Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 30
ОглавлениеDie Frau schrie gellend auf.
Dann wurden die Schreie spitz wie Dolche und gingen in ein regelmäßiges Intervall über. Sie stand mit dem Rücken zum Fenster, und ihre Hände hoben sich angstvoll zum Hals, als der breitschultrige Mann mit langsam, schleichenden Schritten auf sie zukam. In seiner rechten Hand lag ein Schürhaken, den er bereits zum Schlag erhoben hatte.
»Zum Teufel, warum schlägt er nicht zu?« sagte Mike Rander ärgerlich vor sich hin.
»Sie hätte es wirklich verdient«, flüsterte Butler Parker zustimmend und hob erwartungsvoll seinen Kopf, als der Mann den Schürhaken zum Schlag erhob.
Der gellende Schrei der Frau brach plötzlich ab. Es gab einen dumpfen Laut; die Frau sackte langsam in die Knie und rollte dann unter den Tisch. Der Mann ließ den Schürhaken klirrend fallen und lief zurück zur Tür.
»Gott sei Dank, der hat’s geschafft«, sagte Mike Rander aufatmend.
»Eine beachtenswerte Tat, die fast zu spät kam«, kommentierte Butler Parker.
Beide sahen sich lächelnd an und standen von ihren Sitzen auf, als schwacher Beifall im Theater zu hören war. Sie verließen die Seitenloge, gingen schnell den Gang hinunter und stellten sich in die geöffnete Tür, die zur Seitenpassage des Theaters führte.
Mike Rander zündete sich eine Zigarette an. Butler Parker zog sein Zigarettenetui aus der Rocktasche, öffnete es, suchte lange in seinen Vorräten herum und entschied sich dann für einen schwarzen Torpedo, den er mit Genuß aus seiner Bauchbinde herausschälte. Mike Rander warf einen mißtrauischen Blick auf seinen Butler, der seine Zigarre umständlich in Brand setzte.
»Ich bin äußerst zufrieden, daß die Darstellerin endlich ermordet Worden ist«, sagte Butler Parker. »Ihr Spiel war grauenhaft schlecht! Und Sie dürfen mir in der Beziehung Urteilskraft Zutrauen, Mister Rander. Seinerzeit war ich Butler bei Sir William Hastings. Sie wissen, er ist schwerer Charakterheld und wurde vom König geadelt.«
»Die Schauspielerin war wirklich schlecht«, meinte Mike Rander schnell, bevor sein Butler weiter in seinen Erinnerungen herumkramen konnte.
»Was halten Sie davon, Parker, wenn wir jetzt schon gehen?«
»Man sollte vielleicht noch den zweiten Akt abwarten«, schlug Butler Parker vor. »Mit Sicherheit ist ja damit zu rechnen, daß sie nicht noch einmal auftritt. Übrigens, Mister Rander, es hat zum zweitenmal geklingelt.«
»Gut, gehen wir noch einmal zurück«, sagte Mike Rander. Er wollte seinem Butler nicht die Freude verderben. »Sehen Sie mal, Parker, da scheint’s einer aber eilig zu haben.«
Mike Rander machte eine Kopfbewegung, und Butler Parker sah einen kleinen, untersetzten Mann, der sich ohne jede Rücksicht durch die einströmenden Zuschauer bohrte.
»Man sollte den Mann vielleicht warnen«, sagte Butler Parker. »Wahrscheinlich wird er enttäuscht sein, wenn er den zweiten Akt sieht.«
Mike Rander grinste und trat seine Zigarette aus. Butler Parker warf einen bedauernden Blick auf seine geliebte Zigarre und legte sie dann vorsichtig auf das eiserne Geländer der breiten Eisentreppe. Nach knapp einer Minute saßen Rander und Parker wieder in ihrer Seitenloge.
Mike Rander unterdrückte ein Gähnen und verbiß sich ein lautes Auflachen, als auf der Bühne der Mann mit dem Schürhaken in einen großen Monolog ausbrach, in dem er umständlich, aber präzis darlegte, warum er die Frau erschlagen hatte.
Als es klopfte, stutzte der Mann, sah zur Tür und sprang dann mit Riesensätzen hinter einen Schrank. Vom Zuschauerraum aus sah man nur noch seinen Schürhaken, der auf und ab wippte.
»Wahrscheinlich bringt er gleich den Koch des Hauses um«, flüsterte Butler Parker amüsiert zu Rander hinüber.
»Der hat’s eigentlich auch verdient«, sagte Rander leise. »Der kann nämlich auch nicht spielen.«
»Wenn ich auf Ihren Vorschlag zurückkommen dürfte«, meinte Butler Parker. »Ich bin jetzt Ihrer Meinung, daß man besser gehen sollte.«
»Schön, gehen wir also, aber möglichst schnell«, sagte Mike Rander aufatmend.
Sie standen beide auf, gingen leise in den Vorraum der Loge und sahen einen Mann, dessen Gesicht verzweifelt und entschlossen zugleich wirkte.
»Bleiben Sie stehen«, sagte der Mann mit hastiger Stimme.
Mike Rander erkannte ihn auf einmal wieder. Es war der Untersetzte, der sich durch die Zuschauer in der Seitenpassage geboxt hatte.
»Darf man fragen, was der Revolver in Ihrer Hand bedeuten soll?« erkundigte sich Butler Parker höflich.
»Schnauze halten«, zischte der Mann sie an. »Es passiert nichts, wenn ihr keine Dummheiten macht. Ich brauche den Mantel und den Hut.«
Er machte mit dem Kopf eine entsprechende Bewegung zur Garderobe, aber die Lage des Revolvers änderte er nicht.
»Meinen Mantel und meinen Hut?« sagte Butler Parker empört.
»Los schon«, sagte der Mann schnell. »Ich habe nicht viel Zeit. Du kannst dafür meinen Mantel behalten. Umdrehen!«
»Wer ist denn hinter Ihnen her?« fragte Mike Rander in sachlichem Ton. Er bekam keine Antwort und drehte sich deshalb sofort zur Wand. Natürlich hätten Parker und er mehr als eine Chance gegen den Mann gehabt. Aber sie wollten es nicht darauf ankommen lassen. Ein verirrter Schuß hätte in dem dicht gefüllten Zuschauerraum zu leicht Unheil anrichten können.
Rander und Parker hörten das Rascheln von Stoff, von der Bühne her drangen wieder spitze Schreie in die Loge, und dann klappte eine Tür. Als Butler Parker in einem erstaunlichen Hechtsatz zur Logentür springen wollte, grinste Mike Rander.
»Meinen Sie, Parker, der Mann hätte die Tür aufgelassen?« fragte er.
»Weshalb regen Sie sich so auf? Ich bin eigentlich sehr froh, daß bei der Gelegenheit Ihre Melone zum Teufel gegangen ist. Hätte der Mann noch etwas gewartet, wäre ihm ’ne Belohnung sicher gewesen.«
»Was hatte dieser Besuch wohl zu bedeuten?« fragte der Butler, der wieder Platz genommen hatte.
»Entweder wollte er seinen alten Mantel gegen einen halbwegs besseren Umtauschen, oder er wurde verfolgt und suchte sich jetzt zu tarnen. Ich glaube mehr an die zweite Möglichkeit.«
»Er hatte es sehr eilig, ins Theater zu kommen«, erinnerte sich der Butler laut. »Wahrscheinlich wurde er wirklich verfolgt. Aber wieso kam der Mann ausgerechnet in unsere Loge?«
»Sehr einfach«, meinte Rander lächelnd. »Unsere Seitenloge hat eigene Garderobe und liegt am Ende des Ganges. Er brauchte also nicht mit Überraschungen zu rechnen, unser Klopfen wird man nicht so schnell hören, und er hat die Möglichkeit, durch die Gangtür hinter die Bühne zu kommen. Von da aus wird er auch verschwinden wollen.«
»Vielleicht sind wir einem Verbrechen auf der Spur«, sagte Butler Parker, und seine sonst ewig vereiste Miene belebte sich etwas bei dieser Aussicht. »Man müßte den Fall näher untersuchen, Mister Rander.«
»Gut, untersuchen Sie den Mantel des Mannes«, sagte Rander. »Aber wahrscheinlich hat er ihn ausgeräumt.«
Würdevoll, mit steifen Bewegungen, ging Parker in den Garderobenteil der Loge und begann den Mantel des Mannes fachmännisch zu durchsuchen. Mike Rander war ihm gefolgt und sah grinsend zu.
»Na, was haben Sie herausgefunden?« fragte Rander, als sein Butler die Taschen durchsucht hatte.
»Dieser Mantel befindet sich in einem ungewöhnlichen Zustand«, erwiderte Butler Parker. »Beide Taschen sind zerrissen und das Futter existierte kaum noch.«
»Schmeißen Sie den Fetzen hin«, sagte Mike Rander. »Mit dem Ding ist ja doch nichts mehr anzufangen.«
»Ich werde meine Hände eine Viertelstunde bürsten müssen«, sagte Josuah Parker und warf den Mantel über eine Sessellehne. »Sie haben recht gehabt, Mister Rander, es war nichts zu find …«
»Was haben Sie denn?« fragte Mike Rander grinsend, als sich der Butler wieder über den Mantel stürzte. Mit spitzen Fingern fühlte er den Saum des Mantels ab.
»Eine Visitenkarte«, sagte Parker, nachdem er das Futter einfach aufgerissen hatte, um an den Gegenstand zu kommen, den er gefühlt hatte.
»Zeigen Sie mal her«, reagierte Mike Rander überrascht. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einer Visitenkarte. Butler Parker reichte ihm ein Stückchen Karton herüber. Auf der Rückseite der Karte waren ein paar Zahlen aufgekritzelt.
»Tony Glubb, Chicago, Gate Street, 1238«, las Mike Rander laut.
»Dieser Mantel sieht nicht nach der Gate Street aus«, meinte Josuah Parker. »Dort wohnen doch nur Leute, die ein gewisses Einkommen haben.«
»Womöglich hat er sie nur gefunden«, meinte Mike Rander und steckte die Karte ein.
»Sollen wir das Kleidungsstück der Polizei übergeben?« fragte der Butler.
»Während der Pause besorgen Sie ein Stück Papier«, schlug Rander vor. »Das heißt, meinetwegen können Sie sich den Mantel auch anziehen. Vorerst nehmen wir ihn mit nach Hause.«
»Ich werde doch lieber Papier besorgen«, sagte Butler Parker erschreckt.
»Da ist schon die Pause. Wie viele mag man auf der Bühne noch umgebracht haben?«
»Wir fragen den Logenschließer.« Rander lachte. »Wahrscheinlich hat noch ein halbes Dutzend dran glauben müssen.«
Schon nach dem ersten Klopfen wurde die Loge von außen geöffnet. Der Logenschließer stellte keine Fragen, und Butler Parker verschwand, um einen Bogen Papier zu holen.
Mike Rander nutzte die Gelegenheit und erkundigte sich nach den Morden. Er war sehr zufrieden, als Parker zurückkam.
»Wir können beruhigt sein«, sagte er zu Parker und grinste. »Ich habe soeben erfahren, daß der Mann mit dem Schürhaken inzwischen das Zeitliche gesegnet hat. Er wurde erschossen.«
»Wir müssen es glatt überhört haben«, sagte Butler Parker. »Schade, den Genuß hätte ich mir nicht entgehen lassen sollen.«
Sie gingen den Korridor hinunter, bis sie die durchgehende Halle erreicht hatten. Vor dem Ausgang zur Seitenpassage staute sich eine Menge Zuschauer, die laut und erregt diskutierte.
»Was ist denn hier los?« fragte Butler Parker einen Mann, der vor ihm stand. »Werden hier Dollars verteilt?«
»Nicht Dollars, Blei«, erwiderte der Mann. »Man hat einen Mann in der Passage gefunden. Er ist erschossen worden!«
»Bekannter Mann?« fragte Rander.
»Sie sagten draußen gerade, daß er einen dunklen Mantel und eine Melone getragen hat«, gab der Mann bereitwillig Auskunft …
*
»Nehmen wir erst einmal einen Drink«, sagte Mike Rander. »Anschließend lassen wir uns bei Leutnant Handy sehen. Vielleicht erfahren wir von ihm, wer der Tote ist.«
Für Mike Rander und Butler Parker war es aussichtslos, durch die Menge an den Toten heranzukommen. Sie machten kehrt und verließen das Theater durch den Haupteingang. Schräg gegenüber vom Theater war eine Bar, die sie beide anliefen.
»Ihre zweite Möglichkeit ist demnach eingetroffen«, sagte Butler Parker, als die Drinks serviert waren. »Der Mann wurde verfolgt, flüchtete sich ins Theater, wurde aber trotz seiner veränderten Kleidung erkannt und ermordet. Um was mag es gegangen sein? Wer mag der Tote sein?«
»Sie stellen eine Menge Fragen an mich«, sagte Mike Rander grinsend. »Und dabei weiß ich nicht mehr als Sie. Ich nehme an, daß es sich um einen kleinen Gauner gehandelt hat.«
»Sie meinen wegen des Revolvers, den er in der Hand hielt?« sagte Butler Parker.
»Nicht nur wegen des Revolvers«, entgegnete Mike Rander. »Der Mann sprach auch so, fanden Sie das nicht auch, Parker? Die Zeiten werden besser, die Gangster und Gauner bringen sich gegenseitig um.«
»Das sagen Sie als Strafverteidiger?« entrüstete sich der Butler. »Mister Rander, immerhin …«
»Sie wissen doch auch, daß mir dieser Beruf zum Halse heraussteht«, sagte Rander und nahm einen Schluck Whisky. »Wenn etwas an der Sache sein sollte, wollen wir uns dahinterklemmen. Falls Sie keine moralischen Hemmungen haben.«
»Gut, daß wir die Visitenkarte haben«, meinte Butler Parker. »Man sollte diesen Mister Glubb aufsuchen.«
»Dabei wird zwar nicht viel herauskommen«, meinte Rander nachlässig. »Aber versuchen wir’s immerhin. Ich glaube, daß wir zum Stadthaus fahren können. Die Mordkommission ist bereits seit zehn Minuten wieder verschwunden.«
Mike Rander und Butler Parker verließen die Bar, gingen zum Parkplatz des Theaters, und wenige Sekunden später fuhr ein dunkler Studebaker in verwegener Fahrt auf die Straße. Parker liebte es nämlich, etwas schneller als die anderen zu fahren.
»Sie brauchen keineswegs einen neuen Rekord aufzustellen«, sagte Mike Rander warnend. »Das Stadthaus ist nicht weit, und wir werden nicht erwartet.«
»Ich werde mich befleißigen, langsamer zu fahren«, versprach Josuah Parker, ohne allerdings seinen Fuß vom Gaspedal zu nehmen.
Gemeinsam betraten sie das Stadthaus, erkundigten sich nach Leutnant Handy und fuhren anschließend mit dem Lift in den vierten Stock. Sie hatten Glück, denn der Polizeioffizier, ein leitender Beamter des Kriminal-Departements, war erst vor wenigen Minuten zurückgekehrt und befand sich in seinem Büro.
»Hallo, Mister Rander?« fragte Leutnant Handy und sah erstaunt auf, als Rander und Parker das Office betreten hatten. »Tag, Parker!«
»Ich hatte große Sehnsucht nach Ihnen«, lächelte Mike Rander verschmitzt. »Was gibt’s denn Neues in der Stadt?«
»Was soll es schon geben?« fragte Handy zurück. »Täglicher Kleinkram, täglicher Ärger. Nur um das herauszufinden, haben Sie mich besucht?«
»Warum so mißtrauisch?« erkundigte sich Rander harmlos.
»Ich kenne doch Sie und Parker«, sagte Handy lächelnd. »Was liegt denn nun wirklich vor, Rander?«
»Sie fanden vor knapp einer halben Stunde einen Toten im ›Lonely-Theater‹, ja?« schickte Rander voraus. »Sagt Ihnen das was, daß Parker und ich in dem Kriminalstück waren?«
»Da sind Sie aber auf der falschen Fährte«, entgegnete Handy auflachend. »Stimmt übrigens, man hatte einen Mann in der Passage restlos fertiggemacht.«
»Ist der Mann Ihnen bekannt?« fragte Rander mit neutraler Stimme.
»Warum interessiert Sie das?« erwiderte Handy. »Hatten Sie mit dem Toten zu tun?«
»Wie soll denn der Mann heißen?« fragte Mike Rander. »Ich habe nur zufällig gehört, daß in der Passage ein Mann ermordet worden ist.«
»Wir haben keine Ahnung, wer der Mann ist«, erwiderte Leutnant Handy.
»Er ist nicht im Familienalbum, und in seinen Taschen befindet sich auch nichts, was uns weiterbringen könnte. Sie sehen mich allerdings erstaunt, Mister Parker!«
»Sie sind erstaunt?« fragte Butler Parker vorsichtig. »Darf man sich nach dem Grund erkundigen?«
»Sie tragen keinen Mantel, Ihre steife Melone fehlt. Mich hat’s fast vom Schlitten gehauen, als ich Sie gesehen habe. Vielleicht interessiert es Sie, der Tote trug eine Melone und einen dunklen Mantel. Ihre Sachen, Parker!«
»Deshalb sind wir ja hier«, schaltete sich Mike Rander ein. »Wir wollten einen Diebstahl anmelden, Handy.«
»Diebstahl?«
»So ist es allerdings«, übernahm Butler Parker weiter das Gespräch. Nach dem Hinweis, den Rander gegeben hatte, konnte er allein weitermarschieren.
»Man hat meinen Mantel gestohlen und mir dafür diesen Lumpen zurückgelassen.«
Der Butler legte das Paket auf den Schreibtisch des Leutnants und riß die Umhüllung auf.
»Das müssen Sie mir der Reihe nach erzählen«, meinte Handy verblüfft.
»Wir waren zusammen im Lonely-Theater«, begann Parker. »Es wurde ein Kriminalstück uraufgeführt. Es war ein gräßliches Stück, es wimmelte nur so von Toten, und doch wußte man von Anfang an, wer der Mörder war. Im zweiten Akt erschien der Mörder und hatte einen …«
»Sie wollten mir erzählen, wie Ihnen der Mantel gestohlen worden ist«, ermahnte ihn der Polizeioffizier.
»Ich werde Ihnen den Fall präzis erklären«, schickte Butler Parker voraus. »Wir saßen also in der linken Seitenloge des Theaters, und in Anbetracht des grausam schlechten Stücks entschlossen Mister Rander und ich uns, frühzeitig das Haus zu verlassen. Können Sie mir folgen?«
»Klar, machen Sie schon weiter«, sagte Handy etwas ärgerlich.
»Also, wir wollten frühzeitig das Haus verlassen und gingen in den rückwärtigen Teil der Loge, wo die Einzelgarderobe ist. Als ich meinen Mantel vom Haken nehmen wollte, fehlte er. Dafür fand ich diesen Putzlappen.«
»Sie haben nicht gemerkt, daß der Dieb in die Loge gekommen ist?« wollte Handy wissen.
»Aber Leutnant«, protestierte der Butler. »Dann hätte ich noch meinen Mantel und Sie den Dieb.«
»Haben Sie den Mantel schon durchsucht?« fragte der Leutnant.
»Aber natürlich nicht«, erwiderte Butler Parker entrüstet. »Trauen Sie mir zu, daß ich solch einen Arbeitnehmer auch nur mit den Fingerspitzen berühre?«
»Ulkiger Zufall«, sagte Handy mißtrauisch. »Verschweigen Sie mir auch nichts?«
»Handy, machen Sie sich nicht lächerlich«, mischte sich Rander in die Unterhaltung. »Wie denken Sie über den Fall?«
»Der Mann wurde ermordet, als er das Theater verlassen wollte«, sagte Handy nachdenklich. »Er wurde ermordet, als der zweite Akt noch lief. Um einen kleinen Gauner scheint es sich nicht zu handeln. Wahrscheinlich wollte er mit den Sachen Parkers vor irgendwelchen Leuten, die ihm auf der Spur waren, verschwinden. Kleiderdiebe und Gauner erschießen sich nicht gegenseitig.«
»Sie kennen den Mann wirklich nicht?« erkundigte sich Mike Rander.
»Wir haben nicht den kleinsten Anhaltspunkt«, sagte Handy kopfschüttelnd. »Seine Anzugtaschen waren wie leergefegt. Den Mantel lassen Sie uns hier.«
»Damit hätten wir unsere Pflicht getan«, erklärte Mike Rander in verabschiedendem Ton. »Hören wir von Ihnen, wenn sich etwas getan hat?«
»Klar, ich rufe Sie dann an«, gab der Polizeioffizier zurück.
»Ob Handy den Toten wirklich nicht kennt?« fragte Butler Parker, als sie das Stadthaus verlassen hatten.
»Bis jetzt sieht’s so aus«, erwiderte Rander. »Fahren wir doch gleich mal rüber zu Glubb. Vielleicht kann der uns auf die Sprünge helfen.«
Butler Parker steuerte den schweren Wagen mit gewohnter Meisterschaft durch die City. Nach knapp zehn Minuten hatten sie den Stadtteil erreicht, der am See lag. Nach Durchfahren einiger Querstraßen erreichten sie die Gate Street.
»Nicht so schnell«, sagte Mike Rander. »Stop, Parker, wir sind schon vorbei. Nein, lassen Sie den Wagen hier stehen.«
Sie gingen ein paar Schritte zurück und standen vor einem schmiedeeisernen Gartentor. Parker drückte die Klinke herunter, die Tür gab nach. Das Haus, ein ebenerdiger, langgezogener Bau, war nach vorn heraus nicht beleuchtet. Als sie vor der Haustür standen, versuchte Parker es noch einmal mit der Klinke und hatte wieder Glück.
»Im Haus brennt kein Licht«, sagte Mike Rander. »Parker, wir können uns in aller Ruhe umsehen.«
»Das Haus ist bewohnt«, erwiderte Butler Parker. »Im Keller scheint man Holz zu sägen. Hören Sie, Mister Rander!«
»Der Holzsäger ist ein Phänomen.« Rander grinste. »Beim Sägen schläft er sogar. Hier aus dem Nebenzimmer kommt das Schnarchen, Parker …«
*
Butler Parker wollte gerade etwas erwidern, als eine Tür aufging und Licht angedreht wurde. Im Türrahmen zu einem Nebenzimmer stand ein junges Mädchen. Sie trug einen Morgenmantel, den sie sich nachlässig übergeworfen hatte.
»Guten Abend, meine Dame«, sagte Butler Parker mit einem seiner Meinung nach vertrauenerweckenden Ton. »Sie werden, wie ich Ihrem Gesichtsausdruck entnehmen kann, gewiß einigermaßen erstaunt sein, uns hier zu sehen.«
Das Mädchen im Morgenmantel gab vor Verblüffung ihre Absicht auf, laut zu schreien. »Guten Abend«, erwiderte sie nach einer kurzen Schaltpause.
»Guten Abend«, erwiderte Butler Parker noch einmal.
»Wer sind Sie, was wollen Sie?« fragte die Frau dann mit gepreßter Stimme. »Ich kenne Sie nicht. Wie kommen Sie in das Haus?«
»Wir kommen von der Liga zur Wahrung der Rechte von rechtlosen und rechtgläubigen Eingeborenen«, sagte Butler Parker. Er zuckte mit keiner Miene, als er seinen blühenden Unsinn zum Besten gab. Das Mädchen nickte verstehend, obwohl sie nicht begriffen hatte.
»In das Haus sind wir durch die Tür gekommen«, schaltete sich Mike Rander sehr geistreich ein. »Sie war nicht verschlossen.«
»Was wollen Sie denn eigentlich?« begehrte das Mädchen zu wissen. »Ich hole meinen Onkel. Es ist einfach unverschämt, daß Sie …«
»Ihre Kleidung dürfte nicht ganz korrekt sein«, stellte der Butler tadelnd fest. Das Mädchen, es war vielleicht achtzehn oder zwanzig Jahre alt, hatte dunkelbraunes Haar und ein paar dunkelleuchtende Augen, sah erschrocken auf und verschwand wieder in ihrem Zimmer.
»Ich fürchte, daß die junge Dame nicht ganz klug geworden ist«, meinte Butler Parker.
Bevor Mike Rander zu einer Antwort kam, wurde die Tür aufgerissen, durch die das Mädchen verschwunden war. Im Türrahmen stand ein mittelgroßer, schwammiger Mann mit einem birnenförmigen Kopf. Er schien getrunken zu haben, denn er taumelte etwas.
»Raus«, sagte der Mann mit einer gellenden Stimme, die wie zerbrochenes Glas klang. »Raus sag ich, oder ich knalle los!«
Jetzt erst bemerkten Rander und Parker den schweren Colt, den der Mann in der Hand hielt.
»Seien Sie vorsichtig«, sagte Mike Rander grinsend. »Wie leicht kann so ein Schießeisen losgehen, Glubb.«
»Raus, sage ich«, brüllte der Schwammige zum zweiten Male. Er war wütend und hob seinen Arm. Dabei geriet er wieder ins Torkeln und mußte sich am Türrahmen festhalten.
»Onkel, nicht schießen«, schrie plötzlich gellend das Mädchen auf. Es war hinter dem Mann erschienen und preßte ängstlich ihre Hände an den Hals.
Der Betrunkene senkte seinen Kopf, um die Waffe näher zu besichtigen. Als er wieder hochkam, stand Mike Rander neben ihm und nahm ihm die Waffe aus der Hand.
»Parker, bringen Sie den Mann ins Bett«, wandte er sich an seinen Butler. »Er ist überhaupt nicht zurechnungsfähig.«
Mike Rander hatte sich zu dem Mädchen gewendet, das ihn erschreckt ansah.
»Ist doch keine Schande, daß man mal eins über den Durst trinkt«, sagte Rander beruhigend zu ihr. »Ihr Onkel heißt Tony Glubb?«
Sie nickte und sah ihn weiterhin ängstlich an.
»Sie sind seine Nichte?«
»Ich heiße Ann Torca«, erwiderte sie und nickte.
»Ihr Onkel hat getrunken?« fragte Mike Rander weiter.
»Er hat geschnupft«, rief in dem Moment Butler Parker aus dem Nebenzimmer. »Hier auf dem Nachttisch liegt noch ein Briefchen mit Kokain.«
»Nimmt Ihr Onkel Rauschgift?« erkundigte sich Mike Rander bei dem Mädchen. Sie sah ihn immer noch erstaunt und erschreckt zugleich an.
»Hat s Ihnen die Sprache verschlagen?« fragte Rander drängend. »Ich habe Sie doch was gefragt.«
»Das sollten Sie doch am besten wissen«, sagte das Mädchen da bitter. »Er hatte auf Sie gewartet.«
Rander war verblüfft. »Er hat auf uns gewartet? Hat er denn Namen genannt?«
»Nein. Er sagte mir nur, daß wir heute abend vielleicht noch Besuch bekommen würden. Er bekam oft Besuch.«
»Das ist ja interessant«, meinte Rander. »Haben Sie die Leute denn schon mal gesehen?«
»Ich muß dann immer auf mein Zimmer«, sagte das Mädchen. »Onkel wollte nicht, daß mich die Leute sahen. Wer sind Sie nun eigentlich?«
»Nicht die, die Ihr Onkel erwartet hat«, erwiderte Mike Rander. »Kommen Sie mit ins Schlafzimmer, wir wollen uns mal den lieben Onkel näher ansehen.«
»Ich will mir erst etwas überziehen.« Das Mädchen sprach mit leiser Stimme.
Mike Rander nickte und betrat das Schlafzimmer. Butler Parker hatte Glubb aufs Bett gelegt und war dabei, sich im Raum umzusehen.
»Da sind wir in eine großartige Sache gestiegen«, sagte Mike Rander nachdenklich. »Aber ich habe das Gefühl, daß die Visitenkarte gar keine so schlechte Spur ist. Wenn das Mädchen kommt, können Sie sich mit ihr über Glubb hermachen. Ich sehe mir die anderen Räume an.«
Mike Rander hatte nicht die notwendige Zeit, das Haus Glubb eingehend zu durchsuchen. Er mußte sich mit einer oberflächlichen Kontrolle begnügen.
