Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 27
Оглавление»Ich sehe mich leider gezwungen, Ihr Betragen rügen zu müssen«, sagte Butler Parker mißbilligend. »Als ich seinerzeit die Ehre hatte, Haushofmeister des Lord of Battlemore zu sein, pflegten seine Lordschaft immer zu sagen, daß auf einen groben Klotz auch ein grober Keil gehöre …!«
Der breitschultrige Mann mit dem groben Gesicht, der in der geöffneten Haustür stand, glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er schaute auf Butler Parker herunter, der in untadeliger Kleidung vor ihm stand und nun sanft und vorwurfsvoll den Kopf bewegte. Der grobe Klotz hob seinen gezückten Revolver um einige Millimeter höher und drängte Butler Parker zurück in den Korridor des kleinen Hauses, das knapp am See lag.
»Was war das …?« fragte er dann noch einmal und sah Butler Parker wie ein Weltwunder an. »Hier wohnt doch Anwalt Mike Rander, oder?«
»Gewiß, doch, mein Herr«, antwortete Parker und nickte bejahend, »darf ich Sie aber darauf aufmerksam machen, daß mein Herr es gar nicht schätzt, wenn sein Besuch mit einer gezogenen Waffe erscheint …«
»Du bist wohl noch von gestern, wie?« fragte der Kerl und grinste. Er nahm den Butler nicht ernst. Er hielt ihn für einen jener antiquierten Haushofmeister, wie man sie hin und wieder bei reichen Amerikanern findet. Zudem machte Butler Parker auch wirklich nicht den Eindruck, als könne er einer Fliege etwas zuleide tun. Der grobe Kerl hatte sich inzwischen orientiert und ging auf eine Tür zu, an der die Aufschrift »Studio« zu lesen war.
Butler Parker hatte sich währenddessen der Lehre seines damaligen Herrn erinnert.
Der Kerl, der zu seinem Pech den Butler nicht ernst genommen hatte, schrie plötzlich auf, als ihm die Waffe aus der Hand flog. Als er sich auf Parker stürzen wollte, erlebte er sein zweites Wunder. Butler Parker blieb festgemauert in der Erden stehen, aber die rechte Hand schoß nach vorn. Seine Handkante schien sich in ein mittelalterliches Schwert zu verwandeln. Der Besucher kam nicht mehr dazu, Erstaunen zu zeigen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel gegen die Wand. Sanft, wie Butler Parker sich immer zeigte, fing er den Betäubten auf und schleppte ihn mit erstaunlicher Kraft in das Arbeitszimmer Randers.
Mike Rander, ein vielbeschäftigter Strafverteidiger, etwa 35 Jahre alt, mittelgroß und mit einem sehr sympathischen Gesicht ausgestattet, richtete seine braunen Augen auf Parker. Erstaunen war nicht zu erkennen. Rander kannte Parker.
»Wollten Sie nicht den Tee servieren?« fragte Mike Rander, der von seinem Butler gelernt hatte, wie man sich zu beherrschen hatte.
»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Butler Parker und verbeugte sich steif, »unvorhergesehene Gründe zwangen mich, diesem Herrn hier den Vorrang zu geben … Er hatte die Absicht, Ihnen seine Waffe zu zeigen, übrigens ein Fabrikat aus Belgien, wenn ich bemerken darf, Kaliber 7,65 mit Schalldämpfer.«
»Haben Sie ihn zu Wort kommen lassen?« fragte Rander weiter.
»Man könnte ihm gleich diese Chance verschaffen«, antwortete Butler Parker. Er hatte den noch immer Betäubten auf eine Couch gelegt und durchsuchte ihn mit der Geschicklichkeit eines berufsmäßigen Taschendiebes.
Mike Rander hatte keine Ahnung, wer dieser Mann auf der Couch war. Durch seine Tätigkeit als Strafverteidiger kannte er viele Gauner und Gangster aus Chikago, doch dieser Mann hatte sich ihm bisher noch nicht vorgestellt.
»Darf ich zur Sache kommen?« erkundigte sich Butler Parker. Er hatte mit spitzen Fingern einige zerfledderte Papiere aus den Taschen des Betäubten gezogen und schnüffelte vorsichtig daran herum. Mike Rander, der die mehr als skurrile Art seines herrschaftlichen Dieners kannte, nickte nur.
»Er heißt diesen Papieren zufolge Walter Renner und stammt aus Wech-Lake, er ist 28 Jahre alt und Amerikaner … Einen Waffenschein besitzt er nicht … Aber dafür eine Fahrkarte der Nord-Pazifik-Bahn, die gestern erst abgestempelt worden ist.«
»Kennen wir einen Walter Renner?« fragte Mike Rander.
»Wir hatten noch nicht das mehr als zweifelhafte Vergnügen«, antwortete Butler Parker. »Auf welche Art und Weise soll ich ihn in die Gegenwart zurückbringen?«
»Seien Sie höflich, Parker …!«
Butler Parker tätschelte die Wangen des Betäubten, der unter dem Eindruck dieser Ohrfeigen schnell wieder zu sich kam. Er fuhr sofort hoch, als sei er von einer Tarantel gebissen worden, doch als er Butler Parker vor sich sah, flackerten seine Augen. Er war etwas vorsichtig geworden.
»Darf ich mich erkundigen, was Sie zu Mister Rander führt?« begann Butler Parker freundlich.
»Zum Teufel …!«
»Bei Mister Rander wird nie oder nur selten geflucht«, korrigierte ihn Parker tadelnd. »Wünschen Sie sich nicht, daß ich Ihnen eine Nachhilfestunde in Takt und Höflichkeit geben muß …«
»Was wollten Sie von mir?« mischte sich Mike Rander wesentlich sachlicher und direkter ein.
Butler Parker zog ein beleidigtes Gesicht und stellte sich an das Kopfende der Couch. Er war mit den Methoden seines Herrn durchaus nicht einverstanden. Butler Parker hielt sehr auf Formen und bedauerte es mehr als oft, daß Mike Rander seine amerikanischen, etwas direkten Manieren nicht ablegen wollte oder konnte.
»Sind Sie Mike Rander, der Strafverteidiger?« fragte der grobe Mann und richtete sich vorsichtig auf. Er schaute scheu zu Parker herüber, dessen Gesicht aber ausdruckslos blieb.
»Ich bin Mike Rander«, sagte der junge, so erfolgreiche Strafverteidiger. »Kommen Sie in eigener Sache …?«
»Kann man nicht ’n Schluck Whisky haben?« fragte Renner. »Mir ist dieser Kerl da«, er wies mit dem Daumen über seine Schulter auf Parker, »auf den Magen geschlagen.«
»Parker, zwei Whisky«, sagte Rander.
Butler Parker ging mehr als langsam zur Hausbar hinüber, die in der Nähe der Fenster stand. Er füllte den Whisky ab und bedauerte es, daß dieses Subjekt dieses gute Getränk bekommen sollte. Aber Mike Rander hatte seiner Meinung nach leider immer noch diese Anwandlungen von gutartiger Dummheit.
Deshalb war Parker auch nicht sonderlich erstaunt, als er plötzlich ein höhnisches Auflachen hörte. Er wußte im voraus, was sich ereignet hatte. Der grobe Kerl hatte das Heft wieder an sich gerissen.
»Nimm schnell die Fingerchen hoch«, hörte er den Mann sagen. »Los, ich verplempere nie meine Zeit …!«
»Na schön«, sagte Rander, »und was kommt jetzt?«
Butler Parker war mit diesem Rollentausch nicht einverstanden. – Diesmal war er erheblich schneller als bei dem Whiskyabfüllen. Er wirbelte herum und benutzte die Flasche als Wurfgeschoß. Sie segelte in einem eleganten Bogen auf den groben Kerl zu, der auch prompt und voll getroffen wurde.
Ein Schuß peitschte auf, aber das Geschoß pfiff wirkungslos in die Wandvertäfelung. Bevor Butler Parker noch eine zweite Flasche schleudern konnte, hatte sich der Besuch bereits empfohlen. Man hörte seine hastig laufenden Schritte im Korridor, dann fiel die Haustür krachend ins Schloß.
»Mister Rander, die Lady of Yainesbrought war immer der Meinung, daß man …«
»Lassen Sie mich bloß mit dieser alten Schachtel zufrieden«, sagte Mike Rander ärgerlich. Er stürzte zur Tür, aber der Besucher hatte sich längst empfohlen. Er war nicht mehr zu sehen.
Butler Parker ging zurück zur Hausbar und empfing dort Mike Rander mit einem doppelten Whisky.
»Genau das brauche ich jetzt auch«, meinte Mike Rander nachdenklich. – »Parker, lassen Sie die Flasche erst mal auf dem Boden liegen … Ich möchte wissen, was dieser Kerl von mir gewollt hat … Ich zergrübele mir den Kopf darüber, ob ich den Namen Walter Renner schon einmal gehört habe.«
»Wir haben ihn noch nie gehört«, antwortete Butler Parker. »Darf ich Ihnen noch einen Doppelstöckigen einschenken?«
»Auch mit Wech-Lake haben wir noch nie etwas zu tun gehabt«, rätselte Mike Rander weiter an seinem Besucher herum. »Wo mag das Kaff überhaupt liegen?«
Seine Frage kam viel zu spät.
Butler Parker stand schon gebeugt über einen Atlas und suchte nach Wech-Lake. Konzentriert blätterte er herum, bis er den Ort endlich gefunden hatte.
»Wech-Lake«, las er vor, »Bahnstation an der Strecke Chikago-Minneapolis-Grafton … Schnellexpreß hält nur auf besonderen Wunsch … liegt etwa dreißig Meilen von der Grenze entfernt …«
Mike Rander war aufgestanden und wanderte in seinem Studio auf und ab. Daß dieser Kerl nicht aus Spaß gekommen war, lag auf der Hand. Er hatte bestimmt die Absicht gehabt, Gebrauch von der Waffe zu machen. – Aber aus welch einem Grund wohl? War er von örtlichen Gangstern angeheuert worden?
Mike Rander hob den Kopf, als geklingelt wurde.
