht wahr?«
Der Mann nickte nur. Er merkte nicht, daß Parker ihn vorsichtig ausfragte.
»Seit wann kannten Sie ihn?« wollte der Butler nun wissen.
»Seit zwei oder drei Tagen. Wir trafen uns in einer Kneipe.«
»Vergessen Sie diesen Zwischenfall«, meinte Parker besänftigend. »Sie können gehen. Aber Sie sollten die Polizei informieren.«
»Sie haben ein Verbrechen entdeckt«, stellte Parker klar. »Sie sind dazu verpflichtet! Halten Sie sich an die Wahrheit! Ihnen wird nichts passieren.«
Bevor der Mann weitere Fragen stellen konnte, verschwand Parker mit der Lautlosigkeit einer Fledermaus in der Dunkelheit. Der Mann, der noch immer am Boden saß, brauchte lange Sekunden, bis er begriff. Dann aber sprang er hoch, als sei er von einer Tarantel gebissen worden. Er rannte hinauf zum Damm und verschwand hinter dem Lichtkreis einer Laterne.
Parker wog die Brieftasche des Mannes in der Hand. Sie war fast gegen seinen Willen an seiner Hand kleben geblieben. Er steckte sie ein. Er konnte sie zu einem späteren Zeitpunkt durchforschen. Nun mußte er erst einmal herausbekommen, wer tot war, wer dort in der kleinen Holzhütte lag. Gewiß, er ahnte es bereits. Dazu gehörte nicht viel Phantasie. Doch Parker wollte es genau wissen.
*
Mike Rander hatte auf Anhieb Glück.
Als er den ›Zero‹-Nachtclub betrat, sah er die tizianrote junge Frau. Sie saß in einer kleinen Nische in der Nähe der Bartheke und unterhielt sich mit einem mittelgroßen, schlanken Mann. Sie schien mit irgendwelchen Vorschlägen nicht einverstanden zu sein, denn sie schüttelte wiederholt den Kopf.
Der junge Strafverteidiger vermied es, von ihr gesehen zu werden. Er hielt sich im Hintergrund und hatte noch einmal großes Glück. Die junge Dame stand nämlich abrupt und irgendwie verärgert vom Tisch auf und ging in die Garderobe. Dort ließ sie sich ihren leichten Mantel geben.
Der Mann in der Nische erhob sich ebenfalls. Er ging schnurstracks auf ein Wandtelefon zu, warf eine Münze in den Schlitz und wählte eine Nummer.
Mike Rander heftete sich an die Fersen der jungen Frau.
Sie stand bereits auf der Straße, schien unschlüssig zu sein. Als ein Taxi an ihr vorbeifuhr, ging sie zu Fuß die Straße hinunter. Sie hatte es sehr eilig. Unterwegs drehte sie sich verschiedentlich um. Fürchtete sie, verfolgt zu werden? Wenn sie tatsächlich Angst davor hatte, so besaß sie keinerlei Erfahrung, einen etwaigen Verfolger auszumachen. Mike Rander, der zur anderen Straßenseite hinübergewechselt war, sah sie nämlich nicht. Sie kümmerte sich auch schließlich um ihre Straßenseite. Und das war eigentlich zu wenig.
Sie benutzte eine Passage zwischen zwei riesigen, strahlend hell erleuchteten Hotelpalästen und ging auf ein Apartmenthaus zu, das sich wie ein Aschenputtel in dieser Umgebung ausnahm. Die junge Frau mit dem tizianroten Haar verschwand in der Eingangshalle.
Mike Rander fürchtete, noch mal abgehängt zu werden. Schon einmal war er von dieser Frau getäuscht und hereingelegt worden. Und er hatte plötzlich das Gefühl, daß er nicht sie verfolgte, sondern daß sie ihn absichtlich hierher gebracht hatte.
Dieser Eindruck legte sich, als Rander durch die Glastür der kleinen Halle schaute. Die junge Frau ließ sich ihren Zimmerschlüssel geben. Sie benutzte den Lift, um nach oben zu fahren.
»War das nicht gerade Miss Miller?« erkundigte sich Rander bei dem Hotelportier. Er drückte ihm einen Dollarschein in die Hand und zwinkerte dem Mann zu.
Der Türwart verstand.
»No, das war sie nicht«, meinte er trocken.
»Wer mag denn das gewesen sein?« überlegte Rander laut und rückte einen zweiten Schein heraus. Der Portier ließ ihn mit affenartiger Geschwindigkeit in der Tasche verschwinden.
»Carol Hastings«, gab der Mann nun die richtige Auskunft. »Aber ich sage Ihnen gleich, da ist nichts zu machen. Die ist in festen Händen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Rander lächelte verschmitzt und rückte die nächste Banknote heraus. »Heißt er nicht Tom Smith?«
»No, so heißt er nicht«, gab der Portier schmunzelnd zurück. Dieses Ratespiel mit den hohen Prämien war genau sein Fall.
»Wer mag denn das sein?« fragte Rander noch einmal laut und spendierte die nächste Prämie.
»Will Chandels, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Und er wohnt?«
»Drüben in Miami. Über die genaue Adresse müßte ich erst mal nachdenken.«
»Vielleicht hilft Ihnen das dabei?« Mike Rander opferte eine neue Banknote. Er bewunderte die Geschäftstüchtigkeit dieses einfachen Mannes. Er hatte alle Anlagen, um zu einem mittleren Vermögen zu kommen. Der Portier warf einen prüfenden Blick auf die Note. Er nickte zufrieden.
»Will Chandels wohnt in Miami. El Portal, an der Bayseite. Ich glaube, das Apartmenthaus nennt sich Miami-Gardens. Sagen Sie, Sir, sind Sie nun eigentlich hinter Miss Hastings her oder hinter deren Freund?«
»Fragen Sie mich bei Gelegenheit noch einmal danach«, wich Mike Rander lächelnd aus. »Es soll mir dann auf einen Schein mehr oder weniger nicht ankommen. Vor allen Dingen dann, wenn Sie den Mund halten, daß ich mich nach ihr erkundigt habe!«
»Sie können die Scheine eigentlich schon hierlassen, Sir. Ich werde kein Wort sagen.«
»Das scheint mir ein unsicheres Geschäft zu sein.« Rander schüttelte den Kopf. »Erst muß ich sicher sein, daß Sie auch wirklich den Mund gehalten haben. Noch etwas, wo ist Miss Hastings eigentlich angestellt? Was treibt sie so? No, weitere Auskünfte sind kostenlos.«
»Carol Hastings ist bei einem Wasserballett angestellt«, kam die überraschende Antwort. »Sie werden davon schon gehört haben. Der Laden nennt sich ›The Dolphines of Miami‹.«
Rander hielt es für angebracht, nicht noch neugieriger zu werden. Mit dem, was er von dem Portier erfahren hatte, durfte er voll und ganz zufrieden sein. Er trat den Rückzug an.
Der Portier mußte annehmen, daß Mike Rander tatsächlich gegangen war. In Wirklichkeit aber blieb der Strafverteidiger in der Nähe des Apartmenthauses. Er wollte feststellen, ob Miss Hastings informiert wurde, ob sie Konsequenzen aus dieser Unterhaltung zog.
Und ob sie es tat!
Nach etwa dreißig Minuten erschien sie im Eingang. Sie stellte einen kleinen Lederkoffer und eine Reisetasche ab, wollte also offensichtlich verreisen.
Mike Rander hatte Glück, ein leeres Taxi zu erwischen. So war es für ihn eine Kleinigkeit, sich an die Fersen von Carol Hastings zu heften. Sie stieg in ein Taxi, das offensichtlich vom Portier herantelefoniert worden war und ließ sich hinüber nach Miami bringen.
Sie fuhr jedoch nicht nach El Portal, wo ihr Freund wohnte, sondern stieg im südlichen Teil der Stadt vor einem Motel aus, zahlte den Fahrer aus und verschwand mit ihrem spärlichen Gepäck im Büro des Motels.
Mike Rander hatte den Eindruck, daß die junge Dame mit dem tizianroten Haar geflüchtet war. Vor wem oder was sie sich fürchtete, wollte und mußte er herausbekommen.
*
Parkers Trick bewährte sich.
In den Morgenausgaben brachten die Zeitungen einen Bericht über die ›Strandhaie‹. Sie bezogen sich auf die Aussagen eines gewissen Mr. Ben Zalakoff, der kurz hintereinander um die Teilbeträge von dreihundert und fünfhundert Dollar erleichtert worden war. Zum erstenmal erfuhr die Öffentlichkeit Einzelteile über die Gangster. Mr. Ben Zalakoff hatte kein Blatt vor den Mund genommen und die Dinge beim Namen genannt. Die Polizei, so hieß es gleichlautend in allen Berichten, habe sich der ›Strandhaie‹ bereits angenommen und läge gut im Rennen.
»Dieser Artikel wird bei den ›Strandhaien‹ wie eine Bombe einschlagen«, sagte Rander zu seinem Butler. Beide Männer hatten ausgiebig gefrühstückt. Sie warteten im Grunde nur darauf, daß die ›Strandhaie‹ sich meldeten. Auch sie mußten die Artikel gelesen haben. Sie wußten jetzt, daß Mr. Ben Zalakoff nicht nur um dreihundert, sondern noch einmal um fünfhundert Dollar erleichtert worden war.
Bevor Parker antworten konnte, kam der ersehnte Anruf. Parker nahm den Hörer hoch und meldete sich.
»Ich habe Sie unterschätzt, Parker«, sagte die freundliche Stimme. »Ich hätte wissen müssen, daß Sie geldgierig sind.«
»Ich weiß leider nicht, mit wem ich das Vergnügen habe und wovon Sie sprechen.«
»Das wissen Sie verdammt gut!« Die freundliche Stimme klang nun nicht mehr sehr freundlich. »Durch Ihre Geldgier ist unser Geschäft an die große Glocke gehängt worden, und dafür werden wir uns revanchieren.«
»Ich würde zu gern wissen, wovon Sie eigentlich sprechen.«
»Sie haben sich die fünfhundert Dollar unter den Nagel gerissen«, war die scharfe Antwort. »Haben Sie nicht deutlich gesagt, Ihr Boß würde mehr zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken? Haben Sie nicht gesagt, Sie würden diese Kleinigkeiten regeln? Ich hätte besser aufpassen und zuhören sollen.«
»Falls ich wirklich etwas getan habe, was Ihr Mißfallen erregt, so werden Sie mir nichts nachweisen können«, antwortete Parker würdevoll. »Ich möchte grundsätzlich betonen, daß nicht nur Sie allein berechtigt sind, Geld an sich zu bringen.«
»Sie wollen uns die Schuld in die Schuhe schieben«, brauste der Mann mit der jetzt unfreundlichen Stimme auf. »Dafür werden Sie zahlen müssen, Parker. Es gibt einen Weg, um Ihre Haut zu retten.«
»Und der wäre, wenn ich neugierig sein darf?«
»Gestehen Sie der Polizei, daß Sie die fünfhundert Dollar an sich gebracht haben! Sagen Sie, daß Sie die ›Strandhaie‹ nur vorgeschoben haben!«
»Genau das Gegenteil ist der Fall«, erwiderte der Butler. »Nach meinen vorliegenden Informationen ist Mr. Ben Zalakoff erst vor wenigen Minuten erneut von den ›Strandhaien‹ angeschrieben worden. Diesmal verlangt die obskure Organisation tausend Dollar. Ich fürchte, ich werde das Geld auszahlen müssen.«
»Wir sprechen uns noch!«
Parker legte den Hörer zurück, nachdem der Mann mit der unfreundlichen Stimme das Gespräch jäh abgebrochen hatte. Rander, der zugehört hatte, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Sie haben sich da eben ein paar Todfeinde gemacht«, meinte er. »Ich wittere stürmische Tage für uns, Parker.«
»Die man sich vielleicht in der Nähe des Delphinenballetts vertreiben könnte«, antwortete Parker trocken. »Es dürfte interessant sein zu erfahren, ob Miss Hastings weiterhin dort auftritt.«
»Sie wollen mich doch nur ablenken, oder?«
»Ich halte Miss Hastings für ungemein wichtig, Sir. Es könnte immerhin sein, daß sie Ihnen einige Mitteilungen über die ›Strandhaie‹ machen kann.«
»Wichtiger ist, wer dieses Ballett leitet.«
»Eine Mrs. Ruth Soldan, wie ich inzwischen erfahren konnte, Sir. Wenn Sie mich beurlauben, Sir, würde ich mir die Trainingsstunden dieses Balletts gern einmal aus der Nähe ansehen.«
»Gut, ich kümmere mich um Carol Hastings, Parker. Lassen Sie sich nicht von einer jener Wassernixen verführen.«
»Gegen solche Dinge dürfte ich einigermaßen gefeit sein, Sir. Welche Nixe würde sich schon mit einem alten Mann, wie ich einer bin, abgeben? Ich mache mir keine übertriebenen Hoffnungen mehr.«
»Sie untertreiben wie üblich«, frotzelte Rander. Dann wurde er wieder ernst. »Denken Sie daran, daß sich im Gefolge dieser Wassernixen durchaus Haie befinden können. Ich warne Neugierige!«
Josuah Parker war sichtlich interessiert und angenehm berührt auf die jungen Nixen, die sich im Swimmingpool tummelten. Sie trugen reizvolle Bikinis, waren ungemein geschmeidige und erfahrene Schwimmerinnen. Nach den rhythmischen Takten einer Tonbandmusik wirbelten sie durch das kristallklare Wasser, formierten sich zu Gruppen, strebten auseinander und fanden sich unter Wasser wieder. Sie tanzten, oder besser gesagt, sie schwammen ein gekonntes Ballett.
Auf einem Sprungbrett hoch über dem Wasser stand eine Frau von etwa vierzig Jahren. Sie hatte sich sehr gut gehalten und sah noch durchaus angenehm und reizvoll aus. Über Handmikrofon und Tonverstärker erteilte sie Korrekturen, mahnte, lobte und wurde auch ein wenig ärgerlich, wenn die Schwimmfiguren nicht mit jener Exaktheit ausgeführt wurden, die sie anstrebte. Wenn sie ärgerlich war, klang ihre Stimme ein wenig schrill.
Diese Frau, es konnte nach Parkers Schätzung nur die Chefin des Balletts, Mrs. Ruth Soldan, sein, war groß und schlank. Ihr Haar war braun, kurz geschnitten und frisch onduliert. Sie sah aus wie eine Frau, die genau weiß, was sie will.
Wegen der starken Sonne hatte Parker seinen Universal-Regenschirm entfaltet und schützte sich damit gegen die sengenden Strahlen. In dieser heiteren und nassen Umgebung sah er aus wie ein verirrter Königspinguin, der sich in diesem fremden, ungewohnten Milieu durchaus wohl fühlte.
Die Wassernixen waren trotz der Ermahnungen ihrer Chefin nicht ganz bei der Sache. Immer wieder schauten sie zu Parker hinüber. Sie kicherten und prusteten vor Lachen. Sie verschluckten sich beim Tauchen und kamen aus der Richtung. Als Mrs. Ruth Soldan gezwungenermaßen eine Pause einlegte, versammelten sie sich am Rand des Beckens und ließen den Butler nicht aus den Augen.
Mrs. Soldan kletterte verärgert vom Sprungturm herunter und schritt energisch auf Parker zu.
»Was haben Sie hier zu suchen?« fragte sie wütend. »Sie halten den ganzen Betrieb auf. Wer hat Sie überhaupt hereingelassen?«
»Ich bitte sehr höflich um Entschuldigung, falls ich stören sollte«, erwiderte Parker und legte einen solch gekonnten Kratzfuß auf die Steinfliesen, daß die Wassernixen hell auf lachten.
Mrs. Ruth Soldan kam sich veralbert vor.
»Also, verschwinden Sie«, sagte sie gereizt. »Oder soll ich Sie an die frische Luft setzen lassen?«
Parker hörte hinter sich schnelle Schritte. Er wußte im vorhinein, wer sich näherte. Es konnten nur die beiden muskelgestählten Aufpasser sein, die den Zugang zum Schwimmbecken bewachten.
Sie mußten wütend auf ihn sein, denn Parker hatte sie mit seinem hochbeinigen Monstrum auf Rädern einfach überrollt. Beim Anblick dieses Wagens waren die beiden Männer fast in Ohnmacht gefallen und hatten keine Zeit gefunden, den Butler zu stoppen. Inzwischen mußten sie sich von ihrer Überraschung erholt haben.
Die beiden Muskelmänner tauchten neben dem Butler auf. Sie maßen ihn immer noch mit scheuen Blicken. Es waren jene Blicke, mit denen man leicht geistesgestörte Mitmenschen mustert.
»Schafft ihn weg«, herrschte Mrs. Soldan ihre beiden Wachleute an. Unter den Augen der Chefin fanden die beiden Muskelmänner zu sich selbst zurück. Sie begingen den Fehler, nach Parkers Schultern zu greifen.
Sie hätten es besser nicht getan.
»Ich möchte Ihnen ebenso dringend wie eindringlich raten, mich nicht anzufassen«, sagte Parker höflich. »Ich bin allergisch gegen solch eine Behandlung.«
»Schmeißt ihn raus!« Ruth Soldans Stimme klang schrill.
Die beiden Wachmänner griffen fester zu.
Und sie wunderten sich, daß Parker so ohne weiteres nicht von der Stelle zu bewegen war. Als sie Gewalt anwenden wollten, erlebten sie eine herbe Enttäuschung.
Parker, in allen Tricks der Selbstverteidigung bestens erfahren, wandte einen Judo-Hebelgriff an. Der erste Muskelmann verlor sein Gleichgewicht, drehte sich um seine Längsachse und kam in gefährliche Nähe des Beckenrandes.
Der zweite Muskelprotz fühlte sich veranlaßt, andere Saiten aufzuziehen. Er wollte es mit einem Fausthieb versuchen. Er riß seinen angewinkelten rechten Arm hoch, um einen Uppercut anzubringen, wie es in der Boxfachsprache so treffend heißt.
Parker ließ sich natürlich nicht treffen. Er nutzte aber die günstige Gelegenheit, das Handgelenk des Schlägers zu packen. Ein kurzer Ruck, eine schnelle Drehung … und schon taumelte der entgeisterte Muskelprotz auf seinen Partner zu, der am Rand des Schwimmbeckens noch immer mit seinem Gleichgewicht kämpfte.
Der Zusammenprall der äußerlich so gleichen Männer war noch nicht einmal besonders stark, er reichte aber aus, um beide Männer in das hoch aufklatschende Wasser fliegen zu lassen. Unter dem hellen Gelächter der Wassernixen tauchten die beiden Muskelmänner unter und gingen auf Tauchstation.
Mrs. Ruth Soldan starrte Parker aus zusammengekniffenen Augen an. Sie sah sehr böse aus.
Parker inszenierte einen zweiten Kratzfuß.
»Ich komme im Auftrag Mr. Ben Zalakoffs«, sagte er, »für welchen zu dienen ich die Ehre habe. Mr. Zalakoff interessiert sich für Ihr Wasserballett, Madam. Er beabsichtigt es zu einer Privatparty einzuladen. Wegen dieses Vorhabens habe ich mir die Freiheit genommen, zu Ihnen zu kommen.«
»Ben Zalakoff?« Dieser Name schien Mrs. Soldan etwas zu sagen. Wahrscheinlich hatte sie die Morgenzeitungen gelesen. Ihre bösen Blicke lösten sich in freundliches Lächeln auf. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
»Leider wurde ich daran gehindert«, entgegnete der Butler. »Ich hoffe, die beiden Männer tragen mir mein vielleicht nicht ganz korrektes Benehmen nicht nach.«
»Schon in Ordnung. Mr. Zalakoff will mein Ballett also engagieren! Ich denke, das läßt sich machen.«
»Er ist, wie ich betonen möchte, nur an den Delphinen interessiert, nicht aber an Haien.«
»Haie?« Sie runzelte die Stirn und sah den Butler verständnislos an.