Im Schreibtisch der kleinen Bibliothek fand er ein Päckchen. Absender war Tony Glubb, Empfänger ein gewisser Anthony Lemming, Chicago, Trent Street, 381. Das Päckchen sollte wohl am anderen Morgen erst abgehen, und als Rander die Verpackung einriß, und ein Stück des Kartons aufbrach, sah er die bekannten Briefchen.
Auf dem Schreibtisch fand Rander ein großes Foto. Es zeigte eine leicht bekleidete Frau in einem Seidenüberwurf. Die Frau hatte superblondes Haar, ein nichtssagendes Gesicht, das allerdings stark bemalt worden war. Es trug keine Widmung, aber zur Sicherheit notierte sich Rander die Fotofirma.
Routinemäßig öffnete er noch den Briefkasten, bevor er zurück ins Schlafzimmer ging, aus dem gurgelnde Laute kamen. Mike Rander steckte zwei Briefe ein. Er wollte sie nicht jetzt sofort lesen. Zuerst mußte Glubb sein Sprüchlein sagen.
»Hallo, Onkel«, sagte Rander grinsend, als er den Schwammigen sitzend im Bett sah. »Sie haben sich aber ’ne mächtige Dosis durch die Nase gezogen. Von wem bekommen Sie das Zeug?«
»Kein Wort sage ich«, schnaufte Glubb ärgerlich. »Was wollen Sie eigentlich in meiner Wohnung? Ich werde Sie anzeigen.«
»Sie handeln mit Rauschgift«, begann Mike Rander in sehr bestimmtem Ton. »Sie schnupfen selbst und hatten in der Schublade Ihres Schreibtisches ein Paketchen mit Koks. Ich habe das Zeug sichergestellt.«
»Sie Hund«, schrie Glubb mit sich überschlagender Stimme. »Rücken Sie das Päckchen raus! Ich mach Sie kalt, Sie Hund …!«
»Es ging nicht anders«, sagte Butler Parker entschuldigend, nachdem er Glubb mit der Außenseite seiner Hand zur Räson gebracht hatte.
»Sie handeln also mit Koks«, wiederholte Mike Rander noch einmal. »Sie sind aber nur Zwischenhändler, Glubb. Wer gibt Ihnen das Zeug?«
»Weiß ich nicht«, jammerte Glubb auf. Er wischte sich mit fahrigen Bewegungen über den Mund.
»Kennen Sie die Visitenkarte hier?« fragte Mike Rander und zauberte mit einer schnellen Handbewegung die Karte unter Glubbs Nase. »Sie wissen genau, wem Sie die Karte hier gegeben haben, und Sie wissen auch, wie der betreffende Mann heißt.«
»Ich weiß nichts«, jammerte Glubb kläglich auf. »Ich weiß bestimmt nichts. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Die richtige Auskunft«, meinte Rander grinsend. »Sie werden sie mir also geben?«
»Ich sag’s schon«, wimmerte Glubb schwach. »Die Karte gehört Willy Snyder. Bestimmt.«
»Wo wohnt der Mann?« fragte Rander weiter.
»Chicago-Heights, Semwa Street, 184«, leierte der Mann weinerlich herunter.
»Er holt sich bei Ihnen Koks, wie Lemming, ja?«
Tony Glubb nickte, und seine dicken Backen wackelten dabei traurig auf und ab.
»Wer kreuzt in dieser Angelegenheit noch bei Ihnen auf?« fragte Rander weiter.
»Niemand mehr«, flüsterte Glubb heiser vor Aufregung. »Sie können mir das glauben, bestimmt.«
»Was steckt hinter der Visitenkarte?« wollte Rander nun wissen. »Ist das so was wie ein Ausweis für Ihre Kunden?«
Glubb nickte und schnaufte, als ob er keinen Atem mehr in die Lungen bekommen könnte.
»Und von wem beziehen Sie den Stoff?« fragte plötzlich Parker dazwischen.
»Ich bekomme ihn immer postlagernd«, erwiderte Glubb aufseufzend. »Postlagernd, Hauptbüro der Western Union.«
»Unter Ihrem Namen?«
»Unter meinem Namen«, bestätigte Glubb gebrochen.
»Wen erwarten Sie noch heute abend?« fragte Mike Rander. »Los, antworten Sie schon!«
»Willy Snyder und Eddy Purcel«, sagte Glubb sehr schnell.
»Ich meine, Sie würden nur zwei Namen kennen?« sagte Rander grinsend.
»Wo wohnt Purcel?«
»Habe ich Purcel gesagt?« fragte Glubb erstaunt. »Den Namen habe ich aber nicht genannt.«
Mike Rander lächelte den Schwammigen immer noch an, obwohl er dabei war, sich mit betont drohenden Gesten seinen Rock auszuziehen.
»Ich sag’s ja schon«, sagte Glubb beleidigt. »Er wohnt wie Snyder, nur in der Lemon Street, 296, glaube ich. Jetzt habe ich aber alles gesagt. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Viel scheinen Sie überhaupt nicht zu wissen«, sagte Mike Rander. »Sie müßten doch eigentlich wissen, daß Ihr Kumpan Willy Snyder erschossen worden ist.«
»Willy ist umgelegt worden?« fragte Glubb entsetzt und sah Mike Rander ungläubig an.
»Er war auf der Flucht, obwohl die Polizei nicht hinter ihm her war«, erklärte Mike Rander.
»Dann war Mike …«
Tony Glubb bricht mitten im Satz ab. Ein Schuß war aufgepeitscht und mußte den Mann genau getroffen haben. Er faßte sich an seine Brust und sackte in sich zusammen. Mike Rander und Josuah Parker, die natürlich an dem Abend ohne Waffen waren, gingen blitzschnell in Deckung. Das Mädchen benutzte die Gelegenheit, um aus dem Zimmer zu laufen. Als Rander ihr folgen wollte, wurde er durch einen Schuß gebremst.
Erst nach drei Minuten wagten sich Rander und Parker wieder in die Mitte des Zimmers. Als sie Glubb, der auf dem Boden lag, herumdrehten, sahen sie, daß er bereits tot war.
*
»Donnerwetter, Parker, dieser Fall fängt aber gleich haarig an«, sagte Mike Rander zu seinem Butler. »Sehen Sie doch mal nach, ob die Luft rein ist und wohin das Mädchen sich verkrochen hat.«
Butler Parker verließ das Schlafzimmer. Mike Rander ließ aus Sicherheitsgründen die Jalousien vor den Fenstern herunter. Er hatte nicht die geringste Lust, wie Glubb abgeknallt zu werden. Mit spitzen Fingern durchsuchte er dann die Hosentaschen des Toten und anschließend Rock und Weste, die über einen Stuhl geworfen waren. Als er die Brieftasche in der Hand hatte, wurde er genauer und fühlte mit den Fingern in jedem Fach nach. Aber er konnte nichts finden, was ihn hätte weiterbringen können.
»Das Mädchen ist nicht mehr aufzutreiben«, sagte Butler Parker, der inzwischen wieder zurückgekommen war. »Ich habe mir jedes Zimmer und jeden Schrank genau angesehen.«
»Räumen wir das Schlachtfeld«, sagte Mike Rander. »Es könnte sein, daß das Mädchen noch Krach schlägt. Ich möchte keine unnötigen Fragen beantworten müssen.«
Sie verließen das Haus, nachdem sie alle Spuren wieder verwischt hatten, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach hinterlassen hatten. Bevor sie die Straße betraten, sahen sie sich vorsichtig um und pirschten dann zu dem Studebaker hinüber.
»Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?« erkundigte sich der Butler. »Ich erlaube mich daran zu erinnern, daß wir die Adresse des Toten haben, den die Polizei nicht identifizieren konnte.«
»Das war das Ei des Columbus«, sagte Mike Rander grinsend.
»Gut, fahren wir zur Semwa Street, in den Heights. Aber mir wäre wohler, wenn wir für diesen Ausflug ein paar Schießeisen hätten.«
»Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen wollen«, bat Butler Parker korrekt. Er verließ den Sitz, öffnete die Wagentür, stieg in die Rückpolster und hob einen Sitz hoch.
»Wonach graben Sie denn eigentlich?« fragte Rander amüsiert.
»Ich habe das Arsenal für den Notfall besichtigt«, schnaufte Butler Parker, kroch von dem Sitz durch die hintere Wagentür und setzte sich wieder vor das Steuer. »Wenn Ihnen mit diesem kleinen Colt gedient ist, Mister Rander.«
Mit unbewegtem Gesicht reichte er Rander eine handliche Waffe. Er selbst steckte sich den gleichen Colt in die innere Rocktasche.
»Was schleppen Sie eigentlich nicht mit sich herum?« fragte Rander, verblüfft, aber grinsend. »Jetzt hab’ ich nichts mehr dagegen, Parker, wenn Sie ganz langsam und vorsichtig losfahren.«
»Ich gebe mir bereits Mühe«, behauptete Butler Parker, der aber trotz seiner Behauptung ein Tempo vorlegte, das sich gewaschen hatte. Sie erreichten den Stadtteil in Rekordzeit und stellten den Wagen auf einem Parkplatz ab.
»Viel werden wir wohl nicht mehr finden«, meinte Rander, als sie die ausgetretenen Treppen des Mietshauses emporstiegen.
Sie betraten ein schmuddeliges Zimmer, das nicht aufgeräumt war. Auf einer Couch an der linken Wand lag schmutziges Bettzeug.
»Sieht so aus, als ob noch niemand hier gewesen wäre«, sagte Mike Rander erstaunt.
Er öffnete das Fenster, und dann durchsuchten sie gründlich und in aller Ruhe die Wohnung Snyders. Nach einer Viertelstunde hockte sich Rander auf eine Sessellehne und zündete sich eine Zigarette an.
»Pech gehabt«, sagte er und blies den Rauch zum Fenster hinaus. »Entweder war Snyder ein vorsichtiger Mann, der nichts Belastendes zu Hause hielt, oder man ist uns doch schon zuvorgekommen.«
»Man sollte es vielleicht mal mit den Hausbewohnern versuchen«, schlug der Butler vor. »Vielleicht kann man da etwas erfahren.«
»In Ordnung«, stimmte Rander zu. Er wollte gerade von der Sessellehne herunterspringen, als leise an die Tür geklopft wurde. Mike Rander wurde plötzlich geräuschvoll, ging mit schnarrenden Schritten zur Tür hin und drehte den Schlüssel herum.
»Mensch, Will, seit wann machst du die Bude dicht«, sagte eine rauhe Stimme, und sofort danach betrat ein schlanker Mann den Raum. Mike Rander warf die Tür hinter dem Mann ins Schloß und schloß blitzschnell wieder ab.
»Was’n das?« reagierte der Mann erstaunt. »Wo ’s Willy?«
»Wie wär’s, wenn Sie sich setzen würden?« schlug Mike Rander grinsend vor und deutete auf einen Sessel.
»Mach ich«, erwiderte der Mann. »Wer seid denn ihr? Wartet ihr auf Willy?«
»Warten Sie auf ihn?« fragte Rander zurück.
»Klar«, sagte der Mann, der etwas schwerfällig zu sein schien.
»Da können Sie aber noch lange warten«, sagte Mike Rander und sah den Mann scharf an. »Wissen Sie denn noch nicht, daß Willy umgebracht worden ist? Vor vielleicht zwei Stunden?«
»Das ’n schlechter Witz«, sagte der Mann, aber er schien sich über die Nachricht nicht sonderlich aufzuregen. »Wer hat ’n denn umgelegt?«
»Wissen Sie das nicht viel besser als wir?« entgegnete Mike Rander scharf. »Wie heißen Sie?«
»Seid wohl Cops, was?« fragte der Mann vorsichtig an.
»Wir haben Sie was gefragt«, wiederholte Rander noch einmal. »Wie heißen Sie?«
»Tommy«, sagte der Mann erstaunt. »Tommy Lutch.«
»Wollen Sie Koks abholen?«
»Ich habe keine Heizung«, sagte der Mann und grinste.
»Mit dem Koks ist’s jetzt Essig«, erwiderte Rander. »Snyder ist tot, und sein Lieferant ebenfalls.«
»Snyder ist wirklich tot?« fragte der Mann jetzt, und Rander fühlte, daß der andere erst jetzt richtig warm wurde.
»Mausetot«, sagte Rander und nickte mit dem Kopf. »Bestimmte Leute waren hinter ihm her und haben ihn beseitigt. Wann sind Sie an der Reihe?«
»Ist doch Quatsch.« Der Mann wurde ärgerlich und stand auf. »Weiß ich, warum man Willy umgelegt hat? Ich wollte mir nur zehn Dollar von ihm pumpen. Darum bin ich gekommen.«
»Sie wohnen hier im Haus?«
»Gleich gegenüber«, sagte der Mann. »Aber nicht so vornehm wie Willy. Vielleicht kann ich jetzt sein Zimmer haben.«
Der Mann drehte sich um, ging zur Tür und verschwand auf dem Korridor. Butler Parker sah Rander erstaunt und fast mißbilligend an.
»Warum haben Sie den Mann gehen lassen?« fragte er. »Der war doch nicht so dumm, wie er nach außen hin tat.«
»Eben deshalb«, erwiderte Mike Rander grinsend. »Haben wir irgendeine Handhabe gegen ihn? Wir könnten ja schließlich nicht jeden verdächtigen, der nicht so will wie wir. Was halten Sie davon, wenn wir uns hinter … diesen Lemming klemmen? Er sollte ja das Rauschgiftpäckchen bekommen.«
»Hoffentlich finden wir in dieser Wohnung nicht auch noch einen Toten«, unkte der Butler.
Mike Rander und Josuah Parker verließen das Zimmer, kamen ohne Zwischenfälle auf die Straße und fuhren dann vom Parkplatz aus mit dem Studebaker zur Trent Street. Die Straßen waren inzwischen wie leergefegt, als sie sich dem Stadtteil näherten, in dem Lemming wohnte.
»Er ist noch auf«, sagte Butler Parker und deutete mit seinem Kopf auf eine große Villa, die in einem noch größeren Park lag. Das Mondlicht warf einen kalkigen Schein auf das Haus und erleuchtete auch den Garten.
»Vielleicht freut er sich über unseren späten Besuch«, sagte Mike Rander grinsend. »Alles klar, Parker.«
»Wir können gehen«, meldete der Butler. Mike Rander reichte ihm das Rauschgiftpäckchen, und dann gingen sie durch den Garten auf das Haus zu. Schon nach dem ersten Klingeln wurde geöffnet. Ein älterer Mann, scheinbar war es der Butler des Hauses, zog ein abweisendes und fragendes Gesicht.
»Wir sind uns über die ungewöhnliche Stunde durchaus im klaren«, begann Butler Parker in einem entschlossenen Ton.
»Es ist wirklich sehr spät«, erwiderte der Butler des Hauses. Seine Stimme klang versöhnlich, und sein Gesicht zeigte einen versöhnlichen Zug. Er hatte den Kollegen in Parker erkannt.
»Und trotzdem sind wir gekommen«, redete Parker sehr geistreich weiter. »Es ist von größtem Interesse für Mister Lemming.«
»Wen darf ich melden?« erkundigte er sich bereitwillig. Rander nannte die Namen, und der Butler verschwand in der kaum beleuchteten Halle.
»Ein sehr höflicher Mensch«, anerkannte Parker freundlich.
»Als Butler dürfte er vielleicht noch etwas besser sein als Sie«, stellte Mike Rander mit ernstem Gesicht fest. »Ich habe Sie noch nie so freundlich gesehen, wie der Mann hier auf den ersten Blick wirkte.«
»Das ist seine mangelnde Erfahrung«, wehrte sich Butler Parker. Er wollte sich noch weiter verteidigen, aber der Butler-Kollege kam zurück.
»Mister Lemming erwartet Sie«, sagte er höflich. »Wenn Sie mir folgen würden?«
Als sie einen kleinen Salon betreten hatten, stutzte Mike Rander. Neben einem älteren, schlanken Herrn stand Ann Torca, die Nichte Tony Glubbs.
*
»Kommen Sie doch bitte mit in den Salon«, sagte der schlanke Herr, der sich als Anthony Lemming vorgestellt hatte. »Es muß etwas Außergewöhnliches sein, weshalb Sie jetzt noch vorsprechen.«
Nachdem sie schweigend Platz genommen hatten, sah Lemming interessiert und abwartend zu Mike Rander herüber. Aber der Anwalt wartete so lange, bis der Butler Drinks und Salzmandeln serviert hatte.
»Wir wollten ein bestimmtes Verfahren abkürzen«, begann dann Rander, als der Butler den Salon verlassen hatte. »Durch Zufall gerieten wir an ein Päckchen, das an Sie adressiert war.«
Anthony schoß einen fragenden Blick auf Ann Torca ab und setzte sich in seinem Sessel kerzengerade auf. Jetzt schien er zu wissen, um was es sich handelte.
»Darf ich es sehen?« fragte Lemming dann mit neutraler Stimme.
»Aber bitte«, meinte Rander zuvorkommend und zog das Päckchen aus der Tasche. »Sehen dürfen Sie es natürlich.«
»Wie soll ich das verstehen?« erkundigte sich Lemming mit etwas schärferer Stimme.
»Wir waren zwei ehrliche Finder«, schaltete sich Butler Parker ein. »Zu unserer Schande müssen wir allerdings gestehen, daß wir das Päckchen geöffnet haben.«
»Wir fanden das Päckchen bei einem Mann namens Tony Glubb, und er wurde vor unseren Augen erschossen«, schaltete sich jetzt wieder Mike Rander direkt ein. »Glubb stand unter Rauschgift, und in diesem Päckchen befindet sich Kokain!«
»Ja, natürlich«, erwiderte Lemming, und seine Augenbrauen zogen sich erstaunt nach oben. »Und was soll dieser Hinweis?«
Mike Rander hustete erstaunt auf. Butler Parker mußte seine ganze Beherrschung in die Waagschale werfen, um nicht ebenfalls ein verblüfftes Gesicht zu zeigen.
»Ich sehe, daß Sie sehr erstaunt sind«, meinte Lemming lächelnd. »Aber vielleicht sagt Ihnen das etwas, daß ich Inhaber einer chemischen Fabrik bin.«
»Das ist allerdings sehr interessant«, stellte Mike Rander fest, der sich von seinem Erstaunen etwas erholt hatte. »Sie erwarten also in diesem Päckchen Kokain?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Lemming, und er lächelte amüsiert. »Ich hatte Tony Glubb sogar dringend gebeten, mir das Rauschgift wieder zurückzugeben. Morgen war der letzte Termin.«
»Letzter Termin?« meinte Rander etwas verdutzt. »Wie soll ich das verstehen?«
»Nun, ganz einfach«, erwiderte Lemming und stand auf. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und blies den Rauch mit sichtbarem Genuß in das Zimmer. »Ich sagte Ihnen schon, daß ich Chemiker bin und eine kleine Fabrik leite. Wir sind spezialisiert auf Narkotika aller Art, darunter natürlich auch Kokain. Und Mister Glubb, ein weitläufiger Verwandter von mir, arbeitete als … na sagen wir, Abteilungsleiter. Er ist nämlich auch Chemiker. Nun bin ich durch Miss Torca, die Nichte von Mister Glubb, die auch bei ihm wohnt, dahintergekommen, daß Glubb süchtig geworden ist.
Daraufhin habe ich sofort die Bücher kontrolliert und festgestellt, daß eine Menge Rauschgift verschwunden ist.
Vorgestern mußte ich daher Glubb … na sagen wir, suspendieren. In einem heftigen Gespräch zwischen Glubb und mir gab Glubb zu, daß er Kokain entwendet hat. Ich forderte ihn auf, mir umgehend das Gift wieder zuzustellen. Morgen war wirklich der letzte Termin.«
»Der Tod Ihres weitläufigen Verwandten scheint Sie nicht sonderlich zu berühren?« warf Mike Rander ein.
»Wie Sie doch nach Äußerlichkeiten urteilen«, sagte Lemming vorwurfsvoll. »Muß man seinen Schmerz immer zeigen? Um ganz ehrlich zu sein, ich bin sogar der Meinung, daß Glubb seinen Selbstmord durch Rauschgift vorgenommen hat. Wer hat ihn denn ermordet?«
»Das steht zur Zeit noch nicht fest«, erwiderte Rander. »Hatte Sie Miss Torca nicht davon informiert?«
»Ihre Geschichte klang verworren«, erklärte Lemming aalglatt. »Als Sie sich anmeldeten, war ich gerade dabei, etwas aus ihr herauszuholen.«
»Sie können uns keinen Hinweis geben?« erkundigte sich Rander bei Ann Torca. Sie schüttelte den Kopf und begann zu weinen.
»Paul wird dich nach oben bringen«, sagte Lemming und brachte das Mädchen zur Tür. Sie wurde von außen überraschend schnell geöffnet, und der Butler Paul brachte das weinende Mädchen aus dem Salon.
»Sie werden sie gewiß entschuldigen«, sagte Lemming höflich. »Aber ihre Nerven waren den Ereignissen der letzten Stunden nicht gewachsen.«
»Verständlich, durchaus verständlich«, meinte Butler Parker. »Ich hätte da aber noch eine Frage, Mister Lemming. Haben Sie den Diebstahl von Rauschgiften sofort der Polizei gemeldet?«
»Dazu bin ich ja verpflichtet.« Lemmings Stimme hatte einen Unterton von ehrlicher Entrüstung. »Sofort habe ich mich an das Rauschgiftdezernat gewandt. Darf ich bei der Gelegenheit fragen, wieso Sie sich für den Fall interessieren?«
»Das war allerdings deutlich«, meinte Mike Rander grinsend. »Wir sind, um es so auszudrücken, ohne unser Zutun in eine Kette von Abenteuern geraten.«
»Das kann heutzutage leicht passieren«, pflichtete ihm Lemming bei.
»Wird Miss Torca bei Ihnen bleiben?« fragte Mike Rander und stand auf.
»Wahrscheinlich«, sagte Lemming. »Ich lernte sie durch Glubb kennen. Es wird wohl besser sein, wenn sie das Mordhaus vorerst nicht wieder betritt. Das Päckchen können Sie dort auf die Ablage legen.«
»Tut mir leid«, erwiderte Rander grinsend und versenkte das Päckchen wieder in seiner Rocktasche. »Wir werden es der Polizei übergeben. Sie werden ja dadurch nicht geschädigt, Mister Lemming. Der Diebstahl ist ja bekannt.«
»Ich bin in einer peinlichen Lage«, meinte Lemming. Er war stehengeblieben. »Aus verständlichen Gründen möchte ich das Rauschgift zurück haben, bevor die Polizei morgen bei mir kontrolliert.«
»Nein«, sagte Mike Rander. »Sehen Sie darin keine Unhöflichkeit, Mister Lemming. Aber ich bin zufällig Anwalt und weiß, was man in solchen Fällen zu tun hat.«
»So, Sie sind Anwalt?« fragte Lemming interessiert und kam näher. »Das trifft sich aber ausgezeichnet. Ich suche schon seit Wochen nach einem erstklassigen Anwalt, der die Interessen meiner Firma betreut.«
»Woran denken Sie?« fragte Rander lächelnd.
»An Sie und eine Chance«, erwiderte Lemming. »Ich glaube, daß wir uns schnell einig werden würden. Wegen des Päckchens darf ich meine Bitte wohl noch einmal erneuern, ja?«
»Sie haben Pech.« Rander grinste breit. »Ich bin Strafverteidiger. Sollten Sie aber mal in naher Zukunft meinen Rat brauchen, bin ich sofort für Sie da.«
Bevor Lemming weitere Angebote machen konnte, verließ Mike Rander den Salon. Butler Parker folgte ihm sofort in seinem Kielwasser.
Da der Butler vor Lemming nicht in der Halle war, öffnete Parker, und sie bestiegen ihren Studebaker. Butler Parker fuhr überraschend langsam, daß Rander erstaunt pfiff.
»Was ist mit Ihnen los, Parker?« erkundigte er sich grinsend.
»Seine Geschichte klang sehr interessant und wahrscheinlich«, sagte Parker. »Falls Sie auf meine Meinung Wert legen, Sir. Ich habe den Eindruck und kann mich dieses Gefühls nicht erwehren, daß Mister Lemming den angeblichen Diebstahl Glubbs noch nicht der Polizei gemeldet hat.«
»Das dürfte wirklich auf der Hand liegen«, bestätigte Mike Rander. »Sein letztes Angebot war ja deutlich genug. Wir wollen morgen früh sofort nachfragen, ob Lemming den Diebstahl gemeldet hat und vor allen Dingen, zu welchem Zeitpunkt.«
»Wahrscheinlich werden wir eine unruhige Nacht erleben«, orakelte Butler Parker.
»Rechnen Sie mit Alpdrücken?« fragte Mike Rander grinsend.
»Weniger damit, als mit einem Überfall«, behauptete Parker. »Wenn Lemming so großen Wert auf das Päckchen legt, dann wird er auch alle Hebel in Bewegung setzen, um an das Päckchen heranzukommen.«
»Dagegen läßt sich aber allerhand unternehmen«, sagte Mike Rander und klopfte auf seine Brusttasche.
*
Obwohl Butler Parker diesmal keinen allzugroßen Ehrgeiz entwickelte, um schnell nach Hause zu kommen, erreichten sie den Bungalow am See in Rekordzeit. Wenn Parker eben am Steuer saß, dann war er nicht mehr zu halten.
Mike Rander setzte sich in den Wohnraum des elegant eingerichteten Bungalows, und Butler Parker rumorte in der kleinen Kombüse, um ein provisorisches Dinner zu bereiten. Mike Rander mixte sich einen Cocktail, zündete sich eine Zigarette an und erinnerte sich plötzlich der beiden Briefe, die er im Briefkasten in Glubbs Wohnung gefunden hatte. Er griff in seine Tasche und legte beide Briefe auf den Tisch.
Der erste Brief trug den Absender Helen Tunney, Chicago, Muria Street 1821.
Mike Rander schnüffelte an dem stark und aufdringlich parfümierten Kuvert, bevor er es öffnete.
»Parker«, rief er dann laut zur Kombüse hinüber. »Hier ist etwas für Ihre Nase.«
Der Butler tauchte im Wohnzimmer auf und war dabei, sich eine Schürze abzubinden. Als Rander ihm das Kuvert entgegenhielt, verstand er sofort. Auch er schnüffelte sorgfältig und verzog nach kurzer Prüfung sein Gesicht.
»Dieser Brief kann nie von einer wirklichen Dame stammen«, stellte er anschließend fest. »Das Parfüm ist eine billige Dutzendware, und es wurde auch viel zu ausgiebig gebraucht. Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich bei der Verfasserin dieses Schreibens um eine, mit Verlaub zu sagen, Halbweltdame.«
»Das wollen wir mal sofort näher feststellen«, meinte Rander grinsend. Er war zu einem ähnlichen Schluß gekommen, wollte aber nun sichergehen. Laut las er vor:
»Lieber To!
Wird eigentlich mächtig Zeit, daß Du Dich mal wieder bei mir sehen läßt. Ich hab’s mittlerweile vergessen, wie Du Dich beim letzten Mal aufgeführt hast. Wenn du kommst, vergesse doch bitte nicht die Briefe. Wenn Du Donnerstag abend kommst, ist Maud hier. Du bist doch scharf auf sie. Vergiß aber nicht das Zeug! Bring doch A einfach mit. Bis dahin!«
»Mit A hat die Frau wohl Ann gemeint«, sagte Mike Rander nachdenklich, »und mit den Briefen wahrscheinlich Kokain.«
»Und Maud scheint eine Frau zu sein, für die sich Glubb sehr interessiert«, vollendete Parker die Ausführungen Randers. »Läge es in Ihren Absichten, Mister Rander, wenn wir uns einfach zu der Party einladen?«
»Den Vorschlag wollte ich gerade machen«, meinte Mike Rander auflachend. »Aha, Parker, sehen Sie sich mal den Absender des zweiten Briefes an.«
»Mike Porter, Criston-Hotel«, las der Butler laut vor. »Mir fällt allerdings auf, Mister Rander, daß hier zum ersten Male nach dem Mord an Glubb der Vorname Mike auftaucht. Ob es sich wohl dabei um …?«
»Auch das müssen wir feststellen«, sagte Mike Rander zufrieden. Er fetzte den Briefumschlag auf und entfaltete den halben Bogen. Auch jetzt las er laut vor:
»Sehr geehrter Mister Glubb!