Butler Parker stolzierte sofort in den Korridor und öffnete eine kleine Klappe. Durch ein raffiniertes System von Spiegeln konnte er den Besucher erkennen, der vor der Haustür stand. Dieser Mann trug eine brandneue Aktentasche und schien es sehr eilig zu haben. Er schaute sich wiederholt zur Straße um und trat von einem Fuß auf den anderen.
Butler Parker bediente den elektrischen Türöffner und trat vorsichtshalber zur Seite. Gewarnt durch den Besuch an diesem Morgen, war er nicht erpicht darauf, angeschossen zu werden.
Alles weitere spielte sich dann mit der Schnelligkeit eines Zeitraffers ab.
Zweimal gab es ein dumpfes »Plop«.
Der Mann, der in der geöffneten Haustür stand, sackte getroffen in sich zusammen. Zwei maskierte Männer erschienen auf der Treppe und entrissen dem Mann die Aktentasche. Wie durch Zauberei waren sie dann wieder in dem Vorgarten verschwunden, als seien sie vom Erdboden verschluckt worden.
Butler Parker hörte zwar das Aufheulen eines Motors, aber er kümmerte sich erst einmal um den Mann, der halb im Korridor lag. Als er ihn umdrehte, sah er in ein schmales, gebräuntes Gesicht, dessen Oberlippe mit einem kleinen Bart versehen war.
Parker brauchte nicht lange zu untersuchen, er sah auch so, daß der Mann bereits tot war. Die beiden Schüsse hatten ihn voll getroffen.
Mike Rander, der Anwalt, der in den Korridor gekommen war, kniete neben dem Toten nieder. Er stellte keine Fragen, er wußte auch so, was sich da vor einigen Sekunden abgespielt hatte.
Butler Parker rief von der Diele aus die nächste Polizeistation an.
»Die Mordkommission wird in spätestens zehn Minuten hier sein«, berichtete er Mike Rander, als er zu dem Toten zurückgekommen war. Der Anwalt hatte die Brieftasche des Opfers hervorgezogen, ohne die Lage des Toten aber zu verändern.
»Ich habe eine Überraschung für Sie, Parker«, sagte er, als er einen Blick auf die Papiere geworfen hatte.
»Ich weiß, der Tote stammt aus Wech-Lake, nicht wahr?«
»Allerdings«, erwiderte Mike Rander und stand auf. Er blätterte weiter in den Papieren herum. »Der Tote ist ein gewisser Hardy Flander … Er stammt aus Wech-Lake und arbeitete dort als Landarzt …«
»Wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf, so halte ich es für durchaus angebracht, diesem Wech-Lake einen kleinen Besuch abzustatten«, schlug Butler Parker vor. »Die Lösung des Mordes dürfte nur dort zu finden sein.«
»Reservieren Sie uns zwei Schlafwagenkarten«, sagte Mike Rander.
»Das wird sofort geschehen«, antwortete Butler Parker, »darf ich mich erkundigen, welche Waffen ich bereitstellen soll?«
*
Als der Expreß in Wech-Lake hielt, kletterte nur ein einziger Fahrgast auf den behelfsmäßigen Bahnsteig.
Dieser Fahrgast trug eine steife und schwarze Melone, einen schwarzen Covercoat und schwarze Handschuhe, von den schwarzen Schuhen ganz zu schweigen. Nur der mitgeführte Koffer wich etwas von dieser Regel ab. Sein Schwarz wurde durch ein graues Lederschildchen gemildert, das am Griffbügel befestigt war.
Butler Parker, der als Vorkommando nach Wech-Lake gefahren war und hier Quartier machen sollte, ging ohne Zögern auf das Holzhaus zu, das den Bahnsteig begrenzte. Er kümmerte sich nicht um die mehr als erstaunten Blicke, die ihm folgten. Er war es gewohnt, daß man sich nach ihm umdrehte.
»Darf ich mir die Freiheit nehmen, mich nach einem Hotel zu erkundigen?« fragte er den Bahnbeamten, der aus dem Holzhaus gekommen war.
»Wie bitte?« erwiderte der Mann und legte die geöffnete Hand hinter sein Ohr. »Sie suchen hier in Wech-Lake ein Hotel?«
»Gewissermaßen«, entgegnete Butler Parker würdevoll.
»Dann sind Sie aber mächtig auf dem Holzweg«, sagte der Beamte auflachend. »Sehen Sie sich Wech-Lake an. Was Sie dort hinten am Fluß sehen, das ist Wech-Lake … Ich wußte sofort, daß Sie falsch ausgestiegen sind.«
»Mitnichten«, erwiderte Butler Parker und setzte den Koffer ab, »Wech-Lake ist mein Ziel … Darf ich mir gestatten, Ihnen eine Zigarre anzubieten?«
Der Bahnbeamte kannte weder Butler Parker noch dessen Zigarren. – Daher griff er auch arglos in das bereitgehaltene Etui und wählte sich einen schwarzen Torpedo aus, den er kurzerhand und ohne viel Umstände in Brand setzte.
Auch Butler Parker hatte sich inzwischen bedient, seine Brandvorbereitungen dauerten allerdings erheblich länger. Der Bahnbeamte paffte genießerisch drauflos, doch schon nach den ersten Zügen bekam er einen schrecklichen Hustenanfall. Völlig entgeistert starrte er dann auf die schwarze Zigarre.
»Nicht wahr, ein kräftiges, vollmundiges Aroma?« meinte Butler Parker und sog genießerisch an seinem Torpedo herum. Der Bahnbeamte nickte ohne Begeisterung und hütete sich, noch einmal an der Zigarre zu ziehen. Er hustete noch immer.
»Wir waren bei der Frage nach einem Hotel stehengeblieben«, sagte Butler Parker zielstrebig.
»So etwas Ähnliches gibt es allerdings, aber viel Komfort dürfen Sie nicht erwarten.«
»Habe ich da weit zu gehen?«
»Sehen Sie dahinten den Steinbau, hart am Fluß …? Das ist Stimsons Restaurant … Er vermietet an Prospektoren, Viehtreiber und Sportangler … Sie werden dort bestimmt ein Zimmer bekommen. Wollen Sie auch angeln?«
»Allerdings«, sagte Butler Parker, »ich las vor einiger Zeit ein Buch, das den Angelsport empfahl …«
»Stimson wird Ihnen sicherlich Angelzeug ausleihen«, erklärte der Bahnbeamte. Er wollte automatisch die Zigarre zum Mund führen, erinnerte sich aber in letzter Sekunde der aufwühlenden Gewalt des schwarzen Torpedos. Er legte die Zigarre vorsichtig auf die Fensterbank und gönnte ihr keinen Blick mehr.
Butler Parker hatte den Koffer hochgenommen und machte sich auf den Weg. Nach wenigen Schritten aber blieb er stehen und wendete sich noch einmal zu dem Bahnbeamten um, der die Zigarre gerade unter seinen Absätzen zermalmte.
»Ich irre mich doch nicht in der Annahme, daß Doktor Flander hier in Wech-Lake wohnt, nein?«
»Doc Flander …?«
Der Bahnbeamte sah auf den Boden, als habe er dort Geld gefunden. Er schien dabei zu sein, sich seine Antwort zu überlegen. Butler Parker wartete geduldig auf die Antwort.
»Meinten Sie Doc Flander?« vergewisserte sich der Beamte noch einmal.
»Ein alter Freund und Bekannter von mir … Er schrieb mit vor einigen Tagen.«
»Dann müssen Sie doch wissen, ob er noch hier wohnt.«
»Das war eine logische Beweisführung«, lobte Butler Parker den Bahnbeamten. Er ließ den leicht verdutzten Mann stehen und marschierte mit seinen typischen Trippelschritten auf Wech-Lake zu.
Der Bahnbeamte kratzte sich nachdenklich das Kinn und starrte gedankenverloren auf die zertrümmerten Reste der Zigarre. Dann sah er dem schwarzgekleideten Mann nach, der ihm unheimlich vorkam. Unheimlich schon deshalb, weil ihm die Zigarre nichts ausgemacht hatte. Der Beamte war zu einem Entschluß gekommen. Er kratzte sich nicht weiter am Kinn herum, sondern betrat seinen Bretterverschlag und hängte sich ans Telefon. Er sprach lange und beinahe etwas aufgeregt. Erstaunlicher war es, daß der Name des ermordeten Doktor Flanders einige Male genannt wurde.
Butler Parker schritt unterdessen zielstrebig weiter. Die sengende Hitze, die über dem Land lag, machte ihm nichts aus. Er schwitzte nicht einmal, obwohl er doch den schwarzen Covercoat trug. Er hielt schwitzen für unfein und leistete sich deshalb diesen Luxus auch nicht.
Er hatte sich inzwischen längst mit Wech-Lake vertraut gemacht. Der Ort bestand aus einer Anhäufung von unregelmäßig hingesetzten Holzhäusern, durch die sich eine breite Straße schlängelte. Dort, wo der Bach sich in den Wech-Lake ergoß, standen einige Steinbauten. Östlich des Sees erhoben sich bereits die ersten Hügel, die später in die rauhe Bergwelt übergingen. Das Gelände war mit Tannen und Kiefern bewachsen, zwischen dem tonnenschweren Steingeröll wucherten Büsche und Sträucher, die übermannshoch waren.
Butler Parker hörte hinter sich das schrille Hupen eines Wagens. Er dachte aber nicht daran, in den Staub seitlich der Straße zu springen. Er marschierte weiter, als habe er nichts gehört.
Das Hupen hinter ihm wurde lauter und nervöser, aber Butler Parker erinnerte an einen Schwerhörigen, der seinen Verstärker ausgeschaltet hatte. Und Parker zuckte auch mit keiner Wimper, als der Jeep dicht und hart an ihm vorbeizischte. Der Fahrer des Wagens, ein junger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren, drehte sich herum und grinste Parker an. Es war kein gutes Grinsen.
Freundlich winkte Parker zurück, als habe er überhaupt nichts gemerkt. Der Fahrer des Jeeps gab Gas und verschwand bald in einer dichten Staubwolke. Butler Parker sog nachdenklich an seiner Zigarre und machte sich so seine Gedanken.