»Die Strandhaie, um mich genau auszudrücken«, redete Parker weiter. »Wie Sie den Zeitungen vielleicht entnommen haben, hat Mr. Zalakoff einigen Ärger mit diesen Gangstern.«
»Wollen wir uns nicht setzen?« schlug Mrs. Soldan vor. Parker nickte, er sah an der Frau vorbei und beobachtete die beiden Schwimmkünstler, die gerade aus dem Wasser stiegen. Sie tuschelten miteinander und warfen Parker tückische Blicke zu.
»Um es nicht zu vergessen«, redete Parker plötzlich ohne Übergang weiter, »Mr. Zalakoff hat mich beauftragt, Erkundigungen über eine gewisse Miss Carol Hastings einzuziehen. Es handelt sich um einen Ihrer weiblichen Delphine, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
»Carol Hastings …?«
»Ich glaube, so lautete der Name.«
»Ich habe sie an die frische Luft gesetzt«, kam die prompte, wahrscheinlich aber unehrliche Antwort. »Sie hielt sich nicht an die Regeln die ich für mein Ballett aufgestellt habe.«
»Dann möchte ich gern die Adresse jener jungen Dame erfahren.«
»Sie ist nicht mehr … ich meine, natürlich können Sie die Adresse haben. Ich glaube allerdings, daß Sie sie dort nicht erreichen werden. Wie ich hörte, wollte sie die Stadt verlassen.«
»So schnell, und Hals über Kopf, wie es im Volksmund heißt?«
»Ich weiß nicht, warum sie es so eilig hatte. Sie interessiert mich nicht mehr. Wollen wir jetzt zur Sache kommen?«
»Das ist bereits geschehen«, gab Parker höflich zurück und lüftete seine schwarze steife Melone.
»Was soll das heißen?«
»Sie haben mir bereits die Fragen beantwortet, um die es Mr. Zalakoff ging. Haben Sie meinen herzlichsten Dank!«
»Und das Ballett?«
»Auf das wird Mr. Zalakoff bei Gelegenheit zurückkommen. Bis dahin können Sie ja, wenn es Ihnen paßt, noch einige neue Wassertänze einstudieren. Vielleicht, wenn mir ein Rat gestattet ist, den Tanz der mörderischen ›Strandhaie‹.«
Parker schritt würdevoll und steif davon. Er ließ eine Mrs. Ruth Soldan zurück, die lange Sekunden brauchte, um endlich wieder Luft schnappen zu können …
*
Naß, wie sie waren, setzten sich die beiden Muskelmänner in einen Chrysler und nahmen Parkers Verfolgung auf. Parkers Wagen war nicht zu übersehen. Das hochbeinige Monstrum keuchte scheinbar asthmatisch durch die Straßen und pfiff hörbar aus dem letzten Loch.
Josuah Parker saß mit der Würde eines Erzbischofs am Steuer. Er schien einen Besenstiel verschluckt zu haben, so steif und aufrecht harrte er auf der harten Polsterbank aus. Hin und wieder warf er einen schnellen, prüfenden Blick in den seitlich angebrachten Rückspiegel. Er wußte sehr wohl, daß er verfolgt wurde, doch das brachte ihn überhaupt nicht aus der Ruhe.
Als er die berühmte A 1 A erreicht hatte, die breite Küstenstraße hart am Meer, beschleunigte er etwas. Das hochbeinige Monstrum setzte sich wiederwillig in Trab und rumpelte mit steigender Geschwindigkeit über den glatten Asphalt.
Der Chrysler ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Auch er wurde von seinem Fahrer sanft gekitzelt. Der schwere Motor nahm willig das Gas an und blieb hinter Parkers Gefährt hängen.
Der Ausblick zu beiden Seiten der Straße war einmalig und atemberaubend schön. Rechts von ihr lag das Meer mit seiner Brandung. In Sichtweite zogen Segeljachten und schnelle, kleine Außenborder durch die See. Palmblätter bewegten sich im sanften Wind. Links der Straße war der Blick frei auf die tropische Vegetation, die fast bis an die Straße heranreichte. Dazwischen lagen märchenhaft anzusehende Bungalows aller Größenordnungen, gepflegte Rasenflächen und kleine Stichkanäle, die das Wasser der nahen Everglades ins Meer führten.
Der Butler genoß diesen Anblick. Die beiden Verfolger berührten ihn überhaupt nicht. Wie oft schon war er verfolgt worden! Wie oft schon hatte er sich mit Gangstern herumschlagen müssen!
Um seine Verfolger aber etwas zu beschäftigen, kitzelte der Butler sein hochbeiniges Monstrum. Der unter der eckigen Motorhaube versteckte Spezial-Rennmotor brachte das Monstrum in Schwung. Der Chrysler hatte plötzlich Schwierigkeiten zu folgen.
Noch vor Miami Beach bog Parker von der breiten Prachtstraße ab. Ihm kam es darauf an, die beiden Verfolger auf neutrales Gelände zu locken. Falls es zu einer Schießerei kam, wollte Parker keine ahnungslosen Touristen in Gefahr bringen.
Die beiden Muskelmänner spürten, daß das Monstrum ihnen davonfahren konnte. Sie waren jetzt nicht nur naß, sondern sie fühlten sich auch mächtig auf den Arm genommen. Mit rauchendem Kühler brausten sie mit voller Kraft hinter Parkers Monstrum her. Stets blieb der Eindruck erhalten, dieses hochbeinige Gefährt würde im nächsten Moment den Geist aufgeben und sich in seine Bestandteile auflösen. Doch dieser nächste Augenblick fand nicht statt. Das Monstrum auf Rädern war ja auch schließlich nichts anderes als ein hochmoderner Rennwagen, den Parker nach eigenen Wünschen und Angaben geschickt hatte tarnen lassen. Dieses Gefährt war äußerlich zwar nur ein Londoner Taxi, in Wirklichkeit aber eine Rakete auf Lastwagenrädern …
Eine schnurgerade Straße, nicht besonders breit und zu beiden Seiten mit schwammig-nasser Wiese umgeben, kam Parkers Wünschen besonders entgegen.
Der Butler griff nach einem am Armaturenbrett befindlichen Hebel und legte ihn um. Im gleichen Moment spuckte eine Düse neben dem Zwillingsauspuff eine schwarz gefärbte Wolke aus Ruß und gelbem Nebel aus. In Sekundenschnelle wurden die Verfolger eingenebelt. Um die Fahrt der beiden Muskelmänner zusätzlich zu stoppen, bewegte Parker einen zweiten Hebel. Kleine, spitze Teppichnägel kollerten aus einem unter dem Wagen angebrachten Kästchen auf die Straße. Einige davon bohrten sich mit Sicherheit in die Reifen des Chrysler. Kurz, innerhalb weniger Sekunden standen die beiden Gangster mit einem plattfüßigen Wagen auf einer total eingenebelten Straße.
Auch Parker hielt an.
Er griff nach seinem Universal-Regenschirm und ging dann würdevoll zurück zu der Nebelwolke, in der sich seine Verfolger befanden. Sie sahen ihn nicht. Auch dann noch nicht, als er dicht hinter den beiden fluchenden Gangstern stand.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Parker.
Die beiden Männer drehten sich überrascht um. Sie starrten Parker entgeistert an.
»Mein Auspuff muß nicht in Ordnung sein«, erklärte Parker. »Entschuldigen Sie also diese peinliche Nebelwolke! Aber Sie wissen ja selbst, wie ich unterstellen möchte, wie wenig bei den Werkstatt-Inspektionen darauf geachtet wird.«
Die beiden Gangster – so sahen sie zumindest aus – hatten sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt.
»Auf Sie haben wir gerade gewartet«, sagte der Größere von beiden. »Wie wär’s denn, wenn Sie uns was über diesen Zalakoff erzählten, he?«
»Sie meinen, wenn ich nicht irre, meinen Herren?«
»Los, raus mit der Sprache. Was will er von der Hastings?« Der zweite Muskelmann schaltete sich ein. »Was sollte das Gefasel von den ›Strandhaien‹?«
»Sie kennen die ›Strandhaie‹ nicht?«
»Wen wir kennen oder nicht, geht Sie einen Dreck an! Wie war das denn mit dem Schwimmbecken, he?«
»Ein bedauerlicher Unglücksfall, würde ich sagen.«
»Der wird sich jetzt wiederholen. Aber jetzt sind Sie an der Reihe, Alter.«
»Sie werden einem alten Mann doch nichts tun?« fragte Parker würdevoll.
»Und ob wir diesem alten Gauner was tun werden!«
Die beiden Muskelmänner brannten darauf, Parker in die Kur zu nehmen. Sie hatten eine Rechnung mit ihm zu begleichen. Sie stürzten sich plötzlich auf den Butler.
Parker hielt es für angebracht, sich blitzschnell zur Seite zu bewegen. Die beiden Muskelmänner prallten gegeneinander. Der Zusammenprall ihrer quadratischen Schädel klang wie Holz.
»Sie werden sich noch verletzen«, warnte Parker besorgt. »Ich muß feststellen, daß Sie sich wie die Kinder benehmen.«
Die beiden Sportler antworteten nicht.
Sie griffen gleichzeitig nach dem Butler. Doch sie hielten nur schwarzgelben Nebel in den Händen. Dort, wo Parker gerade noch gestanden hatte, war er nicht mehr zu sehen. Aus den Nebelschwaden aber kam seine mahnende Stimme:
»Sie echauffieren sich unnötig, meine Herren. Benehmen Sie sich doch wie gesittete Menschen!«
Diese Stimme brachte die beiden Muskelmänner in rasende Wut.
»Los, da rum …!« schrie der Wortführer der beiden Männer. Er rannte auf den Motor zu. Sein Partner versuchte es von der anderen Seite. Sie wollten den Butler einkreisen und dann bearbeiten. Beide Männer verschwanden im Nebel.
Parker saß längst im Chrysler.
Er öffnete das Handschuhfach und kramte darin herum. Er fand einen sehr brauchbaren 45er Revolver, ein Stück Bleikabel und alte, abgewetzte Lederhandschuhe. Auf dem Rücksitz lag ein Pappkarton, in dem sich einige neue Taschenuhren einfacher Bauart befanden. Dazu gehörten eine Rolle Klingeldraht, Klemmen und Isolierband. In einem zweiten Pappkarton entdeckte Parker feinmechanisches Handwerkszeug.
Der Butler sah gelassen hoch, als draußen im Nebel die ersten Schüsse fielen. Die beiden Gangster wurden aktiv und hielten sich wahrscheinlich wechsel- und gegenseitig für den Butler.
Parker hielt es für angebracht, dieses grausame Spiel zu beenden. Er wollte nicht, daß die Männer sich in gründlicher Verkennung der Lage umbrachten. Für Blutvergießen hatte Josuah Parker einfach nichts übrig.
Er kurbelte also das Wagenfenster herunter und nahm seinen Universal-Regenschirm hoch. Dann wartete er geduldig, bis der erste Schatten aus dem Nebel auf tauchte und dem Wagenfenster gefährlich nahekam.
Parker schlug mit dem Bambusgriff seines Regenschirms zu.
Der Gangster wurde getroffen, wie es nicht anders zu erwarten war. Er blieb sekundenlang steif und starr stehen. Dann gaben die Beine nach. Der Gangster legte sich auf den Boden und spielte nicht mehr mit.
Kurz danach erschien der zweite Gangster.
Er erkannte die Umrisse seines Partners, hielt sie für die des Butlers und hob blitzschnell seinen Revolver, um einen Schuß anzubringen. Der Butler mußte sich sehr beeilen, um noch schneller zu sein. Doch der Bambusgriff kam genau im richtigen Moment auf den Hinterkopf des Schieß wütigen zu liegen.
Der Schuß entlud sich in die Luft. Der Gangster stöhnte erstaunt, tat noch einen Schritt nach vorn und legte sich dann neben seinen Partner. Einträchtig ruhten beide Männer sich aus. Sie hatten es nötig. Eine Auseinandersetzung mit Josuah Parker war eben stets aufregend und nervenzerreißend …
*
Um nicht weiter belästigt zu werden, mußte Parker sich etwas einfallen lassen. Dazu gehörte in erster Linie, daß er die Bewegungsfreiheit der beiden Muskelmänner erheblich einschränkte. Er hatte wieder einmal eine passende Lösung bei der Hand.
Parker kümmerte sich um Schuhe und Socken der beiden Männer. Er zog sie ihnen aus und warf sie in einen nahe gelegenen Wassertümpel. Sie sanken schnell auf Grund, denn der Butler hatte nicht vergessen, die Schuhe mit einigen Steinen zu beschweren. Dann zog er den Verteilerfinger des Chryslers ab und warf ihn ebenfalls in den Tümpel. Der Wagen war damit unbrauchbar geworden. Wenn die beiden Männer zu sich kamen, mußten sie zu Fuß gehen. Auf nackten Füßen. Für Miami sehr ungewöhnlich …
Nachdem Parker die beiden Muskelprotze derart behandelt hatte, setzte er sich in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr zurück zur A 1 A.
Er hatte Glück. Schon nach knapp fünfhundert Metern kam ihm ein Streifenwagen der Polizei entgegen. Parker winkte den Wagen ab und wartete, bis einer der Beamten sich sehr mißtrauisch seinem skurril aussehenden Wagen näherte.
Der Butler lüftete höflich und würdevoll seine schwarze Melone.
»Haben Sie Ärger mit … Ihrem … Schlitten?« erkundigte sich der Streifenpolizist.
»Er tut seine Dienste, wenngleich er nicht mehr neu aussieht«, gab Parker zurück. »Ich möchte Sie auf zwei übel aussehende Männer hinweisen, die – sage und schreibe – nackten Fußes einherwandern. Meiner bescheidenen Ansicht nach muß es sich um Strauchdiebe handeln, die dazu vielleicht noch einen alleinstehenden Wagen ausgeraubt haben.«
»Wo sind die beiden Kerle?«
»Dort hinter der Abbiegung«, erklärte Parker. »Wenn mich nicht alles täuscht, müssen sie gleich die A 1 A erreicht haben.«
»Vielen Dank für den Tip«, sagte der Polizist. »Sagen Sie, Sir, ist Ihr Wagen eigentlich zugelassen?«
»Doch ja, er überstand alle Prüfungen.«
»Sie werden den Verkehr damit aufhalten. Hier auf der A 1 A gilt als untere Grenze vierzig Meilen.«
»Mit einigem guten Willen lassen sie sich schaffen. Das heißt, ich muß meinem Wagen dann ordentlich Zureden!«
»Na schön, ich will Ihnen mal glauben«, entgegnete der Beamte und ging kopfschüttelnd zurück zum Streifenwagen. Unterwegs blieb er einige Male stehen und schaute sich nach Parkers Monstrum um, das sich gerade in Bewegung setzte.
Dann aber blieb der Streifenmann stehen. Sein Unterkiefer fiel herunter, wie es im Volksmund so treffend heißt. Das hochbeinige Monstrum auf Lastwagenrädern hatte sich nämlich in eine Rakete verwandelt. Es zischte mit einem sagenhaft zu nennenden Anzugsvermögen los und verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in einen kleinen schwarzen Punkt, der sich am Horizont der Straße im Dunst auflöste.
Der Streifenpolizist faßte sich an den Hals. Er rieb sich die Augen und hörte sich keuchen. Er ging mit wackligen Beinen zurück zu seinem Kollegen, der am Steuer saß.
»Was ist denn mit dir los?« fragte der Kollege. Das grüne Gesicht seines Begleiters ließ ihn stutzig werden.
»Ich … ich habe gerade ’ne Rakete auf Rädern gesehen«, murmelte der Mann und schüttelte zweifelnd den Kopf.
»’ne Rakete? Hier auf der Straße? Auf Rädern?«
»Genau. Die muß von Cap Canaveral gekommen sein.«
»Auf Rädern?«
»Ich glaube ja«, murmelte der Streifenpolizist weiter. »Mein Gott, ich kann doch nicht geträumt haben.«
»Das ist die Hitze«, sagte der Begleiter besorgt. »Was hat der Bursche denn gewollt?«
»Er hat von zwei Strolchen mit nackten Füßen gesprochen.«
»Nackte Füße? Sag’ mal, hast du ’nen Sonnenstich bekommen?«
»Ich weiß nicht«, murmelte der Streifenpolizist. »Er hat von nackten Füßen gesprochen. Und er war plötzlich am Horizont verschwunden.«
»Rauch dir erst mal ’ne Zigarette an«, beschwichtigte der Fahrer seinen Partner. Dann beugte er sich etwas vor, um besser sehen zu können. »Das mit der Rakete glaub’ ich dir nicht. Was aber die nackten Füße angeht, so sind sie vorhanden. Sieh’ dir doch dort mal die beiden Fußgänger an. Nackte Füße …«
»Dann habe ich auch die Rakete auf Rädern gesehen«, erklärte der Streifenpolizist erleichtert. »Und darüber werde ich ’ne Meldung machen. Die Eierköpfe in Cap Canaveral sollen gefälligst aufpassen, bevor sie mit solchen Sachen auf die Menschheit losgehen!«
*
»Taschenuhren – Klingeldraht und Klemmen, das sieht nach selbstgebastelten Zeitzündern aus, Parker.« Mike Rander hatte sich den Bericht seines Butlers angehört. Die beiden äußerlich so ungleichen Männer befanden sich wieder in ihrem Hotel.