Ich bin an Ihrem Angebot sehr interessiert. Suchen Sie mich doch bitte Donnerstag früh, 11 Uhr, in meinem Hotel auf.
Mit besten Empfehlungen!«
Das sieht allerdings verdammt eindeutig aus«, sagte Mike Rander grinsend. »Glubb scheint da einen neuen Interessenten für Rauschgift gefunden zu haben.«
»Wenn es sich nicht um den Mike handelt, den Glubb vor seinem Tod nannte, bestimmt«, schränkte Butler Parker ein. »Aber in einem anderen Fall sehe ich keinen Sinn in diesem Brief.«
»Läßt sich alles klären«, meinte Rander grinsend. »Bevor wir morgen zu dieser Helen gehen, schauen wir einfach bei Mike Porter vorbei. Wie steht’s mit dem Dinner?«
»Kann sofort serviert werden«, meldete Josuah Parker diensteifrig. »Aus Zeitmangel habe ich ein Steak à la Mignon, etwas Erbsen …«
»Zählen Sie nicht auf, sondern fahren Sie an«, sagte Mike Rander. Erst jetzt merkte er, daß er einen großen Hunger hatte.
Butler Parker servierte, nahm dann zögernd Platz, und gemeinsam aßen sie. Nach dem Essen mixte Parker einige Drinks und machte anschließend die Betten fertig. Rander duschte noch einmal und legte sich ins Bett.
Er wurde aber wieder wach, als das Telefon läutete. Der Anwalt richtete sich in seinem Bett auf und hörte das Schlurfen von Parkers Pantoffeln. Kurz darauf klopfte der Butler an und stellte anschließend einen Telefonapparat auf den Rauchtisch.
»Miss Torca hat angerufen«, sagte er zu Rander. »Sie will Sie unbedingt sprechen.«
»Mitten in der Nacht?« fragte Rander vorwurfsvoll. Er kletterte aus dem Bett und nahm den Hörer ab. Nachdem er sich gemeldet hatte, hörte er die aufgeregte Stimme von Miss Torca.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie erregt. »Mister Lemming ist nach Ihrem Besuch weggefahren, und ich möchte Ihnen unbedingt etwas sagen. Kann ich Sie in der Stadt treffen?«
»Jetzt, gegen vier Uhr?« fragte Rander. »Welchen Treffpunkt schlagen Sie denn vor?«
»Kann es der White Corner sein?« erkundigte sie sich. »Es ist wirklich sehr wichtig, sonst hätte ich nicht angerufen.«
»Einverstanden«, sagte Rander. »Erwarten Sie uns in einer halben Stunde dort! Zu Ihnen hinauszukommen, hat wohl keinen Sinn, was?«
»Mister Lemming könnte uns überraschen«, gab sie in bittendem Ton zu bedenken.
»In einer halben Stunde also.«
Mike Rander legte den Hörer nachdenklich auf die Gabel.
»Miss Torca möchte sich mit uns in einer halben Stunde am White Corner treffen«, sagte er zu Rander.
»Wollen wir fahren?«
»Das ist die Frage«, sagte Rander und knöpfte sich die Pyjamajacke auf.
»Ich möchte und möchte wiederum nicht. Der White Corner ist nie sehr belebt, schon gar nicht gegen vier oder fünf Uhr morgens.«
»Daran dachte ich gerade auch«, erklärte Parker. »Vielleicht will man uns in eine Falle locken.«
»Wir sind mißtrauisch, also wird nicht viel passieren«, äußerte Rander optimistisch. »Parker, wir starten in zehn Minuten! Machen Sie die Ausrüstung klar!«
In knapp zehn Minuten trafen sie sich in der Halle des Bungalows. Butler Parker hatte sich in einen schwarzen Mantel geworfen und in seinem Kleiderschrank wahrscheinlich wieder eine neue Melone gefunden. Er wirkte wie die personifizierte englische Butlertradition. Weniger traditionsmäßig war allerdings, daß er aus den tiefen Taschen seines Mantels einen Bulldogg-Revolver herausgab und ihn Rander überreichte.
»Eine zusätzliche Sicherheit«, meinte er. »Zwei Revolver erhöhen die Feuerkraft. Nehmen wir das Rauschgiftpäckchen mit?«
»Hinterlassen möchte ich es auf keinen Fall«, sagte Rander, »und mitnehmen kann auch gefährlich sein. Verstecken Sie es irgendwo, Parker!«
Butler Parker nahm das Päckchen und verließ den Raum. Nach einigen Minuten kam er zurück.
»Wo haben Sie das Ding versteckt?« fragte Rander.
»In der Kaffeekanne«, meldete Butler Parker. »Ich bin sicher, Mister Rander, daß man darauf nicht so schnell verfallen wird.«
»Ich allerdings auch«, sagte Rander grinsend. »Nein, Parker, nicht durch die Vordertür, wir gehen durch den Heizungskeller. Das ist sicherer.«
Mike Rander und Butler Parker stiegen in den Keller, durchquerten einige Räume und öffneten vorsichtig die mit Stahlblech beschlagene Hoftür. Nach allen Regeln der Vorsicht schlichen sie sich anschließend in den Garten und umgingen in großem Bogen den Bungalow. Mike Rander und Butler Parker erreichten ohne Zwischenfälle den niedrigen Gartenzaun, der das Grundstück zur Straße hin abgrenzte, und sprangen über die Mauer. Zusammen gingen sie im Schatten einer anschließenden Hecke auf den Studebaker zu, der etwa fünfzig Meter von dem Bungalow auf der Straße parkte.
Butler Parker startete den Wagen in Rekordzeit und brachte ihn noch schneller auf Höchsttouren. Als sie den Bungalow passierten, wischten sie wie ein Blitz an dem Haus vorbei.
»Wenn möglich, jetzt etwas langsamer«, bat Mike Rander mit gepreßter Stimme, als der Butler in einem wahren Höllentempo den schweren Wagen in eine Kurve riß.
In knapp zehn Minuten hatten sie bereits die Gegend am White Corner erreicht. Parker ließ den Wagen hinter einer Straßenlaterne auslaufen und sah Rander fragend an.
»Da an der Whisky-Neonreklame ist der White-Corner«, sagte er in verbindlichem Ton. »Ich sehe aber noch keinen wartenden Wagen.«
»Kunststück«, meinte Rander grinsend. »Das Mädchen wird die dreifache Zeit wie wir brauchen, um dorthin zu kommen. Wenn sie überhaupt kommt!«
Sie verließen den Wagen und pirschten sich zu dem freien Platz hinüber.
Nach einigen Minuten hatten sie das Rondell erreicht, und nachdem Parker einen trockengelegten Brunnen unterhalb eines Denkmals entdeckt hatte, stiegen sie in die flache Zementschale. Von hier aus konnten sie die wichtigen An- und Abfahrten gut übersehen. Sollten sie beschossen werden, lagen sie sicherer als in einem Bunker.
»Sie müßte eigentlich bald kommen«, meinte Rander ungeduldig. »Sehen Sie, Parker, da kommt ein Wagen!«
Butler Parker hob seinen Kopf und legte sich dann zurecht. Er verfolgte den ankommenden Wagen mit den Augen und zeigte mit keiner Miene sein Erstaunen, als der Wagen wirklich unterhalb einer Bogenlampe anhielt.
»Schade, daß man nicht in den Wagen sehen kann«, ärgerte sich Mike Rander halblaut. »Ist aber zu weit.«
»Wenn ich Ihnen mit diesem Feldstecher dienen kann«, sagte Butler Parker höflich und reichte Rander ein kleines Fernglas.
»Manchmal habe ich den Eindruck, daß Sie ein Genie sind«, anerkannte Rander überrascht und grinste. »Aber nur manchmal!« Er hob das Glas vor seine Augen und pfiff leise durch die Zähne.
»Parker«, sagte er und reichte das Glas zurück. »Sehen Sie auch mal! Wenn mich nicht alles täuscht, sind im Wagen eine Frau und drei Männer. Stimmt’s?«
»Stimmt«, erwiderte Parker, nachdem er sich ebenfalls vergewissert hatte. »Sie haben allerdings vergessen, Mister Rander, auch die Maschinenpistole zu benennen, die einer der Männer schußbereit auf dem Schoß liegen hat …«
*
»Im Grunde eine ziemlich plumpe Falle«, meinte Mike Rander.
»Das Mädchen steigt aus«, meldete Butler Parker, der das Fernglas wieder hochgenommen hatte. »Ich kann nicht erkennen, ob es Miss Torca ist. Die Frau trägt einen tiefgehenden Hutschleier.«
»Sie soll wohl den Lockvogel spielen«, sagte Mike Rander.
»Die Männer im Wagen bücken sich«, meldete Butler Parker wie ein Kriegsberichter. »Mister Rander, dort hinten kommt ein zweiter Wagen. Hoffentlich …«
»Hoffentlich hält der Wagen nicht«, sagte Mike Rander.
Die Frau mit dem Hutschleier hatte sich nämlich mitten auf die Fahrbahn gestellt und wurde von den aufgeblendeten Scheinwerfern des entgegenkommenden Wagens angestrahlt. Der zweite Wagen wurde auch prompt langsamer, vielleicht dachte der Fahrer, daß die Frau mitgenommen werden wollte.
»Der Mann wird glatt umgebracht«, sagte Mike Rander und entsicherte seinen Revolver. »Die Gangster denken bestimmt, daß es sich um uns handelt.«
Im gleichen Augenblick handelte Mike Rander auch schon. Er zielte sorgfältig und ging mit der ausgestreckten Hand, in der der Revolver war, dem jetzt noch langsamer gewordenen Wagen nach. Dann drückte Rander ab.
Die Kugel saß haargenau, wie er es vorgehabt hatte. Sie durchlöcherte das Blech des Kofferraumes, ohne weiteren Schaden anzurichten. Der Fahrer des Wagens, der den Einschuß wohl sehr deutlich gehört hatte, gab ruckartig Gas, und mit einem Riesensatz schoß der Wagen aus der Schußlinie der Gangster.
»Wenn sie dumm sind, schießen sie zurück«, meinte Butler Parker.
»So dumm werden sie nicht gerade sein«, erklärte Rander. »Parker, wie kommen wir an die Frau?«
»Ich sehe kaum eine Möglichkeit«, sagte Josuah Parker. »Es sei denn, Sie wünschten, ich soll in die Feuerlinie gehen.«
»Machen wir’s anders«, überlegte Rander grinsend. Er schoß noch dreimal. Die Schüsse klangen in der Stille wie Explosionen. Aber er hatte nicht in die Luft geschossen, sondern in die Kühlerhaube des noch stehenden Wagens.
Die Frau mit dem Hutschleier wurde zurück zum Wagen gerufen, aber sie getraute sich plötzlich nicht mehr. Sie glaubte, daß sie dann von einer der Kugeln erwischt würde. Als Rander seinen vierten Schuß abgefeuert hatte, ruckte der Wagen an und brauste in Höchstfahrt vom White Corner hinunter.
Bevor Mike Rander aufspringen konnte, flankte Butler Parker trotz seiner Jahre sicher und elegant über die Zementschale und ging auf die Frau zu, die nicht wußte, was in den letzten Minuten eigentlich richtig vorgegangen war. Mike Rander folgte seinem Butler, so schnell er konnte.
»Wie ungehörig, daß man Sie nicht mitgenommen hat«, sagte Butler Parker gerade zu der Frau.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte die Frau nervös und sah sich um. »Haben Sie etwa geschossen?«
»Er nicht, ich war’s«, erwiderte Mike Rander, der jetzt auch vor der Frau stand. »Können wir Ihnen behilflich sein?«
»Ja, verschwinden Sie«, sagte die Frau und wollte Weggehen.
»Aber nicht doch«, meinte Parker vorwurfsvoll. »Wie kann man als Dame nur so kurz angebunden sein. Wir hätten uns gern mal mit Ihnen unterhalten.«
»Sind Sie von der Polizei?« wollte die Frau wissen.
»Wir erklären Ihnen später alles ausführlich«, sagte Mike Rander. »Wir legen keinen Wert auf die Polizei. Sie auch nicht, also was hält uns noch hier. Wenn wir noch ein paar Minuten warten, haben wir eine Streife auf dem Hals.«
Die Frau überlegte einen Moment und senkte dann den Kopf. Sie war einverstanden, zusammen mit Rander und Parker zum Wagen zu gehen. Parker steuerte den Studebaker durch die sich langsam auffüllenden Straßen. Mike Rander hatte der Frau die Handtasche weggenommen und interviewte sie.
»Nun hören Sie mal zu, Mädchen«, sagte er gemütlich. »Wir wollen mit offenen Karten spielen. Desto schneller können Sie und wir wieder unsere Wege gehen. Die drei Männer im Wagen hatten eine Maschinenpistole und schickten Sie auf die Straße, um einen bestimmten Wagen abzufangen. Gemeint waren wir, wenn auch wahrscheinlich keine Namen gefallen sind. Wer waren die drei Männer?«
»Ich habe keine Ahnung«, schnatterte die Frau sofort los. »Wenn ich das gewußt hätte, ich hätte geschrien, als sie mich in den Wagen geholt haben. Sie haben mir nur gesagt, sie wollten irgendwelche Bekannte treffen.«
»Mit der Maschinenpistole in der Hand«, wurde Mike Rander ironisch. »Sie kennen also die drei Männer nicht?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung«, sagte die Frau. »Ich hab’ die drei Jungens in ’ner Bar kennengelernt, und sie wollten mir dreißig Dollar geben, wenn ich einen bestimmten Wagen abwinken würde. Das ist alles.«
»Parker, fahren Sie zum Stadthaus«, sagte Mike Rander plötzlich mit harter Stimme. »Mädchen, Sie müssen nicht denken, daß Sie mit uns spielen können.«
Butler Parker, der ja sonst wirklich schnell fuhr, senkte sein Tempo noch mehr. Er wußte, daß die Frau weichgemacht werden sollte, und sie waren schon in ziemlicher Nähe vom Stadthaus.
»Ich habe wirklich die Wahrheit gesagt«, meldete sich plötzlich die Frau wieder zu Wort.
»Erzählen Sie das der Polizei!« Mike Randers Stimme zeigte nicht mehr die Spur eines Interesses. Sie durchfuhren schweigend einige Straßen, bis die Frau sich räusperte. Rander wußte sofort, daß sie sprechen wollte. »Sie heißen?« erkundigte er sich.
»Maud Elga, Trent-Street 218«, erwiderte die Frau wie aus der Pistole geschossen. »Ich arbeite im ›Hippodrom‹ als Reihengirl.«
»Wer waren die drei Jungens und was wollten die Männer?«
»Ich kenne wirklich nur einen davon«, erwiderte die Frau ohne Zögern.
»Name?«
»Tommy heißt der, Tommy Lutch.«
»Und woher kamen die anderen?«
»Tommy hat sie mitgebracht«, erwiderte die Frau. »Ich hab’ die anderen noch nie gesehen.«
»Schön, Sie können gleich aussteigen«, sagte Mike Rander zu der Frau. »Aber noch eine letzte Frage, wer ist Mike?«
Rander beobachtete scharf den Gesichtsausdruck der Frau. Als der Name fiel, hatte er das Gefühl, daß ihre Augen für Bruchteile einer Sekunde nervös flatterten.
»Mike?« wiederholte die Frau endlich und sah Rander dabei offen und treuherzig an. »Ich kenne ’ne Menge Jungens, die so heißen, aber was soll das schon bedeuten?«
»Es war nur eine Frage«, sagte Rander und winkte mit der Hand ab. »Sie können hier gleich aussteigen.«
»Ihr seid aber keine Kavaliere«, stellte die Frau fest, und sie lachte auf. »Bringt mich wenigstens in die Gegend, wo ich wohne.«
»In der ich wohne«, verbesserte Butler Parker, der sein sonst unbewegliches Gesicht schmerzhaft verzog, als er den Slang der Frau hörte. Nach einigen Minuten hielt er den Wagen an und machte eine bezeichnende Kopfbewegung. Er nahm sich erst gar nicht die Mühe, auszusteigen und ihr die Tür zu öffnen. Maud schien damit auch nicht gerechnet zu haben. Resolut drückte sie die Wagentür auf und sprang ins Freie. Als sie sich allerdings an ihre Handtasche erinnerte und zurück zum Wagen kommen wollte, wischte ihr der Studebaker aus den Händen. Mike Rander, der durch das Hinterfenster gesehen hatte, grinste, als er ihre wütenden Armbewegungen sah.
»Wenn mich nicht alles täuscht, wünschen Sie nun Miss Torca zu sprechen«, meldete sich der Butler zu Wort.
»Sie haben sich nicht getäuscht«, erwiderte Rander lachend. »Jetzt wollen wir mal feststellen, ob der Anruf wirklich von ihr gekommen ist.«
»Immerhin beweist dieser versuchte Überfall, daß wir auf der richtigen Fährte sind«, sagte Butler Parker, und seine Stimme klang zufrieden. »Der Hinweis auf Tommy Lutch scheint mir doch wichtig und wertvoll zu sein.«
»Ist er ohne Zweifel«, gab Mike Rander sofort zu. »Parker, so langsam zeichnen sich die Umrisse einer Rauschgiftbande ab. Sehen Sie mal, nein, drehen Sie um Gottes willen nicht den Kopf herum, hier in der Handtasche von Maud Elga sind auch drei Rauschgiftbriefchen.«
Butler Parker mußte notgedrungen langsamer fahren. Sie hatten die Innenstadt wieder erreicht, und die Straßen hatten sich mit dem Berufsverkehr gefüllt. Trotzdem schaffte es Parker, sehr schnell in die Trent-Street zu kommen. Er deutete eine höfliche Verbeugung an, als ihm nach dem Läuten die Tür geöffnet wurde.
»Die Umstände zwingen uns, zu ungewöhnlichen Zeiten vorzusprechen«, entschuldigte er sich weitläufig. »Mister Rander wünscht Mister Lemming zu sprechen. Würden Sie das Erforderliche veranlassen?«
»Ungewöhnliche Dinge rechtfertigen ungewöhnliche Maßnahmen«, gab Butler Paul zurück. »Selbstverständlich werde ich Sie sofort anmelden.« Mike Rander und Parker brauchten gar nicht lange zu warten. Nach knapp einer Minute erschien Anthony Lemming. Er lächelte und deutete eine leichte Verbeugung an.
»Ist es möglich, Ihren Gast zu sehen?« fragte Mike Rander. »Wir wurden vor einigen Stunden von Miss Torca angerufen und wollten nach verschiedenen Dingen fragen, die am Telefon nicht ganz deutlich wurden.«
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Lemming entgegenkommend. Er wandte sich an Paul und schickte ihn nach oben, um Ann Torca zu wecken. Schon nach kurzer Zeit war der Angestellte zurück und meldete, daß Miss Torca auf sein Klopfen nicht geantwortet habe.
Lemming sah Rander und Parker verdutzt an und sprang auf. Gemeinsam liefen die Männer die Treppe hinauf. Lemming öffnete die Tür von Miss Torcas Zimmer.
»Sie ist ja gar nicht da«, rief er überrascht. »Das Bett wurde überhaupt nicht benutzt …«
*
»Hat Miss Torca hier in der Stadt Bekannte oder Verwandte, wo sie sich jetzt aufhalten könnte?« fragte Rander.
»Sie hat sehr viele Bekannte«, antwortete ihm Lemming. »Ich werde mich schon darum kümmern.«
Mike Rander hatte keine Möglichkeit und auch keine Lust, seine Zeit weiter mit nutzlosen Gesprächen zu vergeuden. Nach kurzem Aufenthalt verabschiedeten sich Rander und Parker und verließen das Haus.
»Wenn ich bei der Gelegenheit darauf aufmerksam machen dürfte, daß noch nicht gefrühstückt worden ist«, begann der Butler umständlich eine länger gedachte Ausführung. Er fühlte sich verpflichtet, daß der junge Mann, wie er Mike Rander insgeheim nannte, regelmäßig und ausgiebig aß. Rander war diesmal sofort damit einverstanden, und der Butler wählte mit Bedacht ein kleines italienisches Restaurant, wo man ausgezeichnet essen konnte.
Parker stellte ein prächtiges Frühstück zusammen und fiel Rander anschließend so lange auf die Nerven, bis er auch den letzten Krümel vertilgt hatte.
»Sie werden erstaunt sein, wie sich jetzt die Probleme fast automatisch lösen«, sagte er befriedigt zu Rander, als der Kellner die leeren Platten abgeräumt hatte.
»Wollen wir doch mal gleich versuchen«, erwiderte Rander grinsend. »Miss Torca ruft uns frühmorgens an und will uns dringend sprechen. Wir kennen sie und ihre Stimme noch zu wenig, um mit Sicherheit behaupten zu können, daß sie es war, die angerufen hatte oder nicht. Wir fahren zu dem vereinbarten Treffpunkt, der sich um ein Haar als üble Falle für uns entpuppt hätte. Es gelingt uns, eine junge Dame …, warum husten Sie, Parker?«
»Sie waren in der Wahl Ihres letzten Wortes vielleicht etwas zu großzügig«, mäkelte Butler Parker.
»Na, schön«, meinte Rander und mußte lachen. »Wir interviewen also eine junge, leichte Dame und erfuhren bei der Gelegenheit, daß sie einen gewissen Tommy Lutch kennt, der sich auch schon einmal vorgestellt hat, und zwar in der Wohnung des toten Snyder. Damals wollte Lutch angeblich nicht wissen, welche Geschäfte Snyder betrieb. Jetzt dürfte allerdings klar sein, daß Lutch zumindest ein geriebener Gangster ist.«
»Der wahrscheinlich wie Snyder einer Rauschgiftgang angehört«, setzte Butler Parker hinzu. »Und als wir uns bei Lemming nach Miss Torca erkundigten, war das Mädchen verschwunden. Das waren die Tatsachen, Mister Rander.«
»Die sind leider trotz allem noch mager genug«, warf Mike Rander nachdenklich ein. »Parker, wir müssen nun eine Besuchstour machen. Zuerst wollen wir uns mit Helen Tunney unterhalten, die Glubb brieflich zu einer Party eingeladen hat. Dann müßten wir unbedingt Mike Porter im ›Criston‹ sehen und zuletzt noch einmal Maud Elga.«
»Sie vergaßen zwei Punkte«, sagte Butler Parker vorwurfsvoll. »Nämlich Eddy Purcel in der Lemon Street und schließlich die Foto-Agency im Maine House. Sie erinnern sich vielleicht der Platinblonden, die wir als Bild auf Glubbs Schreibtisch gesehen haben.«
»In Ordnung«, sagte Rander. »Gut, daß Sie mich daran erinnern, Parker. Fangen wir also an!«
»Womit soll begonnen werden?« wollte Parker wissen.
»Am besten mit Mike Porter«, schlug Rander vor. »Er wohnt in einem Hotel, und es besteht die Gefahr, daß er Chicago verläßt.«
Mike Rander brauchte sich weiter um nichts zu kümmern. Parker schleppte ihn zum Wagen, verstaute ihn in den Sitzen, fuhr ihn zum ›Criston‹ und hob ihn mit dem Lift in das Stockwerk, in dem Porter wohnte.
»Zimmer 182«, murmelte Butler Parker vor sich hin. »Ich klopfe an, Mister Rander.«
»Man hörte es deutlich«, begutachtete Rander. Dann vernahm man Schritte hinter der Tür, und die Tür wurde geöffnet. Ein rundlicher, strahlend lächelnder Mann mit Glatze stand im Türrahmen. Er trug einen seidenen Morgenmantel und braune Lederslips.
»Womit kann ich dienen, meine Herren?« erkundigte sich Porter erfreut und rieb seine Hände.
»Wir wollen mit etwas dienen«, erwiderte Rander grinsend und betrat das freigegebene Zimmer. »Erwarten Sie nicht um elf Uhr Besuch und ein spezifiziertes Angebot?«
»Sind Sie Mister Glubb?« fragte Porter vorsichtig.
»Mister Glubb kann leider nicht kommen«, wich Rander aus. »Aber ich glaube, daß auch wir uns einigen werden, Mister Porter.«
»Sie werden verstehen, daß ich mich vergewissern muß«, sagte Porter langsam. »In solch einem Fall sprach Mister Glubb von einer Legitimation. Darf ich die sehen?«
»Wir würden Sie Ihnen gern zeigen«, schalte sich Butler Parker in die Unterhaltung ein. »Aber es sind da Ereignisse eingetreten, die es unmöglich machen, eine solche Legitimation vorzuzeigen, von der Sie sprachen, da Mister Glubb, wie man so sagen darf und kann …«
»Kurz und gut«, schnitt Rander seinem Butler den Faden ab. »Mister Glubb ist tot, erschossen worden!«
»Glubb ist erschossen worden?« fragte Porter und richtete sich auf. Seine vollen Backen zitterten vor Erregung, und er ging im Zimmer hin und her.
»Ich sagte es schon einmal«, sagte Rander. »Er wurde von bisher unbekannten Tätern erschossen. Wieviel Rauschgift wollte er Ihnen denn liefern?«
»Rauschgift?« fragte der Dicke entsetzt. »Ich muß doch sehr gegen eine solche Unterstellung protestieren, meine Herren! Es handelt sich um etwas ganz anderes.«
»Erklären Sie sich, wir sind diskret«, meinte Rander lächelnd.
»Es handelt sich um eine Frau«, sagte Porter. »Ich kenne Glubb schon seit Jahren, und er vermittelt mir Einladungen zu Partys, wenn ich mal geschäftlich nach Chicago komme.«
»Und weshalb bestellen Sie Glubb für heute elf Uhr in Ihr Hotel?« fragte Rander grinsend. »Ich stelle Ihnen ein Ultimatum, Porter! Sie sagen in genau drei Minuten, was wirklich gespielt wurde, oder wir rufen nach den abgelaufenen drei Minuten die Polizei an! Klar?«
»Was unterstehen Sie sich?« fauchte Porter wütend. »Verlassen Sie sofort mein Zimmer!«
»Wir brauchen nicht unbedingt Ihr Zimmertelefon für den Anruf zu benutzen«, erklärte Mike Rander und wollte zusammen mit Butler Parker zurück zur Tür gehen. Doch sie hatten sie noch nicht ganz erreicht, als sie plötzlich angerufen wurden.
Dieser Anruf war so klar und unmißverständlich, daß Rander wie auch Parker stehen blieben und ihre Hände zur Zimmerdecke hochstreckten. »Drehen Sie sich um und kommen Sie tiefer ins Zimmer«, befahl die Stimme des Dicken. Rander wunderte sich ehrlich über die Entschlossenheit Porters. Doch als er sich umdrehte, sah er, warum Porter plötzlich so stark geworden war. Neben ihm stand ein breitschultriger Schlägertyp, der einen schweren 38er Colt in der Hand hatte.
»Wenn Sie keine Dummheiten machen, können Sie ihre Hände herunternehmen«, sagte Porter.
»In der Halle wartet ein bestimmter Mann auf uns«, sagte Rander weiter. »Wenn wir nicht in spätestens drei Minuten wieder unten sind, gibt er bei bestimmten Stellen Alarm.«
»Nehmen wir an, daß es so ist«, sagte Porter und nickte seinem Mann zu. Der Schläger mit der Pistole zog sich noch tiefer ins Zimmer zurück und baute sich am Fenster auf. Seinen Colt hielt er allerdings schußbereit. »Nehmen wir an, daß Sie sich gesichert haben, wer sagt Ihnen, daß ich unbedingt Ärger haben will? Ich will nur etwas erfahren, mehr nicht. Wer hat Sie geschickt?«
»Können Sie das nicht erraten?« fragte Rander zurück.
»Mike?« Porter zögerte.
Rander war völlig überrascht, und im letzten Moment gelang es ihm, seine Gesichtsmuskeln zu beherrschen. Jetzt war schon wieder einmal dieser Vorname gefallen.
»Und wenn es so ist?« fragte Rander einfach zurück. Er mußte eben solange bluffen, wie es eben ging.