Er war übrigens tatsächlich allein nach Wech-Lake gekommen. Mike Rander hatte einen dringenden Fall zu verhandeln und konnte vorerst nicht abkommen. Butler Parker hatte den Auftrag erhalten, sich um den Mordfall Flander zu kümmern, der von der Polizei in Chikago an die Ortsbehörden von Wech-Lake zur Ermittlung zurückgegeben worden war. Mike Rander war der Meinung, daß man ohne Bürokratie schneller zum Ziel kommen würde. Daher Parkers Fahrt nach Wech-Lake. Mike Rander, der Strafverteidiger und Amateurdetektiv aus Leidenschaft, wollte so schnell wie möglich nachkommen.
Butler Parker arbeitete nicht zum erstenmal auf eigene Faust. Er hatte schon manchen Fall aufklären können. Parker drängte sich förmlich danach, solche Aufgaben übertragen zu bekommen.
Stimsons Restaurant war übrigens nicht zu übersehen. Der Steinbau lag hart an dem kleinen Fluß und machte einen etwas verschlafenen und ungepflegten Eindruck. Die Sonnenblenden waren durchweg heruntergelassen worden, in der Eingangstür stak ein Holzrahmen, der mit Fliegendraht bespannt war.
Butler Parker stieg über die ausgetretenen Stufen nach oben und zog den Rahmen zur Seite. Von innen brachte er den Fliegenschutz wieder vor und stellte sich vor die Theke der Anmeldung.
Als sich nichts in der Halle rührte, hüstelte Parker einige Male. Er besorgte das mit aller Diskretion, doch das Hüsteln war trotzdem nicht zu überhören. Es dröhnte durch das Haus. Und wirklich, wenige Sekunden später erschien ein etwa fünfzigjähriger Mann, der Parker mürrisch anschaute.
»Man empfahl mir Ihr Haus«, sagte Parker geziert.
»Wenn Sie ’n Zimmer haben wollen, dann kommen Sie gerade richtig«, sagte Stimson. »Wollen Sie im ersten oder zweiten Stock schlafen?«
»In dieser Hinsicht entwickle ich keine Wünsche«, entgegnete Butler Parker höflich.
»Wollen Sie angeln?«
»Ich möchte etwas für meine angegriffenen Nerven tun«, antwortete Parker. »Ich bin Haushofmeister in Chikago … Wie Sie gleich meinen Eintragungen entnehmen können.«
Stimson drehte das Tablett, auf dem das Eintragungsbuch lag, zu Parker herum, der in zierlich gestochener Schrift die erforderlichen Angaben in das Meldebuch eintrug. Stimson reichte ihm einen Schlüssel und knurrte ihm zu, daß er das Zimmer acht im ersten Stock habe.
»Ich werde Ihre Freundlichkeit überall zu rühmen wissen«, sagte Butler Parker, griff nach seinem Koffer und ging über die Holztreppe nach oben.
Das gemietete Zimmer war keine Offenbarung, aber Butler Parker machte sich nichts daraus. Hauptsache, es war alles sauber. Er stellte den Koffer auf den dafür vorhandenen Bock und zog sich den schwarzen Mantel aus.
Butler Parker wirkte nach dieser ersten Demaskierung nicht freundlicher oder weltoffener. Er trug einen dunklen Anzug, einen Stehkragen mit gebogenen Ecken und eine silbergraue Krawatte, um damit zu unterstreichen, daß er außer Dienst war. Er öffnete eines der beiden Fenster, die auf den Hof des Hauses hinausführten und dicht über einem flach geneigten Dach lagen, das zu einem Wagenschuppen gehörte. Butler Parker rauchte mit sichtlichem Genuß seine Zigarre und schien tatsächlich die Absicht zu haben, Urlaub zu machen.
Als die Sonne am höchsten stand, warf er sich den Mantel über und verließ sein Zimmer. Unten in der Halle war kein Mensch zu sehen. Stimsons Restaurant schien an chronischem Gästemangel zu leiden. Butler Parker überquerte die Straße und betrat einen Store, vor dessen Theke sich einige Männer in Nietenhosen und Buschhemden herumlümmelten. Höflich zog Parker die Melone und erkundigte sich nach der Adresse des Doktor Flander.
Die Anwesenden, die sonst bestimmt jeden Fremden mit Wonne und Genuß musterten, rätselten an Parker herum. Solch einen Mann hatten sie in Wech-Lake noch nie gesehen. Und bevor sie sich mit Parker befassen konnten, wußte er bereits, wo das Haus des Doktors lag.
»Ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit«, sagte Butler Parker zu dem Verkäufer hinter der Theke. Er hob elegant die Melone und trippelte zurück auf die Straße. Erst jetzt brandete in dem Store ein brausendes Gelächter hoch.
Das Haus des Doktor Flander war in der Zwischenzeit bereits vom Sheriff durchsucht worden, denn noch hatte sich die Staatspolizei nicht eingeschaltet. Die erschien erst auf ausdrücklichen Wunsch des Sheriffs, wie es bei der Gewaltentrennung nun mal so ist. Butler Parker läutete und wartete auf Ergebnisse. Doch kein Mensch erschien, um ihm zu öffnen.
Parker umschritt das Haus des ermordeten Junggesellen und gelangte in den Hof. Alle Fenster waren verschlossen, die Vorhänge zugezogen worden. Parker hütete sich, irgend etwas zu unternehmen. Er wußte mit Sicherheit, daß er bereits beobachtet wurde.
Als er zurück zur Straße gehen wollte, fiel ein Schuß, der in unmittelbarer Nähe Parkers abgefeuert worden war. Schrotkörner umspritzten Parker, aber er duckte sich noch nicht einmal ab. Ohne sich umzuwenden oder schneller zu gehen, erreichte er die Straße und ging im Schatten der Holzhäuser auf den Steinbau zu, an dem das Schild des Sheriffs angebracht war.
Der Schrotschütze, der absichtlich den gefährlichen Schuß abgefeuert hatte, teilte einen Strauch auseinander und sah Parker verblüfft nach. Er hatte sich von seinem Schuß eine wesentlich andere Wirkung versprochen. Er starrte auf die Flinte, aus deren Mündung grauer Qualm kroch, trat wütend gegen eine leere Konservenbüchse und war bald zwischen den Holzhäusern verschwunden.
Butler Parker stand inzwischen im Büro des Sheriffs und lächelte den Ortsgewaltigen an. Sheriff Longer bearbeitete weiter die vor ihm liegende Akte. Fast war es so, als habe er den Eintritt Parkers überhaupt nicht wahrgenommen.
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir einige Sekunden Ihrer kostbaren Zeit schenken würden«, sagte Butler Parker schließlich. »Es handelt sich nur um eine kleine Auskunft.«
Sheriff Longer, ein breitschultriger Mann mit einem nichtssagenden Gesicht hob den Kopf und sah Parker fassungslos an.
»Was war das?« fragte er dann. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Mann?«
»Nichts liegt mir ferner«, antwortete Parker höflich. »Ich wollte meinen Freund Doktor Flander besuchen, aber sein Haus ist fest verschlossen.«
»Kunststück, er ist nämlich tot … Er wurde in Chikago erschossen.«
»Lebte er hier allein?«
»Er hatte so ein Faktotum … einen Nigger …«
»Darf ich mich erkundigen, wo ich diesen Herrn finden kann?«
»Waas? Ach so …! Zack wohnt drüben am Bach in einer Hütte. Versuchen Sie es doch dort einmal …«
»Und wo kann ich Mister Walter Renner antreffen?«
»Es gibt drei Möglichkeiten für Sie«, erwiderte Sheriff Longer dann unwillig und stand auf, »entweder sind Sie ein Gauner, dann sollten Sie möglichst schnell wieder abdampfen, oder aber Sie sind ein harmloser Idiot, dann sollten Sie genauso schnell verschwinden. Oder aber Sie sind ein ausgekochter Bursche, der klüger sein will als die Polizei. Für den Fall würde ich Ihnen ebenfalls empfehlen, den nächsten Zug zu nehmen.«
»Ich danke Ihnen, Sir, für die überaus freundliche Auskunft und Belehrung«, sagte Butler Parker mit unbewegtem Gesicht. Er lüftete seine Melone und verließ das Büro. Sheriff Longer aber stützte sich förmlich auf den altertümlich wirkenden Telefonapparat und führte ein längeres Gespräch.
Anschließend setzte sich Sheriff Longer in seinen Jeep und verließ Wech-Lake.
Butler Parker hingegen trotzte der drückenden Hitze und näherte sich bereits der Hütte, in der Flandern Faktotum Zack wohnte. Als er die Tür der Holzhütte aufstieß, sah er sich einem toten Neger gegenüber …
*
Butler Parker hatte die Holzhütte verlassen, in der der Tote lag. Er setzte sich auf einen Hauklotz und zündete sich eine seiner schwarzen Zigarren an.
Der Neger Zack war mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen worden. Seine Hütte hatte man auf den Kopf gestellt und wahrscheinlich nach irgendwelchen Dingen durchsucht. Parker wußte natürlich nicht, um was es bei den beiden Morden gegangen war. Die Aktentasche Flanders, die darüber Aufschluß hätte geben können, war leider unter seinen Augen gestohlen worden.
Der Neger Zack war übrigens noch nicht lange tot. Der Mord mußte sich vor einigen Stunden ereignet haben. Parker hatte zu dieser Zeit noch im Expreß gesessen.
Als Parker einen Jeep sah, der in rasender Fahrt näherkam, stand er auf und ging dem Wagen entgegen. Unwillkürlich mußte er an den jungen Mann denken, der ihn auf der Straße hatte ins Bockshorn jagen wollen.
Doch Sheriff Longer stieg aus dem Wagen. Als er Parker erkannte, nickte er dem Butler nur zu und betrat die Holzhütte. Schon nach wenigen Sekunden kam Sheriff Longer wieder heraus, und diesmal hielt er einen sechsschüssigen Colt in der Hand, dessen Lauf drohend auf den Butler gerichtet war.
»Warum haben Sie Zack ermordet?« fragte Sheriff Longer mit scharfer, unangenehmer Stimme. »Los, nehmen Sie schon die Hände hoch, Sie infamer Mörder!«
»Das Wort infam hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut«, sagte Butler Parker begeistert. Sheriff Longer hatte eine andere Reaktion erwartet und brauchte einige Zeit, um sich von Parkers Satz zu erholen.