»Dieser Ansicht neige ich auch zu, Sir. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Schußwaffen im Wagen verweisen, Sir, daß diese beiden Angestellten des Wasserballetts Mitglieder der ›Strandhaie‹ sind.«
»Sieht so aus! Aber beweisen werden wir das noch nicht können.«
»Nach meinem spektakulären Kontakt mit jenen beiden Ganoven wird die Antwort der ›Strandhaie‹ nicht lange auf sich warten lassen, Sir. Daraus schöpfe ich die Hoffnung, daß Sie und meine Wenigkeit recht bald mit Beweisen dienen können.«
»Könnte Mrs. Ruth Soldan die Chefin dieser Gangster sein?«
»Es handelt sich um eine äußerst energische Dame«, berichtete der Butler. »Es wäre zudem in der Kriminalgeschichte nicht das erste Mal, daß eine Frau die Chefin einer Gang ist. In diesem Fall aber glaube ich nicht, daß Mrs. Soldan als Leiterin des Unternehmens der ›Strandhaie‹ in Betracht kommt.«
»Und warum nicht?«
»Ich erinnere an den angeblichen Parkwächter, der das Geld hinüber nach Miami brachte. Dort müßte, meiner bescheidenen Ansicht nach, der wahre Gangsterchef sitzen.«
»In Miami wohnt Miss Hastings Freund, Will Chandels.«
»In der Tat, Sir. Bemerkenswert, daß Miss Hastings nach dem Verlassen in ihrer Wohnung nicht zu ihm gefahren ist, wie man das nach Lage der Dinge eigentlich hätte erwarten können.«
»Carol Hastings hat das Motel nicht verlassen.« Mike Rander griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck. »Sie scheint dort auf irgend etwas zu warten.«
»Auf ihren Freund Will Chandels, Sir?«
»Keine Ahnung. Über diesen Chandels habe ich Erkundigungen eingezogen, Parker. Er arbeitet in der Vergnügungsindustrie, genauer gesagt, er ist Fotograf.«
»Mit einem festen Atelier, Sir, wenn mir diese Frage gestattet ist?«
»Warum soll sie nicht gestattet sein?« Mike Rander schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich möchte mal erleben, Parker, daß Sie ohne Schnörkel sprechen.«
»Ich werde mich ehrlich darum bemühen, Sir, wenngleich, wie ich einräumen und gestehen möchte, mir das recht schwerfallen wird, zumal ich mich im Laufe der Zeit, wie Sie verstehen …«
»Geschenkt, Parker!« Rander wehrte in komischer Verzweiflung ab. »Will Chandels hat kein festes Atelier. Er klappert die Hotels ab, lauert der Prominenz und den normalen Touristen auf und schießt auf Verdacht seine Fotos. Anschließend versucht er, einen festen Auftrag zu bekommen.«
»Ein ehrenwerter Beruf, Sir, der den Vorteil hat, daß Mr. Chandels mit sehr vielen Menschen zusammenkommt.«
»Ein Beruf, bei dem es darauf ankommt, gute Verbindungen zu den Hotelportiers zu halten. Diese Portiers können wichtige Hinweise und Tips liefern.«
»Darf ich anregen, Sir, daß Sie sich der Dienste und Künste jenes Mr. Chandels einmal bedienen?«
»Gute Idee, Parker. Chandels sollten wir uns wirklich mal aus der Nähe ansehen.«
»Wenn ich richtig verstanden habe, bestehen Sie darauf, daß wir sofort zu ihm fahren?«
»Ich weiß, Ihnen geht es nicht schnell genug. Aber ich bin einverstanden, Parker. Hoffentlich lassen uns die ›Strandhaie‹ für ein paar Stunden in Ruhe.«
*
Mike Randers ungeschminkter Bericht über die Methoden der ›Strandhaie‹ löste eine erfreuliche Kettenreaktion aus.
Viele Touristen von Miami-Beach hatten plötzlich den Mut, zur Polizei zu gehen und Anzeige gegen die Gangster zu erstatten. In den Polizeirevieren häuften sich die Meldungen. Innerhalb weniger Stunden wurde den Behörden bereits klar, in welch großem Stil die ›Strandhaie‹ bisher schon gewirkt hatten.
In den Nachmittagsausgaben der Zeitungen schlugen sich diese Meldungen nieder.
Es gab darin nicht nur Berichte über die Methoden der Gangster. Es gab auch gepfefferte Leserbriefe, die wieder einmal nicht verstehen konnten, warum die Polizei bisher nichts getan hatte. Daß die Betroffenen gerade durch ihr Schweigen verhindert hatten, daß die Polizei eingreifen konnte, wurde im Eifer des Gefechts nicht bemerkt …
Mike Rander und sein Butler durften mit dem Wirbel, den sie ausgelöst hatten, durchaus zufrieden sein. Es lag auf der Hand, daß Mr. Ben Zalakoff, der als der Rander auftrat, von den ›Strandhaien‹ besonders geliebt wurde. Daß sein Butler zudem noch Geschäfte auf eigene Faust, aber im Namen der ›Strandhaie‹ tätigte, mußte das berühmte Faß zum Überlaufen bringen. Mike Rander und sein Butler hatten es verstanden, innerhalb eines Tages zur Zielscheibe der Gangster gewählt zu werden. Es kam auf sie an, daß sie die folgenden Tage heil überstanden.
Sie wußten das, doch daran dachten sie nicht.
Sie saßen in Parkers hochbeinigem Monstrum und fuhren in Richtung El Portal.
Sie benutzten die A 1 A, jene Straße also, die Parker bereits kannte. Der Butler, der selbstverständlich am Steuer saß, hielt ein mittleres, durchaus ziviles Tempo. Er merkte nicht, daß Mike Rander, immerhin ein Sportsmann mit eisernen Nerven, immer wieder auf den Tacho schaute. Der junge Strafverteidiger kannte Parkers Hobby, kannte dessen Fahrstil und schließlich auch die Pferdestärken, die unter der eckigen Motorhaube schlummerten.
Sie wurden an diesem Nachmittag nicht verfolgt.
Die ›Strandhaie‹ schienen Luft zu schöpfen und sich über ihre weiteren Unternehmungen erst einmal klar werden zu wollen.
Plötzlich drehte Rander sich im Sitz um.
»Hinter uns müht sich ein Streifenwagen der Polizei ab«, sagte er zu Parker.
»Ich sehe nichts«, meinte der Butler würdevoll, »es mag am Außenspiegel liegen, der in der Tat etwas beschlagen ist.«
»Hören Sie nichts?« fragte Rander unruhig. »Die Sirene ist eingeschaltet worden.«
»Mein Gehör wird doch nicht, altersmäßig bedingt, nachgelassen haben?« sorgte sich der Butler.
»Fahren Sie langsamer, damit die Polizisten auf holen können«, ordnete Mike Rander an. »Ich bin schließlich Anwalt und muß vor allen Dingen die Gesetze achten.«
»Das Gasgestänge scheint zu haken«, antwortete Parker besorgt. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Wagen schneller wird.«
»Und ob wir schneller werden, Parker, ich befehle Ihnen, langsamer zu fahren! Sie wollen wieder Katz und Maus spielen. Aber nicht in meiner Gegenwart. Die haben sich doch das Wagenkennzeichen längst aufgeschrieben.«
»Falls es zu lesen ist, Sir.«
»Was heißt das?«
»Ich müßte meinen Wagen unbedingt wieder waschen lassen«, sagte Parker heuchlerisch. Doch er fügte sich dem Wunsch seines jungen Herrn und drosselte das Tempo. Die beiden Polizisten in ihrem Chrysler schoben sich langsam zwar, doch unaufhaltsam an Parkers hochbeiniges Monstrum heran. Endlich hatten sie es geschafft und winkten Parker an den Straßenrand.
Die beiden Beamten stiegen aus. Sie griffen nach ihren Waffentaschen. Sie trauten dem Braten nicht.
»Einer der beiden Herren ist mir irgendwie bekannt«, gestand Parker.
»Haben Sie bereits Ärger mit der hiesigen Polizei gehabt?«
»Nicht, daß ich wüßte, Sir.«
Die weitere Unterhaltung wurde unterbrochen. Einer der Streifenbeamten trat an den Wagenschlag. Er sah Parker kurz an.
»Haben wir uns nicht schon gesehen?« fauchte er den Butler an.
»Gewiß. Ich nahm mir die Freiheit, Sie auf zwei nacktfüßige Männer hinzuweisen.«
»Ist das Ihr Wagen?«
»Sie sagen es.«
»Sie sind zu schnell gefahren. Sagen Sie, was ist das eigentlich für eine Höllenmaschine?«
»Eine Spezialanfertigung nach meinen Wünschen und Vorstellungen«, erklärte Parker. »Wenn es Sie interessiert, erkläre ich Ihnen gern dieses einmalige Baumuster und seine technischen Daten.«
»Erklären Sie das dem Richter, Sir!« Der Polizist wurde sehr dienstlich. Etwas zögernd klopfte er mit dem Knöchel seines Zeigefingers gegen das Wagenblech. Als er sich vergewissert hatte, daß es sich um ein übliches Baumaterial handelte, wurde er deutlicher. »Sie werden mit einer gesalzenen Strafe rechnen, dafür stehe ich ein.«
»Bin ich tatsächlich zu schnell gefahren?« Parker sah sehr unschuldig, aber auch sehr ungläubig aus.
»Wenn Sie ein Höhenruder hätten, könnten Sie einem Düsenjäger Konkurrenz machen«, gab der Streifenbeamte kühl zurück.
»Zu der technischen Ausrüstung meines Wagens gehört auch ein Fahrtenschreiber«, ließ Parker sich vernehmen. »Im übrigen danke ich Ihnen für den reizvollen Vergleich.«
»Fahrtenschreiber?«
»Er ist, wie immer in solchen Fällen, mit dem Tachometer gekoppelt«, setzte Parker dem Streifenbeamten auseinander. Und während er redete, baute Parker die kreisrunde Kontrollscheibe aus. Er reichte sie dem Streifenpolizisten.
»Achtzig Meilen«, staunte der Mann laut und schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen, Sie waren schneller.«
»Betrachten Sie dieses Dokument, das vor Gericht Beweiswert haben wird«, entgegnete der Butler würdevoll. »Sie werden beeiden müssen, daß ich die Kontrollscheibe in Ihrer Gegenwart aus dem Fahrtenschreiber geklaubt habe.«
»Was haben Sie?«
»Ich klaubte die Kontrollscheibe …«
»Er meint, herausgenommen«, schaltete sich Mike Rander ein. »Wir geben aber zu, daß wir zu weit links gefahren sind.«
»Fünfzig Dollar«, schnaubte der Polizist. »Oder haben Sie auch gefilmt, wie und wo Sie gefahren sind?«
»Wenn Sie darauf bestehen, kann ich Ihnen diesen Film vorweisen. Ich glaube, ich deutete bereits an, daß mein Wagen mit einigen technischen Raffinessen ausgestattet ist.«
»Scheren Sie sich zum Teufel. Und wenn ich Sie noch einmal erwische, landen Sie vor dem Richter.«
»Ich bedanke mich, Sir.« Parker lüftete seine schwarze steife Melone. »Sie haben Verständnis für die Späßchen eines alten, vielleicht etwas skurrilen Mannes.«
»Los, fahren Sie, bevor sie sich das anders überlegen«, raunte Anwalt Rander seinem Butler zu. Er atmete befreit auf, als der Streifenwagen zurückblieb.
»Mir ist nach einer Zigarette«, stöhnte Rander. »Gut, daß Sie den Fahrtenschreiber erwähnt haben. Was hat er eigentlich angezeigt? Doch niemals achtzig Meilen. Wir waren doch wesentlich schneller.«
»Sir, ich möchte in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß ich stets die passende Kontrollscheibe zur Hand habe, falls sich das als notwendig herausstellen sollte. Vor dem Befahren eines Highways mit begrenzter Geschwindigkeit lege ich die betreffende Scheibe aus meinem reichhaltigen Vorrat ein. Ich möchte jedem Ärger mit der Polizei aus dem Weg gehen.«
»Du lieber Himmel! Und so etwas arbeitet für einen Anwalt«, stöhnte Mike Rander gebrochen. »Sie werden dieses Ding bei passender Gelegenheit sofort ausbauen, Parker! Das ist ein Befehl!«
»Jawohl, Sir, so verstand ich Ihre Worte auch. Bei passender Gelegenheit baue ich den Zeitnehmer sofort aus. Sie können sich wie immer fest auf mich verlassen.«
*
Will Chandels’ Wohnung befand sich in einem Hinterhaus. Man mußte durch einen engen Torweg, um den Eingang zu erreichen. Im Erdgeschoß dieses Hinterhauses war die Werkstatt eines Segelmachers untergebracht.
Eine Eisentreppe mit Stufen aus Waffelblech führte hinauf in das Obergeschoß. Hier sollte Will Chandels, der Freund von Carol Hastings, seinen Wohnsitz haben.
Rander und sein Butler stiegen die Stufen hinauf. Parker legte seinen behandschuhten Zeigefinger auf die Türklingel. Man hörte deutlich das Rasseln und Scheppern einer rostigen Klingel, doch sie löste keine Reaktion aus.
»Scheint unterwegs zu sein«, meinte Rander verärgert.
»Oder nicht öffnen zu wollen, Sir. Ich rechne mit der zweiten Möglichkeit, falls das Ergebnis meines Denkprozesses überhaupt erwünscht ist.«
»Versuchen Sie’s noch einmal.«
Parker ließ seinen Zeigefinger auf dem Klingelknopf haften. Die Glocke hinter der Tür geriet in Wallung und dröhnte in den Ohren.
»Vielleicht liegt ein Verbrechen vor, Sir?«
»Mit anderen Worten, Sie suchen nach einem Freibrief, um die Tür ohne Chandels Erlaubnis zu öffnen, ja?«
»Das haben Sie gesagt, Sir, nicht ich. Ich würde mir niemals erlauben, zu ungesetzlichen Handlungen zu greifen.«
»Moment, seien Sie doch still, Parker.«
Rander preßte sein Ohr gegen die Türfüllung. Parker beobachtete seinen jungen Herrn. Rander richtete sich nach wenigen Sekunden wieder auf.
»Ich glaubte, ein Stöhnen gehört zu haben«, sagte er.
»Dann wären wir verpflichtet, Sir, uns Einlaß zu verschaffen. Vielleicht ist Mr. Chandels das Opfer eines Unglücksfalles geworden.«
»Ich habe tatsächlich ein Stöhnen gehört«, wiederholte Rander. »Glauben Sie, ich würde mir absichtlich etwas vormachen?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich mir gern einmal die Bauart dieses Schlosses ansehen.«
Parker wartete die Erlaubnis nicht ab, sondern baute sich vor der Tür auf. Er zog sein umfangreiches Schlüsselbund hervor, wählte fachmännisch einen bestimmten, schmalen, gezackten Schlüssel und steckte ihn in das Schloß.
Mike Rander zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß Parker das Schloß bezwang. Und wirklich, Rander hatte seinen Gedanken noch nicht ausgedacht, als Parker höflich zur Seite trat und seine schwarze Melone lüftete.
»Bitte einzutreten, Sir!« Er stieß leicht gegen die Tür, die sofort aufschwang und den Weg in Will Chandels’ Wohnung freigab.
Mike Rander betrat die kleine Diele, wollte hinüber zum Wohnraum gehen und blieb dann jäh stehen.
»Kommen Sie, Parker!« rief er mit entsetzter Stimme. »Mein Gott, ist der arme Teufel zugerichtet worden …!«
Parker folgte seinem Herrn.
Selbst er, der schon viel gesehen hatte, blieb betroffen stehen. Der Mann, der dort auf dem abgeschabten Teppich lag, war nur noch ein menschliches Wrack. Er schien offensichtlich mit starken Kabelenden zusammengeschlagen worden zu sein.
Und dieser erbarmungswürdige Mensch lebte noch. Er hatte die beiden Männer gesehen. Seine Augen weiteten sich. Ob aus Angst oder Hoffnung, war nicht zu erraten. Seine Lippen bewegten sich.
Parker kniete neben dem Mann nieder.
»Wer hat Sie derart zugerichtet?« fragte Parker mit leiser, eindringlicher Stimme. »Sind es die ›Strandhaie‹ gewesen?«
Der Mann nickte schwach.
»Sind es zwei muskelstarke Schläger gewesen?«
Der Mann nickte erneut.
»Sind es Angestellte von Mrs. Ruth Soldan?«
Erneutes Nicken. Der Mann schloß erschöpft die Augen. Durch seinen Körper ging ein feines Beben und Zittern.
»Ist er … tot?« fragte Rander leise.
»Erfreulicherweise nur eine Ohnmacht«, stellte Parker nach einer kurzen Untersuchung fest. »Man sollte ihn allerdings auf dem schnellsten Weg zu einem Arzt schaffen, Sir.«
Rander stieg über den bewußtlosen Mann hinweg und griff nach dem Hörer des Telefonapparates. Mit knappen Worten informierte er die Polizei und bat um einen Krankenwagen.
»Wie geht es ihm?« fragte Rander, als er zurück zu Parker gekommen war.
»Herzlich schlecht, Sir. Dem Zustand der Wunden nach zu urteilen, dürfte dieser Mann schon vor fast einer Stunde derart zugerichtet worden sein.«
»Es waren Ihre beiden Muskelmänner, ja?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Diese beiden Gangster dürften ihn als tot zurückgelassen haben.«
»Ob es Will Chandels ist?«
»Ich glaube ja, Sir. Seine Papiere lauten auf diesen Namen. Wenn Sie erlauben, möchte ich versuchen, noch einmal Kontakt mit ihm aufzunehmen.«
»Klar, versuchen Sie’s …!«
»Mr. Chandels … Mr. Chandels … Wo befindet sich Ihre Freundin, Miss Hastings?«
Parker mußte seine Frage noch einige Male wiederholen, bis Chandels endlich reagierte. Seine Augenlider flatterten, dann öffneten sich seine Lippen.
»Carol …«, flüsterte Chandels. »Carol, paß auf …!«
»Wo ist Carol?« fragte Parker mit scharfer, eindringlicher Stimme.
Will Chandels schüttelte den Kopf. Unmerklich zwar, doch immerhin zu sehen. Entweder wußte er es nicht, oder er wollte es nicht sagen.
»Niemals …!« schrie Chandels dann mit überraschend klarer und lauter Stimme. »Niemals … Kein Wort …!«
Sein etwas angehobener Kopf fiel zurück. Die gnädige Ohnmacht nahm wieder Besitz von ihm.
»Quälen Sie ihn nicht länger«, meinte der junge Anwalt. »Ich glaube, er ist gerade wegen Miss Hastings zusammengeschlagen worden. Er hat ihren Aufenthaltsort nicht verraten.«
»Oder ihn nicht nennen können, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich mich gern unten in der Segelmacherei umsehen. Vielleicht kann ich dort eine Spur aufnehmen.«
Rander nickte nur. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete in Ungeduld auf das Erscheinen der Polizei. Josuah Parker verließ die kleine Wohnung und ging nach unten …
*
»Chandels ist zusammengeschlagen worden?«
Der krummbeinige Artie Lonsdale sah Parker aus zusammengekniffenen, listigen Augen ungläubig an. Er nahm die einfache Nickelbrille von der Nase und putzte sie gedankenvoll mit einem Stück Segeltuch.
»Sie haben nichts gehört?« erkundigte sich Parker.
»Nichts … Hätte ich auch gar nicht hören können. Ich bin ja erst vor ’ner Viertelstunde in die Werkstatt gekommen.«
»Wurde Mr. Chandels häufiger in seiner Wohnung besucht?«
»No, eigentlich kaum. Höchstens mal von seiner Freundin.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Vor Tagen …! Sagen Sie, sind Sie von der Polizei?«
»Ich bin Privatdetektiv«, erklärte Josuah Parker.
»Privatdetektiv? In Filmen sehen die aber immer anders aus.«
»Hier haben wir es, verzeihen Sie diesen Ausdruck, mit der nackten Wirklichkeit zu tun.«
»Und gerade die habe ich mir anders vorgestellt.« Artie Lonsdale schüttelte den Kopf und sah den Butler ungläubig an. »Ich kann nicht verstehen, warum man Chandels das angetan hat. Ist doch immer ein netter Bursche gewesen.«
»Möglicherweise war er zu nett, zu nachgiebig.«
»Verstehe ich nicht.«
»Haben Sie schon etwas von den ›Strandhaien‹ gehört?«
»Die Zeitungen überschlagen sich ja. Alle Spalten sind voll davon.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, geht Mr. Chandels Zustand auf das Konto dieser Gangster. Erfreulicherweise haben diese Gangster aber einen Fehler begangen.«
Artie Lonsdale antwortete nicht, sondern sah Parker nur abwartend an.