»Das ändert nichts an den Tatsachen«, erklärte Porter. »Wenn es vielleicht auch gewisse Schwierigkeiten geben wird. Hat er Glubb deshalb umlegen lassen, weil er sich mit mir in Verbindung gesetzt hat?«
»Mike versteht in vielen Dingen keinen Spaß«, sagte Rander. »Auch hier in unserem Fall nicht.«
»Glubb ist selbst an seinem Tod schuld«, erklärte Porter. »Wahrscheinlich hat er wieder in Trance erzählt, und das ist dann Mike zugetragen worden. Ich glaube, daß man sich einigen könnte.«
»Gegen Vorschläge aller Art haben wir noch nie etwas gehabt«, sagte Rander grinsend.
»Sagen Sie Mike, daß ich mich heraushalten werde«, meinte Porter nachdenklich und langsam sprechend. »Ich werde heute abend noch die Stadt verlassen. Aber wenn er Dummheiten machen sollte, er soll immer daran denken, daß ich ja verdammt genau weiß, woher das Zeug stammt. Ein Wort, und sein Hahn ist abgedreht.«
»Wir werden das wörtlich melden«, versprach Rander, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wo er diesen Mike finden sollte.
Ohne sich weiter um den Schläger mit dem Colt zu scheren, verließ er zusammen mit Butler Parker das Zimmer.
»Das war eine erstaunliche und. aufschlußreiche Unterhaltung«, sagte Josuah Parker, als sie die Hotelhalle verlassen hatten und den Studebaker bestiegen. »Hinter der ganzen Rauschgiftaffäre scheint dieser Mike zu stehen, und Porter spielt die Rolle des Konkurrenten.«
»Das Bild rundet sich immer wieder ab«, erwiderte Mike Rander zufrieden. »Es sieht so aus, als ob Glubb abspringen und auch Porter beliefern wollte. Vielleicht wurde er deshalb auch erschossen.«
»Wohin darf ich Sie fahren?« fragte Butler Parker. »Ich würde Vorschlägen, daß wir uns jetzt dem weiblichen Teil des Falles widmen sollten. Ich denke an die Foto-Agency und an Miss Tunney.«
»Einverstanden«, sagte Mike Rander. »Das wäre mal eine nette Abwechslung. Fahren Sie zuerst zur Agentur!«
Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und überdachte die Tatsachen noch einmal in aller Ruhe. Es schien sich tatsächlich um zwei Gangs zu handeln, die ins Rauschgiftgeschäft kommen wollten.
*
Schweigend fuhren sie durch die City. Mike Rander war so in Gedanken versunken, daß er erst durch das wiederholte Räuspern von Butler Parker aufschreckte.
»Was ist, Parker?«
»Ich wollte Sie gerade darauf hinweisen, daß wir unser Ziel bereits erreicht haben«, sagte Parker umständlich.
»Dann erledigen Sie doch die Sache«, bat Rander. »Sie wissen ja, wie die Frau auf dem Bild aussah, und fragen Sie danach, ob in der Agentur ein Mann namens Glubb bekannt ist.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, behauptete Butler Parker steif. Er kletterte geschmeidig aus dem Wagen, rückte seine Melone zurecht und steckte sich eine seiner spezialgefertigten Zigarren in den Mund. Genießerisch setzte er den pechschwarzen Torpedo in Brand und stolzierte in die Halle des großen Bürohauses.
Rander stieg ebenfalls aus dem Wagen und kaufte sich bei einem Zeitungsboy die letzten Ausgaben. Auf der ersten Seite war in großen Überschriften der Mord an Glubb gebracht worden. Rander las den Artikel sorgfältig durch, fand aber keinen Hinweis auf Rauschgift und keine Andeutung, daß dieser Mord eventuell mit dem Mord an Snyder zusammenhing. Entweder wußten die Polizei und damit die Zeitungsleute nichts von den Zusammenhängen, oder Leutnant Handy hatte auf der Pressekonferenz jeden Hinweis unterschlagen. Butler Parker kam überraschend schnell wieder zurück.
»Die superplatinblonde Dame war in der Agentur sehr bekannt«, berichtete er. »Es handelt sich um ein Fotomodell der Agentur. Sie wohnt hier in der Stadt, und zwar in der Muria-Street und heißt …«
» … demnach also Helen Tunney«, vollendete Rander den Satz seines Butlers. »Das trifft sich ja ausgezeichnet, Parker. Die Dame wollten wir ja anschließend besuchen.«
»Ich habe noch mehr erfahren«, erklärte Butler Parker. »Es war im Fotoatelier allen bekannt, daß sie mit Tony Glubb sehr eng liiert war. Als man von Miss Tunney sprach, hatte ich das Gefühl, daß man sie als sehr leicht einschätzte.«
»Na, denn man los«, sagte Rander.
Nach zehn Minuten parkte Parker den Studebaker vor dem Haus Nr. 1821, in dem Miss Tunney wohnte. Es handelte sich um ein noch ziemlich neues und sauberes Apartmenthouse, und nachdem sie sich über den Portier angemeldet hatten, fuhren sie mit dem Lift in den vierten Stock, wo Miss Tunney sie am Liftausgang erwartete.
Mike Rander mußte vor so viel strahlender Blondheit seine Augen fest schließen. Selbst Butler Parker war sichtlich beeindruckt.
»Sie haben Glück, daß Sie mich noch angetroffen haben«, sagte die blonde Frau, nachdem sich Rander und Parker vorgestellt hatten. »Ich muß nämlich heute abend eine Party arrangieren, und Sie wissen vielleicht, was für eine Arbeit man dann hat.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie voraus und führte Rander und Parker in einen hypermodern eingerichteten Salon.
»Aber so setzen Sie sich doch«, sagte die Frau. »Wahrscheinlich sind Sie durstig, meine Herren. Welcher Herr ist nicht durstig, hahaha!«
»Scheint leicht hysterisch zu sein«, flüsterte Rander seinem Butler zu.
Miss Tunney ging zu einer kleinen Hausbar hinüber und beschäftigte sich intensiv mit einem Shaker.
»Was kann ich nun für Sie tun?« erkundigte sie sich, als sie drei Gläser gefüllt hatte. »Aber wir sollten zuerst mal trinken. Der Drink ist mein Geheimrezept.«
»Ich habe selten einen besseren getrunken«, sagte Rander galant.
»So etwas habe ich noch nie getrunken«, meinte Butler Parker, aber er meinte es sehr viel eindeutiger als Rander. Die Frau überhörte entweder die Ironie, oder sie hatte Parkers Lob nicht ganz mitbekommen. Sie lächelte geschmeichelt und sah dann Rander fragend an.
»Wir waren mit Tony Glubb bekannt«, begann Mike Rander sofort und stellte vorsichtig sein Glas ab.
Die Frau sah Rander irritiert an und schien nachzudenken, ob sie Rander oder Parker schon einmal gesehen hatte.
»Der arme Tony«, sagte sie dann und setzte sich dann lässig auf die Lehne eines breiten Sessels. »Wir waren eine Zeitlang befreundet.«
»Sie hatten Streit miteinander?«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte sie mißtrauisch und runzelte ihre gepuderte Stirn.
»Haben Sie nicht etwas in Ihrem letzten Brief angedeutet?«
»Ja, wir hatten Ärger miteinander«, sagte sie. »Tony hatte sich während einer Party unmöglich benommen.«
»Wußten Sie, daß Glubb süchtig war?«
»Ich glaub schon, daß Tony manchmal schnupfte«, sagte Helen Tunney.
»Sie tun’s auch hin und wieder, ja?«
»Ich hab’s mal versucht.«
»Wer ist Maud?« bohrte Rander unentwegt weiter. Er hatte das Gefühl, von ihr sehr viel erfahren zu können.
»Eine Bekannte von mir«, erklärte die Frau. »Sie haben wohl meinen Brief gelesen, was?«
»Und mit ›A‹ ist wohl Ann Torca gemeint, was?«
Helen Tunney nickte bejahend mit dem Kopf und betrachtete eingehend ihre Fingernägel.
»Was wissen Sie von Glubb?« kam Rander noch einmal auf das Hauptthema zu sprechen.
»Er ist doch Abteilungsleiter«, sagte sie. »Irgendwo in so einer chemischen Fabrik. Wir lernten uns mal in einer Bar kennen.«
»Sie waren eine Zeitlang mit ihm befreundet?«
Sie nickte mit dem Kopf und betrachtete sich wieder ihre blutrot gelackten Fingernägel.
»Dann führte sich Glubb komisch bei einer Party auf«, redete Mike Rander weiter. »Erzählen Sie uns das doch mal.«
»Er war völlig down und belästigte Maud«, erklärte die Superblonde.
»Sie meinen Maud Elga?«
»Ja, das ist eine Freundin von mir«, sagte Helen Tunney. »Wir arbeiteten früher mal zusammen im ›Hippodrom‹, verstehen Sie?«
»Besorgte Glubb immer den Koks?«
Sie nickte wieder automatisch, ohne zuerst zu ahnen, was sie bejaht hatte. Dann sah sie aber erschreckt hoch und protestierte.
»Was wollen Sie immer mit Koks?« fragte sie wütend. »Ich habe mit dem Zeug nichts zu tun. Weiß ich, was die Leute immer auf den Parties getrieben haben?«
»Und wo werden die Parties abgehalten?« erkundigte sich Mike Rander interessiert.
»Draußen bei mir«, erwiderte Helen Tunney. »Ich hab’ am See einen Bungalow.«
»Wo?« fragte Rander knapp.
»Südlich vom Yachthafen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wer sind Sie nun eigentlich?«
»Sind Sie noch nicht dahintergekommen?« fragte Rander und lächelte. »Wir sind Interessenten.«
»Ich muß mich nun umziehen«, meinte Helen Tunney und machte den schwachen Versuch, sich aus der Affäre zu ziehen.
»Können Sie gleich machen«, sagte Rander. »Wir gehen sofort, Miss Tunney. Ach so, noch eine Frage: Kennen Sie einen Mister Porter?«
Der Kopf der Frau wirbelte förmlich herum. Sie merkte aber sehr schnell, daß sie eine Dummheit gemacht hatte.
»Porter?« fragte sie, als müßte sie sich mühsam an den Namen erinnern. »Ich glaube, daß ich den Namen schon einmal gehört habe.«
»Strengen Sie sich nur nicht zu sehr an«, sagte Mike Rander entgegenkommend. »Aber den Namen Mike haben Sie doch bestimmt schon gehört?«
»Nein«, gab sie sofort heraus. »Den Namen habe ich noch nie gehört.«
»Parker, rufen Sie die Polizei an«, sagte Rander gemütlich.
»Was soll denn das?« fragte die Frau erschreckt. »Ich will mit der Polizei nichts zu tun haben.«
»Aber das liegt doch bei Ihnen«, erwiderte Rander vorwurfsvoll.
»Lassen Sie doch den Hörer liegen«, sagte Helen Tunney erregt und sah Butler Parker an.
»Jetzt aber raus mit der Sprache«, forderte Rander sie auf. »Was wird nun wirklich gespielt?«
»Ich habe Angst«, gestand Helen Tunney leise.
»Vor Mike?« fragte Rander in väterlichem Ton.
Helen Tunney nickte.
»Mike führt die Rauschgiftgang, der Glubb und Snyder angehört haben, ja?« fragte Rander.
»So hat mir Tony das mal erzählt«, fuhr die Frau fort. »Er hat mich verführt, daß ich Koks verkaufte.«
»Zu Glubb und Snyder gehört auch Purcel und Lutch, ja?«
»Wir gehörten alle dazu«, sagte sie offen. »Lutch sorgte für Ordnung.«
»Und Glubb besorgte das Gift?«
»Wenn wir das brauchten, holten wir uns immer was bei ihm. Er hatte gute Beziehungen.«
»Von wem bekam er den Koks?«
»Von Mike natürlich«, entgegnete sie entrüstet, als ob man das doch nun wissen müßte.
»Ann ist die Nichte von Glubb?« fragte Rander.
»Wer’s glaubt, wird selig«, reagierte Helen Tunney lachend.
»Wird Mike auf der heutigen Party erscheinen?«
»Ich weiß ja nicht, wer er ist, ich nicht und die anderen auch nicht«, sagte Helen Tunney. »Vielleicht ist er da, vielleicht auch nicht. Aber ich sage das Fest besser ab, was? Sie werden uns ja doch verpfeifen.«
»Haben Sie eine Ahnung«, sagte Rander. »Kein Wort sagen wir davon.«
»Dazu werden Sie auch nicht kommen«, erklärte plötzlich eine harte Stimme hinter ihrem Rücken. Im gleichen Moment sackten Rander und Parker in sich zusammen. Man hatte ihnen harte Gegenstände über den Schädel gezogen …
Mike Rander hatte das Gefühl, daß sein linkes Ohr einem mittelstarken Luftzug ausgesetzt war. Er versuchte, seine Hand hochzunehmen und war auch plötzlich hellwach. Die Hand gehorchte nicht mehr seinem Willen, und er bemerkte, daß er Stahlarmbänder trug. Er versuchte sich aufzurichten und hörte die Stimme des Butlers.
»Ich bin sicher, daß Sie mein Blasen nicht als unangenehm empfunden haben«, entschuldigte sich Josuah Parker. »Zur Lage darf ich Ihnen erklären, daß Sie und ich niedergeschlagen worden sind. An den Händen tragen Sie wahrscheinlich wie ich Handschellen, die Füße sind allerdings frei. Wo wir uns befinden, kann ich noch nicht genau sagen. Wahrscheinlich aber in einem Keller.«
»Das war erschöpfend«, meinte Mike Rander. »Haben wir keine Chance, die Armbänder wieder loszuwerden? Sie haben doch bestimmt einmal eine Stellung gehabt, in der Sie sich auch als Entfesselungskünstler produzieren mußten.«
»Ich kann mich da sehr gut erinnern«, überlegte der Butler laut. »Ich hatte mehrere solcher Stellungen. Lassen Sie mich überlegen, Mister Rander, welche da in Frage kommen könnte.«
Mike Rander richtete sich mühsam auf und lehnte sich gegen eine nasse, abgebröckelte Wand. Erst jetzt konnte er einen Blick in den Kellerraum werfen.
Der Raum war vielleicht achtzehn bis zwanzig Quadratmeter groß und ohne Einrichtungsgegenstände. Durch einen Kohlenschacht fiel etwas Licht in den Keller. Der zementierte Boden war sehr feucht und hatte kleine und größere Wasserlachen. Dicht neben ihm lag Butler Parker, der sich jetzt auch langsam aufrichtete.
»Moment, hören Sie mal, Parker«, sagte Rander plötzlich zu seinem Butler. »Da kommt jemand.«
»Das würde das Verfahren vielleicht etwas abkürzen«, erwiderte Butler Parker. »Ich fühle nämlich, daß ich einem Herzanfall sehr nahe bin.«
»Legen Sie Ihre ganze Seele hinein«, sagte Rander grinsend. Es war unverkennbar, daß sich Schritte näherten.
»Na, wie ist denn das, ihr Schleicher?« bellte der Mann, der anschließend den Kellerraum betrat. Er war mittelgroß, aber sehr kompakt, und schien ausgebildete und trainierte Muskelstränge zu haben.
»Was ist denn überhaupt los?« erkundigte sich Mike Rander. »Man wird einfach niedergeschlagen, während man sich mit einer Dame unterhält, und dann einfach in ein Wasserloch geworfen. Ist das Gastfreundschaft?«
»Nun rede keinen Unsinn«, sagte der Mann etwas verwirrt. »Euch werden sie die Flötentöne schon beibringen.«
»Wer hat uns denn festgesetzt?« fragte Mike Rander. »Steht Mike dahinter?«
»Sag ich nicht«, erwiderte der Mann im Slang. »Hei, was ist denn mit dem Opa los?«
Es sah auf den ersten Blick furchtbar aus, in welch schrecklichen Krämpfen sich der Butler wand. Schaum stand vor seinem verzerrten Mund.
»Es war zuviel für den alten Mann«, erklärte Mike Rander und zog ein erschrockenes Gesicht.
»Koller«, sagte der Kompakte ungerührt. »Ob er ’ne halbe Stunde früher oder später abkratzt, spielt keine Geige. Reif ist er sowieso.«
Mike Rander unterdrückte einen wütenden Fluch. Es wäre so schön gewesen, wenn der Untersetzte Rander die Handfesseln abgenommen hätte. Aber der Mann machte nicht die Anstalten dazu. Im Gegenteil, er genierte sich gar nicht, dem angeblich todkranken und mit Herzkrämpfen ringenden Butler noch kräftig in die Seite zu treten.
*
Butler Parker brauchte sich nicht zu genieren wegen des Aufstöhnens. Einmal hatte ihn der Fußtritt empfindlich getroffen und schmerzte, zum anderen gehörte es zu seiner Rolle. Wie hingezaubert stand plötzlich ein zweiter Mann im Kellerraum. Mike Rander konnte trotz des schwachen Lichtes gut erkennen, daß es Tommy Lutch war. – Der Mann, den er zusammen mit Butler Parker in Snyders Wohnung angetroffen hatte und der zusammen mit zwei anderen Gangstern sie am White Corner mit einer Maschinenpistole erwartet hatte.
»Du bist wohl verrückt, was?« fauchte Lutch den Kompakten wütend an. »Mike will beide noch lebend sprechen. Was ist mit dem Opa?«
»Herzzittern«, sagte der Vierschrötige und lachte albern.
»Mach ihm die Handschellen los und pumpe ihm neue Luft in die Lungen«, ordnete Lutch an.
»Die Handschellen abnehmen?« fragte der Mann erstaunt zurück. »Der Opa ist doch auch ’n Schleicher.«
»Aber eben ’n alter Mann«, sagte Lutch grinsend. »Der kann doch keiner Fliege was tun! Oder haste Angst?«
»Vor dem Gerippe?« lachte der Mann auf. Er beugte sich zu dem Butler herunter, zog einen flachen Schlüssel aus der Tasche und schloß die Handschellen auf.
»Ihr habt uns ja herrlich reingelegt«, sagte Rander zu Lutch.
»Damit war aber doch zu rechnen«, erwiderte Lutch grinsend. Er hatte seine Tarnung abgelegt und wirkte durchaus schlagfertig und intelligent.
»Wer sich mit Mikes Gang einläßt, hat bis jetzt immer noch Pech gehabt.«
»Hinter dem Mann waren wir her«, gab Rander offen zu. Er versuchte jede Möglichkeit, um Lutch zusätzliche Informationen aus der Nase zu ziehen. Rander zweifelte keine Sekunde daran, daß er zusammen mit Parker spätestens in zehn Minuten den Keller wieder verlassen konnte. »Als ich wach geworden bin, dachte ich zuerst, Porter hätte uns geschnappt. Ich soll Mike übrigens von ihm eine Botschaft überbringen.«
»Hat sich schon überholt«, meinte Lutch sparsam.
»Wieso?« erkundigte sich der Anwalt. »Hat Porter …?«
»Hat Pech gehabt«, sagte Lutch und grinste. »Er wollte sich in Sachen einmischen, die ihn nichts angingen.«
»Porter ist erledigt?«
»Völlig«, ergänzte Lutch sparsam. »So erledigt, wie ihr noch vor heute abend acht Uhr.«
»Ich würde es an Mikes Stelle nicht so schnell starten«, sagte Mike Rander. »Porter mag ein Esel gewesen sein, aber wir haben ein paar handfeste Sicherungen eingebaut.«
»Sicherungen?«
»Ja, Sicherungen«, antwortete Rander grinsend. »Mike täte vielleicht ganz gut daran, wenn er sich mal mit uns unterhalten würde.«
»Mit Mike unterhalten?« vergewisserte sich Lutch noch einmal, als hätte er nicht richtig gehört. »Dazu gehören aber immer noch zwei. Vor allen Dingen Mike.«
»Kann man ihn denn nicht erreichen?«
»Mike ist eben ein Name«, meinte da Lutch erklärend. »Gesehen hat ihn noch keiner, und wer ihn gesehen hat, hat davon nichts mehr erzählen können.«
»Und trotzdem macht ihr mit?«
»Das Geld kommt eben regelmäßig«, meinte Lutch grinsend. »Aber wie ist das mit den Sicherungen? Was soll das heißen, du?«
»Mein Partner und ich haben natürlich an der Rauschgiftsache gearbeitet«, erklärte Rander. »Wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt heute abend nicht irgendwo auftauchen, gehen die Unterlagen sofort an die Polizei. Wenn ihr auch nicht wißt, wer Mike ist, wir haben ganz bestimmte Vorstellungen davon.«
»Das soll wohl ’n Bluff sein, was?«
»Könnt ihr halten wir ihr wollt.«
»Verdammt, ich glaub, daß ich noch mal weg muß«, sagte da Lutch nervös zu dem kompakten Mann. »Warte hier unten, bis ich zurückkomme. Ich rufe mal von oben an.«
Lutch verschwand sehr geräuschlos durch die Tür. Man hörte auch nicht seine Schritte, als er in dem unbeleuchteten Gang untergetaucht war.
»Sind die Krämpfe noch schlimm?« fragte Mike Rander bei dem Gangster an, als Lutch seiner Meinung nach bereits weit weg sein mußte. »Mal sehen«, knurrte der Gangster. Er machte den übergroßen Fehler, sich über Butler Parker zu beugen.
Plötzlich flog der Kopf des Gangsters ins Genick zurück, und seine Füße verließen den Zementboden des Kellers. Butler Parker, der sich im entscheidenden Augenblick wie eine Stahlfeder gespannt hatte, war aktiv geworden und hatte mit der ganzen Kraft seines trainierten Körpers zugeschlagen.
Als der Gangster sich wieder aufrichten wollte, saß sein Kopf auf einmal in einer Beinschere. Er fiel erneut krachend auf den Boden. Es stellte sich schnell heraus, daß der Bursche diesem Niederschlag auf Umwegen nicht ganz gewachsen war. Wenigstens zeitweise nicht. Der Gangster rührte kein Glied mehr, und Parker konnte in aller Ruhe den flachen Schlüssel an sich nehmen, mit dem er anschließend die Handschellen Randers aufschloß.
Butler Parker durchsuchte den Gangster noch weiter und förderte zu seiner Freude einen handlichen Colt zutage.
Parker und Mike Rander tauchten in den dunklen Gang und erreichten nach etwa dreißig Meter eine steile Kellertreppe. Sie kamen in einer unaufgeräumten und verkommenen Halle heraus.
Sie sahen Tommy Lutch, der vor einem wackeligen Tischchen stand und den Telefonhörer in der Hand hielt. Er schien sein Gespräch gerade beendet zu haben, denn er drehte sich um, weil er zur Kellertreppe zurück wollte. Vor Erstaunen fiel fast seine brennende Zigarette aus dem Mund, als er in die Mündung des Colts sah, der in Parkers Hand lag …
*
»Verfügen Sie sich bitte in den Keller«, sagte Butler Parker sehr höflich. »Sie werden verstehen, daß Sie uns etwas im Weg sind.«
»In Ordnung, Sie sind am Drücker«, gab Lutch zu und ging mit schnellen Schritten auf den Kellereingang zu. Aber Butler Parker stoppte ihn.
»Nicht doch », Eile mit Weile heißt das Sprichwort, und Sie können versichert sein, daß der Volksmund nicht ohne zwingenden Grund und hinreichende Erfahrung diesen Satz geprägt hat.«
Lutch gehorchte aufs Wort, und Mike Rander zog ihm einen schweren Colt aus der Jackentasche. Dann bewegte sich die Prozession in den Keller, und nach wenigen Minuten waren Lutch und der zweite Gangster mit Armbändern versehen.
»Parker, gehen Sie nach oben und sichern Sie den Weg«, sagte Mike Rander anschließend zu seinem Butler. »Ich möchte mich mit Lutch noch unterhalten.«
»Sie können sich auf mich verlassen«, versprach Butler Parker.
»Sie machen eine Riesendummheit, Rander«, sagte Lutch, als sie allein im Kellerraum waren. »Rechnen Sie sich überhaupt eine Chance gegen uns aus?«
»Bis jetzt ist die Rechnung doch ganz gut aufgegangen«, erwiderte Rander und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach machen, Lutch?«
»Vergleichen Sie sich mit Mike, und lassen Sie Ihre Hände aus dem Spiel«, empfahl der Gangster.
»Gegen ein Gespräch mit diesem geheimnisvollen Mike hätte ich nichts einzuwenden«, antwortete Rander. »Sagen Sie mir, wo ich den Mann finden kann.«
»Sie wollen mich wohl leimen, was?« fragte Lutch und grinste. »Können Sie mir eine Zigarette geben?«
Mike Rander rauchte eine Zigarette an und steckte sie dem Gangster zwischen die Lippen.
»Warum mußten eigentlich Glubb und Snyder sterben?« begann dann Rander wieder das Gespräch. »Wollten sie abspringen?«
»Fragen Sie Mike danach«, meinte Lutch. »Ich werde mich verdammt hüten, auch nur ein Wort zu sagen. Ich bin ja kein Selbstmörder.«
»Aber Sie sind doch der einzige, der mit Mike Verbindung hat, oder?«
»Das schon«, erwiderte Lutch fast stolz. »Aber ich kenne den Mann auch nicht. Wenn was ist, ruft er mich immer an.«
Plötzlich fiel Rander siedendheiß ein, daß Mike ja gerade erst von Lutch angerufen worden war. Es war sehr wahrscheinlich, daß entweder Mike oder ein paar andere Gangster aufkreuzen würden.
Der Anwalt drehte sich auf dem Absatz um und ging sehr schnell zurück in die Halle. Butler Parker saß bequem in einem notdürftig reparierten Lehnstuhl und sah zum Fenster hinaus. Es begann bereits dunkel zu werden.
»Parker«, sagte er. »Ich glaube, wir verziehen uns von hier auf dem schnellsten Weg. Lutch hat eben angerufen, und wenn wir Pech haben, sitzen wir in einer bösen Falle.«
»Ich werde mich sofort nach einem standesgemäßen Wagen umsehen«, sagte Butler Parker würdevoll. »Wenn mich nicht alles täuscht, steht im Vorgarten ein Buick.«
»Machen Sie den Schlitten klar«, sagte Rander. »Ich werde für die Gangster einen Abschiedsbrief hinterlegen.«
Während der Butler durch das Fenster im Vorgarten verschwand, suchte Rander nach einem halbwegs noch zu beschreibenden Zettel und malte dann mit großen Druckbuchstaben darauf:
»Auch Raffinesse schützt nicht vor Entlarvung, Mister Mike!«
Diesen Zettel brachte er deutlich sichtbar an der Kellertür an und grinste, als Butler Parker mit Zeichen des Erstaunens diese Botschaft las.
»Wen meinen Sie damit?« fragte Parker verblüfft. »Ich habe fast das Gefühl, Mister Rander, daß Sie bereits diesen Mike kennen?«
»Ein Bluff, sonst nichts«, sagte Rander auflachend. »Ich bin genausowenig informiert wie Sie, Parker.«
»Dann bin ich einigermaßen beruhigt«, sagte Butler Parker, und sein Gesicht verlor den gespannten Ausdruck. »Ich dachte schon, ich hätte irgend etwas in dem Fall glatt übersehen. Übrigens, der Wagen steht bereit.«
»Gehen Sie schon vor«, forderte Rander ihn auf. »Ich will eben noch schnell Leutnant Handy anrufen. Er soll sich um die Gangster kümmern.«
Der Polizeioffizier war erstaunt, als er die Stimme Randers hörte. Er war noch erstaunter und verblüffter, als Rander ihm ungeschminkt mitteilte, daß er sich zwei Gangster abholen könnte. Butler Parker hatte ihm nämlich in der Zwischenzeit mitgeteilt, wo sie sich befanden. Es war eine leerstehende Villa, hart am See.
»Wir fahren sofort los«, sagte Handy. Mike Rander legte schnell den Hörer auf, bevor der Polizeioffizier weitere Fragen stellten konnte. Dann verließ er das Haus und winkte Parker aus dem Wagen.