»Keine Mätzchen«, brüllte er Parker an. »Nehmen Sie schon die Hände hoch. Ihnen werd ich’s zeigen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Sind Sie sicher, keinen Fehler zu begehen?« fragte Parker ruhig. »Zu der Zeit, als der Neger ermordet wurde, saß ich im Expreß … Zeugen werden das unterstreichen können …«
»Mir können Sie keinen Sand in die Augen streuen«, erwiderte Sheriff Longer, dessen Stimme aber schon wesentlich ruhiger klang. »Was wollten Sie von Zack?«
»Wollten Sie ihn nicht auch besuchen?«
»Dienstsache«, antwortete Longer verärgert. »Hören Sie, wenn Sie hier herumschnüffeln wollen, dann sind Sie falsch am Platze. Dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben!«
»So ähnlich drückten Sie sich tatsächlich schon einmal aus«, antwortete Butler Parker, »darf ich Ihnen eine meiner Zigarren anbieten? Ich lasse sie speziell für mich in Kuba anfertigen.«
»Zum Henker mit Ihren Zigarren«, antwortete Longer, »ich will endlich wissen, was Sie von Zack wollten?«
»Sie selbst wiesen mich doch hierher«, entgegnete Parker gelassen, »irgendeiner wird mir doch wohl sagen können, was mit Doktor Flander passiert ist. Warum wurde er ermordet?«
»Warten Sie auf die polizeilichen Ermittlungen«, meinte Sheriff Longer.
»Ich wollte eigentlich nur acht Tage in Wech-Lake bleiben«, erwiderte Butler Parker. Longer verstand erst nach einigen Sekunden. Sein Gesicht färbte sich so rot, als habe er es mit einem Schlaganfall zu tun. Bevor er aber etwas sagen konnte, hatte Butler Parker höflich seine Melone gehoben und ging zurück zur Straße.
Sheriff Longer starrte wütend auf seinen Colt und stieß ihn dann fluchend in das Halfter zurück.
Butler Parker hütete sich, falsche Schlüsse hinsichtlich des Sheriffs zu ziehen. Noch war er vollkommen unbefangen hier in Wech-Lake. Er wollte erst einmal nach bewährtem Muster für einigen Wirbel sorgen. Butler Parker arbeitete gern nach eigenen Methoden, die zwar oft mehr als gefährlich waren, aber bisher immer zum Erfolg geführt hatten. Parker hatte die Straße verlassen und betrat eine Bar, die in einem Eckhaus in der Nähe der Bahnlinie untergebracht war. Er bestellte bei dem Keeper einen Whisky-Soda. Er kümmerte sich nicht weiter um die Männer, die weit hinten an der Theke standen und miteinander tuschelten. Der Barkeeper holte eine Flasche hervor, die unter der Theke stand. Es handelte sich um ein Gebräu, das nur für Neuzugänge gedacht war. Ein Schluck von diesem Stoff, und der Trinkende taumelte entsetzt zurück auf die Straße und trank garantiert einige Liter Quellwasser, um wieder zu sich zu kommen.
Die Männer an der Theke feixten, denn sie wußten ja, was kommen würde. Der Barkeeper hatte eingegossen und sah zu, wie Parker den Inhalt des Glases in einem Zug hinunterkippte.
Die Gesichter der Wartenden wurden lang und länger, als Butler Parker keine Regung zeigte. Er hüstelte noch nicht einmal. Keiner der Versammelten wußte etwas von der ausgepichten Kehle des Butlers, die die eines alten Seemanns glatt in den Schatten stellte. Es war wirklich so, daß es Parker überhaupt nicht aufging, daß man sich einen Scherz mit ihm hatte leisten wollen.
»Noch einen«, sagte er mit unveränderter Stimme. Er sog nachdenklich an seinem schwarzen Torpedo und blies unabsichtlich so den Rauch in den Raum, daß der Barkeeper davon eine tüchtige Wolke mit abbekam.
Der Mann begann sofort zu husten und genehmigte sich einen Drink. Er riskierte es nicht mehr, sich an Parker heranzuwagen. Die Gäste an der Theke sahen sich beziehungsvoll und enttäuscht an. Sie wußten mit diesem schwarzgekleideten Mann nichts anzufangen, der ein Rätsel für sie war. Schon allein das Alter Parkers annähernd zu bestimmen, war mehr als schwer.
»Keeper!«
Der Mixer sah nur zu Parker hinüber, hütete sich aber in den Dunstkreis der Zigarre zu kommen.
»Keeper, ich möchte einem gewissen Renner einen Besuch abstatten. Würden Sie die Güte haben, mir seine Adresse mitzuteilen?«
»Sie wollen zu Renner?« fragte der Barkeeper erstaunt.
»Mister Walter Renner«, korrigierte ihn Butler Parker. »Er soll hier in Wech-Lake wohnen.«
»Kennt einer von euch einen Walter Renner?« wendete sich der Mixer an seine übrigen Gäste. Als keine Antwort kam, hob er nur bedauernd die Schultern.
»Vielleicht fragen Sie mal Hank Nebbel«, rief einer der Gäste Parker zu. »Sie finden ihn drüben an der Tankstelle.«
Butler Parker lüftete höflich dankend die Melone, ohne sich um das dröhnende Gelächter der Männer zu kümmern. Er zahlte die beiden Drinks und verließ die Bar.
Die Tankstelle war schon von weitem zu sehen. Einige Wagen waren gerade abgefertigt worden, und Parker konnte sich vertrauensvoll an einen stämmigen Mann wenden, dem man den Boxer schon von weitem ansah.
»Ich suche einen gewissen Mister Walter Renner«, fragte Butler Parker. »Man verwies mich an Sie, Mister Nebbel. Haben Sie die Güte und sagen Sie mir bitte …«
»Sie wollen zu Renner?« Hank Nebbel sah Parker mißtrauisch an.
»Allerdings, ich hoffe, daß ich mich genau ausgedrückt habe.«
»Und dann fragen Sie ausgerechnet mich?«
»Ich nahm mir die Freiheit.«
»Mann, verschwinden Sie, bevor ich Sie in der Luft zerreiße«, stieß Hank Nebbel hervor. Die Adern an seinem Hals traten hervor. Seine Schmiedehammerfäuste ballten sich.
»Es sollte mir leid tun, einen wunden Punkt bei Ihnen berührt zu haben«, erklärte Parker.
Hank Nebbel antwortete nicht mehr.
Er holte aus, um das Männchen, wie er Parker insgeheim eingeschätzt hatte, in die Luft zu schleudern. Als sich seine Fäuste dann wirklich mit dem schwarzgekleideten Mann befassen wollten, da griffen sie ins Leere.
»In meiner Hausapotheke, die ich auf Reisen mitzuführen pflege, habe ich etwas Baldrian«, hörte er hinter sich die ruhige Stimme Parkers. Nebbel setzte zu einem gewaltigen Heumacher an und hätte Butler Parker sicher auch getroffen, wenn dieser auch nur eine halbe Sekunde länger stehen geblieben wäre.
»Wenn mich mein Blick als interessierter Laie nicht trügt, so haben Sie eine gewisse Veranlagung zum Schlagfluß«, sagte Butler Parker. Hank Nebbel stöhnte vor Wut und Ärger. Er benutzte jetzt sogar seine Beine, um diesen Irrwisch zu treffen.
Butler Parker aber war an einer so fruchtlosen Auseinandersetzung absolut nicht interessiert. Er wendete einen seiner Patentgriffe an und legte damit Hank Nebbel neben die Benzinsäule. Der schwere Mann landete klatschend auf dem Beton und hatte einige Mühe, wieder auf die Beine zu kommen.
Als er es endlich geschafft hatte, rieb er sich verdutzt sein Hinterteil.
»Darf ich Ihnen behilflich sein?« fragte Butler Parker. Er griff in die unergründlichen Taschen seines Covercoats und zog eine Kleiderbürste hervor.
Hank Nebbel ließ sich vollkommen verblüfft behandeln. So etwas hatte er noch nicht in seinem harten Leben an sich erfahren.
»Wer sind Sie eigentlich?« fragte er schließlich, als Parker die Kleiderbürste wieder eingesteckt hatte.
»Ein freier Bürger eines freien Staates«, antwortete Parker höflich. »Und jetzt wollen Sie mir bitte sagen, wo ich Walter Renner finden kann, ja?«
»Sind Sie ein Freund von ihm?«
»Das kann ich jetzt noch nicht beurteilen«, sagte Parker. »Das kommt auf die besonderen Umstände an.«
»Na ja, von mir aus«, sagte Nebbel. »Renner wohnt unten am See in einem Bungalow. Er ist … aber das geht Sie nichts an, das kann er Ihnen selbst sagen.«
»Ich bedanke mich für Ihre Freundlichkeit«, sagte Parker. »Wären Sie in der Lage, mir einen Wagen zu leihen?«
»Natürlich, ich habe ’nen Ford …«
»Ich möchte ihn mir für acht Tage ausleihen«, sagte Parker. »Darf ich Ihnen die Vertragssumme gleich hinterlegen?«
Hank Nebbel zwinkerte mit den Augen, als Butler Parker die Brieftasche öffnete und ihm die verlangten Scheine anstandslos in die Hand zählte.