»Will Chandels wurde als tot zurückgelassen«, führte der Butler weiter aus. »Doch er lebt noch. Er konnte einige wichtige Aussagen machen.«
»Eben …?«
»Vor wenigen Minuten erst«, antwortete der Butler. »Diese Hinweise sind derartig wichtig, daß ich aus verständlichen Gründen darüber nicht sprechen möchte.«
»Interessiert mich auch nicht. Chandels war ein netter Kerl, aber ich hab’ wenig Kontakt mit ihm gehabt. Er ist ja doch meist unterwegs gewesen.«
»Ich glaube, ich darf Ihre wertvolle Zeit nicht länger in Anspruch nehmen«, meinte der Butler, lüftete seine schwarze Melone und wollte die Werkstatt des Segelmachers verlassen. Er hatte den Ausgang noch nicht ganz erreicht, als ein etwa zwanzigjähriger junger Mann hereinkam. Er trug einige Bierbüchsen im Arm.
»Ist es noch zu früh?« rief er Lonsdale zu. »Oder kann ich jetzt bleiben?«
»Klar …!« brummte der Segelmacher. Er wirkte verlegen.
»Ihr Gehilfe, wenn ich richtig vermute, ja?« Parker wandte sich an Artie Lonsdale.
»Genau. Und bevor Sie noch neugieriger werden, ich habe ihn vor ’ner guten Stunde weggeschickt. Er hatte draußen an ’ner Werft zu tun. Und während dieser Zeit war ich auch weg. Jetzt zufrieden?«
»Aber selbstverständlich, bester Mr. Lonsdale.« Parker lächelte höflich.
»Was mit Chandels passiert ist, weiß ich wirklich nicht«, fügte Lonsdale unnötigerweise noch mal hinzu. »Sein Pech, wenn er sich mit Gangstern eingelassen hat.«
»Sie sagen es, Mr. Lonsdale. Sie sagen es …!« Parker hob seine schwarze Melone noch einmal flüchtig an, um dann die Segelmacherei endgültig zu verlassen.
Er ließ einen Artie Lonsdale zurück, der ihm fast wütend nachstarrte …
*
»Ich habe absolut nichts dagegen, wenn Sie sich auch weiterhin mit den ›Strandhaien‹ befassen«, erklärte Leutnant Richey lächelnd. »Jede Hilfe ist mir willkommen. Ihre Hilfe, Mr. Rander und Mr. Parker, ganz besonders.«
»Eine erfreuliche Haltung, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist«, sagte Parker und verbeugte sich leicht. »Es ergeben sich leider oft gewisse Schwierigkeiten für einen Privatdetektiv.«
»Je schneller wir die ›Strandhaie‹ auffliegen lassen können, desto besser. Sie wissen wahrscheinlich nicht, welch ein Stunk es im Rathaus gegeben hat. Die Hoteliers beschweren sich, das Saisongeschäft droht zu erliegen. Die Touristen reisen scharenweise ab. Alles zittert vor diesen ›Strandhaien‹.«
»Lange dürften sie nicht mehr tätig sein«, erklärte Parker. »Die Gangster haben sich bereits böse Fehler geleistet.«
»Deswegen will ich ja mit Ihnen sprechen.« Leutnant Richey, ein untersetzter, stämmiger Mann von gut und gern fünfundvierzig Jahren, lächelte verbindlich. »Ich würde gern hören, was Sie bisher erreicht haben.«
»Fragen Sie meinen Butler. Er dürfte besser orientiert sein als ich.«
»Also …?« Leutnant Richey drehte sich zu Parker um. Richey konnte ein gewisses amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken. Er konnte es einfach nicht glauben, daß Parker solch ein guter Kriminalist war.
»Ich händige Ihnen mit großem Vergnügen einen belichteten Infrarotfilm aus«, sagte Parker. »Auf diesem Film werden Sie einen als Parkwächter verkleideten ›Strandhai‹, einen kleinen Lieferwagen und ein Außenbord-Motorboot finden, Sir.«
»Haben Sie ihn bei sich?«
»Selbstverständlich, Sir. Er steht zu Ihrer Verfügung. Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich nachfragen, ob Ihnen ein Mord in einer kleinen Werft gemeldet worden ist.«
»Wir haben solch eine Meldung erhalten. Anonym natürlich. Was wissen Sie darüber?«
»Das ist jener ›Strandhai‹, Sir, von dem ich gerade sprach. Er lieh sich Mütze und Mantel eines tatsächlichen Parkwächters aus, um die Übergabe einer Geldsumme zu tätigen. Ich nahm mir die Freiheit, diesen Mann zu beschatten. Die Fahrt endete in einem kleinen Holzbau, der zu einer Bootswerft gehört. Dort bekam ich Kontakt zu einem ›Strandhai‹, der meiner bescheidenen Ansicht nach vielleicht sogar der Gangsterchef ist. Ich nehme es heute noch als eine Fügung des Himmels, daß ich wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.«
»Man hat Sie laufen lassen?« staunte Leutnant Richey.
»Was wollte man mit einem alten, verbrauchten Butler schon beginnen, Sir. Ich wurde auf freien Fuß gesetzt, nachdem man mich allerdings nachdrücklich verwarnte. Wenige Stunden später, als ich in das Holzhaus zurückkehrte, traf ich den richtigen Parkwächter, der sich seinen Mantel und die Dienstmütze zurückholen wollte. Dieser entsetzte Mann war bereits auf die Leiche des falschen Parkwächters gestoßen.«
»Verdammt, warum haben Sie mich nicht sofort verständigt?«
»Die Turbulenz der allgemeinen Lage ließ das leider nicht zu, Sir. Ich bedaure das unendlich. Aber Sie haben ja den belichteten Film.«
»Immerhin ein Trost, Parker. Jetzt möchte ich aber wissen, wieso Sie an den Fotografen Will Chandels geraten sind? Was hat er mit den ›Strandhaien‹ zu tun? Sie müssen doch irgendeinen Tip bekommen haben.«
»Nicht gerade einen Tip, Sir. Die Spur, die mich auf Mr. Chandels hinwies, war die Frucht sorgfältiger Überlegungen.«
»Ach nee …!« Leutnant Richey sah den Butler verdutzt an.
»Ich suchte und suche immer noch nach einer Person, die mit den in Miami wohnenden Touristen besonders gut vertraut ist, Sir. Es mußte und muß sich um eine Person handeln, die weiß, wo die Opfer der ›Strandhaie‹ abgestiegen sind.«
»Und da kamen Sie so einfach auf Chandels?«
»Wie sich herausstellte, Sir, muß ich richtig überlegt haben. Als Mr. Rander und meine Wenigkeit Will Chandels besuchten, fanden wir ihn halbtot vor. Er dürfte, wie der Augenschein es lehrt, von Gangstern derart übel zugerichtet sein.«
»Sie sind ein geschickter Schwindler, Parker.« Leutnant Richey grinste. »Sie haben mir eine Menge verschwiegen, davon bin ich fest überzeugt. Sie wissen doch, daß Sie in einem Mordfall verpflichtet sind, alle Ihnen bekannte Tatsachen der Polizei zu melden, oder?«
»Das ist mir selbstverständlich bekannt, Sir.«
»Also dann raus mit der Sprache, Parker! Das gilt auch für Sie, Mr. Rander. Ich will wissen, welche Spuren Sie sonst noch entdeckt haben.«
»Sir, wenn Sie mich, wenn auch durchaus legal, zwingen, vorzeitig meine Karten auf den Tisch zu legen, verliere ich jedes innere Interesse an diesem Fall«, antwortete Parker würdevoll. »Sie sollten etwas Vertrauen haben. Ich verbürge mich dafür, in spätestens vierundzwanzig Stunden den gelösten Fall präsentieren zu können.«
»Ihnen, Leutnant Richey«, warf Mike Rander ein. »Sie werden von Parker alle Unterlagen bekommen, die zu einer Anklageerhebung notwendig sind.«
»Und wenn Parker etwas passiert?«
»Dann bin noch immer ich da, der Ihnen die Tips geben kann, Leutnant. Willigen Sie ein! Lassen Sie Parker und mich ungestört arbeiten! Ich schlage Ihnen folgenden Vergleich vor. Sie geben uns vierundzwanzig Stunden Zeit. Wenn wir es bis dahin nicht geschafft haben, bekommen Sie alle Resultate, die wir bisher kennen.«
Leutnant Richey drückte nachdenklich die Zigarette aus. Er sah zuerst Rander, dann dessen Butler an. Schließlich nickte er.
»Ich mache keine Schwierigkeiten«, sagte er. »Die Abmachung gilt! Ich lasse mich nur deshalb darauf ein, weil ich weiß, wer Sie sind. Vierundzwanzig Stunden, Parker. Sie werden sich beeilen müssen.«
»Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis«, gab Parker zurück. »Ihre Haltung wird mich beflügeln, meine Arbeit vorantreiben und meine Gedanken inspirieren.«
Leutnant Richey sah Mike Rander etwas hilflos an. Eine barocke Ausdrucksweise dieses Umfangs war ihm bisher fremd gewesen.
»Eine andere Frage«, sagte Rander. »Wie geht es Will Chandels? Wird er durchkommen?«
»Die Ärzte haben nicht viel Hoffnung«, erwiderte der Kriminalbeamte. »Sagen Sie, Parker, hat Chandels eigentlich gesprochen, als Sie ihn fanden?«
»Das, Sir, fällt bereits unter unsere Abmachung, der beizutreten Sie bereits zustimmten.«
»Wie ich es mir doch gedacht habe. Er hat also gesprochen. Ich muß wissen, was er gesagt hat. Wen hat er belastet? Konnte er die Gangster erkennen?«
»Sie vergessen unsere gerade getroffenen Abmachungen«, warnte Anwalt Mike Rander. »Leutnant, wir sind nicht versessen darauf, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden. Wir wollen nicht unsere eigene Suppe kochen und die Polizei hintergehen. Die Lösung dieses Falls sollen Sie allein bekommen. Parker und ich werden dann möglichst unauffällig verschwinden.«
»Scheußliches Gefühl, nichts unternehmen zu können«, meinte Leutnant Richey. »Aber mein Wort gilt. Sie brauchen vor vierundzwanzig Stunden nichts zu sagen.«
»Wenn mir ein Hinweis erlaubt ist, Sir, könnten Ihre Leute sich mit dem Segelmacher Artie Lonsdale beschäftigen. Meiner Ansicht nach scheint er in gewissen Punkten zu lügen. Er dürfte etwas von den ›Strandhaien‹ wissen, die Mr. Chandels überfallen haben.«
»Ich wette, Sie wollen mich nur ablenken, Parker.«
»Das würde ich mir niemals erlauben, Sir.« Parker sah sehr treuherzig aus. »Aber finden Sie nicht auch, daß man jeder noch so unwichtigen Spur nachgehen sollte?«
»Sie haben es faustdick hinter den Ohren«, fand Leutnant Richey.
»Wem sagen Sie das«, pflichtete Mike Rander dem Leutnant bei. »Ich lebe schließlich mit ihm zusammen …!«
*
Mrs. Ruth Soldan war ausgesprochen nervös, als Josuah Parker vor ihr auftauchte. Mit ihm hatte sie hier und um diese Zeit bestimmt nicht gerechnet.
Das Wasserballett ›The Dolphin of Miami‹ war bei der Arbeit und tummelte sich im magisch angestrahlten Wasser eines großen Schwimmbeckens, das zu einem jener vielen Luxushotels gehörte, die den Strand säumten.
Immer wieder rauschte begeisterter Beifall auf, wenn die weiblichen Delphine eine besonders gelungene Figur schwammen. Buntes Scheinwerferlicht erhellte die Dunkelheit. Der Wasserzirkus der Mrs. Soldan, wie es in der Presse hieß, bewies wieder einmal, daß es sich um echte Sonderklasse handelte.
»Sie?« fragte Mrs. Soldan. Ihre Stimme klang wesentlich friedlicher als beim ersten Besuch des Butlers.
»Ich werde Ihre kostbare Zeit nur für wenige Sekunden beanspruchen«, beruhigte Parker die drahtige Frau. »Ich möchte mich in aller Form nach jenen beiden Männern erkundigen, auf die ich am Rande Ihres Trainingsbeckens traf.«
»Was wollen Sie von ihnen? Ich habe sie rausgeschmissen. Sie wurden zu unverschämt, zu aufdringlich. Sie ließen meine Girls nicht in Ruhe.«
»Ihr Verschleiß an Personal ist erstaunlich«, stellte der Butler fest. »Zuerst Miss Carol Hastings, und nun die beiden Angestellten.«
»Das ist doch wohl meine Sache. Haben Sie die Hastings aufgespürt? Falls ja, würde mich ihre Adresse interessieren. Sie schuldet mir noch Geld.«
»Ich werde es ihr ausrichten.«
»Sie wissen, wo sie steckt?«
»Ich erfuhr es von Mr. Will Chandels.«
»Wer ist denn das?« tat die Frau arglos. Doch am Aufblitzen ihrer Augen stellte der Butler fest, daß dieser Name gezündet hatte.
»Es handelt sich um den Freund von Miss Hastings. Er wurde leider von zwei Gangstern zusammengeschlagen, wenn ich dieses Slangwort einmal gebrauchen darf. Die beiden Gangster ließen Mr. Chandels als vermeintlich tot zurück, doch sie irrten sich.«
»Hört sich ja an wie eine Schauergeschichte aus dem Fernsehen.«
»Leider handelt es sich um die rauhe Wirklichkeit. Falls es Sie interessiert, Mrs. Soldan, die beiden Gangster wollten aus Chandels herausbekommen, wo sich seine Freundin Hastings versteckt hält. Erstaunlicherweise hielt Mr. Chandels alle Foltern durch und sagte nichts. Mir aber sagte er freimütig, wer die beiden Angreifer gewesen sind.«
»Wußte er denn, wo seine Freundin steckt?«
»Auch das, Mrs. Soldan. Verständlicherweise möchte ich darüber nicht sprechen.«
»Ich will mit diesen Gangstergeschichten nichts zu tun haben«, erklärte Mrs. Soldan nachdrücklich. »Mein Wasserballett beschäftigt mich ohnehin ausreichend.«
»Ist es nur das Wasserballett?« fragte Parker.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Was ich von Mr. Chandels hörte, klang wesentlich anders.«
»Dann phantasiert er. Und Sie, Mr. Parker, langweilen mich. Entschuldigen Sie mich jetzt. Ich habe zu tun.«
Sie ließ den Butler einfach stehen und verschwand zwischen den Badekabinen, die als Umkleidegarderoben für das Wasserballett dienten. Josuah Parker hielt es für taktisch richtig, Mrs. Ruth Soldan nicht aus den Augen zu lassen.
Die drahtige Chefin der Delphine benutzte einen Seitenweg und ging sehr eilig auf den Bus zu, der hinter einer niedrigen Buschgruppe stand. Mit großen Lettern stand an den Seitenflächen des Busses: The Dolphin of Miami.
Er hörte hinter sich nur noch das feine Knacken eines dünnen Zweiges, dann schien eine Granate dicht über seinem Genick zu explodieren. Ohne einen Laut von sich zu geben, sackte der Butler in sich zusammen. Und diesmal hatte er keine Möglichkeit, Theater zu spielen. Diesmal war er voll getroffen worden.
*
Als Parker wieder zu sich kam, war er unangenehm berührt.
Natürlich erinnerte er sich sofort seines Betriebsunfalls. Beim Beobachten des Busses war er aus dem Hinterhalt niedergeschlagen worden. Nun befand er sich in dem fahrenden Autobus, hatte aber keine Möglichkeit, sich zu rühren.
Wieder einmal war der Butler gefesselt worden. Er saß auf einem weichen Ledersitz. Starke Stricke hielten ihn am chromblitzenden Gestänge fest.
Nach draußen auf die Fahrbahn konnte Josuah Parker nicht sehen. Die Scheibengardinen waren zugezogen worden. Neben dem Fahrer des Busses erkannte Parker die Umrisse zweier anderer Männer. Er ahnte sofort, daß es sich nur um die beiden Schläger handeln konnte, die er vor Stunden auf nackten Füßen zurückgelassen hatte.
Parker machte sich sofort an die Arbeit, die lästigen Stricke loszuwerden. Er hatte die Rechnung ohne die Schläue der ›Strandhaie‹ gemacht. Diesmal waren die Gangster noch vorsichtiger gewesen. Inzwischen wußten diese Leute ja, wer Parker war und wie geschickt er sein konnte. Auf ein Risiko ließen sie sich nicht mehr ein.
Sein Universal-Regenschirm befand sich leider nicht in erreichbarer Nähe. Er kam also nicht an den eingebauten Stockdegen heran. Und ohne Messer war eine Befreiung nicht möglich.
Oder etwa doch …?
Parker strammte die Stricke, die seine Handgelenke zusammenhielten. Nach kurzer Prüfung war er zufrieden. Die Stricke strammten sich über seine schneeweißen Manschetten. Das war schon erfreulich. Daraus ließ sich zur richtigen Minute Kapital herausschlagen.
Parker wunderte sich nicht, daß die beiden Schläger sich wieder auf freiem Fuß befanden. Man hatte sie wahrscheinlich gegen Zahlung einer hohen Kaution aus der Haft entlassen. Hoffentlich waren die Polizeibehörden aber so klug und ließen die beiden Männer beschatten. Falls das so war, durfte Parker mit einer baldigen Befreiung rechnen.
Wohin diese Fahrt ging, wußte er nicht.
Und schneller als erwartet, bog der Bus plötzlich scharf nach rechts ab, rumpelte und holperte über einen scheinbar tief ausgefahrenen Feldweg und blieb dann mit pfeifenden Luftbremsen stehen. Die beiden Männer neben dem Busfahrer erhoben sich und kamen auf den Butler zu.
Josuah Parker erkannte die Gesichter dieser beiden Männer. Es waren die Schläger, die von Mrs. Ruth Soldan angeblich entlassen worden waren. Sie grinsten Parker tückisch an.
»Mach dich auf was gefaßt, Alter«, sagte der Wortführer der beiden Gangster. »Jetzt sind wir mal an der Reihe!«
»Darf ich höflich fragen, was Sie mit mir anzufangen gedenken?«
»Dreimal darfst du raten, Alter.«
»Ich möchte Ihren Plänen nicht vorgreifen«, gab Parker würdevoll zurück. »Ich darf wohl unterstellen, daß ich Mrs. Soldan diese kleine Spazierfahrt zu verdanken habe, nicht wahr?«
»Sie sind ein alter, schlauer Knabe«, sagte der zweite Gangster und nickte. »Aber mit der Schlauheit werden Sie nichts mehr anfangen können. Wir haben einen netten Spaß mit Ihnen vor.«
»Sie machen mich neugierig.«
»Los, stehen Sie auf!« Der Wortführer der beiden Gangster zog den Butler vom Sitz hoch und zerschnitt die haltenden Stricke. Anschließend wurden Parkers Fußfesseln geöffnet. Er sollte auf seinen zwei Beinen den Bus verlassen.
Die beiden Gangster ließen den Butler nicht aus den Augen. Der Fahrer des Busses gesellte sich zu ihnen. Es war ein Mann, den der Butler bisher noch nicht gesehen hatte. Ihm fiel auf, daß dieser Mann sehr gut und überhaupt nicht wie ein Busfahrer gekleidet war. Dieser Mann hielt sich vollkommen zurück und mischte sich nicht in die rüde Unterhaltung seiner beiden Begleiter ein.
Als Parker aus dem Bus stieg, wehte ihm kühle, salzige Luft entgegen. Er befand sich also in der Nähe der See. Welchen Spaß die Gangster sich ausgedacht hatten, lag nun auf der Hand. Parker machte sich keine Illusionen. Er sollte den Haien zum Fraß vorgeworfen werden …
*
Fünf Minuten später lag der Butler bereits in einem seegängigen Motorboot. Er wunderte sich ehrlich darüber, daß man nicht versuchte, ihm Fragen zu stellen. Hatten die ›Strandhaie‹ plötzlich kein Interesse mehr am Verbleib von Carol Hastings? Oder sollten sie die junge tizianrote Dame inzwischen schon gefunden haben?