»Warum nehmen wir die beiden Gangster eigentlich nicht mit?« sagte er zu seinem Butler. »Das verkürzt das Verfahren erheblich.«
»Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Butler Parker. »Aber ich wollte Ihnen auch mitteilen, daß bereits zum zweitenmal der gleiche Wagen am Haus vorbeigefahren ist.«
»Meinen Sie, die Gangster wären schon da?« fragte Rander und blieb einen Moment unschlüssig stehen. »Was macht denn Ihre Zunge, Parker?« Butler Parker hatte während ihres ersten gemeinsamen Falles einmal behauptet, bei Gefahr, die von irgendeiner Seite drohte, würde sich seine Zunge belegen, noch bevor die Gefahr an sich akut geworden war.
»Mister Rander, sie ist sehr belegt. Wenn wir uns nicht beeilen, ist die Hölle los.«
»Sie ist bereits hereingebrochen«, sagte Rander trocken und sprang zusammen mit seinem Butler in das Haus zurück, als zwei Bleiladungen an ihren Ohren vorbeigepfiffen waren.
»Sie schießen mit Schalldämpfer«, stellte Butler Parker ruhig, voller entrüsteter Würde, aber völlig überflüssigerweise, fest.
»Wie haben Sie das nur so schnell gemerkt«, sagte Rander grinsend und schlug die Tür hinter sich zu. »Ich möchte nur wissen, wer die Gangster gewarnt hat.«
»Ich werde Mister Handy zusätzlich informieren.« Der Butler ging zum Telefon hinüber. Er hob den Hörer aus der Gabel und wollte die Nummer drehen. Mike Rander sah seinem erstaunten Gesicht an, daß es nicht so klappte, wie er es sich vorgestellt hatte.
»Man hat die Telefonleitungen durchgeschnitten«, sagte er erklärend zu Rander. »Es sieht fast so aus, Mister Rander, daß man uns um jeden Preis ausschalten will.«
»Den Eindruck habe ich auch«, erwiderte Rander nachdenklich. Er wollte noch mehr sagen, kam aber nicht mehr dazu. Die Gangster hatten sich im Schutz der Dunkelheit von der Straße an das Haus herangearbeitet. Durch die großen Fenster schickten sie einen massierten, fast geräuschlosen Geschoßhagel auf Rander und Parker.
»Raus aus der Halle, rein ins Treppenhaus«, sagte Rander hastig. Er schoß bereits wie Butler Parker zurück, aber bei der Dunkelheit war es sehr schwer, genau ein Ziel auszumachen. »Hätten Sie etwas gegen den Kellergang?« erkundigte sich der Butler, als sie in Deckung waren. »Dann könnten wir sicher sein, daß die beiden Gangster nicht entwischen.«
»Der Bunker ist passend«, sagte Rander. Im Feuerschutz des Butlers sprang er hinter der Ecke hervor, hinter die sie sich verzogen hatten, und landete mit einem gewagten Hechtsprung auf dem obersten Absatz der Kellertreppe. Dann übernahm Rander den Feuerschutz, und der Butler begann seine Luftreise. Auch er landete wie der Anwalt hart, aber sicher auf dem Zement der Treppe.
Im gleichen Augenblick zuckte der Colt in Parkers Hand auf.
»Ich hatte ein lohnendes Ziel vor Augen«, sagte Parker. »Die Gangster sind bereits in der Halle.«
Sie mußten zeitweise ganz von der Kellertreppe wegtauchen. Um wieviel Ganoven es sich handelte, ließ sich nicht feststellen. Sie hatten den Standort des Paares entdeckt und schossen.
»Es war ein äußerst guter Gedanke, daß Sie Leutnant Handy eingeladen haben«, sagte Butler Parker, während er seinen Kopf gegen eine Treppenstufe drückte.
»Wir ziehen uns besser weiter zurück«, schlug Mike Rander seinem Butler vor. Ohne eine Antwort abzuwarten, kroch Rander weitere Treppenstufen nach unten und war nicht sonderlich erstaunt, als Parker neben ihm auftauchte.
Oben wurde plötzlich das Feuer abgebrochen. Wahrscheinlich hatten sich die Gangster bereits der Treppe genähert, um nachzudrücken.
Oder war die Polizei etwa schon eingetroffen?
»Sieht fast danach aus, als ob …?« sagte Butler Parker und schlich zurück durch den dunklen Gang zur Treppe.
»Rander? Parker?«
Mike Rander atmete erleichtert auf, als er die Stimme Leutnant Handys hörte. Also hatte es mit dem Anruf doch geklappt. Er ging ebenfalls zurück zur Treppe und begrüßte in der Halle den Polizeioffizier, der zwar froh war, daß ihnen nichts passiert war, trotzdem den Kopf schüttelte.
»Ich glaube, daß Sie mir eine Menge zu erzählen haben«, sagte Handy. »Wir haben hier übrigens keinen Gangster mehr erwischt. Die haben sich alle noch rechtzeitig verkrümelt.«
»Nicht alle«, widersprach Mike Rander und lachte. »Lassen Sie zwei besonders nette Figuren aus dem Keller holen. Wir wollen Ihnen nämlich ein Dankgeschenk überreichen.«
Der Polizeioffizier gab seine Anweisungen, und einige Cops verschwanden im Keller. Sie kamen sehr schnell wieder zurück, aber ohne Gangster.
»Haben Sie die Leute nicht gefunden?« fragte Rander erstaunt.
»Doch, sie waren nicht zu verfehlen«, antwortete einer der Polizeibeamten.
»Aber beide Gangster sind tot. Ich nehme an, daß man eine Handgranate durch den Kohlenschacht in den Keller geworfen hat …«
*
Mike Rander, Butler Parker und Leutnant Handy saßen in der Office des Polizeioffiziers. Bei einem Drink erzählte der Anwalt in großen Zügen, was sich in der leerstehenden Villa am See ereignet hatte. Leutnant Handy hörte zu, ohne Rander auch nur einmal zu unterbrechen. Hin und wieder machte er sich Notizen. Man sah ihm deutlich an, daß er mit der Entwicklung der Lage äußerst zufrieden war.
»Sie haben großes Glück gehabt«, sagte Handy, als Rander seine Erzählung beendet hatte. »Aber Sie haben mir überhaupt noch nicht erzählt, wie Sie in den Keller gekommen sind. Es muß doch eine Vorgeschichte geben. Ich will mal der Reihe nach gehen. Sie kommen eines Tages zu mir und melden den Diebstahl einer Melone und eines Mantels. Etwa knapp eine halbe Stunde vorher wird die Mordkommission zum Theater gerufen, weil man während der Pause oder kurz danach einen Mann in der Passage ermordet hat. Dieser Tote trug die bewußte Melone und den Mantel, die Sie, Parker, vermißten.«
»Zufälle gibt es auf der weiten Welt«, wunderte sich Mike Rander laut und schüttelte den Kopf.
»Das kann man wohl sagen.« Leutnant Handy grinste. »Aber ich will Ihnen sagen, Rander, Ihr Erscheinen bei mir war kein Zufall.«
»Sie sind sehr sicher«, sagte Rander.
»Es ist nur eine kurze Überlegung«, erwiderte Handy. »Wegen solcher Lappalien wie Hut und Mantel hätten Sie sich niemals mit mir in Verbindung gesetzt.«
»Nannten Sie eben meinen Hut und meinen Mantel eine Lappalie?« fragte Butler Parker entrüstet den Polizeioffizier. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, Mister Handy, daß ich beide Bekleidungsstücke bei dem ersten Herrenausstattungsgeschäft in London …«
»Das sah man den Kleidungsstücken wirklich an«, beruhigte ihn Handy lächelnd. »Fest steht also, daß Sie deshalb zu mir kamen, um herauszufinden, wer der Tote war. Falls Sie es noch nicht wissen sollten, der Mann hießt Willy Snyder und arbeitete nach unseren Ermittlungen als Rauschgiftverteiler.«
»Wer hätte das gedacht«, wunderte sich Mike Rander.
»Das große Wundern kommt erst noch.« Handy bot Zigaretten an. »Unsere Mordkommission wurde kurz nach dem Tod von Snyder noch einmal alarmiert. Und zwar von Bewohnern der Gate Street. Im Haus Nr. 1248 wurde ein Mister Glubb tot aufgefunden. Unsere Ärzte fanden heraus, daß dieser Mister Glubb kurz vor seinem Tod Koks geschnupft haben mußte. Bei der anschließenden Durchsuchung des Hauses fanden sich noch einige Giftbriefchen.«
»Was hat das mit uns zu tun?« erkundigte sich Mike Rander harmlos.
»Habe ich davon irgend etwas gesagt?« fragte Leutnant Handy erstaunt.
»Ich erzähle Ihnen doch nur eine Geschichte. Vor einigen Stunden wurden wir ins ›Criston‹ bestellt. Ein gewisser Mister Mike Porter war erschossen in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden.«
»Chicago kann eine sehr rauhe Stadt sein«, kommentierte Mike Rander trocken.
»Solange sich die Gangster gegenseitig umbringen, ist nichts dagegen zu sagen«, ergänzte Handy wegwerfend. »Natürlich ist das meine Privatmeinung.«
»Soll das heißen, daß dieser Porter …?«
»Genau das soll es heißen«, antwortete Handy. »Dieser Porter ist ein alter Bekannter von uns gewesen. Er stammt aus New York und arbeitet als großes As in der Rauschgiftbranche.«
»Hat der Mann Selbstmord begangen?« fragte Mike Rander.
»Machte er diesen Eindruck auf Sie?« fragte Leutnant Handy zurück.
»Wieso sollten wir …?«
»Wir wollen uns doch gegenseitig nichts vormachen.« Handy unterbrach den Anwalt grinsend. »Sie sind beide im Hotel gesehen worden. Verwechslung ausgeschlossen. Aber ich will Ihnen meine Geschichte auch zu Ende erzählen. Vor einer halben Stunde nun riefen Sie an, und ich hatte den verdammten Eindruck, daß Sie im Druck waren.«
»Ihr Eindruck war durchaus richtig«, bestätigte Mike Rander.
»Und im Keller werden zwei Leute gefunden, die an ihren Handgelenken Handschellen trugen. Beide Leute waren Gangster reinsten Wassers. Einer von den beiden heißt Lutch, Tommy Lutch, der andere wurde wegen Mordes gesucht. Und jetzt rundet sich der Kreis wieder ab, Lutch wohnte im gleichen Haus wie Snyder, sie waren sogar befreundet, wenn nicht im gleichen Gangsterclub. Sie, Rander und Parker, haben die Gangster im Keller unschädlich gemacht, also doch Verbindung mit Ihnen gehabt. Was soll man daraus schließen?«
»Wir wollen Ihnen nicht vorgreifen, Leutnant Handy«, sagte Mike Rander.
»Oh, das ist schnell gesagt«, sagte Handy. »Durch irgendeinen Zufall oder durch Absicht sind Sie über Snyder an eine Rauschgiftgang herangekommen. Wie ich Sie beide kenne, haben Sie sich in den Kopf gesetzt, den Fall aufzuklären. Aber würden wir nicht besser zusammenarbeiten?«
»Was sollen wir Ihnen denn schon groß erzählen?« fragte Mike Rander unentschlossen und gedehnt, um Zeit zu gewinnen.
»Die Tatsachen, nichts als Tatsachen!«
Mike Rander sah zu Butler Parker hinüber und fühlte, daß der Butler mit dieser Lösung gar nicht einverstanden war. Auch Leutnant Handy fühlte förmlich, was in Butler Parker vorging.
»Ich würde Ihnen diesen Vorschlag nicht machen, wenn es sich nicht gerade um Rauschgifthändler handeln würde«, sagte er fast ausschließlich zu Butler Parker. »Aber denken Sie doch daran. Jeder Tag, den die Gangster dieser Branche noch für ihre Geschäfte ausnutzen, kostet vielen anderen Menschen das Leben. Muß ich Ihnen erst ausführlich erzählen, wie Rauschgift wirkt?«
»Sie können sich jedes weitere Wort sparen«, sagte Butler Parker und stand mit feierlichen Bewegungen auf.
»Ich will mich diesen Argumenten nicht verschließen, obgleich ich der Meinung bin, daß unter gewissen Umständen, wenn man bedenkt, wie …«
»Sie können also erzählen«, sagte Leutnant Handy schnell zu Mike Rander. Auch Rander hatte den Ernst der Lage erkannt. Wenn man Butler Parker erst in rednerische Stimmung brachte, war so leicht kein Ende mehr abzusehen. Er zündete sich eine Zigarette an und erzählte dann zwar knapp, aber hinreichend ausführlich, ihre Geschichte, so wie sie sie gesehen und erlebt hatten.
»Donnerwetter, das sind Zusammenhänge, auf die ich nicht im Traum gekommen wäre«, sagte Leutnant Handy, als Mike Rander berichtet hatte. »Es dreht sich also darum, diesen geheimnisvollen Mike zu finden.«
»Jetzt dürfen Sie auch wissen, warum man vor allen Dingen Lutch ausgeschaltet hat«, erklärte Rander. »Lutch war der Mann, der Verbindung mit Mike hielt.«
»Ich möchte wetten, daß Lemming hinter diesem Mike steht«, sagte Handy erregt. »Die Zusammenhänge bieten sich ja förmlich an.«
»Das ist das, was mich stutzig macht«, antwortete Mike Rander. »Sie müssen doch zugeben, Handy, daß unter diesen Umständen die Tarnung dieses Mike mehr als mangelhaft wäre.«
»Zumindest wird Lemming aber beteiligt sein«, meinte Handy. »Man müßte eine Großrazzia veranstalten. Namen haben wir ja genug. Vor allen Dingen müßte man Lemming hinter Schloß und Riegel setzen.«
»Wenn Sie Lemming unter den augenblicklichen Umständen mehr als einen Tag festhalten können, würde ich Ihnen 1000 Dollar zahlen«, sagte Mike Rander kopfschüttelnd. »Was haben Sie denn an handgreiflichen Beweisen gegen Lemming?«
»Mister Rander hat durchaus recht«, schaltete sich Butler Parker in das Gespräch ein. »Man würde darüber hinaus sogar die Rauschgiftgang warnen und zuletzt niemand fassen können.«
»Was schlagen Sie also vor?« erkundigte sich der Leutnant.
»Lassen Sie Parker und mich weitermachen«, sagte Mike Rander. »Solange bei den Gangstern nicht der Eindruck entsteht, daß wir mit Ihnen Zusammenarbeiten, solange werden die Gangster weiter Rauschgift vertreiben und nicht von heute auf morgen untertauchen.«
»Ich bin immerhin Beamter«, sagte Handy zögernd. »Ihr Plan leuchtet mir als Privatmann natürlich ein, aber stellen Sie sich mal vor, die Sache kommt heraus und Sie sind …«
»Das ist unser Pech«, meinte Mike Rander abwehrend. »Und außer uns dreien braucht doch niemand davon zu wissen, Handy. Aber nur so haben Sie eine Chance, daß Sie auf einen Schlag die Gang ausheben können.«
»Ich weiß also von nichts.« Handy nickte langsam. »Aber ich werde Ihnen am laufenden Band zuverlässige Leute auf den Hals schicken. Wenn mal was schiefgehen sollte, haben Sie wenigstens Ihre Chance.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden, solange die Leute nicht stören.« Mike Rander war zufrieden.
»Ich bin sehr gespannt, wie sich Lemming aus der Affäre ziehen will«, meinte Handy. »Wenn unsere Theorie stimmt, dann muß ihm verdammt viel Gift fehlen.«
»Darüber informieren wir Sie schon«, versprach Mike Rander und stand auf. »Lassen Sie auch jede Kontrolle der Party fallen, die heute abend von Helen Tunney aufgezogen werden soll. Die Brüder sollen annehmen, sie hätten es nur mit Parker und mir zu tun.«
»Es bleibt bei unserer Abmachung«, sagte Handy und schüttelte Rander und Parker die Hand.
*
»Na, Parker, was halten Sie denn nun von dieser Abmachung?« fragte Mike Rander seinen Butler. Sie hatten das Stadthaus bereits wieder verlassen und saßen im Studebaker.
»Nach Lage der Dinge war das wohl die beste Lösung«, erwiderte Butler Parker steif und würdevoll, als müßte er einen amtlichen Beschluß der Regierung bekanntmachen. »Allerdings, wenn es sich nicht um Rauschgift gehandelt hätte, ich weiß nicht, ob …«
»Wenn sich Leutnant Handy an unsere Abmachungen hält, ist auch nachträglich nichts gegen unsere Vereinbarung einzuwenden«, sagte Mike Rander grinsend. Er wußte, daß der Butler in Kriminaldingen sehr eifersüchtig sein konnte.
»Wohin darf ich Sie fahren?« erkundigte sich Parker bei dem Anwalt. Er hatte seine Miene wieder vereist und war die personifizierte Butlerwürde.
»Genau dorthin, wohin Sie auch wollen«, meinte Rander, der Parker wie seine Westentasche kannte. »War es nicht Mister Lemming?«
»Ich bin bereits auf dem Weg«, erklärte Parker.
»Ich bin gespannt, wie er mit der Kontrolle fertiggeworden ist«, sagte Mike Rander. »Er gab ja offen zu, daß ihm allerhand Gift fehlte.«
»Und er sagt uns ja, er hätte die Polizei informiert und würde bestimmt …«
»Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, daß er die Polizei nicht informiert hat.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an. »Warum hätte er uns sonst so bearbeitet, wir sollten ihm das Gift zurückerstatten. Bestenfalls ist Lemming mit dem angeblichen Diebstahl durch Glubb herausgerückt, als die Beamten die Fehlmengen festgestellt haben.«
Butler Parker antwortete nicht mehr. Er hatte alle Hände voll zu tun, um den Wagen durch den starken Verkehr zu lenken, der auf den fast mitternächtlichen Straßen herrschte. Diesmal war das Haus Lemmings in der Trent-Street nicht erleuchtet. Auch auf wiederholtes Klingeln wurde nicht geöffnet.
»Alles ausgeflogen«, sagte Mike Rander und hob ergeben seine Schultern.
»Wir drehen wieder ab, Parker. Ich schlage vor, wir fahren zum ›Hippodrom‹ und sehen uns Maud Elga an. Vielleicht treffen wir auch Miss Tunney.«
»Aber die werden doch auf der Party sein«, reagierte Butler Parker verblüfft.
»Nicht mehr, wenn die Party überhaupt durchgeführt ist«, erwiderte Mike Rander. »Vergessen wir nicht, Parker, daß uns die Polizei aus der Villa herausgeschlagen hat. Unter diesen Umständen wird man wahrscheinlich von der Party Abstand genommen haben.«
»Ich habe mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. An Stelle der Gangster würde ich das auch getan haben«, antwortete Josuah Parker.
Eine Viertelstunde später betraten sie das Lokal. Das »Hippodrom« mußte früher wirklich mal eine Reitbahn gewesen sein. Der jetzige Inhaber des Lokals hatte sich an den Grundriß gehalten, nur daß die Reitbahn jetzt mit Parkett ausgelegt worden war, auf dem sich dichtgedrängt etwa fünfzig Paare zu den Klängen einer Band herumschoben.
»Dort hinten dürfte noch ein freier Tisch sein«, sagte Butler Parker. Ohne Randers Zustimmung abzuwarten, ging er durch ein Labyrinth von Tischen. Als Mike Rander dann ebenfalls den Tisch erreicht hatte, schlug der Butler sofort ein kleines Frühstück vor.
»Sie müssen unbedingt etwas zu sich nehmen«, forderte der Butler. »Bei Ihrer Jugend braucht man etwas Ordentliches.«
»Bestellen Sie Whisky«, tat Rander uninteressiert. Er hatte inzwischen Platz genommen und sah sich in dem großen Lokal um. An der Stirnseite des Saales war eine Bar untergebracht. Vor der Theke drängelten sich die Gäste, und die sechs Barmädchen hatten alle Hände voll zu tun, um die Gäste abzufertigen. Ein bekanntes Gesicht sah Rander weder vor der Theke noch im Saal.
Er sah aber auch, daß sich einige handfeste Männer von der Theke wegschoben. Die Leute schlenderten oder drängelten sich möglichst unauffällig durch die Tanzpaare und an den Tischen vorbei. Es war unverkennbar, welche Richtung sie einschlugen. Wahrscheinlich wollte man ihn und Parker einkesseln und nach einem mehr oder weniger triftigen Grund kleinkriegen.
»Etwa zehn Schritte hinter unserem Tisch steht eine spanische Wand«, sagte in dem Augenblick Butler Parker. »Ich war so frei, mich näher umzusehen, bevor ich Platz nahm. Hinter der spanischen Wand sind Sicherungskästen für die Beleuchtung und weiterhin ist dort eine Tür. Wohin sie allerdings führt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.«
»Schade, daß wir uns so schnell schon wieder empfehlen müssen«, sagte Mike Rander. »Aber ich glaube, in der Umgebung hier lassen wir uns besser nicht mit den Männern ein. Wir hätten das Lokal gegen uns.«
Der Butler wollte etwas erwidern, aber in dem Augenblick erschien der Kellner. Er servierte sehr zuvorkommend zwei Drinks, und beim Kassieren fühlte Rander plötzlich einen Schein oder ein Stück Papier in der sich schließenden Hand.
Der Anwalt holte sein Zigarettenetui aus der Tasche, und während er sich eine Zigarette aus dem Gummiband zog, entfaltete er geschickt den Zettel.
»Verschwindet durch die Hintertür. Man will euch fertigmachen.«
»Auch eine kleine Zigarette?« fragte Mike Rander seinen Butler. Er hielt ihm das Etui unter die Nase, und Butler Parker hatte hinreichend Gelegenheit, den Zettel zu lesen.
»Wer mag das Ding geschickt haben?« fragte Mike Rander verblüfft. »Die große Frage ist, ob die Warnung auch wirklich ehrlich gemeint ist.«
»Die Tür hinter der spanischen Wand, die ja wohl unzweifelhaft gemeint ist, könnte sich aber auch als eine Falle herausstellen«, meinte Butler Parker.
»Sie entschuldigen mich bitte, Mister Rander. Es ist an der Zeit, daß ich Stellung beziehe. Sollte das Licht in den nächsten Minuten wider Erwarten ausgehen, so wundern Sie sich bitte nicht, sondern Sie treffen mich dann hinter der spanischen Wand.«
»Ihre Wahrung der Formen ist unübertrefflich«, sagte Mike Rander grinsend.
Die Leute, die von der Theke verschwunden waren, um sich ihrem Tisch zu nähern, waren jetzt nicht mehr auszumachen. Sie waren im Gedränge untergetaucht, aber plötzlich erinnerte sich Rander wieder einer sehr bunt karierten Jacke. Der Mann, der diese Jacke trug, gehörte zu den Leuten. Er tanzte gerade in der Nähe von Randers Tisch vorbei.
Um ein Haar hätte sich Mike Rander verraten. Die weibliche Tanzpartnerin war Maud Elga. Sie sah ihn mit offenem Blick an, zeigte aber mit keiner Miene, daß sie Rander näher kannte.
Mike Rander spielte den Gleichgültigen. Er zündete sich mit vollkommen ruhiger Hand eine neue Zigarette an und … tauchte blitzschnell auf den Boden, als plötzlich das Licht im Saal erlosch. Sofort wurden Schreie laut, die Frauen kreischten ängstlich auf und die Männer brüllten wütend nach Licht.
Kaum hatte Mike Rander den Boden berührt, so ringelte er sich bereits wie eine Schlange zur spanischen Wand hinüber. Da die meisten Leute an ihren Tischen aufgesprungen waren, hatte Mike Rander keine Schwierigkeiten sich ungehindert unter den Tischen fortzubewegen.
Bruchteile von Sekunden nach dem Verlöschen des Lichtes hatten sich fünf stämmige Männer auf seinen gerade freigewordenen Platz geworfen. Daß sie sich in der Dunkelheit gegenseitig ziemlich rupften, konnte Rander nicht stören, sondern nur lieb sein. Als sich die Gangster orientiert hatten, stand Rander bereits neben Parker hinter der spanischen Wand. Während der Butler die verschlossene Tür bearbeitete, warf Mike Rander wie ein griechischer Diskuswerfer die losgeschraubten Sicherungen in den Saal.
»Die Tür ist von innen zugeriegelt«, sagte Butler Parker wütend zu Mike Rander.
Er hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als die Tür von der anderen Seite plötzlich entriegelt wurde. Als Butler Parker sie entschlossen aufdrückte, sah er in den dunklen Gang. Aber er sah nicht die geringste Spur von einem Menschen …
*
»Keine Kreuzworträtsel lösen«, sagte Mike Rander zu seinem erstaunt stehenbleibenden Butler. »Riegeln Sie die Tür zu, und dann ab durch die Mitte!«
Butler Parker verwandelte sich wieder in Energie. Er riegelte die Tür zu und schloß noch zusätzlich mit seinem Besteck. Dann gingen er und Mike Rander vorsichtig den unbeleuchteten und schmalen Korridor hinunter, bis sie plötzlich vor einer Eisentür standen.
»Versuchen Sie, das Ding aufzubekommen«, sagte Mike Rander.
Er zwang sich und seine Stimme zur Ruhe, obwohl er innerlich sehr nervös war. Er hatte zwar damit gerechnet, daß man ihnen in der Nachtbar zusetzen würde, aber daß das so unmittelbar und konzentriert geschehen sollte, hatte ihn mehr als verblüfft.
»Parker, die Tür wird gleich eingeschlagen sein«, sagte Mike Rander zu seinem Butler. »Sie sind schon feste dran.«
»Ich dagegen habe die Tür bereits auf«, erwiderte Butler Parker. Er zog die schwere Eisentür zurück, und Butler Parker und Mike Rander konnten ungehindert in einen Hof steigen, der nur auf der einen Seite von einer Mauer begrenzt war.
Sie huschten im Schatten der Häuser auf ein Tor zu. Da sie annahmen, daß das Tor noch nicht besetzt war, überquerten sie der Einfachheit halber einfach im Laufschritt den Hof.
Ohne Hindernisse kamen Rander und Parker zu ihrem Wagen und fuhren aus der Kette der parkenden Autos. Das heißt, sie wollten fahren, wurden aber von einem abgerissenen Mann um Feuer gebeten.
Butler Parker reichte dem Mann eine Streichholzschachtel, und Mike Rander hatte aus Vorsicht bereits seinen Colt in der Tasche in die Hand genommen.
»Wollte man Ihnen ans Leder?« fragte der Mann, der scheinbar nicht richtig mit der Streichholzschachtel fertig werden konnte. »Leutnant Handy ist mein Mann.«
»Ach so«, sagte Mike Rander erleichtert. »Dann klemmen Sie sich am besten gleich ans Telefon und rufen Sie einen Überfallwagen. Wenn Sie schnell genug sind, kann man vielleicht noch ein halbes Dutzend schwerer Jungens abschleppen.«
»Wohin geht’s jetzt?« fragte der Beamte weiter. Endlich brannte seine Zigarette, und er gab die Streichhölzer sehr lässig an Butler Parker zurück.
»Lemon Street 296«, erwiderte Mike Rander. »Eddy Purcel.« Der Beamte atmete hörbar und genußreich auf, fluchte ausgiebig auf die zugeknöpften Herrenfahrer und verschwand zwischen den anderen abgestellten Wagen.
»Handy ist uns schon auf den Fersen«, meinte Rander lachend. »Aber ich muß Ihnen ehrlich sagen, Parker, daß mich das sehr beruhigt. Die Sache wird heißer, als ich angenommen habe.«
Kurz Zeit später bog Parker bereits in die Lemon-Street ein.
»Purcel hat einen erstaunlich komfortablen Bungalow«, stellte Rander etwas überrascht fest. »Außerdem scheint er auch noch auf zu sein.«
»Natürlich, es brennt ja auch noch Licht in seinem Haus«, stellte Butler Parker scharfsinnig fest. Gemeinsam stiegen sie aus dem Studebaker. Schon nach dem ersten Läuten sprang das Torschloß zum Garten auf.