»Hören Sie mal, Mister«, meinte Nebbel, als er einiges Wechselgeld zurückreichte, »mich geht’s ja zwar nichts an, was Sie hier in Wech-Lake wollen, aber ich warne Neugierige … verstehen Sie, hier lebt man ziemlich gefährlich. Hier ist der Teufel los!«
»Heißt der Teufel etwa Walter Renner?«
»Unsinn, das ist doch nur ’ne Strohpuppe. Ne, da sind ganz andere Burschen mit im Spiel. Und die lassen sich nicht auf dem Kopf herumtanzen.«
»Versuchte sich Doktor Flander in dieser Tanzerei?«
»Ach, lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Hank Nebbel da nur und wendete sich ab. »Ich will nichts gesagt haben!«
»Mit wem war Doktor Flander besonders gut bekannt und befreundet?«
»Mit der Witwe Anderson. Zum Henker, ich werde Ihnen kein Wort mehr sagen. Den Wagen können Sie sich holen, wann immer Sie wollen. Ich habe Tag und Nacht geöffnet.«
Butler Parker bedankte sich höflich, wie er es nun einmal gewohnt war und ging zurück zu Stimsons Restaurant. Er fand es an der Zeit einen kleinen Imbiß einzunehmen. Seinem Herrn und Meister Mike Rander brauchte er noch kein Telegramm zu senden, denn bisher hatte er ja praktisch nichts erreichen können. Parker wußte inzwischen aber sehr genau, daß die Lösung der beiden Morde nur hier in Wech-Lake lag. Als er sein Zimmer betrat, um sich etwas zu erfrischen, fand er sich dem gesuchten Walter Renner gegenüber, der nachlässig auf dem Bett lag und mit einem Sechsschüsser spielte.
»Ich freue mich außerordentlich, daß Sie so schnell gekommen sind«, sagte Butler Parker, ohne überrascht zu sein. »Ich wußte, daß Sie die Neugierde hierher führen würde. Was kann ich für Sie tun, Mister Renner?«
»Sterben«, sagte Walter Renner nur und richtete sich blitzschnell auf …
*
»Sie überschätzen mein Verlangen, beerdigt zu werden«, erwiderte Butler Parker lächelnd, ja, fast heiter. – Er schloß die Tür hinter sich und nahm die Melone ab. Er schien die Waffe, die auf ihn gerichtet war, gar nicht zu sehen.
Walter Renner, der grobe Bursche, der sie in Chikago besucht hatte, war aufgestanden. Er schritt vorsichtig an Parker heran und grinste bösartig.
»Diesmal machst du keine Mätzchen«, sagte er zu Parker. »Ich weiß inzwischen, was du für ’ne Type bist …«
»Ich glaube, ich sagte Ihnen schon einmal, wie unfein Sie sich auszudrücken belieben«, antwortete Parker in verweisendem Ton. »Sie sollten etwas für Ihre Bildung tun, junger Mann.«
Butler Parker hatte längst herausgefunden, daß Walter Renner jetzt ernst machen wollte. Aber er ließ sich seine innere Erregung nicht anmerken. Er hielt so etwas einfach für würdelos. Er überlegte nur, wie er diesen Grobian ausschalten konnte.
»Jetzt ist dir das Herz in die Hosen gefallen, wie?« meinte Renner, und er lachte leise auf.
»Warum sollte sich mein Herz selbständig gemacht haben?« gab Parker zurück. »Ich habe ja immerhin den Vorzug, nicht allein hier zu sein, Mister Renner … Mister Rander und ich rechneten ja fest mit Ihrem Besuch.«
Parker hatte das mit solch einer selbstverständlichen Sicherheit hervorgebracht, daß Walter Renner für den Bruchteil einer Sekunde unsicher wurde. Als er den Kopf um einige Millimeter zur Seite nahm, konnte Butler Parker eingreifen.
Es war erstaunlich, wie durchtrainiert dieser ehemalige Haushofmeister war. Er warf sich blitzschnell zu Boden, aber er benutzte seine gespreizten Beine als Hebel, die sich um die Unterschenkel Renners legten. Ein kurzer Ruck und Walter Renner landete wieder einmal auf dem Boden. Als er die Waffe hochreißen wollte, schleuderte Butler ihm seine Melone ins Gesicht.
Renner wurde einen Moment lang geblendet; als er aber wieder sehen konnte, war er waffenlos. Parker hatte sich die Freiheit genommen, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen.
Walter Renner verwandelte sich in eine wütende Kampfmaschine. Er sprang blitzschnell auf die Beine, zog ein Klappmesser und ließ die Klinge hervorschnellen. Er duckte sich ab und stieß den Atem ruckartig durch die Nase.
»Hier kommst du nicht mehr lebend heraus«, sagte er sehr optimistisch, »ich werde dir das Fell über die Ohren ziehen, du schwarzer Rabe.«
»Nicht doch«, protestierte Parker und lächelte, ohne einen Schritt zurückzuweichen. »Sie vergreifen sich im Ton, Mister Renner … Hat der voreilige Mord an Hardy Flander so deprimierend auf Sie gewirkt?«
»Dir Schnüffler werde ich es zeigen.«
»Welch ein Tiefstand von Manieren«, bedauerte Butler Parker und schüttelte betrübt den Kopf.
Doch Walter Renner war nicht gesonnen, sich weitere Lektüren anzuhören. Er machte einen blitzschnellen Ausfall und zog die Messerklinge tückischerweise von unten nach oben.
Butler Parker wich kaum zurück. Entweder war er seiner Sache mehr als sicher, oder aber er unterschätzte die Gefahr.
Walter Renner versuchte es ein zweitesmal.
Diesmal rückte er dem schwarz gekleideten Herrn erheblich näher auf den Leib, doch er erreichte wieder nichts. Butler Parker hatte sich in einen hüpfenden Gummiball verwandelt, der einfach nicht zu treffen war.
»Sie sollten mehr Sport treiben«, sagte Parker zu dem groben Gauner, »Ihre Muskeln sind, wenn ich das in aller Offenheit sagen darf, etwas zu steif.«
Jetzt platzte Renner endgültig der Kragen. Er stürzte sich auf den Butler und hatte den Willen, diesen Mann kurzerhand zu erledigen.
Doch Walter Renner hatte seinen Meister gefunden.
Butler Parker griff zu, fast schien es so, als wolle er die Klinge mit bloßer Hand wegschlagen. Renner brüllte nun plötzlich fürchterlich auf und ließ das Messer fallen. Er trat nach Parker, aber der Butler benutzte dieses schnell ergriffene Bein nur, um Renner wieder auf den harten Boden zu schleudern, ein schneller Ruck am Fuß und Renner war außer Gefecht gesetzt worden.
Butler Parker schaute auf den Ohnmächtigen hinunter, schüttelte fast betrübt den Kopf und hob erst einmal seine Melone auf. Er holte die Kleiderbürste aus der Tasche und wischte damit alle Stäubchen von der Kopfbedeckung. In dieser Hinsicht hielt Parker auf peinliche Sauberkeit. Dann legte er das Klappmesser auf den Tisch und durchsuchte Walter Renner nach irgendwelchen Papieren. Viel fand er nicht, doch er befaßte sich sehr intensiv mit einem Lohnstreifen, der auf Renners Namen ausgestellt war. Dann spielten seine Hände mit einem Glaskorken, wie er zum Verschluß von Arzneiflaschen verwendet wird. Er schnüffelte an dem Korken herum, aber er konnte nichts Außergewöhnliches feststellen. Walter Renner war diesmal schneller zu sich gekommen. Er spielte nur noch den Ohnmächtigen, um Parker in Sicherheit zu wiegen. Er schielte nach dem bronzenen Spucknapf, um ihn vielleicht als Waffe verwenden zu können.
Butler Parker rührte sich auch dann noch nicht, als die Hand Renners langsam auf den Spucknapf vorkroch. Erst als die Finger zugreifen wollten, schleuderte Parker das erbeutete Klappmesser auf Renner. Dicht neben den Fingern bohrte sich die starke Klinge in das Bodenholz. Renner schrie erschreckt auf und rührte sich nicht mehr.
»Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß Sie jetzt aufstehen«, meinte Butler Parker ruhig. »Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß man sich noch einmal wiedersieht. Noch etwas, Mister Renner, richten Sie doch bitte Ihrem Hintermann meine besten
Grüße aus. Er darf versichert sein, daß der Mord an Flander und an dem Neger Zack gesühnt werden wird! Ich hatte seinerzeit einmal die Ehre, für den vierten Earl of Landesworth arbeiten zu dürfen. Der Earl war ein gläubiger Mensch und vertrat die meines Erachtens nach auch richtige Meinung, daß sich alles Unrechte auf der Welt einmal gegen den Urheber wenden wird.«
»Natürlich, natürlich«, stotterte Renner gebrochen.
»Sie können gehen«, meinte Butler Parker.
Walter Renner drehte sich zögernd herum, als traue er diesem schwarzgekleideten Mann nicht über den Weg. Als er die Tür auf zog, rief Parker ihn noch einmal an.
»Mister Renner, finden Sie nicht auch, daß selbst ein Glaskorken mehr als aufschlußreich sein kann?«
Demonstrierend hob Parker den Glaskorken hoch und beobachtete dabei aufmerksam das Gesicht Renners. Der Gauner fluchte verhalten und hätte sich am liebsten erneut auf Parker gestürzt.
»Woher haben Sie das Ding?« fragte er dann heiser.
»Ich fand es in Ihrer Tasche«, antwortete der Butler lächelnd. »Stumme Dinge, lieber Freund, pflegen in der Regel mehr zu reden als laute Menschen. Das ist übrigens von mir!«
Walter Renner donnerte die Tür hinter sich zu und ging sehr laut über die ächzende Treppe nach unten. Parker, der sich ans Fenster gestellt hatte, sah wenig später über das flache Dach des Schuppens einen Jeep, der in Richtung Wech-Lake abfuhr.
Als er nach einer Viertelstunde in die Hotelhalle kam, sah ihn Stimson mehr als erstaunt an. Vielleicht wunderte sich der Inhaber des Restaurants darüber, daß Parker noch lebte, obwohl er doch von Renner besucht worden war.
Parker kümmerte sich nicht um diese Blicke. Er bestellte sich ein ausgiebiges Abendessen, und er hatte sehr viele Wünsche dabei, die er erfüllt wissen wollte. Während Stimson in der Küche war, widmete sich der Butler der Ortszeitung. Es handelte sich um ein wirklich kümmerliches Blatt, das er aber mit großem Interesse bis zur letzten Zeile durchlas.
Stimson servierte ihm das Essen.
Butler Parker hatte an der Art des Auftragens zwar viel auszusetzen, aber er schwieg diesmal. Als er sich dem Pilz-Omelett widmen wollte, erschien Sheriff Longer, breitbeinig, etwas aufgeblasen und sich sehr wichtignehmend.