Die beiden Gangster hatten es sich auf einer seitlichen Sitzbank bequem gemacht. Der sehr schweigsame Busfahrer handhabte das Ruder des Motorbootes. Er hatte die Sundbrücke mit der A 1 A bereits hinter sich gelassen und steuerte die hohe See an. Die beiden starken Motoren arbeiteten mit voller Kraft. Die Gangster hatten es sehr eilig, den Butler loszuwerden.
Parker nutzte die Dunkelheit, um an sich und den Stricken zu arbeiten. Er dachte nicht im Traum daran, die Hoffnung zu verlieren. Ein Mann wie Josuah Parker gab sich niemals geschlagen.
Nach einer guten halben Stunde stoppte das Boot. Der Mann am Ruder verließ den Ruderstand, kam die kleine Treppe hinunter und baute sich vor dem Butler auf.
»Es ist soweit«, sagte er mit ruhiger, gelassener Stimme. »Damit wäre Ihre Karriere als Schnüffler beendet, Parker!«
»Sie enttäuschen mich sehr, wenn mir diese freimütige Äußerung erlaubt ist.«
»Enttäuschen? Ich Sie …?«
»Sie wollen mich nicht nach dem Aufenthaltsort von Miss Hastings fragen? Ich hatte fest damit gerechnet.«
»Nicht mehr interessant.«
»Aber gerade wegen dieser Frage haben Ihre beiden Leute doch Will Chandels gefoltert und fast ermordet.«
»Chandels ist tot …!« antwortete der Mann. »Verstehen Sie jetzt, Parker? Was die kleine Hastings auch immer sagen wird, sie kann nichts beweisen. Die Hastings ist als Kronzeuge ausgefallen. Die Hastings werden wir ohnehin früher oder später erwischen. Das ist nur eine Frage von Stunden. Ihr Chef wird uns dabei unterstützen.«
»Sie haben Mr. Rander in Ihre Gewalt gebracht?«
»Der ist nach Ihnen an der Reihe, Parker. Sie sind gefährlich. Deshalb dürfen Sie als erster baden gehen.«
»Sie wollen mich tatsächlich ins Wasser werfen?«
»Erraten, Parker …!«
»Dann erlauben Sie mir einige abschließende Fragen.«
»Wozu sollen die gut sein?«
»Sind Sie der Chef der ›Strandhaie‹?«
»No, soweit habe ich es noch nicht gebracht.«
»Ist es Mrs. Soldan?«
»Auch nicht, Parker. Hören Sie auf! In wenigen Sekunden können Sie sich mit wichtigeren Dingen befassen.«
»Und die wären, wenn ich neugierig sein darf?«
»Kosten Sie Ihren Tauchversuch bis zur bitteren Neige aus, Parker. Sie haben uns gegenüber zu sehr aufgedreht. Dafür werden Sie jetzt zahlen. Ihr Pech!«
»Ein relativ schwacher Trost«, stellte der Butler fest. »Es hat wohl keinen Sinn, Ihnen Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, nein?«
»Völlig sinnlos. Unser Boß hat befohlen, Sie ins Wasser zu schmeißen. Daran werden wir uns halten.«
»Es würde auch nicht stören, daß ich Beweisstücke gegen Ihre Gang so sicher untergebracht habe, daß sie nach meinem Tod von ganz allein zu reden beginnen werden?«
»Uninteressant, Parker. Wenn Sie tot sind, ist der ganze Krempel wertlos. Los, Jungs, bringt die Gewichte! Wir wollen keine Zeit verlieren!«
Parker starrte auf die beiden Muskelmänner, die sehr rührig waren. Sie schleppten einige Fischerkugeln herbei, die zum Beschweren von Fischnetzen dienten. Schnell und geschickt wurden diese schweren Stahlkugeln an Parkers Füßen festgeknotet. Wenn man den Butler ins Wasser warf, dann mußte er dank dieser Gewichte wie ein schwerer Zementbrocken untergehen.
»Darf ich eine Bitte äußern?« Parker wandte sich an den Mann, der den Vorbereitungen für Parkers Tauchfahrt zusah.
»Beeilen Sie sich …!«
»Würden Sie mir gestatten, meinen Regenschirm mitzunehmen?«
»Den mit dem Degen? Ausgeschlossen! Uns legen Sie nicht noch einmal rein, Parker. Machen Sie sich doch nichts vor. Diesmal sind Sie wirklich reif. Ich gebe keinen Cent für Ihr Leben. Los, Jungens, stoßt ihn ins Wasser! Sonst macht er im letzten Augenblick noch Mätzchen.«
Die beiden Gangster griffen nach Parker und richteten ihn auf.
»Noch ganz schnell eine Frage«, bat Parker. Seine Stimme klang weder erregt noch nervös.
»Schön, spucken Sie sie aus.«
»Ist Artie Lonsdale ein Mitglied Ihrer Gang?«
»Und wenn …?«
»Ich würde es gern zum Abschied wissen.«
»Er gehört zu uns. Wie Chandels zu uns gehört hat. Wie die kleine Hastings und wie alle die Bikininixen der Soldan. Jetzt zufrieden?«
»Wenn ich doch nur wüßte, wer der Chef der ›Strandhaie‹ ist?« seufzte Parker. »Erfüllen Sie den letzten Wunsch eines alten Mannes.«
»Den Teufel werde ich tun …! Schmeißt ihn ins Wasser, Jungens. Ich bin erst ruhig, wenn er auf Grund gekommen ist.«
Die beiden Muskelmänner griffen hart und unnachgiebig zu. Sie hoben den Butler samt den Fischerkugeln an, gaben dieser Ladung einen kräftigen Schwung und ließen sie los.
Hoch spritzte das Wasser auf, als Parker eintauchte.
Der Begleiter der beiden Muskelmänner richtete einen Suchscheinwerter auf die Wasseroberfläche. Das helle Licht strahlte die schwarze steife Melone an. Dann erfaßte sie den Universal-Regenschirm, der sich langsam und melancholisch im Kreise drehte.
Luftblasen blubberten hoch.
Einer der beiden Muskelmänner lachte triumphierend auf.
»Halt den Mund«, sagte der Mann am Scheinwerfer. Seine Stimme klang böse und scharf, war noch nicht einmal besonders laut. Der Mann schaltete den Scheinwerfer ab und wandte sich dem Ruder zu. Sekunden später sprangen die beiden Motoren an.
Der Mann ließ das Boot auf der Stelle treiben. Dann griff er mit einer schnellen Bewegung noch einmal nach dem Suchscheinwerfer und schaltete ihn ein. Noch einmal leuchtete er die Wasseroberfläche ab.
»Der ist doch längst unten«, meinte der Gangster, der am Kajütenaufbau stand.
»Bei diesem raffinierten Burschen ist das noch fraglich«, murmelte der Mann am Ruder. Er gab sich einen Ruck, schaltete das Getriebe und zog das Boot in eine elegante, scharfe Kurve.
Die Motoren heulten auf.
Mit hoher Bugwelle rauschte das Boot zurück nach Miami-Beach …
*
Carol Hastings zuckte zusammen wie ein ertappter Dieb. Sie erinnerte sich schwach, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Da sie ohnehin ein schlechtes Gewissen hatte, zog sie sich langsam in die Ecke des Zimmers zurück.
»Keine Angst, ich bin schließlich kein ›Strandhai‹«, sagte Mike Rander und lächelte beruhigend. »Sie können von Glück sagen, daß ich Sie aufgespürt habe und nicht Ihre früheren Freunde.«
»Sind Sie … von der Polizei?«
»Ich bin Anwalt«, gab Rander wahrheitsgemäß zurück. »Wenn mich nicht alles täuscht, werden Sie bald einen brauchen, Miss Hastings.«
»Ich verstehe nicht …« Sie wollte noch mehr sagen, doch sie schloß den Mund. Sie hatte Angst, sich zu verplappern.
»Sie sind ein Lockvogel der ›Strandhaie‹ gewesen und dann ausgestiegen«, ging Mike Rander auf sein Ziel los. »Sie dürften genau im richtigen Moment ausgestiegen sein. Die ›Standhaie‹ geben sich nicht mehr mit kleinen Erpressungen ab.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Sie sah ihn trotzig an. Sie hatte sich entschieden, alles abzustreiten.
»Denken Sie mal an Ihre aufgeplatzte Handtasche«, meinte der junge Anwalt. »Lippenstift, Geldbörse und Schlüsselbund kollerten zu Boden. Währenddessen wurden meine Dollar aus dem Wagen geholt. Wissen Sie, daß der angebliche Parkwächter nicht mehr lebt?«
»Stan Tarpon?« entrutschte es ihr wider Willen.
»Genau, Stan Tarpon«, wiederholte Rander in einem Ton, als sei ihm dieser Name längst bekannt. »Er ist von den ›Strandhaien‹ umgebracht worden.«
»Mein Gott …!« Sie flüsterte nur noch. Sie vergaß ihre Angst vor Mike Rander und kam zögernd auf ihn zu.
»Die ›Strandhaie‹ bauen ihre Organisation ab«, erklärte der junge, sympathische Anwalt. »Ihnen ist der Boden zu heiß geworden. Aus reiner Abenteuerlust dürften Sie Ihren Job bei Mrs. Soldan auch nicht gerade aufgegeben haben, oder?«
»Ich wollte nicht mehr mitspielen.«
»Ich weiß. Ich habe Sie gesehen, als Sie sich von Ihrem Begleiter im ›Zero‹ sehr abrupt verabschiedeten.«
Sie sah ihn aufmerksam an, aber sie sagte nichts.
»Es hat mich gewundert, daß Sie sich nicht mit Ihrem Freund Will Chandels in Verbindung gesetzt haben.«
»Sie kennen Will auch?«
»Er ist doch Ihr Freund, oder?«
»Jetzt nicht mehr. Oder … ich weiß es nicht. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Weil Will Chandels nach wie vor für die ›Strandhaie‹ arbeitet, nicht wahr?«
»Woher wollen Sie diese Einzelheiten eigentlich wissen?«
»Ich bin nicht nur Anwalt, Miss Carol, sondern besitze auch eine Lizenz als Privatdetektiv.«
»Kann ich eine Zigarette haben?« wechselte sie das Thema. Rander nickte und versorgte sie mit einer Zigarette und mit Feuer. Tief sog sie den Rauch ein. Sie hüstelte leicht.
»An sich bin ich froh, Miss Carol, daß Sie sich von Chandels getrennt haben«, nahm Mike Rander den Faden wieder auf.
»Wieso …?« Noch verstand sie seine Andeutung nicht.
»Nun ja, Will Chandels ist mit den ›Strandhaien‹ aneinandergeraten.«
»Will …? Was ist ihm passiert? Nun sagen Sie doch schon, was mit ihm los ist.« Sie liebte ihn nach wie vor, das war deutlich zu sehen und zu hören.
»Zwei Muskelmänner tauchten in seiner Wohnung über der Segelmacherei auf und dürften sich bei ihm nach Ihrem jetzigen Aufenthalt erkundigt haben. Kannte er ihn?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihn vielleicht morgen angerufen. Ich wollte erst nachdenken. Was ist Will passiert? Ist es sehr schlimm …?«
Mike Rander nickte nur.
Sie starrte ihn plötzlich wissend an. Ihre Augen öffneten sich weit. Ein trockenes Schluchzen schüttelte sie durch. Sie mußte sich setzen. Mechanisch hob sie die Zigarette an den Mund, aber sie rauchte nicht.
»Zwei Schläger sind es gewesen«, sagte Rander leise. »Es sind Angestellte von Mrs. Soldan. Sie werden sie kennen. Sie wollten unbedingt wissen, wo Sie sich versteckt hielten. Die ›Strandhaie‹ hatten Angst, Sie könnten zur Polizei gehen. Die Gangster wissen, daß Sie sehr wertvolle Hinweise geben können. Vielleicht kennen Sie sogar den Chef der Bande. Ist es nicht der Mann, mit dem Sie im ›Zero‹ zusammen waren?«
»Sie haben ihn also umgebracht«, murmelte sie. »Einfach umgebracht. Und er wußte gar nicht, wo ich war. Er hätte ihnen nichts sagen können.«
»Diesen Mördern muß man das Handwerk legen. Wenn Sie mir dabei helfen, wird es klappen, Miss Carol.«
»Ich werde Ihnen helfen. Ich sage, was ich weiß.«
»Es ist so oder so Ihre einzige Rettung. Die ›Strandhaie‹ sind hinter Ihnen her, Miss Carol. Sie wissen zuviel.«
»Jetzt habe ich keine Angst mehr«, sagte sie leise, aber entschlossen. »Jetzt lasse ich es darauf ankommen. Was wollen Sie wissen?«
»Alles …!«
»Hören Sie genau zu«, entgegnete sie und stand auf. »Wer der Boß der ›Strandhaie‹ ist, weiß ich nicht. Aber die Soldan weiß Bescheid. Halten Sie sich an sie!«
»Sie sollten mir alles der Reihe nach erzählen«, schlug Mike Rander vor. »Wenn Sie erlauben, werde ich meinen Butler anrufen.«
»Dort steht das Telefon.«
Mike Rander wählte die Nummer des Bay-Beach-Hotels und bat um eine Verbindung mit seinem Butler. Als er hörte, daß Mr. Josuah Parker nicht im Hause war, legte er den Hörer nachdenklich zurück. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß seinem Butler etwas passiert war. Es war eine reine Vermutung, für die er keinen Beweis antreten konnte.
»Beginnen wir mit dem Mann, mit dem Sie sich im ›Zero‹ gestritten haben«, schlug Rander vor. Er schüttelte seine Besorgnis gewaltsam ab. »Wer ist dieser Mann gewesen?«
»Lew Sheridan. Er ist Parkplatzwächter und arbeitet mit allen großen Hotels zusammen.«
»Das paßt haargenau in den Rahmen«, meinte Rander. »Eines kann ich Ihnen versprechen, Miss Carol, die ›Strandhaie‹ werden bezahlen müssen. Und zwar in voller Höhe!«
Er hörte aufmerksam zu, was Carol Hastings ihm zu erzählen hatte. Er wunderte sich von Minute zu Minute mehr darüber, wie gut die junge Frau mit dem tizianroten Haar informiert war …
*
Josuah Parker holte tief Luft, bevor das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug. Die schweren Fischerkugeln zerrten an seinem Körper und zogen ihn nach unten. Parkers Arme und Füße waren gebunden. Es gab keine Möglichkeit, noch einmal an die Wasseroberfläche zu gelangen. Parker hatte verspielt. Seine Stunde schien geschlagen zu haben …
Nun, der Butler dachte nicht im Traum daran, aufzugeben. Nicht umsonst trug er schneeweiße Hemdmanschetten, die dazu noch gestärkt waren. Diese Manschetten sollten seine Rettung sein. Er trug sie schließlich nicht ohne Absicht.
An dieser Stelle sei verraten, daß diese gestärkten Manschetten mit dünnem Stahlblech ausgefüttert waren. Und über diesen kurzen Manschetten strammten sich die Stricke, die seine Handgelenke Zusammenhalten sollten. Selbst das starke Zuziehen dieser Stricke hatte nicht bewirken können, daß sich die Manschetten mit Stahlblecheinlage verformten.
Parker brauchte nun also nur noch seine geschmeidigen Hände durch die Manschetten zu ziehen. Und schon waren die Hände frei und konnten für wichtigere Dinge eingesetzt werden.
Parker mußte sich höllisch beeilen, um die schweren Gewichte von den Beinen zu bekommen. Aufknoten ließen sich diese Stricke nicht. Dazu hätte Parker die Zeit, vor allen Dingen aber auch die Luft gefehlt. Doch auch in dieser Situation wußte er sich natürlich zu helfen. Ein Mann wie Josuah Parker baute immer vor, plante alles im voraus ein. Er ließ es niemals auf Zufälle ankommen.
Die freien Hände tasteten nach der imposanten Krawattennadel. Blitzschnell wurde sie herausgezogen. Der lange, nadelspitze Anstecker war nichts anderes als eine ungemein scharfe Säge aus Spezialstahl. Diese Krawattennadelsäge brauchte nur eine knappe Sekunde, um die lästigen Fischerkugeln abzutrennen. Sie verschwanden in der unergründlichen Tiefe der See, ohne den Butler mit nach unten zu nehmen.
Parker erhielt Auftrieb. Körperlich wie auch seelisch. Er beging jedoch nicht den Fehler, schnurstracks aufzutauchen. Er brauchte nur nach oben zu schauen, um zu wissen, was gespielt wurde. Einige Meter über seinem Kopf wurde die Wasseroberfläche angestrahlt. Die drei Gangster im Motorboot vergewisserten sich, daß er auch wirklich nicht mehr auftauchte.
Als höflicher Mensch wollte Parker seinen Feinden diese Freude nicht nehmen. Er schwamm also ein Stück von diesem Lichtfleck weg, tauchte dann schleunigst auf und füllte sich die Luft in die Lungen. Daß er bei diesem Unterwassermanöver auch ganz zufällig seinen dahintreibenden Universal-Regenschirm fand, sei nur am Rande vermerkt. Es schien fast so, als sei der Regenschirm beharrlich hinter Parker hergeschwommen.
Was er übrigens wirklich getan hatte.
Ein dünner, aber zäher Nylonfaden hatte die Verbindung zwischen Parker und dem Regenschirm hergestellt. Der Butler spulte diesen Faden nun auf und durfte sich wieder seines Universal-Regenschirms erfreuen.
So ausgerüstet, schwamm er vorsichtig an das Motorboot heran. Er erreichte es in dem Augenblick, als beide Motoren angelassen wurden. Parker benutzte den Bambusgriff seines Schirms, um sich einen festen Halt zu verschaffen.
Er fand ihn.
Der Bambusgriff hakte sich hinter das Gestänge einer schweren Angelvorrichtung, wie sie für den Fang von Fischen, von Haien aufwärts verwandt wurde. Parker entspannte sich und wartete auf das Startsignal. Er hatte nämlich keineswegs die Absicht, zurück nach Miami-Beach zu schwimmen. Wenn es sich ermöglichen ließ, wollte er diese Rückfahrt als illegaler Anhalter mitmachen.
Die beiden Motoren röhrten auf. Hoch schäumte das Wasser auf. Parker bekam einen gehörigen Schwall davon ab, doch das vermochte ihn nicht mehr zu erschüttern. Wie ein unheimlich großer schwarzer Fisch aussehend, ließ er sich von dem schnellen Boot zurück an die Küste bringen. Er hoffte nur, daß nicht einer der Gangster zufällig über Bord schaute und ihn dabei entdeckte. Doch damit war in dieser Dunkelheit nicht zu rechnen.
Was Parker in der nächsten halben Stunde über sich ergehen lassen mußte, hätte einen normalen Sportsmann gewiß außer Fassung gebracht. Es gehörten schon Nerven und Muskeln dazu, den Regenschirm nicht loszulassen. Die schnelle Fahrt zerrte und riß am Körper des Butlers. Zeitweise wurde die Luft mehr als knapp. Die hoch aufschäumende Heckwelle peitschte immer wieder gegen den Körper des Butlers. Es war schon eine Höllenfahrt, der Parker sich unterzog. Aber er wußte schließlich, warum. Er hatte die feste Absicht, den ›Strandhaien‹ das Handwerk so schnell wie möglich zu legen.