»Mister Purcel scheint einen sehr gut geschulten Berufskollegen von mir zu beschäftigen«, mutmaßte Butler Parker. »Oder Purcel erwartet uns bereits und hat seinerseits Vorsorge getroffen, daß wir ihm schnell in die Arme laufen«, dämpfte Mike Rander seinen Butler. »Wundern Sie sich eigentlich nicht, Parker, wie ein kleiner Rauschgifthändler sich so einen Bau leisten kann?«
»Muß es denn wirklich nur ein kleiner Rauschgifthändler sein?« fragte Butler Parker zurück.
»Glubb nannte seinen Namen«, sagte Mike Rander. »Er sprach von ihm im gleichen Atemzug wie Snyder. Und auch Helen Tunney nannte Purcel gar nicht näher, als sie von der Rauschgiftgang sprach.«
»Was kann ich für Sie tun?« wurden sie in dem Moment von einem schlanken Mann angesprochen, der in der Tür des Bungalows stand.
»Mister Purcel?« fragte Mike Rander. Als der Mann nickte, stellte Rander seinen Butler und sich vor. Purcel bat sie ins Haus und führte sie in eine sehr bequem eingerichtete Bibliothek.
»Sie müssen entschuldigen, wenn Sie etwas lange an der Gartentür gewartet haben«, sagte er höflich. »Aber ich bin allein im Haus. – Sie nehmen einen Drink?«
Rander und Parker bejahten. Purcel mixte offen und sichtbar an einer kleinen, fahrbaren Bar einige Drinks und reichte ihnen Gläser. Als sie alle einen ersten Schluck genommen hatten, sah Purcel sie fragend an.
»Mister Glubb schickt uns zu Ihnen«, sagte Mike Rander langsam und sehr vorsichtig. Er machte nach dem Namen eine Pause und wartete ab, wie Purcel nun darauf reagieren würde. Aber der schlanke Mann, dessen Gesicht einen sehr intelligenten Ausdruck hatte, verzog sich um keine Nuance. »Es handelt sich eigentlich um Snyder«, redete Mike Rander weiter. »Sie wollten doch zusammen mit ihm gestern abend zu Glubb kommen, nicht wahr?«
Eddy Purcel zuckte mit keiner Miene. Aber sein Gesicht hatte sich in eine fleischgewordene Frage verwandelt.
»Auch Lutch hat Ihre Abwesenheit festgestellt«, bluffte Mike Rander verdrossen weiter. Er fühlte aber selbst, daß hinter seinen Worten wenig Überzeugungskraft stand. Er kam sich lächerlich und blamiert vor.
»Bitte lachen Sie nicht über mein erstauntes Gesicht«, meldete sich endlich Purcel zu Wort. »Aber ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen auf Ihre Feststellungen antworten soll. Die Namen, die Sie genannt haben, sind mir alle unbekannt.«
»Sie können offen reden«, versuchte es Mike Rander zum letzten Mal. »Mike hat uns geschickt.«
»Ich kenne auch keinen Mike«, erwiderte Purcel und lächelte amüsiert. »Ich muß wirklich annehmen, daß Sie einer Verwechslung zum Opfer gefallen sind.«
»Aber wir haben Zeugen, die Sie identifizieren können«, sagte Mike Rander. »Mister Eddy Purcel, Lemon-Street 296, das sind Sie doch, oder nicht?«
»Entschuldigen Sie eine Frage«, antwortete Purcel, ohne auf Randers Frage einzugehen. »Sind Sie von der Polizei? Wenn ja, dann zeigen Sie mir doch bitte Ihren Haftbefehl. Wenn nein, dann erklären Sie sich bitte!«
»Wir sind nicht von der Polizei«, erklärte Mike Rander. Er wußte, daß er von dem schlanken Mann geschlagen worden war. Elegant und tödlich, was dieses augenblickliche Gespräch anging.
»Dann also Ihre Erklärung«, sagte Purcel. »Ich muß Sie sonst bitten, zu gehen.«
»Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden, daß wir Ihnen das alles ausführlich erzählen?« fragte Butler Parker dazwischen. Als Purcel nickte, sagte Parker weiter: »Aber nicht jetzt, Mister Purcel, später vielleicht einmal. Unser Besuch bei Ihnen war uns sehr wertvoll, auch wenn Sie das noch nicht sehen können.«
»Ich muß doch sehr bitten«, wurde Purcel ärgerlich und stand auf, um seine beiden späten und keineswegs harmlosen Gäste zu verabschieden.
Mike Rander schimpfte laut. Butler Parker verstand diese Reaktion durchaus und überlegte ernsthaft, ob er nicht auch seinen Gefühlen freien Lauf lassen sollte. Aber im letzten Augenblick entsann sich der Butler seiner Erziehung und Würde. Es war doch wohl unmöglich, daß er ebenfalls laut schimpfte. Man durfte als englischer Butler schließlich der amerikanischen Jugend kein schlechtes Beispiel geben.
»Purcel hat uns ablaufen lassen wie selten einer«, sagte Mike Rander grinsend, als er sich wieder beruhigt hatte. »Es war heller Unsinn, zu dem Mann zu gehen. Wer soll wen identifizieren? Und ich möchte wetten, daß Purcel auch nicht den geringsten Kontakt mit Glubb gehabt hat.«
»Darf ich daran erinnern, daß Purcel auch gut ein geschickter Schauspieler sein könnte? Sein Name ist ja von zwei Personen genannt worden. Es gibt jetzt nur eine Möglichkeit: nämlich herauszufinden, ob ein gleicher Name noch einmal existiert.«
»Wie wollen Sie das denn feststellen?« fragte Mike Rander. Er konnte schon wieder grinsen.
»Sagten Sie nicht eben, wer identifiziert wen?« fragte Butler Parker auf einmal. Sein Gesicht hatte einen gespannten Zug bekommen.
»Donnerwetter, Parker«, sagte da auch Rander überrascht, der natürlich sofort verstanden hatte. »Ich hab ja nicht mehr an Helen Tunney gedacht Sie sprach ja auch von Purcel.«
»So richtig war das nicht«, schränkte Butler Parker sofort ein »Sie, Mister Rander, nannten die Namen, die in Betracht kamen. Und Miss Tunney hat die Richtigkeit dieser Namen pauschal bestätigt. Einzeln genannt wurde Purcel nicht.«
»Parker, drehen Sie bei! Wir müssen sofort in die Muria-Street. Und Sie können so schnell fahren wie Sie wollen. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!«
»Was befürchten Sie denn?« fragte der Butler. Er hatte den Studebaker in Fahrt gebracht. Der schwere Wagen schoß wie eine Rakete durch die mittlerweile leergewordenen Straßen.
»Sprachen wir nicht bei Purcel davon, daß wir ihn identifizieren könnten?« sagte Mike Rander. »Wenn Purcel also wirklich der Mann ist, welcher mit der Rauschgiftgang, wenn auch unter anderen Vorzeichen, zusammenarbeitet, dann ist Miss Tunney in größter Gefahr. In dem Fall müßte Purcel ja wissen, daß nur noch sie ihn identifizieren könnte. Wenn wir sie antreffen, nehmen wir sie gleich mit zurück zu Purcel.«
»Eine Bestätigung seiner Person aber könnte man gleich an Ort und Stelle vornehmen«, sagte Butler Parker, als er den Wagen aus einer Kurve herausschießen ließ. »Ich habe mir erlaubt, ein Bild von Mister Purcel, das auf dem Schreibtisch stand, beim Weggehen mitzunehmen oder zu entleihen.«
*
Dank Parkers Fahrkunst erreichten sie die Muria-Street in Rekordzeit. Das Apartmenthouse war bis auf einige Fenster in den obersten Stockwerken nicht mehr erleuchtet. Als Mike Rander auf seine Uhr sah, war es kurz nach zwei Uhr.
»Eigentlich verdammt spät, einen Besuch zu machen«, sagte er zu dem Butler. »Wie kommen wir in das Haus, Parker? Ich möchte nicht erst stundenlang mit dem Portier verhandeln.«
»Die rückwärtigen Türen sind immer die besten, sagte einmal Lord Bannister zu mir«, erklärte Butler Parker.
»Ein eigenartiger Grundsatz.«
Da Parker wußte, daß Mike Rander mit dem vorgeschlagenen, sehr ungewöhnlichen Weg einverstanden war, so ging er ohne Zögern auf die schräge Auffahrt zu, die neben dem Haus in die unterirdischen Garagen führte.
Die Tür war nicht verschlossen.
Trotz seiner Jahre huschte der Butler unhörbar und sehr schnell die Stufen nach oben. Im bewußten Stockwerk angekommen, öffnete Parker leise eine Tür, und schon standen sie auf einem mit Teppichen ausgelegten Korridor.
»Es ist vielleicht ratsam, besonders vorsichtig zu sein«, schlug der Butler vor.
»Warum denn?« fragte Rander erstaunt. »Hat sich Ihre Zunge belegt?«
»Noch nicht«, erwiderte der Butler wahrheitsgemäß. »Aber ich glaube, andere Anzeichen bemerkt zu haben.«
»Die wären?«
»Ich habe das todsichere Gefühl, daß bereits ein Vorgänger an den beiden Türschlössern gearbeitet hat«, sagte der Butler leise.
»In Ordnung«, sagte Rander und zog ohne weitere Überlegung seinen Revolver, um in Sekunden schußbereit zu sein. Auf Feststellungen solcher Art konnte man sich blindlings verlassen.
Sie hatten inzwischen die Wohnungstür von Miss Tunney erreicht. Wieder wurde das Schloß geöffnet und Parker zog sanft die Tür zu einem Spalt auf, daß sie ungehindert in den Korridor der kleinen Wohnung schlüpfen konnten.
»Meine Zunge ist sehr dick belegt«, flüsterte der Butler. Das war Großalarm für Mike Rander. Und da hörte man auch schon einen unterdrückten Aufschrei. Plötzlich schimmerte Licht durch den Bodenspalt der Wohnzimmertür. Parker, als geübter Butler, bückte sich ohne große Zeremonien und sah durch das Schlüsselloch. Was er sah, ließ ihn sofort handeln.
Ein Mann mit einer schwarzen Maske vor dem Gesicht stand neben der Bettcouch, auf der Helen Tunney saß. Sie war wohl erst durch das Licht wach geworden, vielleicht hatte sie es auch eingeschaltet, als sie Geräusche in der Wohnung gehört hatte. Der Mann vor ihr hatte ein großes Messer in der Hand und versuchte, Helen Tunney zu erdolchen. Sie hielt mit beiden Händen den Arm des Gangsters, der den Dolch umfaßte, und rang verzweifelt nach Luft, weil der Gangster ihr mit seiner linken Hand den Mund verschloß. Parker stand plötzlich in dem hellerleuchteten Zimmer. Die Frau, die mit dem Gesicht zur Tür saß, sah den Butler sofort, aber auch der Gangster bemerkte plötzlich die veränderte Lage.
Blitzschnell ließ er die Frau los, die erschöpft und ängstlich auf das Bett zurückfiel. Er machte eine kurze Bewegung mit dem Unterarm, und schon zischte das Dolchmesser durch die Luft auf Parker zu. Der Butler wich der Waffe elegant aus. Seiner Meinung nach war sie mehr als schlecht geschleudert worden. Als der Wurfdolch federnd und zitternd im Holz der Tür stak, zog ihn Butler Parker mit einer schnellen Bewegung aus dem Holz und schickte den Dolch auf die Rückreise. Gerade in dem Augenblick, als der Gangster in seine Tasche greifen wollte. Das Dolchmesser flirrte durch die Luft und fand sein Ziel, bevor der maskierte Gangster die Hand ganz in die Tasche stecken konnte. Die Klinge schlug durch den Unterarm und heftete ihn an die Schranktür. Der Mann wurde plötzlich kreideweiß im Gesicht, und Mike Rander, der nun auch im Zimmer stand, mußte heftig schlucken.
»Mister Rander, darf ich Sie herzlichst bitten, den Polizeiarzt anzurufen«, sagte Parker. »Der Mann muß in ärztliche Behandlung.« Er machte sich aber trotzdem sofort daran, dem Gangster einen Notverband anzulegen und ihn zugleich endgültig zu entwaffnen.
»Kennen Sie den Mann?« fragte Mike Rander, nachdem er telefoniert und dem Gangster die Maske vom Gesicht heruntergerissen hatte. Helen Tunney aber schrak zusammen.
»Sol!« rief sie entsetzt und erstaunt zugleich.
»Wohl ein alter Bekannter, was?« fragte Rander.
Helen Tunney nickte mit dem Kopf und wurde sich dann bewußt, daß sie nur ein Nachthemd trug. Sie wollte sich deshalb schnell wieder unter die Decke verkriechen.
»Es ist besser, wenn Sie sich anziehen, Miss Tunney. Hier in der Wohnung können Sie nicht mehr bleiben.«
»Dann drehen Sie sich um«, sagte Helen Tunney.
Als die drei Männer ihrem Wunsche nachkamen, sprang sie von der Couch und verschwand im Badezimmer. Nach wenigen Minuten kam sie angezogen zurück.
»Arbeitet Sol auch für Mike?« fragte Rander sie und sah dabei den Gangster an.
»Klar«, erwiderte sie, »und ausgerechnet mit Sol war ich vorgestern noch aus.«
»Mike hatte mich angerufen«, versuchte sich der Gangster zu verteidigen. »Er sagte, daß du uns verraten hast.«
»Kein Wort habe ich gesagt«, erwiderte sie erregt.
Helen Tunney und Sol warfen sich noch einige Bosheiten gegenseitig an den Kopf und schwiegen erst, als Leutnant Handy mit einem Einsatzkommando angerückt kam. Der sie begleitende Polizeiarzt untersuchte die Wunde des Gangsters.
»Der Mann muß sofort auf den Operationstisch«, sagte er nach der kurzen Untersuchung. »Die Arterie ist durchschnitten worden.«
»Gut, bringen Sie ihn mit den beiden Leuten ins Polizeilazarett.« Leutnant Handy deutete auf seine beiden Begleiter. Als der Gangster, der Polizeiarzt und die beiden Beamten das Zimmer verlassen hatten, setzte sich Handy in einen Sessel und bot Helen Tunney eine Zigarette an. Sie nahm sie mit zitternden Händen.
»Sie haben großes Glück gehabt, Miss Tunney«, sagte Leutnant Handy ruhig. »Eine Sekunde später und man hätte Sie morgen früh mit dem Leichenwagen abfahren können. Warum ist man denn so scharf hinter Ihnen her?«
»Ich bin völlig unschuldig«, behauptete Helen Tunney. »Ich weiß gar nicht, warum Sol mich …«
»Miss Tunney«, schaltete sich da Mike Rander in die Unterhaltung ein, »wir wollen doch nicht wie die Katzen um den heißen Brei herumschleichen. Es steht fest, und das haben Sie doch bereits bei anderer Gelegenheit offen zugegeben, daß Sie mit einer Rauschgiftgang Zusammenarbeiten. Sie sollten sich darüber im klaren sein, daß Sie nur noch eine Chance haben, nämlich die, mit uns zu gehen.«
»Ich will nicht ins Gefängnis!« rief die Frau erregt und sprang aus ihrem Sessel. »Ich weiß nichts, gar nichts.«
»Nun nehmen Sie mal Vernunft an«, mischte sich wieder Leutnant Handy in das Gespräch. »Sie sehen ja, daß ich Polizeioffizier bin. Sie sollten wissen, daß ich es bin, der in dem Fall der Staatsanwaltschaft den Bericht gibt, nachdem die Anklagen verfaßt werden. Was halten Sie davon, wenn Ihr Name in diesem Bericht überhaupt nicht erscheint? Oder aber nur so, daß man Sie als kleinen Fisch laufen läßt?«
Helen Tunney ging unruhig im Zimmer auf und ab. Man sah ihrem Puppengesicht deutlich an, daß sie sich ehrlich bemühte, ihre Lage zu überdenken.
»In Ordnung«, sagte sie, als sie ihre Wanderung durch das Zimmer unterbrochen und sich wieder gesetzt hatte. »Aber ich stelle eine Bedingung. Wenn ich alles erzählt habe, will ich raus aus der Stadt, irgendwohin, wo mich Mike nicht erreichen kann!«
»Wir regeln das schon«, beruhigte sie Leutnant Handy. »Und damit wären wir auch schon mitten im Thema. Die Rauschgiftgang wird also von Mike geführt? Wer steckt hinter diesem Namen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte die Superblonde. »Der einzige, der vielleicht eine Ahnung hatte, war Lutch, vielleicht auch Glubb.«
»Wie groß ist die Gang?« fragte Handy weiter.
»Ich kenne ja nicht alle«, antwortete Helen Tunney. »Vielleicht zwanzig oder dreißig Leute.«
»So groß?«
»Na, die verkaufen eben alle Koks und holen sich das Zeug bei Glubb ab«, erklärte die Frau. »Wie die Leute im einzelnen heißen, weiß ich nicht.«
»Welche Rolle spielte denn Lutch?«
»Der paßte mit seinen Jungens auf, daß keiner versuchte, Mike ins Handwerk zu pfuschen.«
»Gehörten zu ihm Snyder und Purcel?«
»Klar«, sagte sie zu Mike Randers Überraschung prompt.
»Ist das Purcel?« schaltete sich auf einmal der Butler in die Unterhaltung ein und hielt Helen Tunney das Bild unter die Nase, das er bei Eddy Purcel in der Lemon Street entliehen hatte.
»No, das ist nicht Purcel«, sagte sie. »Aber so ähnlich sieht der Junge aus. Nur viel jünger, das hier ist ja ein alter Opa.«
»Kannten Sie ihn sehr gut?« fragte Mike Rander dazwischen.
»Purcel und gut kennen?« Die Frau lachte auf. »Klar, den kenne ich wie meine Handtasche. No, das hier ist nicht Purcel!«
»Was ist mit Lutch Jungens?« wollte der Polizeileutnant wissen. »Wo kann man die Leute finden?«
»Hippodrom«, sagte Helen Tunney. »Sol hat nach Lutchs Tod die Sache übernommen.«
»Schreiben Sie mir die Namen und Spitznamen der Leute auf«, sagte Leutnant Handy. »Verdammt, das wird ja prächtig hinhauen.«
»Lassen Sie mich auch aus dem Spiel?« vergewisserte sich Helen Tunney noch einmal, bevor sie sich an den Tisch setzte und mit unbeholfenen Bewegungen einige Namen in das Notizbuch des Leutnants schrieb.
»Ja, selbstverständlich«, sagte Handy.
Als die Frau ihre schwierige Arbeit beendet hatte, fragte Mike Rander:
»Und wo kann man Ann Torca finden?«
»Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Interessiert mich auch nicht. Die hat Glubb schwer ausgenommen, das Biest.«
»War sie seine …?«
»Darauf können Sie aber einen trinken«, sagte Helen Tunney, und ihre Stimme klang richtig ordinär. Im gleichen Moment schrillte das Telefon. Leutnant Handy nahm den Hörer ab und meldete sich. Er hörte schweigend zu und legte den Hörer dann wieder zurück. Seine Bewegungen waren ärgerlich.
»Die Idioten!« sagte er wütend. »Meine Leute haben Sol entwischen lassen. Er hat im Wagen den Todkranken gespielt und ist einfach ausgestiegen …«
*
Mike Rander und Butler Parker saßen im Studebaker und fuhren zurück zum Bungalow. Helen Tunney hatte ihre Aussagen nicht wesentlich erweitern können. Es hatte sich herausgestellt, daß sie nicht allzuviel von der Rauschgiftgang wußte. Sie war mehr ein Goldfisch am Rande gewesen.
Leutnant Handy hatte sie in Erfüllung seines Versprechens zwar nicht festgenommen, ihr aber aus Gründen der persönlichen Sicherheit dringend anempfohlen, für einige Tage zu einem weiblichen Kriminalbeamten zu ziehen.
Trotzdem sich die Lage der beiden Amateurdetektive durch das Erscheinen der Polizei grundlegend geändert hatte, näherten sie sich vorsichtig dem Bungalow, nachdem der Butler den Studebaker weit von dem Haus entfernt auf der Straße geparkt hatte.
Garten und Bungalow aber waren feindfrei, wie sich Butler Parker ausdrückte, als er einen kurzen Orientierungsgang gemacht hatte. Rander und er betraten den Bungalow, und Mike Rander hatte nur einen Wunsch, nach dem Aufenthalt in dem Rattenkeller der Villa sich zu duschen, und zwar ausgiebig. Während er ins Badezimmer schritt, ging Butler Parker würdevoll wie ein Zeremonienmeister in die Kombüse des Bungalows. Er wollte sehen, ob das Rauschgiftpäckchen noch in der Kaffeekanne war. Aber sein sonst so beherrschtes Gesicht überzog sich mit flammender Röte, als er in die leere Kanne sah. Das Päckchen war verschwunden.
»Mister Rander«, sagte der Butler, nachdem er leise und diskret an die Badezimmertür geklopft hatte, »ich hätte Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.« Er klinkte die Tür auf und informierte dann Rander. Als der Anwalt das zerknirschte Gesicht seines Butlers sah, mußte er lachen.
»Was regen Sie sich denn so auf? Was weg ist, ist eben weg. Da wir ja jetzt mit der Polizei Zusammenarbeiten, ist es sowieso nicht mehr so wichtig für uns.«
»Mister Handy weiß doch aber, daß wir ein Rauschgiftpäckchen bei Mister Glubb gefunden haben«, sagte Butler Parker. »Gerade dieses Päckchen, Mister Rander, war doch der einzige Beweis über die Verbindung zwischen Glubb und Lemming. Sie wollen mich nur trösten.«
»Unsinn«, erwiderte Mike Rander. »Natürlich haben Sie recht. Das Päckchen war ein wichtiges Beweisstück gegen Lemming, aber glauben Sie nicht, daß wir mit oder ohne Päckchen den Fall lösen werden? Wahrscheinlich wurde es gestohlen, als wir zum White Corner fuhren. Jetzt bin ich nur gespannt, was uns Lemming morgen von der Kontrolle erzählen wird.«
»Ich wünsche einen guten Schlaf«, sagte der Butler. »Wann soll ich Sie wecken?«
»So, daß wir gegen zehn Uhr bei Lemming sein können«, erwiderte Mike Rander.
*
»Wenn Sie mir folgen wollen«, sagte der Butler, als Rander nach Lemming gefragt hatte. »Ich werde Sie sofort anmelden.«
»Hatten Sie gestern abend keinen Ausgang?« erkundigte sich Butler Parker bei seinem Berufskollegen. Der nickte und verschwand, ohne sich in eine längere Debatte einzulassen. Nach etwa knapp einer Minute erschien Lemming und begrüßte Rander und Parker.
»Aber kommen Sie doch in meinen Salon«, schlug Lemming vor. »Sie wollen sich wahrscheinlich nach Miss Torca erkundigen, ja?«
»Unter anderem auch«, erwiderte Mike Rander. »Ist das Mädchen wieder aufgetaucht?«
»Zu meinem Bedauern noch nicht«, sagte Lemming, als sie im Salon Platz genommen hatten. Butler Paul erschien mit einem Tablett voller Drinks und reichte Lemming, Rander und Parker die Gläser.
»Es dreht sich weniger um Miss Torca«, begann Mike Rander, als sie wieder im Salon waren. »Ich bin wirklich neugierig, wie Sie die Kontrolle durch das Rauschgiftdezernat überstanden haben.«
»Wieso interessiert Sie das?« fragte Lemming mißtrauisch zurück. »Sie spielen auf mein Angebot an? Ja, dazu muß ich Ihnen sagen, daß ich daran kein Interesse mehr habe. Ich hätte übrigens eine Frage, Mister Rander. Wen vertreten Sie und was wollen Sie eigentlich von mir? Ich kann mir schlecht vorstellen, daß Sie als bekannter Anwalt, wie ich mittlerweile festgestellt habe, irgendwelchen Phantomen nachjagen.«
»Sagen Sie nicht Phantom«, antwortete Mike Rander grinsend. »Das Phantom ist nämlich nichts anderes als eine ausgewachsene Rauschgiftgang. Und Ihr weitläufiger verwandter scheint diesen Stoff in Ihrer Fabrik gestohlen zu haben. Sie sagten allerdings sogar, daß diese Tatsache bereits durch eine interne Kontrolle von Ihnen bereits bestätigt worden ist.«
»Ich glaube, daß ich da etwas zu weit gegangen bin«, sagte Lemming schnell. »Ich habe Glubb sehr unrecht getan, und leider kann ich mich bei ihm nicht mehr entschuldigen.«
»Können Sie das näher erklären?« fragte Mike Rander höflich.
»Selbstverständlich sollen Sie alles erfahren«, antwortete Lemming glatt. »Ich merke ja, daß Sie an der Sache sehr interessiert sind. Bevor die Amtskontrolle erfolgte, habe ich noch einmal die gesamten Unterlagen durchgesehen … ja, Paul, was ist denn?«
»Ein Anruf für Sie«, sagte der Butler und deutete auf den Eingang zur Halle.
Die Erklärung Lemmings, er habe Glubb unrecht getan, hatte ihn sehr verblüfft. Das wäre ja eine Wendung um 180 Grad gewesen. Eine Wendung, die aber doch nicht den Tatsachen entsprechen konnte.
»Ein Anruf aus der Fabrik«, sagte Lemming, als er wieder in den Salon zurückgekommen war. »Aber nehmen Sie doch noch einen Drink, meine Herren.«
»Weshalb haben Sie Glubb unrecht getan?« fragte Mike Rander lächelnd, um beim Thema zu bleiben. »Demnach hat er also keine Narkotika aus Ihrer Fabrik entwendet?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Lemming. »Es hat sich alles aufgeklärt.«
»Dann haben Sie den armen Glubb ja unnötigerweise der Polizei gemeldet, oder besser gesagt, den Diebstahl von Rauschgift.«
»Habe ich davon gesprochen?« erkundigte sich Lemming. »Da bin ich wohl etwas zu ungenau gewesen. Ich wollte den Diebstahl erst noch melden. Gut, daß ich es unterlassen habe. Die Kontrolle hat keinerlei Fehlmeldungen ergeben.«
»Dann ist wohl unser Päckchen noch gerade rechtzeitig in Ihre Hände gekommen, was?« meinte Rander.
»Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Lemming, und sein Gesicht sah erstaunt, fast beleidigt aus.
»Ich glaube, Lemming«, sagte Mike Rander und stand auf, »daß wir jetzt unsere Masken eigentlich fallen lassen könnten. Es steht einwandfrei fest, daß Sie …«
»Ich muß Sie doch sehr bitten, mein Haus zu verlassen!« empörte sich Anthony Lemming. »Paul, bitte bringen Sie die Herren hinaus!«
»Wir sehen uns dann eben später«, meinte Rander grinsend und verließ mit Butler Parker den Salon. Sie kamen ungehindert aus dem Haus, und Mike Rander zündete sich eine Zigarette an, als sie im Studebaker saßen.
»Lemming ist uns gegenüber im Vorteil«, sagte Mike Rander endlich, als sie schon seit geraumer Zeit durch die Straßen fuhren. »Für uns beide, Parker, steht natürlich vollkommen fest, daß Lemming lügt. Und er wird das nicht ohne Grund tun. Aber wenn wir mit den Tatsachen vor einem Staatsanwalt oder Verteidiger stehen, dann werden wir ausgelacht. Man kann Lemming ja praktisch nicht das geringste beweisen.«
»Zwei Dinge müßten meiner Meinung nach noch geklärt werden«, sagte Butler Parker. »Zwei Dinge natürlich nur, wenn ich von Mister Lemming absehe.«
»Warum sprechen Sie nicht weiter?« fragte Mike Rander. »Sie sind doch sonst nicht allzu schüchtern.«
»Ich glaube, ich habe mich wohl getäuscht«, murmelte Butler Parker fast unhörbar vor sich hin. Laut sagte er: »Das sogenannte Geheimnis von Mister Eddy Purcel müßte gelöst werden und dann die Frage des Aufenthalts von Miss Torca. Sie wird uns bestimmt viel erzählen können.«
»Wenn sie noch lebt«, warf Mike Rander skeptisch ein.