»Ach, da sind Sie ja!« redete er Parker an, der ergeben die gefüllte Gabel wieder sinken ließ. »Sie, ich muß von Ihnen noch die Unterschrift unter das Protokoll haben.«
»Ich werde nicht versäumen, Ihnen nach dem Abendessen einen Besuch abzustatten«, sagte Butler Parker. Er war sehr höflich.
»Das können wir jetzt schnell erledigen«, sagte Longer.
»Durchaus, aber erst möchte ich doch essen.«
»Nun zieren sie sich bloß nicht«, sagte Longer überredend. Er zerrte Parker mit roher Gewalt vom Stuhl und deutete auf das Schriftstück, das unterschrieben werden sollte. Parker ärgerte sich zwar, aber er unterschrieb.
Als sich Longer umwendete, stieß er gegen den einbeinigen Tisch, auf dem Parkers Essen stand. Es gab einen berstenden Krach, als die Speisen samt Geschirr auf dem Steinboden landeten.
»Das tut mir aber wirklich leid«, bequemte sich Sheriff Longer zu einer Entschuldigung.
»Ihr Mitgefühl erleichtert meinen Schmerz«, erwiderte Butler Parker.
Longer lachte und steckte das Dokument in die Tasche. Dann rief er laut und dröhnend nach einem gewissen Blim, der sich als scheuer Hund entpuppte, der mit eingezogenem Schwanz an den Tisch kam.
»Los, Bim, das ist was für dich«, sagte Longer und deutete auf die Speisen. Der Hund getraute sich zuerst gar nicht, aber dann stürzte er sich förmlich auf die Speisen und schlang sie hinunter.
Butler Parker wollte aufstehen und nach Stimson sehen, aber er blieb plötzlich wie gebannt neben dem umgestürzten Tisch stehen. Auch Sheriff Longer hatte sich auf einen Stuhl gestützt und sah sich den Hund an.
Blim fraß nicht mehr. Er lag bereits auf der Seite, und seine Läufe ruderten zuckend und hilflos in der Luft herum. Das Tier jaulte und stöhnte.
»Gift«, sagte Longer knapp.
»Diesen Eindruck habe ich auch«, erwiderte Butler Parker.
»Hatten Sie schon vor meiner Ankunft einen Bissen gegessen?« fragte Longer.
»Sie hinderten mich daran.«
»So etwas nennt man Glück«, polterte Longer lärmend los. »Wie gut, daß ich unbedingt Ihre Unterschrift noch an diesem Abend haben wollte. Tut mir um Blim leid. Nun sollte er endlich mal was Nettes zu essen bekommen und muß dabei schon sterben.«
»Ich fühle mich Ihnen gegenüber zu Dank verpflichtet«, sagte Butler Parker und sah sich den Sheriff sehr aufmerksam an.
»Aber das war doch ein reiner Zufall«, sagte Longer wegwerfend. »Sie sollten aber Ihre Lehren aus diesem Vorfall ziehen, Mann. Sie sind in Wech-Lake nicht sonderlich willkommen.«
»Weil ich mich um Flander kümmere?«
»Toten können auch Sie nicht mehr helfen.«
»Aber man könnte verhindern, daß weitere Leute sterben müssen«, antwortete Butler Parker. »Ganz zu schweigen davon, daß mir der Mord an sich nicht gefällt. Ich habe etwas gegen Mörder.«
»Das ist Ihr Risiko«, antwortete Longer. »Tja, dann will ich mal nicht länger stören. Sie wollen sicher noch etwas zu sich nehmen … oder?«
Er nickte Parker zu und stampfte aus der Halle. Um den Hund kümmerte er sich überhaupt nicht, auch nicht darum, wieso das Essen hatte vergiftet werden können.
Als Longer gegangen war, erschien Stimson.
Er stutzte, da er den umgestürzten Tisch sah. Als er den inzwischen verendeten Hund erkannte, sah er Parker fragend an.
»Ich fürchte, einer der Pilze muß wohl giftig gewesen sein«, sagte Parker höflich. »Blim verdarb sich daran derart den Magen, daß er starb.«
»Die Pilze waren in Ordnung«, sagte Stimson und schaute Parker fassungslos an.
»Ich zweifle nicht an Ihren Worten«, antwortete Parker höflich, wie er es in jeder Situation war. »Nur Blim dürfte von Ihrer Versicherung wenig haben.«
»Wenn’s Ihnen bei mir nicht paßt, so können Sie ja ausziehen«, sagte Stimson verärgert.
»Ich fühle mich in Ihrem Haus ausgezeichnet«, widersprach Parker würdevoll. »Vielleicht sollte man es diesmal mit einem gebratenen Steak versuchen.«
»Ich bin jetzt ausverkauft«, meinte Stimson. »Wenn Sie essen wollen, müssen Sie rüber in die Bar gehen.«
»Ich bedanke mich für diesen freundlichen Hinweis«, sagte Parker, nahm seine Melone hoch und warf sich geschickt den schwarzen Covercoat über. Dann trippelte er aus der Halle.
Stimson starrte wie gebannt auf die Speisenreste und auf den toten Hund. Ihn schien zu frösteln. Er hob die Schultern und schlurfte wie ein müder, alter Mann hinter die Theke, um sich einen Whisky einzugießen.
Butler Parker stand inzwischen vor der Bar, in der er schon einmal die beiden Spezial-Whisky getrunken hatte. Als er das Lokal betrat, stolperte er über zwei blitzschnell vorgeschobene Beine, die man ihm absichtlich in den Weg gestellt hatte.
Als er haltsuchend nach vorn griff, prallten seine Hände gegen eine harte Männerbrust.
»Ich bitte mein Ungeschick zu entschuldigen«, sagte Parker, als er wieder sicher auf den Beinen stand.
»Sie wollen wohl Krach haben, wie?« erwiderte der Mann vor Parker, und er holte sofort und ohne Warnung zu einem Schlag aus …
*
Es handelte sich um drei Männer, die sich mit Butler Parker befassen wollten.
Es waren ausgemachte Schläger, die man in Wech-Lake fürchtete. Sie glichen Walter Renner in Figur, Brutalität und Dummheit. Sie waren es gewohnt, daß sie sich durchsetzten, und sie hatten fast gemault, als man sie auf einen einzigen Mann ansetzte, der noch dazu einen völlig harmlosen Eindruck machte. Sie hatten sich diesen billigen Trick mit dem Beinstellen ausgedacht, um wenigstens den Anflug eines Grundes zu haben, mit Parker ins Handgemenge zu geraten.
Butler Parker wußte das in dem Moment, als sie sich über ihn hermachen wollten. Er verlor trotzdem nicht die Nerven. Er war es gewohnt, daß man sich mit ihm befaßte. Aber er dachte nicht daran, rohe Gewalt mit roher Gewalt zu beantworten. Nein, Parker setzte die List, die körperliche Gewandtheit, dagegen.
Er bediente sich dabei einiger Judogriffe, die man von den Lehrmeistern dieser Verteidigungskunst erst nach Jahren beigebracht bekommt. Er verlor noch nicht einmal seine schwarze Melone, als er sich der drei Männer annahm, die sich alles so fürchterlich einfach vorgestellt hatten. Butler Parkers Arme und Hände wirbelten blitzschnell herum, und manchmal half er auch etwas mit den Beinen nach. Er schaffte es in genau einer Minute, seine drei Gegner auf die Erde zu zwingen. Er schaffte es so, daß sie sich nicht rührten.
»Ich fürchte, daß ich etwas laut sein mußte«, sagte er zu dem Barkeeper, bevor er sich an einen freien Tisch setzte und die kleine Speisekarte studierte. Um die drei Männer kümmerte er sich nicht weiter, wenigstens wirkte sein Gehabe nach außen hin so.
Die Männer, die sich in der Bar befanden und mit gemischten Gefühlen diesem Auftritt zugesehen hatten, riskierten es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Sie starrten Parker wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an.
»Mich würde ein Steak interessieren«, sagte Parker zu dem Barkeeper. »Achten Sie bitte darauf, daß es nur leicht angebraten ist … Auf Pilze möchte ich verzichten, mir genügen diesmal einige Zwiebelringe …!«
Butler Parker holte ein Notizbuch aus dem Covercoat, den er über eine Stuhllehne gehängt hatte und begann darin herumzukritzeln. Er notierte sich die bisher gehörten Namen, die mit dem Fall im Zusammenhang standen und sah auch dann nicht auf, als die drei niedergezwungenen Männer sich langsam erhoben und miteinander tuschelten.
Alles in der Bar wartete auf eine Fortsetzung der Auseinandersetzung.
Parker hingegen nickte nur zufrieden, als ihm das Steak serviert wurde. Ohne Argwohn und Mißtrauen machte er sich über den Teller her, das heißt, er aß mit der Würde eines Gentleman, der seine Bewegungen unter Kontrolle hält.
Die drei Männer schienen zu einem Entschluß gekommen zu sein. Einer von ihnen verließ die Bar, die beiden anderen näherten sich langsam dem Tisch, an dem Parker saß.
»He, Sie da …!«
»Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie mich meinen«, gab der Butler freundlich zurück. Das Steak war ausgezeichnet, und Parker erfreute sich seines Daseins.
»Sie wissen schon verdammt genau, daß ich Sie meine«, antwortete dieser stämmige Mann und baute sich breitbeinig vor dem Tisch auf. »Ich gebe Ihnen den guten Rat, so schnell wie möglich zu verschwinden.«
»Ich danke Ihnen für diesen freundlichen Rat.«
Der Mann hatte so etwas noch nicht erlebt. Er scharrte wie ein Huhn mit den Beinen auf dem Boden herum und setzte sich wieder ab. An der Bartheke nahm er erst einmal einen Drink, um sich von seinen Erlebnissen zu erholen.
Butler Parker verfügte über einen gut ausgeprägten Instinkt. Er fühlte es förmlich, daß ihm die Sympathien vieler Anwesender entgegenflogen. Man hatte diesen drei Rowdys die Abfuhr gegönnt. Es war sicher, daß mancher hier aus Wech-Lake etwas über gewisse Dinge wußte; aber man hütete sich durch die Bank, auch nur ein Wörtchen darüber zu sagen. Wie brutal gewisse Leute vorgingen, hatten die beiden Morde ja bereits hinlänglich bewiesen.