Endlich war es soweit.
Das Boot minderte seine Fahrt. Parker konnte, wenn er mühsam den Kopf hob, die Lichterkette der Strandpromenade erkennen. Das Motorboot legte sich in eine scharfe Kurve und hielt den Bug dann auf die Bayeinfahrt zu.
Es war geschafft.
Nun kam alles darauf an, ob der Butler noch genügend Kraftreserven besaß, um den ›Strandhaien‹ im Nacken zu bleiben …
*
»Ich weiß nicht, ob Sie hier sicher sind«, meinte Anwalt Rander. »Ich könnte zum Beispiel beschattet worden sein. Wir sollten uns besser um eine neue Unterkunft kümmern.«
»Die ›Strandhaie‹ werden mich überall finden. Sie ahnen nicht, wie raffiniert Lew Sheridan ist.«
»Auch er kocht nur mit Wasser«, gab Rander lächelnd zurück. »Packen Sie das Notwendigste zusammen, Carol. Ich werde Sie aus der Schußlinie herausbringen.«
»Gut, wenn Sie meinen …! In ein paar Minuten bin ich fertig.«
Sie hatte nicht zuviel versprochen. Nach fünf Minuten schon konnte Mike Rander ihren Koffer in die Hand nehmen. Carol Hastings übernahm die Reisetasche. Sie stahlen sich aus dem Zimmer, gingen leise den schwach erleuchteten Korridor des Motels herunter und betraten den Innenhof.
»Mein Wagen steht vor der Barriere auf dem Parkplatz«, sagte Mike Rander. »Ich denke, wir fahren erst mal hinauf nach Fort Lauderdale. Dort wird kein ›Strandhai‹ nach Ihnen suchen.«
Carol Hastings antwortete nicht. Sie hatte Angst, hatte begriffen, daß es um ihr Leben ging.
Mike Rander war sicher, daß er auf seinem Weg hierher ins Motel nicht verfolgt worden war. Dennoch machte er sich Sorgen. Sie galten seinem Butler Parker. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Mit den ›Strandhaien‹ war weiß Gott nicht zu spaßen. Das hatte sich im Fall Will Chandels ja deutlich gezeigt.
Sie verließen das Motel und gingen auf Mike Randers parkenden Wagen zu. Der Anwalt öffnete zuerst die Kofferhaube, um das Gepäck von Carol Hastings unterzubringen. Als er die Kofferhaube wieder schloß, hörte er neben sich einen unterdrückten Aufschrei.
Hastig wandte Rander sich um. Er wollte noch blitzschnell nach seiner 38er Automatic greifen, doch zu spät.
»Lassen Sie das Ding stecken«, redete ihn ein sagenhaft krummbeiniger Mann von etwas fünfzig Jahren an. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ er Mike Rander in die Mündung eines 45ers blicken.
»Sie haben gewonnen«, meinte der junge Anwalt, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Verstohlen sah er sich um. Hatte er es nur mit einem einzigen Gegner zu tun? Es sah danach aus.
Der Krummbeinige erriet Randers Gedanken.
»Ich bin nicht allein, keine Sorge«, warnte er. »Eine falsche Bewegung, Rander, und Sie werden gleich hier an Ort und Stelle behandelt.«
Carol Hastings wagte sich nicht zu rühren. Auch sie wurde von einem Revolver bedroht. Der Mann, der diese Waffe hielt, war für Rander kein Unbekannter.
»Lonsdale?« stieß er verblüfft hervor.
»Sie haben ein gutes Namensgedächtnis«, spottete der ebenfalls krummbeinige Segelmacher.
»Parker hatte also recht. Sie gehören auch zu den ›Strandhaien‹.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Mann.« Der Krummbeinige drückte die Mündung seines 45ers gegen Randers Rippen. »Steigen Sie ein, setzen Sie sich ans Steuer! Kommen Sie uns nicht mit Mätzchen. Wir schießen die Frau nieder, wenn Sie sich nicht genau an unsere Weisungen halten.«
Rander nickte. Noch einmal maß er die beiden krummbeinigen Männer. Sie ähnelten einander, schienen Brüder zu sein. Dann hob er hilflos die Schultern und ließ sich am Steuer seines Wagens nieder. Lonsdale nahm neben ihm Platz. Der zweite Krummbeinige setzte sich zusammen mit Carol Hastings in den Fond.
»Halten Sie sich genau an die Verkehrsregeln«, warnte Lonsdale ihn. »Denken Sie an das Mädchen hinter uns. Es kommt uns nicht darauf an, sie sofort niederzuschießen.«
»Schon gut, ich werde mitspielen«, gab Rander gereizt zurück. »Wohin soll die Fahrt denn gehen?«
»Richtung Everglades. In den Sümpfen wird sich kein Mensch um uns kümmern.«
»Wissen Sie, wo mein Butler steckt?« Rander fragte fast gleichgültig, als sei er kaum interessiert. In Wirklichkeit aber fürchtete er sich vor der Antwort. Hoffentlich befand sich Parker noch auf freiem Fuß.
»Ihr komischer Butler, Rander?« Lonsdale kicherte. »Mit dem brauchen Sie nicht mehr zu rechnen. Mit dem hat sich unser Chef befaßt. Der versteht sich auf so etwas.«
»Ist er …?« Rander wagte nicht, den Satz zu beenden.
»Warten Sie’s doch ab, bis der Chef es Ihnen sagt«, lenkte Lonsdale brummig ab. »Denken Sie lieber an sich, Rander. In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken …!«
*
Die drei Gangster machten das Motorboot fest und stiegen an Land. Sie waren bester Laune, glaubten sie doch, ihren gefährlichsten Gegner erledigt zu haben. Die beiden Muskelmänner sahen ihren Anführer erwartungsvoll an.
»Ich bin in ein paar Minuten zurück«, sagte er. »Ich rufe den Chef an. Ich glaube, wir haben uns eine fette Prämie verdient.«
Die beiden Muskelmänner hockten sich auf ein weiß gestrichenes Schutzgeländer und zündeten sich Zigaretten an. Sie sahen ihrem Vormann nach, der im Gebäude eines strahlend hell erleuchteten Yachtclubs verschwand.
Plötzlich zuckte einer der beiden Muskelmänner zusammen. Er sprang vom Geländer herunter.
»Was ist?« fragte sein Partner.
»Weiß der Teufel, ich habe einen Schatten neben dem Boot gesehen.«
»Na und …?«
»Sah nach einem Mann aus.«
»Du siehst Gespenster«, war die Antwort. »Woher soll der Mann gekommen sein, he?«
»Vielleicht dieser verdammte Kerl, den wir ins Wasser geworfen haben.«
»Du spinnst. Der ist längst bei den Fischen.«
»Ich sehe lieber mal nach. Kommst du mit?«
»Ich denke nicht daran. Für Hirngespinste habe ich nichts übrig. Mann, solltest du plötzlich Nerven bekommen haben?«
»Ich will es genau wissen. Ich habe deutlich einen menschlichen Schatten gesehen.«
»Dann sieh’ nach. Mich laß aber in Ruhe. Parker ist längst von Haien gefressen worden.«
Der mißtrauisch gewordene Gangster ging langsam auf den Bootssteg zu. Er zog seinen schweren 45er und pirschte sich an das Motorboot heran. Er blieb stehen, wandte sich um. Sein Partner saß nach wie vor auf dem Geländer.
Der Gangster hatte das Boot erreicht.
Vorsichtig stieg er an Bord. Die Lichtverhältnisse waren schlecht. Die Leuchtreklame vom Yachtclub reichte nicht aus, um an Bord Einzelheiten erkennen zu können.
»Ist hier einer?« rief der Gangster mit leiser Stimme. »Los, rauskommen, oder ich schieße.«
Natürlich kam keine Antwort. An Bord blieb alles still. Unheimlich still, wie der Gangster fand. Das Wasser schlug sanft gegen den Bootskörper. Irgendwo knarrte ein Tau.
Der Gangster blieb neben dem Niedergang zur Kajüte stehen. Er hatte ehrliche Angst, hinunterzusteigen. Er war sicher, eine Gestalt gesehen zu haben. Sein Verstand sagte ihm zwar, daß dieser Butler Parker draußen in der See geblieben war, doch sein Gefühl redete eine erheblich andere Sprache.
»Rauskommen oder es knallt!«
Nichts rührte sich.
Der Gangster faßte sich ein Herz. Er wollte sich vor seinem zuschauenden Partner nicht blamieren. Seine Finger umspannten den Revolver. Langsam stieg er nach unten. Seine Hand tastete nach dem Lichtschalter. Der Mann atmete förmlich auf, als die Deckenbeleuchtung aufflammte.
Die Kajüte war leer.
Ich glaub’, ich bekomme es wirklich mit den Nerven, sagte er sich, schaltete das Licht wieder aus und ging zurück an Deck. Als er seine Füße auf die Planken setzte, wirbelte plötzlich etwas durch die Luft. Bevor er seine Waffe hochreißen konnte, landete ein weicher, widerlich klebriger Gegenstand in seinem Gesicht.
Der Gangster stieß einen unterdrückten Schrei aus. Die Waffe entfiel seiner Hand und landete polternd auf den Planken.
Der Gangster faßte instinktiv nach dem Wurfgeschoß, das noch immer auf Nase, Mund und Augen haftete. Er riß ihn los und starrte dann entsetzt auf die Tentakel eines kleinen Tintenfisches.
Ein dumpfes Stöhnen entrang sich der Brust des Gangsters. Er schmetterte das schuldlose, bereits tote Tier auf die Planken und rannte dann, wie von Furien gehetzt, zurück zu seinem Partner.
Er hatte es derart eilig, daß er seinen 45er vergaß …
*
Der zweite Gangster kam genau um diese Zeit wieder zu sich.
Er verstand überhaupt nichts mehr, wußte nicht, was mit ihm geschehen war. Er fuhr sich durch das Gesicht, stand vorsichtig auf und faßte nach der Beule an seinem Hinterkopf.
»Wo steckst du?« rief der Gangster, der von Bord kam. Er hatte das Geländer erreicht und sah sich suchend nach seinem Partner um.
»Hier …«, stöhnte der Muskelmann. Er mußte sich einen Moment lang am Geländer festhalten. Seine Beine waren noch nicht ganz in Ordnung.
»Da is’ einer an Bord gewesen«, stieß der erste Muskelmann hervor. »Er hat mir ’nen Tintenfisch ins Gesicht geworfen.«
»Und ich hab’ ’ne Beule!«
»’ne Beule?«
»Und was für eine! Verdammt, hier spielt uns einer einen gemeinen Streich.«
»Parker! Ich wette, es ist Parker gewesen. Ich hab’ ja gleich geahnt, daß dieser schwarze Rabe nicht umzubringen ist.«
»Wer ist nicht umzubringen?« Der Vormann kam zurück. Er sah seine beiden Mitarbeiter verständnislos an. »Was ist denn eigentlich los? Ihr führt euch auf wie kleine Jungens.«
Die beiden noch immer entgeisterten Muskelmänner redeten wild durcheinander. Jeder wollte seine Geschichte zuerst an den Mann bringen. Sie waren völlig aus dem Häuschen.
Nur langsam und unter Schwierigkeiten bekam der Vormann heraus, was vorgefallen war. Er schüttelte den Kopf.
»Blöder Quatsch«, sagte er schließlich. »Parker ist tot! Darauf könnt ihr Gift nehmen!«
»Und der Tintenfisch?«
»Und meine Beule?«
»Hat doch mit Parker nichts zu tun. Da hat euch irgendein Lausebengel einen Streich gespielt.«
»Es war Parker«, beharrte der erste Muskelmann auf seinem Standpunkt. »Solche Tricks können nur von diesem verdammten Alten stammen.«
»Kümmere dich lieber um deine Kanone«, schnauzte der Vormann zurück. »Ich glaube nicht an Spuk und Geister. Parker ist erledigt. Diese Unterwasserreise hält auch Parker nicht aus.«
Er hatte seinen Satz gerade beendet, als auch er peinlich überrascht wurde.
Weder er noch die beiden Muskelmänner sahen den kreisrunden Gegenstand, der durch die Luft schwirrte. Der Vormann merkte erst etwas davon, als sich ein solider Rettungsring um seine Schultern legte. Der Rettungsring, an einer langen Rettungsleine hängend, wurde ruckartig zurückgezogen. Der Gangstervormann verlor das Gleichgewicht und taumelte gegen das Geländer. Leicht angeschlagen ging er zu Boden.
»Verdammter Blödsinn«, schimpfte der Vormann. Seine Stimme klang nicht besonders laut. Sie war eher gepreßt und wirkte belegt. Mühsam stand der Vormann auf. Er brauchte einige Sekunden, bis er sich von dem hemmenden Rettungsring befreit hatte.
»Was ist passiert?« Der Gangster, der sich um seine Waffe gekümmert hatte, tauchte atemlos auf.
»Frag’ nicht so dumm. Wo ist deine Kanone?«
»Weg, verschwunden, nicht mehr da!«
»Was soll das heißen?«
»Sie ist weg. Und ich weiß, wer sie sich unter den Nagel gerissen hat.«
»Sag bloß nicht, daß es Parker gewesen ist.«
»Wer soll es denn sonst gewesen sein, he?«
»Ausgeschlossen, der ist erledigt.«
»Oder auch nicht. Wir sollten verschwinden und dem Chef Bescheid sagen.«
Der Vormann sah den auf dem Boden liegenden Rettungsring. Er dachte genau anderthalb Sekunden nach. Dann gab er sich einen Ruck. Er schüttelte den Kopf.
»Nachsuchen! Stellt alles auf den Kopf! Ihr müßt den Kerl finden, der uns hier verrückt machen will. Und ich sage euch noch einmal, Parker kann es nicht gewesen sein. Der ist längst bei den Fischen.«
Diese kühne Behauptung wurde abgelöst von einer mittelschweren Ladung Kies, die auf die drei verdutzten Gangster herunterprasselte. Die drei sonst so eiskalten Männer warfen sich wie auf ein Kommando hin flach zu Boden und zogen ihre Köpfe ein …
*
Sie hatten sich in Mrs. Ruth Soldans Büro getroffen. Hier konnten die ›Strandhaie‹ sich ungestört unterhalten. Durch große Glasscheiben konnte man hinaus auf das Übungsbecken der Delphine schauen. Im Wasser tummelten sich die Bikini-Schönheiten. Doch selbst die beiden Muskelmänner interessierten sich an diesem Morgen nicht für soviel Schönheit. Sie hatten andere Sorgen.
»Machen wir uns nichts vor«, sagte Lew Sheridan, der Chef der ›Strandhaie‹, »so wie ich die Sache sehe, muß Parker tot sein.«
Lew Sheridan war ein mittelgroßer, schlanker Mann, der selbst an diesem Morgen und im Büro die unvermeidliche Sonnenbrille trug. Es war der Mann mit der freundlichen, sehr höflichen Stimme, dem Parker schon einmal begegnet war.
»Und wer sollte sie dort ’reingelegt haben?« Ruth Soldan wies mit energischem Kinn auf die beiden Muskelmänner und auf den Vormann, der sich übrigens John nannte. »Die Jungens haben doch nicht geträumt.«
»Keine Ahnung, wer es gewesen ist. Parker kann es nicht gewesen sein! John, noch einmal: Ihr habt Parker fest verschnürt und mit Gewichten beschwert, ja?«
»Genauso ist es gewesen, Chef. Dann haben wir ihn ins Wasser geworfen. Er sackte wie ein Stein.«
»Und dann?« wollte Ruth Soldan wissen.
»Drehten wir auf und fuhren zurück in die Bay.«
»Habt ihr die Wasseroberfläche mit dem Scheinwerfer abgesucht?«
»Natürlich«, erwiderte John. »Ich wiederhole noch mal, er sackte weg wie ein Zementklotz.«
»Dann ist er auch auf Grund gegangen«, stellte nun auch Ruth Soldan fest.
»Und wer hat uns reingelegt?« fragte John nervös. »Da war der Tintenfisch, die Beule am Hinterkopf und schließlich der Rettungsring. So was kann doch niemals von ganz allein durch die Luft geschwirrt sein.«
»Und dann ist auch noch mein 45er verschwunden«, schaltete sich der betroffene Muskelmann ein. »Ich wette, daß es Parker gewesen ist.«
»Oder vielleicht dieser Rander?« gab John zu bedenken.
»Ich habe eben erst noch mit Lonsdale gesprochen. Rander und die kleine Hastings sind noch in unserer Gewalt. Die können es also nicht gewesen sein.«
»Ob Rander und Parker vielleicht noch einen anderen Mitarbeiter hatten?«
»Unsinn, von dem hätten wir doch etwas gemerkt«, erklärte Lew Sheridan mit Nachdruck. »Zerbrechen wir uns nicht unnötig den Kopf. Wenn es Parker irgendwie gelungen sein sollte, freizukommen, werden wir ihn bald in der Falle haben.«
»Und wie willst du das schaffen?« fragte Ruth Soldan.
»Angenommen, Parker lebt, nehmen wir’s ruhig mal an, obwohl es unmöglich ist, also angenommen, er lebt noch, er wird sich doch nach dem Verschwinden seines Chefs an unsere Fersen heften. Wir tun so, als hätten wir keinen Verdacht geschöpft und fahren raus zu Lonsdale. Parker wird uns dann folgen. Dort haben wir ihn dann in der Falle. Er kann dann zusammen mit Rander und der Hastings abserviert werden.«
»Glaubst du, er würde sich nicht an die Polizei wenden?«
»Glaube ich nicht. Bisher haben sie die Polizei nicht eingeschaltet. Warum sollten sie es jetzt tun? Wir müssen natürlich aufpassen, damit wir nicht auffliegen.«
»Wenn du mich fragst, Lew, sollten wir die ganze Geschichte abblasen und erst mal Gras über unseren Job wachsen lassen.«
»Ich denke nicht daran, vor zwei komischen Privatdetektiven zurückzustecken«, entgegnete Lew Sheridan ärgerlich. »Bis zum Auftauchen dieser beiden Kerle haben wir tun und lassen können, was wir wollten. Sollen wir jetzt den Kopf einziehen? Niemals …«
»Ich bin auch dafür, weiterzumachen«, schaltete sich Vormann John ein. »Was meint ihr, Jungens?«
Die beiden Muskelmänner sahen sich betreten an. Besonders große Lust hatten sie nicht. Die Angst vor Parker stak ihnen in den Knochen. Als sie ein Räuspern ihres Chefs hörten, nickten sie eilig. Sie waren einverstanden, wenn auch nur aus Angst.
»Dann also los!« befahl Lew Sheridan. »Wir fahren raus zu Lonsdale und befassen uns mit Rander und der Hastings. Falls Parker lebt, wird er automatisch dort auf tauchen. Aber ich sage noch einmal laut und deutlich, er lebt nicht mehr.«
Ruth Soldan hatte vor, das Wort zu nehmen. Aber dazu kam es nicht mehr. Die Bikini-Schönheiten schrien plötzlich gellend auf. Sie liefen zusammen und deuteten hinüber auf den hauseigenen Parkplatz.
Lew Sheridan und Ruth Soldan liefen ans Fenster. John, der ihnen nachgekommen war, öffnete es. Sie alle sahen einige Rauchwölkchen, die sich zum makellos blauen Himmel hochkräuselten.
»Seht nach, was los ist!« befahl Lew seinen beiden Muskelmännern. Die beiden Gangster trabten los, allerdings hatten sie es nicht besonders eilig.