»Sie lebt«, sagte da Josuah Parker laut. Es gelang ihm nur mit Mühe, seine Würde zu wahren. »Sehen Sie doch bitte dort in den Autobus, Mister Rander! Ja, der, der vor uns fährt. Ist das nicht Miss Torca?«
»Klar«, bestätigte Mike Rander. »Parker, bleiben Sie an der Frau kleben!«
Der schwere Autobus hielt an drei Stationen, ohne daß Miss Torca ausstieg. Der Butler brauchte sich nicht anzustrengen, um hinter dem großen Wagen zu bleiben.
»Wenn sie aussteigt, lassen Sie mich aussteigen«, sagte Mike Rander zu seinem Butler.
»Und wie bleiben wir in Verbindung?« erkundigte sich Butler Parker vorsichtig. Er hatte zwar so eine Vorstellung, denn er wollte Mike Rander auf keinen Fall allein gehen lassen.
»Ist das so schwer?« fragte Mike Rander zurück.
»Ich würde dann den Wagen abstellen und Ihnen folgen«, bequemte sich Butler Parker zu einer Aussage. Butler Parker hatte noch eine Reihe weiterer Vorschläge auf Lager, aber der Autobus vor ihnen hatte inzwischen wieder eine Haltestelle erreicht. Miss Torca stieg aus dem Wagen und ging, ohne sich umzusehen, auf den Gehsteig und dann die Straße hinunter.
Parker, der den Studebaker ebenfalls abgebremst hatte, gab Rander hinreichend Gelegenheit, ebenfalls auf die Straße zu springen. Im Abstand von vielleicht zwanzig Schritt ging Mike Rander hinter Ann Torca her. Sie ging sehr schnell, bog in den Square Corner ein und überquerte einen kleinen Park. Miss Torca schien nicht im Traum damit zu rechnen, daß sie verfolgt wurde. Als sie den kleinen Park hinter sich hatte, wurde sie langsamer. Sie überschritt die Fahrbahn der angrenzenden Tide Street und schlenderte an den Auslagen der Geschäfte vorbei. Dann blieb sie unentschlossen vor einem Café stehen und betrat es schließlich.
Mike Rander blieb dicht hinter ihr und setzte sich in eine Fensternische. Miss Torca ging weiter in den langen Raum hinein und setzte sich in eine Polsterecke. Kaum hatte sie ihre Bestellung aufgegeben, als sie auch schon wieder aufstand und zu den Telefonzellen hinüberging. Mike Rander stand auf und näherte sich den Glasboxen. Er war sehr scharf darauf, wen sie sprechen wollte und was sie sagen würde. Aber er hatte Pech. Als er an den Zellen war, hatte sie ihr Gespräch bereits beendet. Rander hatte viel zu tun, um unsichtbar zu bleiben. Umständlich nestelte er an seinem Schuh herum, bis Miss Torca die Telefonzelle verlassen hatte. Sie ließ ihren Kaffee unberührt auf dem Tisch stehen und verließ, wieder das Café, nachdem sie bei einer Kellnerin bezahlt hatte. Beim Herauskommen aus der Gaststätte sah sich Rander nach seinem Butler um, aber er konnte Parker nirgends entdecken.
Ann Torca ging einige Häuser auf der Tide Street weiter und bog dann in einen Torweg ab. Mike Rander bog ebenfalls ab und stieß auf eine Haustür, die in den Torweg hineinführte. Leider war die Tür vor seiner Nase verschlossen worden. Mike Rander studierte mühsam die kaum noch zu entziffernde Namenstafel an den Klingeln, aber er fand keinen Namen, der ihm etwas hätte sagen können.
Rander verließ den Torweg und stellte sich auf die andere Straßenseite. Er wollte solange warten, bis Miss Torca wieder zurückkam. Doch mußte sie unbedingt noch einmal zurückkommen?
Vielleicht hatte sie in diesem Haus eine vorläufige Unterkunft gefunden?
Mike Rander entschloß sich, Leutnant Handy zu informieren. Der hatte mehr Leute, die Ann Torca beschatten konnten. Als Rander sich gerade umdrehen wollte, um nach einer öffentlichen Telefonzelle zu suchen, sah er wieder Ann Torca, die das Haus und den Torweg verlassen hatte.
Ann Torca ging mit sehr schnellen und kleinen Trippelschritten auf eine Kreuzung zu und saß plötzlich in einem Wagen, bevor Mike Rander alles mitbekommen hatte. In seiner Verblüffung vergaß Rander sogar, sich die Wagennummer zu merken. Fluchend sah er den Wagen wegfahren.
Er sah einen wohlbekannten Studebaker, der sich an die Hinterräder des Wagens hing, in dem Ann Torca saß. Butler Parker hatte wohl mit seinem Wagen auf der Lauer gelegen.
Mike Rander atmete auf und fand schließlich ein Taxi, das ihn zum Stadthaus brachte.
Leutnant Handy war froh und erstaunt zugleich, den Anwalt zu sehen.
»Hat sich etwas Neues getan?« erkundigte er sich. »Damit Sie’s gleich wissen, Rander, unser Schlag gegen das ›Hippodrom‹ und die Lutch-Leute war ein Schlag ins Wasser. Wir fanden aber auch nicht den geringsten Hinweis auf die Bande.«
»Haben Sie wenigstens Maud Elga gefunden?« fragte Mike Rander.
»Auch die Frau war nicht aufzutreiben«, erklärte der Polizeioffizier. »Wir haben im Lokal nach ihr gefragt und in ihrer Wohnung nachgesehen. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»Dafür habe ich Miss Torca gesehen«, sagte Mike Rander. »Butler Parker ist ihr auf den Fersen.«
Der Leutnant wollte Einzelheiten wissen. Der Anwalt erzählte ihm in Stichworten die Ereignisse der letzten Stunden. Er wies auf das verschwundene Rauschgiftpäckchen hin, gab sein Gespräch mit Lemming wieder und schilderte zuletzt das Auftauchen von Miss Torca.
»Ich habe mich mit dem Rauschgiftdezernat auch schon über Lemming unterhalten«, sagte Handy, als Rander seine Geschichte beendet hatte. »Die Kontrolle war in Ordnung wie alle anderen Kontrollen auch. Die Kollegen vom Rauschgiftdezernat glauben nicht, daß Lemming in krumme Sachen verwickelt ist. Wie Sie wissen, Rander, so werden gerade die Hersteller von Narkotika streng besucht, gesiebt und kontrolliert. Und Lemming hat einen erstklassigen Leumund.«
»Sie haben ja meine Geschichte gehört«, sagte Mike Rander trocken. »Ich finde, wir sollten nicht danach gehen, was einer nach außen hin vorstellt, sondern nur danach, was einer in Wirklichkeit treibt, verstehen Sie? Sie müssen doch zugeben, daß Lemmings Aussagen viele Widersprüche in sich bergen. Genauso ist es auch im Falle Purcel.«
»Vielleicht habe ich mittlerweile die Erklärung für Purcel gefunden«, erwiderte Leutnant Handy. »Ich habe meine Leute auf den Mann gehetzt, das sind die Ergebnisse: Purcel ist der Inhaber des Foto-Studios im Maine House.«
»Auch ein prominenter Mann«, erwiderte Mike Rander verzweifelt. »Aber wieso kam Helen Tunney auf diesen Namen? Hat sie uns am Ende belogen? Kann ich mir aber auch wiederum nicht vorstellen, denn Glubb war es doch, der zum erstenmal diese Adresse genannt hat.«
»Beide, die Tunney und auch Glubb, haben mit Recht die Adresse genannt«, sagte Leutnant Handy. »Wir haben uns einmal eingehend mit der Verwandtschaft von Purcel befaßt und Erkundigungen in der Nachbarschaft eingezogen. Eddy Purcel hat einen Neffen, der, wie es heißt, aber weitaus jünger ist. Er arbeitet als Fotograf im Atelier und hat bis vor einigen Wochen bei Purcel gewohnt. Seitdem ist er weggezogen. Haben Sie nicht Lust, mit mir zu Purcel zu fahren?«
»Klar, ich fahre gern mit«, erwiderte Mike Rander. Er wußte im ersten Moment nicht, wo er den Kopf hatte. Die ganzen Ermittlungen in diesem Rauschgiftfall erwiesen sich immer mehr als Gummiwände, gegen die man nicht ankam.
»Und was geschieht mit dem Haus, in das Miss Torca gegangen ist?« erkundigte sich Mike Rander. »Es ist doch durchaus möglich, daß Miss Torca dort wohnt, nachdem sie verschwunden ist.«
»Ich werde zwei von meinen Leuten vor das Haus stellen«, sagte Leutnant Handy. »Sie bekommen bestimmt heraus, was sich getan hat und noch tut.«
»Sie kennen doch jetzt auch alle Tatsachen«, schickte Mike Rander voraus, als sie wieder im Wagen saßen. »Sagen Sie, Handy, wie beurteilen Sie die Lage, und wen halten Sie für den geheimnisvollen Mike?«
»Sie sind mit Ihrem Butler rein zufällig auf die Spur der Rauschgiftgang gekommen«, erwiderte der Polizeioffizier. »Aber ich muß sagen, daß der Fall uns noch großen Ärger machen wird. Wir wissen zu wenig, beziehungsweise wir können gegen gewisse Personen nicht so Vorgehen, wie man es vielleicht tun sollte.«
»Sie spielen auf Purcel und vor allen Dingen auf Lemming an?«
»Versetzen Sie sich doch einmal in meine Lage«, sagte Leutnant Handy. »Ich kann mich als Beamter doch nur streng an meine Vorschriften halten. Und in diesem Fall nicht einmal nur daran. Leute wie Lemming oder Purcel haben erstklassige Verbindungen. Kleinigkeiten für diese, mir Schwierigkeiten zu machen.«
»Daran habe ich natürlich nicht gedacht«, sagte Mike Rander und grinste. »Deshalb werde ich auch besser nicht mit zu Purcel fahren. Ich hatte mit ihm eine etwas scharfe Unterhaltung. Wenn ich nun neben Ihnen auftauche, Handy, wird der Mann rot sehen.«
»Meinen Sie wirklich?« fragte der Leutnant unentschlossen. Aber Mike Rander konnte dem Polizeioffizier sehr gut anmerken, daß er mit diesem Vorschlag einverstanden war.
»Ich werde dann mal Zusehen, ob ich Parker irgendwo finden kann«, sagte Mike Rander. »Sollte er etwas Wichtiges herausgefunden haben, verständige ich Sie sofort.«
»Ich mach’s umgekehrt«, versprach der Polizeioffizier.
Als das Taxi in die Trent-Street einbog, rauschte ihnen mit Höllenfahrt ein schwerer schwarzer Buick entgegen. Mit kreischenden Pneus schoß der Wagen in die Kurve. Man sah deutlich, daß aus dem Wagen geschossen wurde. In einer Haustür stand ein Cop, der gerade gefeuert hatte. Er hielt sich mit der Schulter am Türeingang fest.
»Das ist ja die Nummer 218!« rief Mike Rander überrascht. Es handelt sich um das Haus, in dem Maud Elga wohnte. Der Taxifahrer, der bei der Schießerei gestoppt hatte, fuhr nur sehr langsam und zögernd weiter. Der Wagen, aus dessen Rückfenster geschossen worden war, war längst verschwunden.
»Miss Elga zu Hause?« fragte Rander.
»Ich glaube, sie haben sie kaltgestellt«, sagte er noch, bevor er zusammenbrach.
*
Mike Rander beugte sich kurz über den Beamten. Er sah, daß die Schulter des Mannes durchschossen war. Durch Blutverlust war er wohl ohnmächtig geworden.
»Helfen Sie dem Mann und rufen Sie die Polizei«, rief Mike Rander dem Taxifahrer zu. Um den Mann nicht erst zum Zögern kommen zu lassen, richtete sich der Anwalt wieder auf und lief in das Haus. Auf den einzelnen Etagenabsätzen der Treppe standen tuschelnde und laut diskutierende Leute herum.
»Sie haben die Frau erschossen!« hörte Mike Rander, bevor er die Wohnung von Maud Elga betrat. Als sich Rander über die auf der Couch liegende Frau beugte, sah er, daß sich die Leute getäuscht hatten. Zwar hatte Elga auch einen Schuß mitbekommen, aber der hatte eigentlich nur im Oberarm eine große Fleischwunde hinterlassen.
»Bitte verlassen Sie das Zimmer«, sagte Rander zu den Hausbewohnern, die schüchtern, aber unaufhaltsam in das Zimmer drängten. Mike Rander machte dabei eine typische Bewegung zu seinem Revers, um seine Bitte auch dienstlich zu untermauern.
»Was ist denn nun eigentlich passiert?« erkundigte sich Mike Rander bei der Frau, nachdem er die Tür geschlossen hatte und wieder neben ihr auf der Couch saß.
»Sol wollte mich zur Strecke bringen«, sagte sie. »Haben Sie den Kerl noch erwischt?«
»Er ist durchgekommen«, erwiderte Mike Rander. »Was wollte der Kerl von Ihnen?«
»Die haben Angst, daß ich den Mund aufmache«, sagte Maud Elga und besah ihre Wunde am Oberarm. »Sol sagte mir, ich sollte mitkommen. Aber ich war dagegen, und plötzlich wollte er auf mich schießen. Aber im letzten Moment tauchte ein Mann auf, ich glaube, es war ein Cop. Der hat aber leider nicht sofort geschossen. Bestimmt hat der Mann doch eine verpaßt bekommen, nicht?«
»Ihn scheint’s empfindlich erwischt zu haben«, meinte Mike Rander. »Wurde er schon hier oben angeschossen?«
»Na klar«, sagte Maud Elga. »Er bekam einen Schuß, rannte dann aber Sol schießend nach.«
»Können Sie denn der Rauschgiftgang so gefährlich werden?« fragte Mike Rander sehr interessiert weiter. »Was wissen Sie denn schon davon? – Mike werden Sie doch bestimmt auch nicht kennen.«
»Den kenn ich auch nicht«, erwiderte Maud Elga. »Aber ich weiß doch genau …«
»Sie wissen, wo die Gangster sitzen und zu finden sind«, vollendete Mike Rander ihren abgebrochenen Satz. »Hören Sie mal in aller Ruhe zu, Maud. Vor ein paar Stunden hatten wir eine Unterhaltung. Und zwar Leutnant Handy von der Mordabteilung, und unsere Gesprächspartnerin war Helen Tunney. Der Leutnant braucht Angaben, wo er die ehemalige Lutch-Gang finden kann, nachdem das ›Hippodrom‹ geräumt worden ist. Er interessiert sich nicht für euch kleine Fische. Und darin liegt doch eine mächtige Chance, finde ich.«
»Das wird aber doch alles keinen Sinn mehr haben«, sagte Maud Elga nach einer kleinen Pause. »Nach diesem mißglückten Überfall auf mich werden sie doch sofort ihre Burg räumen.«
»Wer sagte Ihnen denn, daß der Überfall danebengegangen ist?« fragte Mike Rander grinsend. Ihm war ein Gedanke gekommen, und er hatte sich vorgenommen, wenigstens den Versuch zu machen, die Gangster zu täuschen.
»Verstehe ich nicht«, erwiderte Maud Elga. Sie sah Mike Rander ratlos an.
»Sol wurde doch gestört, als er auf Sie schießen wollte oder schon geschossen hatte.«
»Nein, er schoß eigentlich in dem Moment, als der Cop auf tauchte.«
»Dann kann er auch nicht hundertprozentig wissen, ob er getroffen hat«, folgerte Mike Rander.
»Jetzt verstehe ich langsam«, sagte sie. »Ich soll also …«
»Sie sollen auf einer Bahre das Zimmer hier verlassen«, bestätigte ihr Rander laut den Gedanken. »Sobald sich’s herumgesprochen hat, daß Sie tot sind, werden die Lutch-Jungens, die nun von Sol geführt werden, in ihre alte Burg zurückkehren. Dann kann Leutnant Handy zupacken.«
»Für den Fall, daß ich was weiß«, schränkte Maud Elga sofort wieder ein.
»Geben Sie doch Ihrem Herzen einen Stoß«, forderte Mike Rander. »Übrigens möchte ich mich bei der Gelegenheit bedanken, daß Sie mich und meinen Partner im ›Hippodrom‹ gewarnt haben.«
»Bilden Sie sich nur keine Schwachheiten ein«, sagte Maud Elga lächelnd. »Wann schaukelt denn die Bahre an?«
»Eine letzte Frage«, erbat Mike Rander. »Kennen Sie einen Eddy Purcel näher?«
»Ich glaube, daß er irgendwo als Fotograf arbeitet«, erklärte Maud Elga.
»War er mit Snyder befreundet?«
»Ich glaube ja«, erwiderte sie.
»Gehörte er zu den Lutch-Jungens?«
»Eddy? No, der machte nur in Rauschgift. Der machte sich doch nie die Finger dreckig!«
»Welche Rolle spielt eigentlich Miss Torca?« fragte Mike Rander weiter.
»Die Torca?« Die Frau verzog ihr Gesicht. »Ein ganz raffiniertes Luder. Die war doch die Geliebte von Glubb, der das Rauschgift besorgte!«
»Sie ist seit der Ermordung Glubbs wie vom Erdboden verschwunden«, sagte Mike Rander. »Haben Sie eine Ahnung, wo man sie finden kann?«
»Sie hat sich nie in ihre Karten sehen lassen«, entgegnete Maud, und der Tonfall ihrer Stimme hatte etwas neidvoll Gehässiges. »Sie hat doch auch Glubb an der Nase herumgeführt.«
»Wie kann man das verstehen?« fragte Mike Rander.
»Glubb war doch nur vorgeschoben«, erläuterte Maud Elga. »Der hat das doch nie gemerkt. Aber als Frau hat man so ein Gefühl dafür.«
»Ich bin leider in diesem Fall keine Frau.« Mike Rander grinste.
»Na, dreimal in der Woche war sie doch irgendwo anders«, berichtete Maud Elga. »Ich nehme an, sie hatte sich noch einen Freund zugelegt.«
»Tatsachen?«
»Sie ließ sich ja nicht in ihre Karten sehen«, wiederholte Maud Elga noch einmal. »Aber Sie können sich darauf verlassen, daß das stimmt, was ich gesagt habe.«
Er öffnete die Tür einen Spalt. Er war erleichtert, als er Leutnant Handy sah, der in Begleitung einiger Beamten war.
»Nur Sie allein«, sagte Mike Rander zu dem Polizeioffizier. Handy fragte erst gar nicht lange, sondern schickte mit einer knappen Kopfbewegung die Beamten zurück auf den Flur.
»Was ist denn los?« fragte Handy erregt, als sie in der Wohnung standen. »Auf der Straße, im Haus, überall erzählt man sich, daß man hier eine Frau erschossen hat.«
»Das ist aber sehr gut.« Mike Rander grinste.
»Ich habe noch nicht gewußt, daß Sie ein Gemütsmensch sind«, meinte Leutnant Handy erstaunt.
»Besser kann es gar nicht sein«, erwiderte Mike Rander, und im gleichen Moment entdeckte der Polizeioffizier auch schon die Frau, die mit blutverschmierten Tüchern bedeckt war.
»War sie sofort tot?« fragte der Leutnant und ging zur Couch hinüber.
»Sie hofft, von Ihnen die gleiche Chance zu bekommen wie Helen Tunney«, meinte Rander grinsend.
»Geht das in Ordnung?« machte sich die »tote« Frau bemerkbar und richtete sich auf.
»Verdammt«, entfuhr es dem Polizeileutnant. »Ich beginne zu begreifen. Das ist keine schlechte Idee, Rander!«
Sie blieben noch zwei, drei Minuten im Raum allein, und der Polizeileutnant einigte sich mit der Frau. Er sagte ihr wie Helen Tunney zu, daß er sie nicht nennen würde, falls sie nicht in ein Kapitalverbrechen verwickelt wäre. Dann ging Leutnant Handy zurück zur Tür und flüsterte mit ergriffener Miene seinen Beamten einige Anweisungen zu. Wenige Minuten später erschienen zwei Krankenträger mit einer Bahre, und kurz darauf schaukelte Maud Elga in eine Decke gehüllt die Treppe hinunter und wurde in den Krankenwagen geschoben.
Mike Rander fand vor dem Haus noch das Taxi. Der Fahrer, der sich nach seinem Anruf ungeheuer wichtig vorkam, schilderte Rander noch einmal dramatisch alle Phasen seines Anrufs.
»Wohin wollen Sie, Sir?« fragte der Fahrer des Wagens Mike Rander. Der Anwalt schreckte aus seinen Gedanken hoch. Ja, wohin sollte er fahren? Er mußte auf jeden Fall wieder mit Parker in Verbindung kommen.
Mike Rander nannte seine Adresse und stieg nach knapp zwanzig Minuten aus dem Wagen. Außer dem Fahrgeld reichte er dem Fahrer noch einen hohen Anerkennungsschein in Banknotenpapier. Dann ging Mike Rander auf sein Haus zu. Als er den Schlüssel in das Türschloß stecken wollte, wurde die Tür weich von innen aufgezogen.
»Sie können sofort essen«, hörte er die Stimme seines Butlers.
»Essen ist zwar gut«, antwortete Mike Rander, »aber mich interessiert viel mehr, was Sie herausgefunden haben. Wohin ist Ann Torca gefahren, und vor allen Dingen, wer hat sie abgeholt?«
»Ich werde Ihnen die Fragen der Reihe nach ausführlich beantworten«, sagte Butler Parker würdevoll. »Nehmen Sie vorher einen Drink?«
»Warum machen Sie immer alles so spannend?« ärgerte sich Mike Rander laut. »Nun geben Sie schon einen Drink her, aber erzählen Sie um Gottes willen schnellstens, was Sie entdeckt haben.«
»Als Sie den Wagen verlassen hatten, Mister Rander«, begann der Butler weitausholend wie ein Rhapsode, »lenkte ich den Studebaker langsam an den Gehsteig heran und folgte Ihnen mit dem Wagen. Als Sie, Mister Rander …«
»Fassen Sie sich kurz«, unterbrach Mike Rander, der sich auf den Arm genommen fühlte. »Tatsachen will ich hören!«
»Sie folgten Miss Torca in ein Café. Miss Torca kam aus dem Café wieder heraus. Sie folgten ihr, sie stieg in einen Wagen, der auf sie entweder gewartet hatte oder von ihr bestellt worden war, und Sie mußten Zurückbleiben«, redete Butler Parker wie gewünscht in Stichworten. »Ich folgte dem Buick mit dem Wagen. Die Fahrt ging quer durch die Stadt, scheinbar, um eventuelle Verfolger abzuschütteln, dann wieder zurück in die City. In der Nähe des Main Houses stieg Miss Torca aus dem Wagen.«
»Wohin ging sie?«
»Sie verschwand in dem Hochhaus. Zu meiner Schande, Mister Rander, muß ich gestehen, daß ich Miss Torca nicht folgen konnte. Sie war in der Menge untergetaucht.«
»Resultat also?« fragte Mike sehr enttäuscht. »Abgesehen natürlich von Miss Torcas Auftreten in der Tide Street?«
»Immerhin die Nummer des Wagens, der sie durch die Stadt gefahren hat«, meinte Parker.
»Den Fahrer haben Sie nicht gekannt?«
»Ich hatte zwar den Eindruck, daß es Mister Lemming gewesen ist«, erwiderte der Butler. »Aber Eindrücke brauchen keine Tatsachen zu sein …«
*
Mike Rander erzählte dem Butler, was sich in der Trent Street ereignet hatte. Parker hörte schweigend zu, und als Mike Rander auf seine Idee zu sprechen kam, daß der zweite Freund von Miss Torca, von dem allerdings nur andeutungsweise gesprochen worden war, der geheimnisvolle Freund sein könnte, da nickte Butler Parker schwer.
»Ich bin wie Sie der Meinung, Mister Rander, daß wir unsere weiteren Nachforschungen nur noch auf Lemming, Purcel und dessen Neffen und auf Miss Torca auszudehnen brauchen. Ich glaube mit Sicherheit, daß einer von den drei genannten Männern der Leiter dieser Rauschgiftgang ist.«
»Wenn man streng logisch vorgeht, und dann noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit mit einkalkuliert, dann müßte Mike eigentlich Lemming sein.«
»Mister Rander«, begann wieder der Butler. »Wir haben bis jetzt Lemming und Purcel gesprochen. Miss Torca wird wohl erst nicht greifbar sein; aber sollten wir nicht einmal die Foto-Agentur besuchen und uns mit Purcels Neffen unterhalten?«
»Den Vorschlag hatte ich auch schon auf der Zunge«, warf Mike Rander ein. »Wenn Sie nicht allzu beleidigt sind, Parker, dann würde ich auf das Essen verzichten und sofort zum Maine House fahren.«
»Mister Rander, ich war und bin immer noch der Ansicht gewesen, daß die Arbeit vorgeht«, erwiderte Butler Parker.
Sie verließen den Bungalow, und Butler Parker, in schwarzem Mantel und schwarzer Melone, steuerte den Wagen in seiner schnellen und gekonnten Art durch den nachmittäglichen Verkehr in die City.
»Wir sind doch zu spät gekommen«, sagte Rander, und blieb unentschlossen stehen. »Schade, ich hätte mich verdammt gern mit Purcel unterhalten.«
»Ich werde versuchen, uns bemerkbar zu machen«, sagte Butler Parker. Er legte kurz entschlossen seinen Zeigefinger auf die Klingel und läutete anhaltend.
»Sie drücken sich ja nur den Finger wund«, sagte Mike Rander grinsend.
»Tut mir leid, daß es nicht …, da kommt ja doch noch etwas.«
Butler Parker, der sich noch nicht wie Mike Rander umgedreht hatte, sah einen Schatten, der sich gegen das helle Glas abzeichnete. Einige Sekunden später wurde die Tür spaltweit geöffnet.
»Wir möchten Mister Purcel sprechen«, sagte Mike Rander zu einem etwa dreißig Jahre alten Mann.
»Tut mir leid, aber …«
»Mister Purcel, der Inhaber, hat uns geschickt«, schaltete sich Butler Parker schnell ein. »Es wird nicht lange dauern.«
»Ich bin Eddy Purcel«, sagte er, sich vorstehend. »Kommen Sie herein! Wenn Onkel Eddy Sie geschickt hat, ist alles in Ordnung. Ich hoffe aber, daß Sie sich nicht fotografieren lassen wollen. Das Personal ist bereits aus dem Haus.«
»Es geht uns nur um eine kurze Unterhaltung«, erklärte Mike Rander. »Ich will gleich mit der Tür ins Haus fallen. Mister Parker und ich sind einer Rauschgiftgang auf der Spur. Einzelheiten werden Sie nicht interessieren, aber Ihr Name, Mister Purcel, wurde von einem weiblichen Mitglied der Gang unmißverständlich genannt. Sie sollen wie ein gewisser Snyder Rauschgift gehandelt und verkauft haben.«
»Sind Sie sicher, daß mein Name gefallen ist?« erkundigte sich Purcel lächelnd.
»Vollkommen sicher«, antwortete da Mike Rander. »Der Ordnung halber sprachen wir bereits mit Ihrem Onkel, und er verwies uns an Sie. Da wir Ihre Privatadresse nach dem Auszug aus dem Haus Ihres Onkels nicht kannten, versuchten wir es hier im Geschäft.«
»Ich soll also mit Rauschgift gehandelt haben?« erkundigte sich Eddy Purcel noch einmal. »Abgesehen von der Unterstellung, meine Herren, haben Sie Beweise? Warum haben Sie die Frau nicht mitgebracht, die meinen Namen genannt hat?«
»Die Sache hat natürlich einen Haken«, sagte Mike Rander und seufzte betrübt auf. Er durfte natürlich auf keinen Fall verraten, wie die Dinge wirklich lagen. »Unsere Zeugin wurde nämlich heute ermordet, und zwar von Leuten der Gang.«
»Und auf die Aussage einer, wie ich wohl annehmen darf, sehr lockeren Dame, gründen Sie Ihre Unterstellung?« fragte er vorwurfsvoll lächelnd. »Ist das nicht etwas leichtfertig? Aber eine wichtigere Frage, sind Sie Polizisten?«
»Wir sind Privatleute«, erwiderte der Anwalt. »Amateurdetektive, wenn Sie wollen.«
»Dann müssen Sie noch viel lernen«, meinte Purcel belustigt. »Haben Sie etwas dagegen, wenn Sie mir Ihre Theorie erzählen?«
»Das ist schnell getan«, sagte Mike Rander, und er bemühte sich, einen naiven Gesichtsausdruck zu zeigen. »Ein Gangster namens Snyder wurde von einer Rauschgiftgang ermordet, weil er sich zu sehr um den geheimnisvollen Gangsterchef kümmerte. Über den toten Snyder gerieten wir an einen Mann namens Glubb. Dieser Mann bekam von dem geheimnisvollen Unbekannten das Rauschgift und verteilte es. Auch Glubb wurde ermordet. Leider einige Minuten, bevor er uns sagen konnte, wer der geheimnisvolle Gangsterboß ist. Von hier aus gerieten wir an einen Mann namens Lemming.«
»Das wäre ein Zweig unserer Ermittlungen«, schaltete sich Butler Parker würdevoll ein. »Mister Glubb, er wird wohl morgen beerdigt werden, hatte doch Zeit genug, um auf Sie, Mister Purcel, hinzuweisen. Nein, bitte, lassen Sie mich aussprechen!