Nachdem Butler Parker sich gestärkt hatte, setzte er einen seiner schwarzen Torpedos in Brand. Mit einigem Erstaunen nahm er zur Kenntnis, daß die Tische in seiner unmittelbaren Nähe schleunigst geräumt wurden. Ein leichtes Hüsteln machte sich breit. Parker roch an der Zigarre, aber er fand sie ausgezeichnet. Sicher, sie war ein wenig stark, aber das beeinträchtigte doch gar nicht das Aroma.
Als er gezahlt hatte, verließ er die Bar.
Kaum hatte er die Pendeltür hinter sich zufallen lassen, als er sich auch sofort zu Boden fallen ließ. Im gleichen Moment bellten zwei Schüsse auf, die knapp über seinen Kopf in die Tür zischten. Diesmal ließ Parker die Schüsse nicht unbeantwortet.
Wie durch Zauberei lag eine schwere Magnum in seiner Hand, eine automatische Waffe mit einem überlangen Lauf, die speziell zur Überbrückung von weiten Entfernungen konstruiert worden war. Parker schoß nur einmal zurück, und sein Ziel war ein Mündungsfeuer, das er auf der anderen Straßenseite gesehen hatte.
Er traf.
Ein gellender Schrei ertönte, dann waren hastige Schritte zu hören.
Parker wartete nicht auf das Erscheinen der neugierigen Gäste, sondern er tauchte tiefer in die Dunkelheit hinein und steckte die Magnum zurück in seine Manteltasche.
Erstaunlich, wie schnell er gewissen Leuten bereits auf die Nerven gegangen war. Sie begnügten sich nicht mehr damit, ein Bein zu stellen, nein, sie schossen bereits auf ihn. Parker war entschlossen, sich zu stellen. Er hatte keine Angst.
Trotzdem war er alles andere als leichtsinnig.
Er hielt sich betont im Schatten der Häuser und paßte auf, daß er kein weiteres Ziel bot. Er bewegte sich mit der Gewandtheit einer Katze und man hörte keinen Laut. Erst als er den freien Platz vor der kleinen Kirche erreicht hatte, entspannte er sich etwas.
Er öffnete ein Etui, in das er die Zigarre gelegt hatte. Sie brannte noch, und Parker konnte sich wieder dem Genuß seines schwarzen Torpedos hingeben. Er überlegte, ob er schon jetzt in das Haus des Arztes eindringen sollte.
Nein, er hielt es für richtiger, sich erst einmal mit der Witwe Anderson zu unterhalten. Vielleicht erfuhr er von dieser Dame einige wichtige Einzelheiten über Doktor Flander.
Parker wußte, wo das Haus der Witwe zu finden war.
Er legte mit einigem Bedauern die Zigarre zurück in das Etui und näherte sich auf Umwegen dem bewußten Haus, dessen Erdgeschoßfenster hell erleuchtet waren. Parker vergewisserte sich erst einmal genau, daß ihm niemand auf den Fersen war. Als er sicher war, klopfte er an die Tür.
Wenig später öffnete ihm eine junge Dame, die Parkers Schätzung nach knapp achtzehn Jahre alt sein mochte. Sie war mittelgroß, schlank und zeigte ein apartes Gesicht. Ihr Haar war pechschwarz wie schimmernder Lack.
»Mein Name ist Parker«, stellte sich der Butler vor und verbeugte sich elegant. »Läßt es sich einrichten, daß ich trotz der späten Stunde Mrs. Anderson sprechen kann?«
»Sie sind Parker?« gab das Mädchen erstaunt zurück. »Aber bitte, kommen Sie doch herein.«
»Ich werde nicht lange stören«, versprach Parker und zog die Tür hinter sich zu. Das junge Mädchen, das sich als die Tochter der Mrs. Anderson vorstellte, führte Parker in den gemütlich eingerichteten Wohnraum, in dem sich ihre Mutter aufhielt.
»Mam … Mister Parker besucht uns«, sagte das junge Mädchen.
»Ich wußte genau, daß Sie früher oder später zu mir kommen würden«, antwortete die Witwe, eine hochgewachsene, ein wenig knochig wirkende Frau, deren Augen tränengerötet waren.
»Dann darf ich annehmen, daß ich nicht störe?« erkundigte sich der Butler.
»Nehmen Sie immerhin Platz«, sagte die Witwe.
»Haben Sie etwas dagegen, daß ich erst einmal die Vorhänge zuziehe?« fragte Parker, ohne aber auf eine Antwort zu warten. Geschickt und schnell sorgte er dafür, daß man nicht mehr in die Stube sehen konnte. Witwe Anderson und Parker sahen sich an. Diesmal eröffnete der Butler nicht das Gespräch. Er hatte seine bestimmten Gründe dafür.
»Vera …«, bat die Frau ihre Tochter, »beschäftige dich doch etwas in der Küche, willst du?«
»Aber ja, Mam …!«
Vera verließ die Wohnstube und schloß die Tür sehr nachdrücklich hinter sich.
»Was also wollen Sie?« fragte Mrs. Anderson, als sie mit Parker allein war.
»Sie hatten mit meinem Besuch gerechnet?«
»Nun ja …«, erwiderte die knochige Frau zögernd. »Ich habe mir erzählen lassen, daß sie Doc Flander besuchen wollten. Da er ermordet wurde, mußten Sie wohl früher oder später zu mir kommen, um etwas über Flander zu erfahren.«
»Hat man Sie schon informiert, Mrs. Anderson, daß der Neger Zack heute ermordet wurde?«
Parker hatte diese Reaktion nicht erwartet.
Die Frau sprang aus ihrem Korbsessel auf und preßte die zu Fäusten geballten Hände vor den Mund. Sie sah Parker aus schreckgeweiteten Augen an.
»Was sagen Sie da?«
»Zack wurde in seiner Hütte erschlagen«, erwiderte Parker fast roh. »Wundert Sie das?«
»Ich … ich … weiß nicht«, sagte die Witwe mit tonloser Stimme. »Was wollen Sie denn nun von mir?«
»Nichts weiter als einige Angaben«, antwortete der Butler. »Warum hat man Doktor Flander ermordet? Wem konnte er gefährlich werden?«
»Da überfragen Sie mich«, sagte die Witwe und schüttelte sehr energisch den Kopf.
»Hat Doktor Flander nie mit Ihnen über seine Sorgen gesprochen?«
»Er hatte keine Sorgen.«
»Wurde er nie bedroht, Mrs. Anderson, so bedroht, wie man es jetzt Ihnen gegenüber aufgezogen hat?«
»Ich werde nicht bedroht«, sagte die Witwe, und ihr Gesicht nahm einen seltsam starren Ausdruck an. »Ich glaube, Mister Parker, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben. Ich bin müde und habe Kopfschmerzen.«
»Ich werde selbstverständlich sofort aufbrechen und gehen«, sagte Parker und erhob sich höflich. »Sollten Sie irgendwelche Sorgen haben, Mrs. Anderson, dann erreichen Sie mich in Stimsons Hotel. Ich rate Ihnen aber ehrlichen Herzens, nicht zu lange zu warten. Denken Sie an Zack!«
Butler Parker verbeugte sich und ging zurück in den Korridor. Vera, die Tochter der Witwe, stand vor der Haustür.
»Mister Parker«, flüsterte sie ihm nun hastig zu, »ich muß Sie unbedingt sprechen.«
»Wann?« fragte Parker, der sich auch sehr knapp ausdrücken konnte.
»In einer halben Stunde. Oh, meine Mutter …«
Die Witwe war ebenfalls in den Korridor gekommen und schickte ihre Tochter Vera mit einer herrischen Geste zurück in die Wohnstube.
Parker lüftete noch einmal seine Melone und betrat die Straße. Leider hatte er sich mit Miss Vera nicht verabreden können; aber er beschloß, das schnell nachzuholen. Sie hatte ihm bestimmt etwas Wichtiges zu sagen, hatte auch vor allen Dingen Mut, gewisse Dinge beim Namen zu nennen.
Parker hielt es für richtig, erst einmal in sein Zimmer zu gehen und bis gegen Mitternacht zu warten. Dann wollte er sich im Haus des Doktor Flander einmal richtig umsehen. Er traute Sheriff Longer nicht allzuviel Fachkenntnis zu, das heißt, in diesem Punkt war Parker nicht so ganz sicher, Longer spielte eine Doppelrolle, das glaubte Parker bereits herausgefunden zu haben.
Stimsons Restaurant litt wieder unter chronischem Gästemangel. Parker ließ sich seinen Zimmerschlüssel geben und ging nach oben in den ersten Stock.
Er untersuchte einen schwarzen Zwirnsfaden, der geschickt angebracht worden war und ihm verraten sollte, ob man in der Zwischenzeit sein Zimmer betreten hatte.
Parker fand den Faden unversehrt und öffnete die Tür. Er hatte allerdings übersehen, daß beide Zimmerfenster auf das Flachdach hinausführten. Erst als sich ihm zwei Pistolenläufe in den Rücken bohrten, wurde er sich dieser Nachlässigkeit bewußt.
»Diesmal entwischt du uns nicht«, sagte eine etwas singende Stimme. »Komm schon, du schwarzer Rabe, wir haben etwas Nettes für dich eingefädelt!«
*
Butler Parker erhielt einen Schlag auf den Kopf, der aber durch die steife Melone gemildert wurde. Trotzdem reichte es aus, ihn ohnmächtig werden zu lassen.
Als Parker wieder zu sich kam, fand er sich in einem Jeep. Er saß auf dem schmalen Rücksitz, eingeklemmt zwischen zwei Männern, die scharf auf ihn aufpaßten. Parker hielt es für richtig, weiter den Besinnungslosen zu spielen. Durch den Vorhang seiner Wimpern beobachtete er allerdings, welchen Weg der Jeep nahm. Parker unterschied linker Hand einen hohen Tannenwald, sah rechts der Straße die Silberplatte des Sees, der vom Mond angestrahlt wurde.