»Lew, ich habe ein komisches Gefühl«, meinte Ruth Soldan bedrückt. »Sollten wir nicht doch besser aufhören? Unser Verein ist zu bekannt geworden. Alle Welt spricht jetzt von den ›Strandhaien‹. Auch die Polizei wird aktiv werden, noch aktiver als vorher.«
Die beiden Muskelmänner stürzten zurück in das Büro.
»Die Wagen brennen!« riefen sie. »Irgendein Hund muß sie angesteckt haben!«
»Und dieser Brief hier stak an einer Wagenantenne«, sagte der andere Muskelmann. Lew Sheridan griff hastig nach dem Brief, riß den Umschlag auf und entnahm ihm ein Schreiben. Seine Lippen bewegten sich, als er die Zeilen überlas.
»Wer hat geschrieben?« wollte Ruth Soldan wissen.
»Irgend so ein komischer Verein«, gab Sheridan irritiert zurück.
»Was für ein Verein?«
»Der Verein, der – von – den – ›Strandhaien‹ Geschädigten e. V.«
»Wie bitte?« fragte Ruth Soldan, ebenfalls irritiert, zurück.
»Gibt es den überhaupt?« wollte Vormann John wissen.
»Blödsinn, noch nie von gehört.«
»Diesen Verein kann nur Parker gegründet haben!« rief Ruth Soldan. »Das hört sich ganz nach ihm an.«
»Begreif doch endlich, daß er nicht mehr lebt!« tobte Lew Sheridan los. »Habe ich es mit Verrückten zu tun? Wenn er tatsächlich lebt, gibt es nur eine Möglichkeit.«
»Und die wäre?« fragte Ruth Soldan.
»Wenn er wirklich noch lebt, muß er mit John und diesen beiden komischen Burschen unter einer Decke stecken. Dann haben sie gemeinsame Sache mit ihm gemacht. Nicht rühren, John …!«
Lew Sheridan hielt plötzlich einen Revolver in der Hand.
John und die beiden Muskelmänner hoben langsam die Arme. Sie starrten auf Sheridans Waffe.
»Hat Parker nicht auf eigene Faust seinen Herrn um fünfhundert Dollar angezapft, he? Dieser raffinierte Bursche will sich die ›Strandhaie‹ unter den Nagel reißen. Und John und die beiden Gorillas hat er bereits in die Tasche gesteckt! Jetzt sehe ich klar …«
»Das ist doch Unsinn, Lew!« rief John empört.
»Laßt die Hände oben!« kommandierte Lew Sheridan. »Ich lasse mich nicht so leicht aufs Kreuz legen. Jetzt ist mir ein Licht auf gegangen.«
»Was sollen wir tun?« fragte die Soldan kalt dazwischen. Auch sie hatte sich mit einer Schußwaffe ausgerüstet.
»Wir schaffen sie runter in den Keller. Dann sehen wir weiter.«
»Lew, treib es nicht auf die Spitze«, warnte Vormann John. »Merkst du denn nicht, daß Parker uns absichtlich gegeneinander aufhetzt?«
»Halt endlich den Mund!« schnauzte Lew Sheridan. »Parker ist tot! Ich … meine … äh, er lebt … oder er …«
Der Chef der ›Strandhaie‹ verhaspelte sich, was seinen Zorn nur noch auf die Spitze trieb.
*
»Ganz nette Mausefalle«, sagte Mike Rander zu Carol Hastings. Er sprach absichtlich in gelassenem Tonfall, um die junge Frau nicht noch mehr zu ängstigen.
»Was werden die ›Strandhaie‹ mit uns Vorhaben?« wollte sie wissen.
Carol Hastings saß in einem wackligen Sessel. Er, ein Tisch und ein großer leerer Schrank, waren die ganze Einrichtung dieses niedrigen Zimmers.
»Keine Ahnung, Miss Carol. Mich interessiert im Moment nur, ob wir was zu essen bekommen.«
»Daß Sie an so etwas denken können«, gab Carol Hastings zurück. »Sie haben auch erstaunlich gut geschlafen. Ich konnte kein Auge zutun.«
»Alles Training«, meinte der junge Anwalt. »Ich werde mal klopfen. Vielleicht reagiert die Bedienung.«
Er hämmerte mit den Fäusten gegen die starke Tür. Doch es rührte sich nichts. Rander drehte sich zu Carol Hastings um, die am vergitterten Fenster stand. Sie sah hinaus auf den Wasserarm, der hart an diesem alten Farmhaus vorbeiführte. Es roch nach brackigem Wasser, es roch nach Blüten und nach Tod. Sie schien es deutlich zu spüren. Hastig wandte sie sich zu ihm um.
»Was werden sie mit uns machen?« wiederholte sie noch einmal. »Ich halte dieses Warten nicht länger aus. Man plant doch etwas.«
»Aufregen ist sinnlos«, gab Rander zurück. »Wir leben, das ist doch die Hauptsache. Die ›Strandhaie‹ werden mit uns reden wollen. Schön, sollen sie. Ich werde ihnen Vorschläge machen. Ich denke nicht daran, aufzustecken.«
»Wo mögen wir sein, Mike?«
»Irgendwo in den Everglades. Davon werden Sie doch schon gehört haben, oder?«
»Natürlich, ich war oft hier. Aber da sah alles ganz anders aus.«
»Kunststück, Sie dürften im zivilisierten Teil der Sümpfe gewesen sein. Zypressengärten und so weiter. Hier stecken wir mitten im Sumpf. Man riecht es ja mit jedem Atemzug.«
»Sollten wir nicht versuchen, auszubrechen, Mike?«
»Wir würden nicht weit kommen. Aussichtslos. Wenn sich hinter der Tür auch nichts rührt, Carol, bewacht werden wir doch.«
»Ich habe schreckliche Angst. Ich hätte nicht abspringen sollen.«
»Sie haben genau richtig gehandelt, als Sie nicht weiter mitmachen wollten, Carol. Sie hatten es mit Gangstern zu tun.«
»Die mich dafür nun bestrafen werden.«
»Unsinn, Carol.« Viel Überzeugungskraft stak nicht in seinen Worten. Natürlich machte Rander sich keine Illusionen. Er wunderte sich nur, warum die Gangster nicht schon gehandelt hatten. Was bezweckten sie mit diesem Festhalten?
Ein Entgegenkommen war im Moment ausgeschlossen. Rander hatte sich den niedrigen Raum genau angesehen. Die Wände bestanden aus starken Bohlen. Die Tür ebenfalls. Das Gitter am Fenster war zwar verrostet, doch es saß fest im Mauerwerk. Ohne Hilfsmittel war hier nichts auszurichten.
Mike Rander dachte immer wieder an seinen Butler.
Die Anspielungen der beiden krummbeinigen Gangster waren deutlich genug gewesen. Parker mußte etwas Böses passiert sein. An das Schlimmste wagte Mike Rander nicht zu denken. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Josuah Parker nicht mehr lebte.
Rander stand neben Carol Hastings am Fenster und schaute hinaus auf den brackigen Wasserarm. Was hatte er nun davon, daß er die Betriebsgeheimnisse der ›Strandhaie‹ kannte. Er wußte von Carol, daß der Chef der Gangster der Parkplatzwächter Lew Sheridan war. Er wußte ferner, daß Ruth Soldan sehr aktiv mitmachte, daß ein Teil ihrer Girls ungewollt als Lockvogel agierte.
Ihm war bekannt, daß die beiden krummbeinigen Gangster Vettern waren. Lonsdale und sein Gegenstück bildeten zusammen mit den beiden Muskelmännern und dem Vormann John den Kern der Gangstertruppe. Will Chandels hatte im Auftrag Lew Sheridans die Opfer herausgesucht und vorgeschlagen.
Was nutzte dieses Wissen jetzt?
Mike Rander war von einer lähmenden Gleichgültigkeit erfaßt worden. Im Grunde hing es mit seinem Butler zusammen. Das Wissen darum, daß ihm etwas passiert sein mußte, machte ihn müde und ließ ihn resignieren.
Carol Hastings wich plötzlich einen Schritt zurück und schlug mit beiden Händen um sich.
»Was ist?« fragte Rander und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart.
»Bienen«, sagte Carol. »Mein Gott, es müssen ganze Schwärme sein.«
Rander lächelte schwach.
»Schließen wir wieder das Fenster«, sagte er. »Fehlt noch, daß uns auch die Bienen herumjagen. Mein Bedarf ist gedeckt.«
»Mike, sollten wir nicht den Schrank vor die Tür rücken?« schlug sie vor, nachdem Rander das Fenster geschlossen hatte.
»Was versprechen Sie sich davon?«
»Man könnte uns zumindest nicht holen.«
»Na gut, schieben wir den Schrank vor die Tür«, lenkte er ein. »Das vertreibt wenigstens die Zeit. Hoffentlich schaffen wir es, Carol?«
»Wir müssen es schaffen«, sagte sie energisch. »Ich lasse mich nicht umbringen, Mike. Sie haben sich sehr verändert. Eigentlich bin ich enttäuscht.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Als Sie zu mir kamen, waren Sie viel energischer. Da wußten Sie noch genau, was Sie wollten.«
»Stimmt schon …!«
»Seitdem Sie wissen, daß Ihrem Butler etwas passiert ist, haben Sie richtig abgeschaltet. Können Sie ihm damit helfen? Doch wohl nicht! Wir müssen jetzt an uns denken.«
»Waschen Sie mir ruhig den Kopf«, erwiderte Mike Rander. »Sie haben ja recht, Carol. Kommen Sie, versuchen wir’s mit dem Schrank. Parker würde nicht anders handeln.«
»Das wollte ich Ihnen gerade sagen, Mike. Ihr Butler hätte bestimmt nicht aufgesteckt. So, wie Sie ihn mir geschildert haben, kann ich auch nicht glauben, daß ihm etwas passiert ist. Sagten Sie nicht selbst, daß er voller Tricks ist?«
»Schon gut, Carol, ich spiele wieder mit.«
»Ich glaube, wir müssen uns beeilen«, stieß Carol plötzlich hastig aus. »Hören Sie das Motorboot? Lonsdale scheint Verstärkung zu bekommen. – Schnell, Mike, jede Minute ist kostbar …!«
*
Vor ihrer Fahrt in die Everglades hatten sie das Motorboot genau durchsucht.
An Bord befanden sich Lew Sheridan, Vormann John und die beiden Muskelmänner. Zwischen den Männern war ein gespanntes Verhältnis. Sie hatten sich zwar wieder vertragen, doch sie trauten einander nicht mehr über den Weg. Der Vorfall in Ruth Soldans Büro war nicht vergessen. Er spukte noch in ihren Hirnen herum.
Ruth Soldan war in Miami-Beach zurückgeblieben. Sie konnte sich von ihrem Wasserballett nicht trennen. Das wäre unnötig auf gefallen. Lew Sheridan war mit dieser Lösung vollkommen einverstanden. Die Frau störte ihn nur.
Immer wieder vergewisserten sie sich, ob sie verfolgt wurden. Sie hatten den Okeekobee-Kanal als Wasserweg gewählt. Das Motorboot schob sich mit halber Kraft durch die grüne Wildnis. Vom Kanal zweigten viele kleine Wasserwege ab. Der Betrieb auf dem Kanal und den Seitenstraßen war recht lebhaft. Wer Miami-Beach besuchte, der versäumte es auf keinen Fall, dieses Naturschutzgebiet zu besuchen. Die Natur befand sich hier noch im Urzustand. Es gab riesige Sümpfe mit verschwiegenen Seen, tausende von Wasservögeln, Wälder und dann plötzlich wieder kunstvoll gebaute Wasserarenen, in denen Bootsrennen, Wasserski und Alligatorenkämpfe geboten wurden.
Jeder Besucher kam hier auf seine Kosten. Der naturliebende Tourist, der Abenteurer, der Genießer, und schließlich auch der Besucher, der sicher von seinem Führer durch all diese Betriebsamkeit geschleppt wurde.
Nach einstündiger Fahrt verließ das Motorboot den breiten, gepflegten Wasserweg und schob sich vorsichtig in einen dicht bewachsenen Kanal hinein. Bäume und Zweige standen so dicht, daß John und Lew Sheridan die hohe Bordantenne einfahren mußten. Die Fahrt des Motorbootes ging noch mehr herunter. Im Schrittempo glitt es an den grünen Dschungelwänden entlang. Man glaubte sich im tiefsten Amazonas-Dschungel.
Lew Sheridan kannte sich hier sehr genau aus.
Immer wieder änderte er den Kurs des Bootes. Seine drei Begleiter verloren bald jede Orientierung. Sie machten einen recht bedrückten Eindruck. Als reine Asphaltpflanzen fürchteten sie sich instinktiv vor dieser Wildnis.
Das Boot passierte kleine Seen, breite Wasserarme, um dann wieder mit voller Kraft durch die zähe Masse von Wasserrosen zu stampfen. Vögel stoben mit Protestgeschrei davon.
John stand neben dem Ruderstand und sah angewidert in den Dschungel hinein.
Die beiden Muskelmänner unterhielten sich leise.
»Noch eine Viertelstunde, dann haben wir es geschafft«, sagte Lew Sheridan. »Ich hoffe, euch hat die Fahrt gefallen.«
»Miese Gegend«, erwiderte John. »Kaum zu glauben, daß hier irgendwo die Hütte stehen soll.«
»Lonsdale hat sie gebaut«, gab Sheridan zurück. »Er hat sich jahrelang in den Everglades herumgetrieben.«
»Das sieht diesem krummbeinigen Burschen ähnlich«, antwortete John mürrisch. »Mit unserem Plan scheint es aber nicht zu klappen, Chef. Wie soll dieser Parker Anschluß halten. Falls er wirklich noch lebt.«
»Wir sind uns doch darüber einig geworden, daß er nicht mehr leben kann«, sagte Sheridan mit scharfer Stimme. »Wollen wir den alten Kohl wieder aufwärmen?«
John gab keine Antwort. Er atmete nur auf, als das Boot in einen brackigen Wasserarm einfuhr. Neben hohen Zypressen, von deren Zweigen lange Moosbärte herunterhingen, stand ein solides Holzhaus.
An einem Steg, der weit ins Wasser hinausführte, schaukelte ein kleiner Außenborder. Auf dem Steg standen zwei krummbeinige Gestalten. Sie hielten Winchester in den Armen. Als sie das Boot erkannten, winkten sie.
Das Motorboot beschrieb einen kleinen Kreis und legte sich längsseits. Nach wenigen Minuten war es am Steg festgemacht worden. Lew Sheridan und seine drei Begleiter stiegen aus.
»In einer Stunde haben wir es hinter uns«, meinte der Chef der ›Strandhaie‹. »Sobald wir von diesem Rander wissen, was bisher gegen uns ermittelt worden ist, kann er verschwinden.«
John, der Vormann der ›Strandhaie‹, und die beiden Muskelmänner stiegen aus dem Boot. Sie waren unruhig und schlugen mit den Händen um sich. Ein Schwarm neugieriger Bienen hatte sich ihnen genähert und erkundete die Lage.
»Nicht herumschlagen«, rief Lonsdale ihnen zu. »Die Tierchen sind völlig harmlos, wenn man sie in Ruhe läßt.«
»Sag das den Bienen, nicht uns«, gab John gereizt zurück. »Ich habe keine Lust, mich zerstechen zu lassen.«
Die Gangster gingen auf das Holzhaus zu.
Am Ende des Bootssteges blieb Lew Sheridan stehen. Er sah sich um. Der Wasserarm bot einen friedlichen Anblick. Alles sah vollkommen harmlos und unverdächtig aus.
Parker schien tatsächlich nicht mehr zu existieren.
*
Parker hatte es nicht besonders schwer, den ›Strandhaien‹ zu folgen. Auf dem übersichtlichen Kanal hatte er einige Motorboote benutzt, die vollkommen harmlos und zivil aussahen. Sie waren ihm von der Polizei gestellt worden. Leutnant Richey hatte sie zur Verfügung gestellt und auch für die unverdächtig aussehenden Sportler gesorgt.
Im stetigen Wechsel zwischen Verfolgung, Überholung und wieder Zurückfallen war das Motorboot der Gangster immer unter Kontrolle gehalten worden. Nach dem Ablegen in dem fast zugewucherten Seitenkanal war der Butler in ein handliches Schlauchboot umgestiegen. Er hatte darauf bestanden, die Verfolgung nun allein fortzusetzen. Leutnant Richey und seine Leute folgten in großem Abstand. Sie warteten darauf, daß der Butler sie mittels einer Leuchtpistole zum Einsatz rief.
Der Butler war in seinem Schlauchboot zwar erheblich langsamer als die Gangster. Doch darauf kam es im Moment nicht an. Hauptsache, er wurde nicht gehört. Die Spur, die das Motorboot durch das brackige Sumpfwasser und durch die Seerosenfelder zog, wies deutlich den Weg. Parker konnte den Wasserarm mit der Holzhütte am Ufer überhaupt nicht verfehlen.
Es war wieder einmal frappierend, wie geschickt der Butler sich selbst in dieser Umgebung zurechtfand. Er handhabte das Stechpaddel mit Kraft und Geschicklichkeit. Selbst ein Seminole-Indianer wäre beeindruckt gewesen.
Der Butler wußte natürlich, warum die ›Strandhaie‹ diese Dschungelfahrt unternahmen. Es ging um seinen jungen Herrn, Mike Rander. Es ging um die junge Dame Carol Hastings. Sie mußten von den Gangstern irgendwo in den Everglades festgehalten werden.
Als Parker den brackigen Wasserarm erreichte und auch das Holzhaus entdeckte, wußte er Bescheid.
Von den Gangstern war zwar nichts zu sehen, doch das Motorboot schaukelte am Bootssteg.
Parker trieb das Schlauchboot mit schnellen, geschickten Schlägen in das Uferdickicht und stieg aus. Es War störend, daß sich einige Vögel kreischend von den Bäumen erhoben. Sie waren mit Parkers Erscheinen nicht einverstanden.
Um die Gangster – falls sie auf das Geschrei der Vögel überhaupt achteten – in die Irre zu führen, setzte der Butler eine kleine Holzflöte an die Lippen. Gekonnt und ungemein echt entlockte er ihr die Töne eines ärgerlichen Habichts.
Um diese Geräuschkulisse noch zu vervollständigen, benutzte der Butler eine zweite Flöte. Auf ihr produzierte er das Grunzen eines Wasserferkels. Dann bahnte er sich seinen Weg auf festes Land und pirschte sich auf Umwegen langsam an die Holzhütte heran.
Es war kein Spaziergang.
Dichtes, verfilztes, dornenreiches Unterholz hemmte immer wieder seinen Weg. Doch Parker verstand es geschickt, mit diesen Hindernissen fertig zu werden. Ihm kam es darauf an, möglichst geräuschlos an die Hütte heranzukommen.
Es war schon ein recht komischer Anblick, wie er, schwarz gekleidet wie immer, durch diese grüne Wildnis schritt. Selbstverständlich führte er seinen Universal-Regenschirm mit sich. Nur die schwarze steife Melone fehlte. Sie war draußen auf See geblieben. Übrigens ein Verlust, den der Butler als ausgesprochen herb empfand.
Nach zwanzig Minuten hatte er es geschafft.
Die solide Holzhütte befand sich nur noch knapp fünfzig Meter vor ihm. Parker sah die lange Reihe der Bienenkörbe, sah dem Flug der Bienenvölker zu und griff sicherheitshalber nach seinem Zigarettenetui. Für den Fall eines konzentrierten Massenanflugs der Bienen wollte er sich in Tabakrauch hüllen.