Daß wir nun auf der richtigen Fährte waren und sind, beweisen einige Versuche der Lutch-Gang, uns auszuschalten, und zwar mit Mitteln, die man als humaner Mensch nicht billigen kann. Leider hatte Mister Lutch, der die Gang zur Überwachung des Rauschgiftmonopols führte, das Pech, gegen uns einige Runden zu verlieren. Sein Ende fand er im Keller einer leerstehenden Villa dort draußen am See. Die Gang wird jetzt geführt von einem Gangster, der sich Sol nennt. Hinter allem steht natürlich der Initiator des Rauschgifthandels hier in der Stadt.«
»Eine sehr interessante Geschichte«, sagte Eddy Purcel. Er lächelte zwar nicht mehr, aber sein Gesicht zeigte immer noch höfliche Verbindlichkeit. »Jedoch Sie sprachen, wenn ich nicht irre, von einer Frau, die meinen Namen, und allerdings auch den meines Onkels genannt hat.«
»Es handelt sich sogar um einige Frauen«, schaltete sich jetzt Mike Rander wieder in die Unterhaltung ein. »Und zwar um Miss Tunney, um eine Miss Maud Elga und um Miss Torca.«
»Und welche Dame erinnerte sich meines Namens?«
»Sie müßten doch eigentlich wissen, welche Frau dafür in Frage kommt«, sagte Mike Rander grinsend. Eddy Purcel sprang von der Schreibtischkante herunter.
»Ich muß doch sehr bitten«, sagte er ärgerlich. »Ich weiß nicht, weshalb Sie ausgerechnet einer solchen Dame Glauben schenken. Ich glaube, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben.«
»Ich dagegen glaube, daß unsere Unterhaltung erst anfängt«, reagierte Mike Rander scharf. »Ich möchte wissen, wann Sie zum letztenmal Miss Torca gesehen haben?«
»Sagte ich Ihnen nicht schon einmal, daß Sie besser gehen?« fragte Purcel drohend. »Mit welchem Recht …«
»Moment, ging da nicht eine Tür?« fragte in diesem Moment der Butler. Er war aus seinem Sessel gesprungen und wollte zur Tür laufen. Aber Eddy Purcel war schneller. Er stand mit drohend angewinkelten Armen am Türrahmen. Als Butler Parker ihn zur Seite schieben wollte, schlug Eddy Purcel zu.
Butler Parker duckte sich geschmeidig ab, setzte einen seiner Spezialgriffe an, und Eddy Purcel drehte sich unaufhaltsam um seine Achse und lag dann aufschreiend am Boden. Butler Parker würdigte den verwegenen jungen Mann keines weiteren Blickes, sondern öffnete schnell die Tür und lief im Schweinsgalopp den Korridor hinunter.
Leider war er durch den Aufenthalt mit Purcel an der Tür zu spät gekommen.
Butler Parker nahm seine Melone ab und ließ sich einige Gedanken durch den Kopf gehen. Dann öffnete er eine Tür, die gerade vor seiner Nase war. Er sah in einen Warteraum, in dem viele moderne Rohrstühle standen. Nachdem sich Butler Parker die Melone festgeklemmt hatte, verwandelte er sich in einen Transportarbeiter. Innerhalb von wenigen Minuten hatte er die Glastür von innen mit Sesseln verrammelt. Er durfte ziemlich sicher sein, daß ohne viel Krach kein Mensch herein- oder herauskonnte.
Butler Parker schmunzelte. Wirklich, er schmunzelte, als er wieder in dem Office gelandet war. Scheinbar hatte sich der junge Mann schnell von seinem Schock erholt. Scheinbar hatte er das dringende, aber nicht anzuratende Bedürfnis gehabt, Streit mit Mike Rander anzufangen. Butler Parker sah gerade noch, wie Eddy Purcel nach einem kurzen Uppercut weich in den Knien wurde und dann an der Wand entlang auf den Boden rutschte. Mike Rander öffnete und schloß prüfend seine Finger und grinste den Butler an.
»Er wollte mich ärgern«, sagte er zu Parker. »Leider mußte ich etwas deutlich werden.«
»Ich habe die Glastür zu den Räumen verbaut«, sagte Butler Parker und zog sich korrekt wie immer seinen Rock zurecht.
»Könnte man nicht bei der Gelegenheit gleich einmal die Räume untersuchen, Mister Rander?«
»Er braucht ja nichts zu sehen«, sagte Butler Parker. »Wie wäre es, Mister Rander, wenn ich Purcel einschläfern würde, daß er nicht merkt, was um ihn vorgeht?«
»Haben Sie etwa Schlafmittel bei sich?« fragte Mike Rander grinsend.
»Ich führe immer eine kleine Taschenapotheke mit mir«, gab Parker Auskunft.
»In Ordnung«, sagte Mike Rander auflachend. »Präparieren Sie Purcel, ich werde schon mit dem Durchsuchen beginnen.«
Mike Rander sah sich zuerst mal in den Geschäftsräumen um. Den größten Teil der Fläche nahm ein riesiges Atelier ein, dann gab es verschiedene Büroräume und noch mehr technische Werkstätten.
»Mister Rander!« wurde er plötzlich von Josuah Parker angerufen. Mike Rander ging zurück in das Office und traf auf den Butler, der vor dem geöffneten Schreibtisch Purcels stand. Der junge Mann lehnte aufrecht an der Wand und sah mit haßerfüllten Augen auf Butler Parker.
»War Ihre Apotheke nicht komplett?« fragte Mike Rander und wies mit einer Kopfbewegung zu Purcel hin.
»Ich konnte darauf verzichten«, sagte der Butler.
»Ich werde mich bei der Polizei beschweren«, erklärte Purcel giftig.
»Dann haben wir ja den gleichen Weg«, erwiderte der Butler. Als er das fragende Gesicht des Anwalts sah, setzte er hinzu und hielt einen Gegenstand in die Höhe, den er aus dem Schreibtisch geangelt hatte: »Hier ist die Umhüllung des Päckchens, das man uns aus der Kaffeekanne gestohlen hat.«
*
»Lassen Sie doch mal sehen!« Mike Rander war völlig überrascht. Parker reichte ihm Karton und Einschlagpapier, und schon auf den ersten Blick konnte er feststellen, daß sich der Butler nicht getäuscht hatte.
»Ich glaube, daß Sie uns eine Menge erzählen müssen«, sagte Mike Rander dann zu Eddy Purcel. »Das hier ist doch Ihr Schreibtisch, oder?«
»Ich weiß gar nicht, um was es sich handelt«, reagierte Purcel und bemühte sich, ein erstauntes Gesicht zu machen. »Irgend jemand muß mir das Zeug in den Schreibtisch geschmuggelt haben.«
»Setzen Sie sich«, sagte Mike Rander. Er zündete sich eine Zigarette an. Er wußte, daß Parker und er im Endspurt waren. Nun kam alles darauf an, taktisch geschickt vorzugehen.
»Um was es geht, haben wir Ihnen schon erklärt«, begann Mike Rander. »Ich will dahingestellt sein lassen, wieviel Sie wissen: das muß die Polizei aus Ihnen herausholen, aber eines steht ja fest, Sie haben mit der Rauschgiftgang zusammengearbeitet.«
»Ich habe nichts damit zu tun«, fuhr Purcel auf. »Ich werde mich verdammt hüten, auch nur ein Wort zu sagen. Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen. Und es ist mir jetzt vollkommen gleichgültig, ob Sie mir glauben oder nicht. Meinetwegen schleppen Sie mich doch zu den Cops. Vielleicht wäre das sogar das einzig Richtige. Da ist man wenigstens sicher. Ich …«
»Sie brauchen Mike nicht mehr zu fürchten«, sagte Rander, der zu ahnen glaubte, was Purcel bedrückte. »Hier in diese Räume kann kein Mensch rein. Und wenn Sie sich an uns halten, passiert Ihnen nichts, aber auch gar nichts. Wie sieht Ihre Geschichte aus?«
»Ich habe natürlich eine schwache Ahnung, um was es sich handelt«, begann Eddy Purcel. Er bat um eine Zigarette, und Butler Parker reichte ihm eine, aber unter allen Vorsichtsmaßregeln, die er anwenden zu müssen glaubte.
»Sie haben ja wohl schon herausgefunden, daß ich bei meinem Onkel gewohnt habe. Ich bin dahintergekommen, daß er mit, na, sagen wir mal, komischen Leuten zu tun hat. Als ich ihn mal vor einigen Wochen danach gefragt habe, hat er mich einfach rausgeschmissen. Scheinbar wollte er sich nicht in die Karten sehen lassen.«
»Was für komische Leute waren denn das?«
»Dieser Glubb, von dem Sie sprachen, kam oft zu ihm und auch noch andere Leute, denen man nicht über den Weg trauen durfte.«
»Lernten Sie Ann Torca kennen?«
»Natürlich«, erklärte Purcel. »Sie hat sich ja förmlich aufgedrängt. Glubb und mein Onkel wollten mich mit ihr verkuppeln, aber da habe ich nicht mitgemacht.«
Mike Rander stellte ruhig und konzentriert seine Fragen. Er stellte sie, obwohl er genau wußte, daß Eddy Purcel log. Er war ja schon an Hand des Bildes von seinem Onkel identifiziert worden. Purcel suchte wohl nach der passenden Gelegenheit, entwischen zu können. Wie sehr er in Druck war, das zeigte seine schweißüberströmte Stirn.
»Mir ist heiß geworden«, sagte er nach einer Antwort entschuldigend und griff in seine Brusttasche, um ein Taschentuch herauszuziehen.
Im gleichen Moment warf sich Mike Rander blitzschnell zur Seite. Er konnte gerade noch einer Kugel ausweichen, die Purcel auf ihn abgefeuert hatte. Sie war trotz der Abwehrbewegung noch dicht genug an seinem Körper vorbeigepfiffen.
Butler Parker, den ähnliche Gedanken bewegt hatten, startete sofort aus dem Handgelenk heraus eine Gegenaktion. Eine halb gefüllte Wasserflasche, die neben ihm gestanden hatte, ging auf die Flugreise und schmetterte in das Gesicht des Gangsters.
Eddy Purcel war zwar ein Gangster, und dazu einer von der übelsten Sorte, aber nach dem Wurf des Butlers sah er keine Chancen mehr für sich. Wenige Minuten später erzählte er rückhaltlos, was er wußte, und er wußte nicht wenig. Leider konnte er aber nicht sagen, wer Mike war.
»Wo ist Ihre Wohnung, wo ist Ann Torca?« fragte Mike Rander ungerührt weiter.
»Ich wohne im Hotel«, gestand Purcel zögernd.
»Im Criston?« erkundigte sich Rander gespannt.
»Woher wissen Sie das?« Purcel war erstaunt.
»Na, einer muß doch den Porter umgebracht haben«, erwiderte der Anwalt trocken.
»Ich habe Porter nicht umgebracht!« schrie Purcel laut jammernd auf.
»Na, wer denn?« fragte Rander lächelnd.
»Das war Lutch.«
»Und wo befindet sich Ann Torca?«
»Ich hab’ doch keine Ahnung.«
»Wer verließ die Räume hier, als wir gerade erschienen waren?«
»Weiß ich nicht«, sagte Purcel.
»Wohin wollte Ann Torca von hier gehen?«
»In die T…«
»Warum so mundfaul?« fragte Mike Rander. Er konnte sich an fünf Fingern abzählen, wohin Ann Torca gegangen war. »Sie wollte zur Tide Street, stimmt das?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Purcel.
»Was wissen Sie von Lemming?«
»Glubb arbeitete doch bei ihm«, erklärte Purcel. Seine Stimme klang erleichtert. Er war mit dem Kurs des Gespräches jetzt wohl zufrieden.
»Glubb bestahl Lemming, oder wie war das?«
»Davon weiß ich nichts«, erwiderte Purcel. »Ich glaube aber nicht, daß es so war. Wenigstens ärgerte sich Glubb immer darüber, daß er diese Quelle nicht anzapfen konnte.«
»Und wie steht es mit Ihrem Onkel?«
»Onkel Eddy?« fragte Purcel noch einmal zurück. »Es war gerade umgekehrt, wie ich es Ihnen erzählen wollte. Er hat mich rausgeschmissen, weil Ann und Glubb zu oft kamen. Bestimmt hat er Wind bekommen, daß wir mal hin und wieder geschnupft haben.«
»Welche Stellung hatten Sie in dem Verein?« bohrte Mike Rander weiter Purcel an. Er sah mit Befriedigung, daß Butler Parker das Gespräch Wort für Wort mitstenografierte.
»Glubb bekam das Zeug von Mike. Ich verteilte es zusammen mit Glubb an Snyder und die anderen. Die Lutch-Jungens arbeiteten auch mal damit, aber sie hatten alle Hände voll zu tun, um die Konkurrenz festzulegen.«
»Schöner Ausdruck für Mord.«
»Mit solchen Dingen habe ich nie etwas zu tun gehabt«, sagte Eddy Purcel scharf. »Ich gebe zu, daß ich mit Koks gehandelt habe, aber mit Mord habe ich nichts zu tun.«
»Was war mit Helen Tunney und Maud Elga?«
»Die Ziegen?« fragte Purcel, und sein Gesicht bekam einen arroganten Zug. »Die Tunney zog kleine Parties auf. Dort machten wir die neuen Kundinnen und Kunden fertig und reif fürs Geschäft.«
»Bleibt noch Ann Torca«, sagte Rander.
»Sie war die Freundin von Glubb«, erzählte Purcel offen weiter. »Aber wir haben ihr alle nicht über den Weg getraut.«
»War sie so gefährlich?« fragte Mike Rander grinsend.
»Wahrscheinlich«, sagte Purcel zurückhaltend. »Aber es fiel doch auf, daß Mike alles wußte, was gespielt wurde. Den konnte keiner reinlegen.«
»Sie meinen, Ann Torca hätte nur für Mike gearbeitet?«
»Den Eindruck hatte ich stark«, antwortete Purcel.
»Und Mike kennen Sie natürlich auch nicht?« fragte Mike Rander.
»Könnte es Lemming sein?«
»Das ist ja ein Witz«, sagte Purcel auflachend. »Der hat doch gar keinen Mumm. Mit dem springt selbst sein Butler um wie mit einem Schuljungen.«
»Könnte vielleicht Ann Torca dahinterstecken?«
»Verdammt, das ist eine Idee«, sagte Purcel begeistert. »Daß ich darauf noch nicht gekommen bin.«
»Wie war denn der Kontakt von Ann Torca und Lemming?«
»Er bemühte sich immer sehr um sie«, sagte Purcel und warf einen ängstlichen Blick auf Butler Parker.
»Und weshalb mußten Snyder und Glubb sterben?«
»Sie waren dahinterher, wer Mike sein konnte. Das steht für mich völlig fest«, erwiderte Purcel.
»Dann wollen wir mal.« Mike Rander stand auf. »Die Polizei wird sich mächtig freuen, Sie zu sehen, Purcel.«
»Man sollte die Polizei doch besser verständigen, damit wir abgeholt werden«, machte sich Butler Parker bemerkbar. »Sie dürfen versichert sein, Mister Rander, daß mein Vorschlag nicht einem Angstgefühl entspricht, aber wenn ich Ihnen sage, daß sich meine Zunge bezieht, dann …«
»Rufen Sie Handy gleich an«, sagte Mike Rander sofort. »Ihre Alarmzeichen darf man nicht übersehen.«
»Vielleicht gehen Sie vorsichtig vor«, schlug Butler Parker dem Polizeileutnant ungeniert vor. »Ich habe das Gefühl, Mister Handy, daß im Hochhaus einige Leute warten.«
»Dann rauchen Sie am besten noch eine Zigarette«, sagte Mike Rander und reichte Purcel eine Zigarette. »Wie ich die Polizei kenne, werden Sie in den nächsten Tagen wenig Gelegenheit dazu haben.«
»Falls Sie überhaupt noch je einmal rauchen können«, sagte Butler Parker von der Tür her. »Mister Rander, meine Zunge wird wieder frei.«
»Ein erfreuliches Zeichen.« Mike Rander grinste.
Leutnant Handy traf nach knapp zehn Minuten mit seinen Leuten ein. Als Mike Rander und Parker auf die Niederschrift des Gespräches hinwiesen, erledigte Handy die Zeugenvernahme sogleich an Ort und Stelle. Er verlas noch einmal das Gespräch, und Eddy Purcel hatte nichts dagegen einzuwenden. Er unterschrieb sein Geständnis und wurde dann von einigen Beamten aus den Geschäftsräumen der Foto-Agentur gebracht.
»Purcel wird wahrscheinlich die Geständnistour reiten«, sagte Leutnant Handy, als er mit Rander und Parker allein in dem Office war. »Übrigens kann ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen: wir haben die Lutch- oder wie sie hieß, die Sol-Gang ausheben können. Ein Mann ist uns entwischt, aber das macht mich nicht heiß.«
»Haben Sie von der Frau die Namen der Rauschgifthändler bekommen?«
»Einige schon, aber es handelt sich nur um einige kleine Fische, die nicht so schwer ins Gewicht fallen. Tja, und jetzt beginnt erst die Hauptjagd, Rander. Wir müssen Mike fassen, Onkel Eddy Purcel schaltet nach dem Geständnis voll aus.«
»Trotzdem würde ich ihn überwachen lassen«, riet Mike Rander. Butler Parker pflichtete ihm durch würdevolles Kopfschütteln lebhaft, aber in Grenzen bei.
»Keine schlechte Idee«, sagte der Leutnant, der natürlich sofort einverstanden war. »Ich werde das sofort erledigen.«
Er setzte sich an den Schreibtisch und informierte sein Büro.
»So, Purcel wird beschattet, und zwar noch stärker als in den letzten Stunden«, erklärte der Polizeioffizier dann. »Ich hatte schon einen Mann von mir auf seine Fersen gesetzt, aber sicher ist sicher.«
»Bleiben also nur noch Ann Torca und Anthony Lemming, die befragt werden müssen.«
»Also fahren wir am besten mal in die Tide Street«, schlug Leutnant Handy vor. »Vielleicht haben wir Glück.«
Sie hatten Glück, sogar sehr großes. Als sie das bewußte Haus in der Tide Street erreicht hatten, wollte Ann Torca gerade einen Wagen besteigen. Sie sah sich erstaunt um, als sie Butler Parker und Mike Rander erkannt hatte.
»Steigen Sie doch bitte bei uns ein«, bat Mike Rander höflich.
»Darf ich übrigens vorstellen, das hier ist Leutnant Handy von der Kriminalabteilung. Er freut sich darauf, Sie vernehmen zu können. Mister Eddy Purcel hat schon alles getan, um Sie zu belasten.«
»Ausgerechnet der Eddy«, sagte Ann Torca nur. Sie machte auf Mike Rander wirklich nicht den Eindruck eines verschüchterten Mädchens.
Leutnant Handy, Mike Rander und sogar Butler Parker gaben sich redliche Mühe, etwas aus der Frau herauszuholen. Aber sie lächelte auf alle gestellten Fragen und schwieg. Als Handy das Gespräch auf den geheimnisvollen Mike brachte, lächelte sie verstärkt.
Zudem näherten sie sich bereits der Trent Street.
»Halten Sie bitte vor der nächsten Wache«, bat Leutnant Handy Butler Parker. »Ich will die Frau loswerden.«
Kurz vor der Einfahrt in die Straße entdeckte Butler Parker eine Wache. Leutnant Handy brachte Ann Torca dort sicher unter, und schweigend legten sie die letzten hundert Yards bis vor Lemmings Haus zurück.
»Jetzt bin ich gespannt, ob einer im Haus ist«, sagte Handy. Er klingelte energisch und war sehr erstaunt, als Lemming in der Tür erschien. Leutnant Handy wies sich aus, und Lemming führte Rander, Parker und Handy in den Salon.
»Nehmen Sie doch bitte Platz.« Lemming war unruhig und ging in kurzen Trippelschritten vor dem Tisch auf und ab.
»Setzen Sie sich auch«, sagte Rander zu seinem Butler. Aber Parker schüttelte den Kopf. Als alle erstaunt auf ihn sahen, räusperte sich der Butler.
»Es steht einem Butler nicht an, sich zu setzen«, sagte er betont und mit Würde. Mike Rander schüttelte unmerklich den Kopf. Parker hatte doch den Unsinn endlich aufgegeben. Oder sollte er etwa einen Verdacht haben? Mike Rander beschloß, wachsam auf der Hut zu sein.
»Mister Lemming«, begann Leutnant Handy. »Von den beiden Herren werden Sie ja schon erfahren haben, um was es sich handelt. Mister, Rander und Parker haben mit meiner Billigung gearbeitet, und mir sind auch die Ergebnisse des Gespräches zwischen Ihnen und den beiden Herren bekannt. Sie müssen zugeben, daß Sie sich in erhebliche Widersprüche verwickelt haben.«
»Haben Sie einen Haftbefehl gegen mich?« fragte Lemming verstört. »Ich verstehe nicht …«
»Sie haben Glubb Rauschgift geliefert, und er sollte es Ihnen zurückgeben, weil Sie eine Kontrolle erwarteten«, wurde Mike Rander sehr deutlich. »Die Frage ist nun, wie oft Sie so etwas getan haben, einmal oder laufend. Die Tatsachen sind bereits von Eddy Purcel zugegeben worden.«
»Meine Herren«, begann Lemming. Sein Gesicht hatte sich jäh gerötet. »Ich bin ein …«
Was nun folgte, spielte sich in Sekundenschnelle ab. Lemming griff sich an den Hals, ein Schuß peitschte auf, ein zweiter Schuß fiel, man hörte einen erstickten Aufschrei, ein Poltern, und Mike Rander und Leutnant Handy sprangen auf. »Lemming ist erschossen worden!« rief Leutnant Handy. »Verdammt …«
»Man soll den Tatsachen ins Auge sehen«, meldete sich da plötzlich die Stimme des Butlers von der Tür her. »Mister Lemming wird nur einen Herzanfall bekommen haben. Zuerst geschossen hat der Butler Paul, von dem ich behaupte, daß er kein Berufskollege von mir ist. Der zweite Schuß wurde von mir abgefeuert, um die Ermordung Mr. Lemmings durch Butler Paul zu verhindern. Wenn Sie sich in die Halle bemühen wollen, sehen Sie Paul. Er ist keinesfalls tot, aber ich bin sicher, daß ich ihn hart erwischt habe …«
*
Mike Rander, Butler Parker und Leutnant Handy saßen in dem Office des Leutnants. Nach der Entlarvung des Butlers waren einige Tage vergangen. Butler Paul, Lemming, Purcel und andere kleine Rauschgifthändler hatten ihre Geständnisse abgelegt. Leutnant Handy konnte die abschließende Zusammenfassung geben.
»Sie hatten durchaus richtig gelegen«, begann er die Unterhaltung. »Eddy Purcels Darstellung entspricht den Tatsachen. Gründer des Rauschgiftrings in der Stadt war Glubb. Weil ihm Kapital und Organisationstalent fehlten, ordnete er sich sofort einem Unbekannten unter. Dieser Unbekannte war Butler Paul. Wie er zu diesen Dingen kam? Glubbs Freundin war Ann Torca. Sie wurde von Glubb verwöhnt, schwenkte aber sofort ab, als sie eines Tages Butler Paul in Zivil kennenlernte. Der hatte schon seit langem Rauschgiftrosinen im Kopf, da er als Butler bei dem Inhaber der Narkotikawerke Lemming beschäftigt war. Wahrscheinlich dürfte sein, daß es Ann war, die sich an Paul herangemacht hatte. Glubb war ja zwar als Abteilungsleiter in Lemmings Fabrik beschäftigt, aber da die Produktionskontrolle scharf war, konnte er kein Gramm aus dem Werk schmuggeln.
Glubb hatte Pech. Er, der Ann auf Paul gehetzt hatte, um über den Butler auf Lemming einzuwirken, wurde kaltgestellt. Ann schwenkte auf den stärkeren und selbstsicheren Paul über, und gemeinsam heckten sie die Geschichten von dem Unbekannten aus. Ann ihrerseits machte sich in verstärktem Maße an Lemming heran.
Zuerst stemmte sich Lemming auch gegen die geringste Andeutung Anns, doch Rauschgift etwas groß- und freizügiger zu handeln. Sie muß ihn schließlich so weit bekommen haben, daß er die Nerven verlor, als Glubb einfach eine immerhin erhebliche Menge Gift stahl. Lemming wollte Anzeige erstatten, aber inzwischen hatte sich Paul eingeschaltet, der Lemming einfach drohte. Lemming muß ziemlich in der Klemme gesteckt haben. Er hielt still, deckte das Defizit, und die Kontrolle konnte nichts beanstanden. Warum Lemming dieses Spiel ohne weiteres mitmachte, ist mir noch nicht klar. Vielleicht war es Hörigkeit Ann Torcas gegenüber oder Angst, denn inzwischen war Glubb tot.
Glubb und Snyder mußten beide sterben, weil sie sich zu sehr um den Mann kümmerten, der das Rauschgiftgeschäft neu aufgezogen hatte. Wenn beide es wirklich herausbekommen haben mögen, mit ihrem Wissen konnten sie nichts mehr anfangen. Mike-Paul ließ sie einfach von der Lutch-Gang abschießen. Lutch mußte später selbst daran glauben, weil er Mike-Paul hätte gefährlich werden können.
Purcels Darstellung ist vollkommen richtig gewesen. Ob er Porter, den Konkurrenten Pauls, im ›Criston‹ erschossen hat, steht noch nicht fest. Aber wir werden schon dahinterkommen.«
»Ich sah in der Tide Street Lemming am Steuer, so kam es mir vor«, warf Butler Parker ein.
»Ein Täuschungsmanöver von. Mike-Paul«, erwiderte der Leutnant. »Aber das hat ihm ja jetzt nichts mehr genutzt. Aber ich habe eine Frage an Sie, Parker. Sie standen doch an dem bewußten Tag nicht aus Zufall an der Tür zur Halle? Hatten Sie etwas geahnt?«
»Ich habe mich erinnert, daß Butler Paul nicht der Butler war, den er vorgeben wollte. Mister Rander lobte seine verbindliche Höflichkeit und Freundlichkeit. So ist kein Butler, meine Herren. Ein Butler hat reserviert zu sein. Diese Gedanken kamen mir alle, als Purcel verächtlich von Lemming sagte, er würde ja schon vor seinem Butler kuschen. Alles andere war eben Vorsicht.«
»Die sich sehr gelohnt hat«, warf der Leutnant zufrieden grinsend ein. »Eigentlich sollten Sie doch in den Polizeidienst treten?«
»Ich hätte eine Bitte, allerdings anderer Art.«
»Von vornherein erfüllt«, sagte Leutnant Handy.
»Ich möchte eine meiner Zigarren rauchen …«
Leutnant Handy nickte zwar, aber als Parker sich einen schwarzen Torpedo aus der Tasche angelte, da wunderte er sich sichtlich, daß Rander und Handy fluchtartig das Office verließen.
»Und so schwache Naturen gehen auf Gangsterjagd«, sagte Butler Parker trocken und zündete sich feierlich seine Zigarre an …
– ENDE –