Was mochte sich in der Hütte abspielen?
Befanden sich Mike Rander und Carol Hastings wirklich in ihr? Parker schob sich noch näher an die Hütte heran …
*
»Holt sie raus«, befahl Lew Sheridan in diesem Augenblick. Er winkte den beiden Muskelmännern zu. Sie setzten sich in Bewegung, gingen auf die Tür zu, hinter der Rander und Carol Hastings festgehalten wurden, und schlossen auf. Als sie die Tür aufdrücken wollten, gab sie nur wenige Millimeter nach.
»Was ist denn …?« rief Sheridan ungeduldig.
»Die Tür geht nicht auf«, meldete Vormann John, der seinen beiden Leuten nachgegangen war.
»Verdammt, die haben den Schrank vor die Tür gerückt«, schimpfte Lonsdale.
»Los, nun macht schon. Ihr werdet doch einen simplen Schrank wegrücken können.«
Sheridan zündete sich eine Zigarette an und sah sehr ungeduldig aus. Er war überhaupt schlecht gelaunt. Der Streit mit John und den beiden Muskelmännern wirkte in ihm nach. Er war zu dem Schluß gekommen, daß es höchste Zeit war, seine Gang zu liquidieren. Bisher war alles gutgegangen. Doch Ruth Soldan hatte schon recht. Eine längere Verschnaufpause tat jetzt not. Und es genügte wohl, wenn Ruth Soldan und er allein die Früchte der bisherigen Arbeit genossen. Männer wie John, die beiden Gorillas, Lonsdale und dessen Vetter, waren als Werkzeuge recht nützlich gewesen. Jetzt bestand keine Veranlassung mehr, sich weiter mit ihnen abzugeben.
Wie er sie loswerden konnte, wußte er noch nicht. Doch die Everglades waren weit und verschwiegen. Wer hier in den Sümpfen unterging, der wurde nach menschlichem Ermessen niemals gefunden. Die Everglades konnten also sehr gut zum Grab seiner Mitarbeiter werden.
Die drei Männer mühten sich mit der Tür ab. Sie warfen sich mit ihren Schultern gegen sie, doch sie gab nicht nach. Sheridan lächelte in sich hinein. Ganz gut, wenn sie abgelenkt wurden.
Er winkte Lonsdale zu sich heran.
»Sie machen Schwierigkeiten«, sagte er zu dem krummbeinigen Segelmacher. »Sie parieren nicht mehr. Sie zittern vor Angst. Bei der erstbesten Gelegenheit werden sie zur Polizei laufen und singen.«
»Na und, Chef?« Lonsdale sah Sheridan aufmerksam an.
»Von mir aus könnten sie in den Everglades bleiben«, gab Sheridan kalt zurück.
»Von mir aus auch …!«
»Hier muß es doch Sümpfe geben, oder?«
»Nichts als Sümpfe um uns herum, Chef. Ich wüßte schon, wie wir das anstellen können.«
»Nicht so laut«, mahnte Sheridan. Dann rief er laut zu den Männern an der Tür hinüber: »Versucht es vom Fenster aus, Jungens! Heizt ihnen ein! Beeilt euch!«
John und die beiden Muskelmänner verließen die Hütte. Lonsdale und Sheridan konnten sich ungestört unterhalten. Lonsdales krummbeiniger Vetter stand am Fenster und sah hinaus.
»Wie könnte man es anstellen?« fragte Sheridan.
»Wir lassen sie auf scheinbar festem Boden aussteigen. Irgendein Vorwand wird sich schon ergeben, Chef. Dann hauen wir ab. Wenn sie Weggehen wollen, sacken sie weg. Ich kenne genug Stellen.«
»Hört sich gut an. Kann man sich auf Ihren Vetter verlassen, Lonsdale?«
»Klar …!«
»Sobald wir Rander und die Hastings erledigt haben, ziehen wir die Sache auf«, befahl Sheridan. »Ist ja klar, Lonsdale, daß Ihr Anteil dadurch wesentlich höher wird.«
»Habe ich mir gleich gedacht, Chef. Und wann werde ich an der Reihe sein?«
»Womit?«
»Umgebracht zu werden. Wie John und die anderen Jungens.«
»Unsinn, daran denkt kein Mensch.«
»Ist auch besser so, Chef. Ich werde scharf aufpassen, damit mir nichts passiert.«
Lew Sheridan wollte antworten, doch in diesem Moment fielen draußen vor der Hütte einige Schüsse.
Lonsdale und sein Vetter liefen hinaus.
Sheridan wagte sich nur bis ans Fenster. Er zog sicherheitshalber seinen 45er.
Vormann John und die beiden Muskelmänner standen vor dem Fenster des Zimmers, in dem Mike Rander und Carol Hastings festgehalten wurden. Sie feuerten in den Raum hinein.
Lonsdale und dessen Vetter erschienen an der Hausecke. Sie waren recht sorglos und verließen sich auf die Schießkünste ihrer Partner. Sie waren nur wenig außerhalb der Schußlinie.
Sheridan nutzte eiskalt seine Möglichkeiten.
Er hatte Lonsdale zuviel gesagt.
Sheridan hob seinen 45er und drückte ab.
Lonsdale warf die Arme hoch in die Luft und fiel dann wie ein gefällter Baum zu Boden.
Sein krummbeiniger Vetter blieb jäh stehen. Er hatte noch nicht begriffen, aus welcher Richtung dieser Schuß gekommen war. Bevor er aber begriff, bevor die drei Männer am Fenster das Feuer einstellen konnten, löste Sheridan den zweiten Schuß.
Dieser Schuß galt dem Vormann John.
Er verfehlte sein Ziel.
John warf sich zur Seite, sah seinen Chef und feuerte sofort zurück. Er hatte schneller begriffen.
Sheridan fluchte. Jetzt war der Krieg offen erklärt …
*
Es paßte Parker überhaupt nicht, daß drei Männer vor einem Fenster der Holzhütte standen und in diesen Raum hineinschossen. Wie leicht konnte dabei etwas passieren.
Es verwunderte den Butler, daß ein hinzukommender, sehr krummbeiniger Mann niedergeschossen wurde.
Daß es sich um den Segelmacher Lonsdale handelte, hatte er natürlich längst erkannt.
Sollte er sich in diese allgemeine Schießerei einmischen? Gewiß, Parker besaß einen 45er. Es war die Waffe, die er von Deck des Motorbootes genommen hatte, nachdem der Tintenfisch im Gesicht eines der beiden Muskelmänner gelandet war.
Parker hatte schon immer etwas gegen Blutvergießen gehabt. Seine grauen, prüfenden Augen blieben an den Bienenkörben haften. Hier bot sich doch eine Waffe an, die zumindest mehr als ungewöhnlich war.
Der Butler handelte augenblicklich.
Er griff nach seiner Patent-Gabelschleuder, füllte die Schlaufe mit einem dicken Kieselsteinbrocken und schickte dieses Geschoß auf die Reise.
Der Kieselstein sirrte durch die Luft. Das Geräusch ging im Lärm der Schußwaffen vollkommen unter. Der Kieselstein traf haargenau das Ziel und bohrte sich in den ersten Bienenkorb.
Die darin befindlichen Bienen waren verständlicherweise verärgert. Störungen dieser Art schätzten sie nicht.
Sie schwärmten durch das große Einschußloch aus, zogen eine Orientierungsschleife und suchten nach dem vermeintlichen Störenfried. Dankbar erkannten sie einige Gestalten, die sich im höchsten Grad verdächtig machten.
Die gereizten Bienen setzten zum Sturzflug auf die Missetäter an. Mit mächtigem Gebrumm stießen sie auf Vormann John, die beiden Muskelmänner und auf Lonsdales Vetter herab.
Parker sorgte für Verstärkung.
Weitere Kieselsteine sirrten durch die Luft. Sie zerschlugen nacheinander noch vier Bienenkörbe. Auch die Insassen dieser Stöcke waren verärgert. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen brauchten sie nicht lange nach den Störenfrieden zu suchen. Sie boten sich von ganz allein an.
John, die beiden Muskelmänner und Lonsdales Vetter führten bereits einen twistähnlichen Tanz auf, nur wesentlich ausgelassener und schneller. Sie wedelten und schlugen mit ihren Händen durch die Luft und erwehrten sich der Bienen.
Die wiederum fühlten sich zusätzlich angegriffen. Sie flogen einen Angriff nach dem anderen. Sie suchten und fanden freie, unbedeckte Hautpartien und versenkten ihre Stacheln darin.
Einige Bienen, alte, geschulte Veteranen und Einzelkämpfer, krochen in die Hosenbeine und Ärmel und höhlten den Feind von innen aus.
Die ›Strandhaie‹ brüllten wie am Spieß. Sie wandten sich zur Flucht, warfen ihre Waffen weg und rannten auf das brackige Wasser zu. In dichten Schwärmen folgten die racheschnaubenden Bienen. Sie ließen sich nicht abschütteln.
Lew Sheridan hatte inzwischen begriffen.
Warum die Bienen plötzlich los waren, wußte er nicht. Er witterte nur die große Chance, seine ehemaligen Mitarbeiter endgültig loszuwerden. Sie waren jetzt waffenlos. Sie boten sich als Zielscheiben an. Nacheinander rannten sie auf das Wasser zu.
Sheridan hob seinen 45er.
Sein erstes Opfer sollte Vormann John sein.
Doch auch Sheridan wurde entscheidend abgelenkt.
Einige Bienen, die zur Seitensicherung der Schwärme abkommandiert worden waren, entdeckten auch diesen Fremdling.
Sie stürzten sich sofort auf das neue Opfer.
Sheridan kam nicht mehr dazu, einen Schuß zu lösen. Bevor er überhaupt begriff, was passierte, saßen ihm einige Stacheln in der Hand, die den 45er hielt.
Sheridan fluchte, warf die Waffe weg und schmiß schleunigst das Fenster zu.
Doch die Bienen, die sich bereits im Raum befanden, war er dadurch nicht los. Sie verständigten sich auf geheimnisvolle Weise mit ihren Stockgenossen. Eine bisher unbeschäftigte Abteilung der Bienen summte durch die offene Tür und griff den Chef der ›Strandhaie‹ an.
Sheridan tanzte um den Tisch herum. Er brüllte wie ein Stier. Er spürte die Bienen am ganzen Körper. Er sauste zur Tür hinaus und rannte hinter seinen Partnern einher. Sein Ziel war nun auch der brackige Seitenarm. Dort hoffte er Schutz zu finden …
*
Josuah Parker, im Grunde seines Wesens nicht schadenfroh, konnte ein andeutungsweises Schmunzeln nicht unterdrücken, als die Gangster einträchtig zum Wasser hinunterliefen, sich in die Fluten stürzten und wegtauchten.
Auf so bequeme Art und Weise war er bisher noch nie mit hartgesottenen Gangstern fertig geworden. Aus dieser Methode ließ sich sogar Kapital für die Zukunft herausschlagen.
Um aber nicht selbst angegriffen zu werden, hatte der Butler sich inzwischen eine seiner spezialangefertigten Zigarren angezündet. Im Schutze der Rauchwolken ging er auf das Ufer zu.
Die beschäftigungslosen Bienenschwärme witterten einen neuen Angreifer.
Während ein Teil die Gangster nicht aus den Augen ließ und sie immer wieder unter Wasser zwang, formierte sich der andere Teil der Bienen zu einem neuen Angriff.
Parker paffte an seiner Zigarre herum, ohne auch nur eine Spur von Angst zu zeigen.
Die Bienen schossen auf ihn herab, dann aber gerieten sie in den Dunstkreis der Rauchwolken aus Parkers Zigarre und schwenkten hastig zur Seite.
Diesem Kraut waren sie nun doch nicht gewachsen.
Sie versuchten es zwar immer wieder, doch die Rauchwolken der Zigarre ließen sich nicht durchbrechen. Einige Bienen, die zuviel vom Rauch geschluckt hatte, fielen ermattet zu Boden und legten eine kleine Pause ein.
Von einem kreisenden Bienenschwarm umgeben, ging Parker zur Hütte. Er sorgte sich um Mike und um Carol Hastings.
Durch die zerbrochene Fensterscheibe sah er in die Hütte hinein. In diesem Raum mit dem vergitterten Fenster mußten sich sein junger Herr und Carol Hastings aufhalten. Er rief nach ihnen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
Der Raum war leer.
»Sir, so melden Sie sich doch«, rief Parker noch einmal. »Ich möchte doch sehr hoffen, daß Sie sich hier in diesem Raum befinden.«
»Was machen die Bienen?« Das war Mike Randers Stimme. Sie klang dumpf und hohl.
»Sie sind noch sehr gereizt, Sir.«
»Dann bleiben Miss Hastings und ich besser im Schrank«, antwortete Randers Stimme. »Sagen Sie uns Bescheid, wenn wir wieder rauskommen können.«
»Es wird mir eine Freude sein, Sir! Darf ich fragen, ob Miss Hastings oder Sie leiblichen Schaden davongetragen haben?«
»Alles in bester Ordnung, Parker. Sie sind genau zur richtigen Zeit gekommen.«
»Sie beschämen mich, Sir«, gab Parker freudig zurück. »Wenn Sie erlauben, möchte ich mich jetzt um unsere Widersacher kümmern. Zudem erwarte ich das Eintreffen der Polizei. Ich muß einige Zigarren verteilen, damit die Landung ungestört erfolgen kann.«
Parker war wieder am Ufer.
Die Gangster standen bis zum Hals im Wasser. In schneller Reihenfolge tauchten sie immer wieder unter. Die Bienen ließen ihre Opfer nicht aus den Augen. Die ›Strandhaie‹ hatten nicht die geringste Möglichkeit, sich in die Dschungelwälder zu flüchten.
Parker durfte mit dem Erfolg seiner Improvisation vollkommen zufrieden sein. Er nahm sich vor, den Bienen wenigstens fünfzig Liter Zuckerwasser zu spendieren …
*
Mrs. Ruth Soldan stand auf dem Sprungbrett und korrigierte ihre weiblichen Delphine, die sich im Wasser tummelten. Sie war drahtig und energisch. Sie konzentrierte sich vollkommen auf die jungen Damen im Wasser.
Erst als das Sprungbrett sich unter ihren Füßen bewegte, merkte sie, daß sie hier oben in luftiger Höhe Besuch erhielt. Sie drehte sich unwillig um.
Dann sah sie den Butler.
Ihr Unterkiefer fiel erstaunt herunter. So würde es wenigstens in einem harten Kriminalroman zu lesen sein. Mrs. Soldan schluckte, verengte die Augen und glaubte ein Gespenst zu sehen.
»Sie …?« keuchte sie atemlos.
»Ich bedaure außerordentlich, Sie in Ihrer Arbeit stören zu müssen«, gab Parker höflich zurück. Er wollte nach seiner schwarzen steifen Melone greifen. Doch dann zuckte seine Hand wieder herunter. Wie schon gesagt, seine Kopfbedeckung war auf See geblieben.
»Ich überbringe Grüße von Herrn Sheridan, Lonsdale, John und so weiter. Ersparen Sie mir das Aufzählen sämtlicher Bandenmitglieder. Ich überbringe aber nicht nur Grüße, sondern auch die dringende Bitte, diesen betreffenden Herren doch Gesellschaft zu leisten. Im Untersuchungsgefängnis, das will ich einräumen, ist es zwar nicht besonders gemütlich, Mrs. Soldan, doch für Ihre Zwecke durchaus geeignet, zumal Sie sich ja an Zellen gewöhnen müssen.«
»Sheridan …?« Mehr brachte Mrs. Soldan nicht hervor.
»Richtig, ich vergaß zu sagen, daß die ›Strandhaie‹ samt und sonders festgenommen wurden. Sie wollen sich doch hoffentlich nicht ausschließen, zumal die Geständnisse ergaben, daß Sie eine der Hauptpersonen gewesen sind.«
Mrs. Soldan wich ängstlich zurück.
Sie fürchtete sich vor diesem schwarz gekleideten Mann.
Sie wich so weit zurück, bis plötzlich kein Sprungbrett mehr unter ihren Füßen war.
Sie verlor das Gleichgewicht und … plumpste ins Wasser. Sie sah darin bedeutend weniger attraktiv aus als die Delphine. Sie glich einer nassen Katze, als sie von Kriminalbeamten aus dem Wasser gezogen wurde. Mrs. Ruth Soldan leistete keine Gegenwehr. Sie hatte nämlich zuviel Wasser geschluckt …
*
»Sie sind schon ein komischer Bursche«, sagte Leutnant Richey Stunden später. »Ich weiß nicht, ohne Sie hätten wir es wohl nicht so schnell geschafft, die ›Strandhaie‹ aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Das Glück war auf meiner Seite. Das Glück und, wenn ich sagen darf, auch die Bienen, Sir.«
»An die Bienen werde ich noch lange zurückdenken«, murmelte Richey. Er hatte nämlich auch einige Stiche davongetragen.
»Sie hätten eben Parkers Zigarre rauchen sollen«, schaltete sich Mike Rander ein.
»No, dann lieber gestochen werden«, wehrte Leutnant Richey fast entsetzt ab. »Schon nach dem ersten Zug warf ich sie ins Wasser.«
»Was wird aus der kleinen Hastings?« fragte Rander.
»Zeugin der Anklage, Rander. Sie wird mit einem blauen Auge davonkommen. Sie ist ja freiwillig und vorzeitig ausgestiegen.«
»Sind alle Geständnisse perfekt?«
»Die Voruntersuchung ist abgeschlossen. Jetzt haben die Geschworenen das Wort. Fest steht, daß die beiden Muskelmänner zusammen mit Lonsdale Will Chandels gefoltert und dadurch umgebracht haben. Die Ermordung des Bandenmitgliedes Stan Tarpon, der sich als angeblicher Parkplatzwächter produziert hat, geht auf das Konto von Lew Sheridan.«
»Wie geht es Lonsdale?«
»Er wird durchkommen. Er ist zwar schlimm getroffen worden, doch die Ärzte werden es schaffen.«
»Und wo waren die erpreßten Gelder?«
»Auf Sheridans Bankkonto. Wir werden alle Geschädigten wohl abfinden können. Doch das ist Sache von Zivilklagen gegen Sheridan und die Soldan. Sagen Sie, Parker, kann ich irgendeinen Wunsch erfüllen? Ich möchte mich erkenntlich zeigen.«
»Nutzen Sie die Chance«, meinte der junge Anwalt.
»Ich stehe nicht an, einen Wunsch zu äußern«, gab der Butler würdevoll zurück. »Ich möchte allerdings vorausschicken, daß es sonst nicht meine Art ist, mich für getane Arbeit belohnen zu lassen. In diesem Fall aber werde ich eine Ausnahme machen, zumal Ausnahmen, wie es so treffend heißt, die Regel bestätigen. Mit anderen Worten, Sir, ich bitte um Ersatz für meine Kopfbedeckung, die draußen auf See geblieben ist.«
»Er braucht eine neue Melone«, dolmetschte Mike Rander. »Eine neue Melone mit Stahlblecheinlage, Richey!«
»Und, wenn ich noch hinzufügen darf, fünfzig Liter Zuckerwasser für die Everglade-Bienen, Sir. Ich möchte mich bei diesen sympathischen Tieren bedanken.«
»Gut, Sie werden Hut und Zuckerwasser bekommen, Parker.« Richey grinste. »Aber nur unter der Bedingung, daß Sie selbst das Zuckerwasser zu den Bienenstöcken tragen. Mich bekommen Sie da nicht mehr hin …!«
– ENDE –