Später kletterte die geschotterte Straße eine Anhöhe empor und verlief in schlangenartigen Windungen durch ein Geröllfeld. Der Jeep bog scharf rechts ab und hielt dann in einem kleinen Talkessel.
Die beiden Männer schleiften Parker aus dem Wagen und zerrten ihn sehr roh auf eine Baumgruppe zu. Lachend hatten sie ihm die Melone auf den Kopf gedrückt, damit sie unterwegs nicht verlorenging. Parker ließ alles mit sich geschehen. Sein Gefühl sagte ihm, daß er so der Lösung des Rätsels erheblich näher kommen würde.
Als die Baumgruppe erreicht worden war, ließ man den Butler unsanft zu Boden fallen. Die beiden Träger bauten sich seitlich von ihm auf und spielten mit ihren Waffen. Sie hatten offensichtlich Anweisung, vorerst nichts gegen den Butler zu unternehmen.
Parker begann sich zu rühren. Er wollte die Männer nicht mißtrauisch werden lassen. Er griff sich an den Kopf und ließ dann seine Arme hilflos hinuntersinken. Bei der Gelegenheit stellte er fest, daß man nur die normalen Manteltaschen geleert hatte, die anderen Behälter seines Zaubermantels hatte man glatt übersehen. Wer konnte denn auch schon ahnen, daß dieser Mantel nichts anderes war als ein tragbarer Schrank aus Stoff, in dem eine Menge verschiedenster Artikel untergebracht werden konnte …
»Na, du Rabe, wie ist dir dieser Ausflug bekommen?« fragte eine Parker bekannte Stimme. Er hob den Kopf und erkannte Walter Renner, der den Jeep gefahren hatte.
»Ich muß gestehen, daß ich schon besser behandelt worden bin«, sagte Parker betont langsam, »aber der selige Lord Ramscorn war immer der Meinung, daß man auch im Unglück nicht klagen solle. Er hatte sich seinerzeit in den Goldminenaktien der Rubberford verspekuliert und büßte dabei einen beträchtlichen Teil seines Vermögens ein.«
»Der Kerl ist nicht mehr normal«, sagte einer der Bewacher auflachend.
»Und wie der Bursche normal ist«, warnte Walter Renner. »Der hat’s faustdick hinter den Ohren. Paßt scharf auf ihn auf! Bei der geringsten falschen Bewegung könnt ihr ihn fertigmachen.«
»Wann will der Chef kommen?«
»Halt bloß den Mund, Joe«, brüllte Walter Renner los.
»Ich hab’ ja nur gefragt«, erwiderte Joe, der rechts von Parker stand, »du machst dir ja fast in die Hosen vor diesem Knilch!«
»Ich weiß auch warum.«
»Moment mal, ich glaube, der Chef kommt«, mischte sich der dritte Mann in die leicht gereizte Unterhaltung ein.
Er hatte lauschend den Kopf erhoben und sich etwas von Parker abgewendet. Tatsächlich, auch Parker hörte das Näherkommen eines Wagens. Er sollte endlich Gelegenheit haben, den Chef zu sehen, der die beiden Morde befohlen hatte. Parker wußte aber auch im gleichen Moment, daß seine Beseitigung eine beschlossene Sache war. Wahrscheinlich wollte man ihn erst einmal verhören und anschließend umbringen.
Das Geräusch des Wagens wurde lauter, und schließlich hielt ein grauer Ford vor der Baumgruppe. Eine Wagentür wurde aufgeklinkt, und Schritte näherten sich.
»Alles geklappt?« fragte eine heisere Stimme, die verzerrt klang. Eine große Gestalt in einem weit fallenden Mantel trat an die Männer heran.
»Alles hingehauen, Chef«, antwortete Walter Renner. »Er sackte zusammen wie ein gefällter Baum!«
Der sagenhafte Boß trat weiter vor. Doch zu Parkers Enttäuschung trug dieser Mann die Spitzenkapuze, wie man sie beim Ku-Klux-Klan unten im Süden findet. Nur für die Augen waren zwei schmale Schlitze in den deckenden Stoff geschnitten worden.
»Parker, Sie haben eine einzige Chance, mit einigermaßen heiler Haut davonzukommen«, wendete sich der Boß an den Butler. »Nennen Sie uns Ihren Auftraggeber und sagen Sie uns, was Flander Ihnen bereits am Telefon hat erzählen können!«
»Sie verwirren mich«, erwiderte Parker.
»Dann kommen Sie möglichst schnell wieder zu sich«, sagte der Mann ungeduldig. »Viel Zeit habe ich nicht. Also heraus mit der Sprache. Was hat Flander Ihnen erzählt?«
»Hätte er denn etwas erzählen können?« gab Parker zurück. »Er wurde doch erschossen, bevor er reden konnte.«
»Er hatte sich doch telefonisch bei Ihrem Mike Rander angekündigt, war es nicht so?«
»Ich muß Sie leider wiederum enttäuschen«, antwortete Butler Parker. »Ich hatte nicht die Ehre, einen telefonischen Anruf des Doktor Flanders entgegennehmen zu können!«
»Soll ich dir mal richtig einheizen lassen?« fragte der Boß.
»Nun, ich will zugeben, daß Flander nicht sofort verschied«, bluffte Parker in einem Ton, als stünde er sehr unter Druck.
»Wie, er war nicht sofort tot? Renner, du hast mir doch gesagt, daß er sofort …«
»Chef, dieser schwarze Vogel lügt, er war sofort tot!«
»Sie irren, Mister Renner«, schaltete sich Butler Parker schnell ein, »Sie litten wahrscheinlich noch unter den Einwirkungen gewisser Schläge, die Ihnen beizubringen ich das besondere Vergnügen hatte. Mister Flander verschied erst eine Viertelstunde nach dem Überfall.«
»Was hat er gesagt?«
»Nun, er gedachte selbstverständlich seiner Mörder!«
»Er empfahl Mister Rander und mir, nach Wech-Lake zu fahren. Er war der, wie ich gesehen habe, durchaus richtigen Meinung, seine Mörder wohnten in Wech-Lake.«
»Sprach er von der Aktentasche?«
»Er redete von Beweismaterial und von Mister Renner!«
»Von Renner?«
Parker hatte längst gemerkt, daß der Stern Renners am Sinken war. Er hieb in diese Kerbe, um sich erst einmal etwas Luft zu verschaffen. Er war sehr daran interessiert, Zwietracht zwischen dem maskierten Boß und Renner zu säen.
»Mister Flander gab der Meinung Ausdruck, daß Mister Renner früher oder später Umfallen würde, wie er sich, genau gesagt, ausdrückte. Was er im einzelnen damit meinte, kann ich nur ahnen!«
»Dieser schwarze Rabe lügt uns den Buckel voll«, mischte sich Renner wütend ein. »Flander war sofort tot. Darauf leiste ich jeden Eid. Joe, du warst doch dabei, war er nicht sofort tot?«
»Keine Ahnung, ich habe nur nach der Tasche gesehen«, antwortete Joe vorsichtig.
»Über diesen Fall werden wir uns später unterhalten«, sagte der maskierte Boß drohend zu Renner. »Parker, was haben Rander und Sie der Polizei auf die Nase gebunden! Ich weiß, daß ihr beide gern eure eigene Suppe kocht.«
»Wir haben, wie es sich für einen verantwortungsvollen Staatsbürger gehört, der Polizei Rede und Antwort gestanden«, erklärte Butler Parker würdevoll.
»Wo hält sich Rander augenblicklich auf?«
»Mister Rander hat geschäftlich in der Stadt zu tun.«
»Reden Sie bloß keinen Unsinn«, sagte der Boß wütend. »Randers Wohnung ist leer, er selbst aus der Stadt verschwunden. Wo steckt Rander?«
Butler Parker vernahm mit Freude, daß sein Herr und Meister Rander sich dem Zugriff der Gangster entzogen hatte. Er konnte sich ungefähr vorstellen, was der Anwalt Rander plante.
»Ich warte auf die Antwort«, sagte der Maskierte.
»Vielleicht steht Mister Rander in diesem Moment bereits hinter Ihnen«, erwiderte Parker.
Der Boß, Renner und Joe fielen auf diesen Trick herein. Der vierte Gangster handelte selbstverständlich nicht anders und wendete den Kopf herum.
Diesen Moment der Verwirrung nutzte der Butler geschickt für sich aus. Er rollte sich blitzschnell hinter einen Strauch, hechtete wie ein erschreckter Frosch weiter in die Dunkelheit und entging so drei Schüssen, die speziell für ihn gedacht waren.
»Sucht diesen Hund!« rief der Boß drohend. »Los, macht ihn fertig! Und dann rein mit ihm in den See! Er darf uns nicht entwischen!«
Butler Parker verwandelte sich in einen Indianer. Er war nicht daran interessiert, in den See geworfen zu werden. Er schlich sich unhörbar an den parkenden Ford heran, um den Boß demaskieren zu können. Da er einen scharfen Winkel eingeschlagen hatte, konnte er die Suchenden erst einmal an sich vorbeilaufen lassen. Doch der maskierte Boß hatte sich bereits abgesetzt. Die Scheinwerfer des Wagens flammten auf, der Motor sprang an, und im Rückwärtsgang setzt sich der Mann von der Baumgruppe ab. Unterhalb des Felsens wendete er den Wagen und ließ nur noch die Schlußlichter sehen.
Parker fand es für an der Zeit, sich ebenfalls abzusetzen. Er lief geduckt zu den Felsen hinüber und mußte dabei gesehen worden sein. Zwei Schüsse blitzten auf und zischten dicht an seinem Körper vorbei in die Dunkelheit. Sie trafen auf den Felsen und zwitscherten als Querschläger unkontrolliert zurück.
Parker griff in die unergründlichen Taschen seines schwarzen Covercoats und holte einen kleinen, kurzläufigen Bulldoggrevolver hervor. Er entsicherte ihn und wartete auf seine Chance. Doch die Gegenseite hatte das Feuer eingestellt. Man wollte erst dann schießen, wenn echte Aussicht auf Erfolg bestand.
Parker übertrieb nichts.
Er kannte sich im Gelände nicht aus, mußte also Sorge tragen, daß er sich in Sicherheit brachte. Geschickt arbeite er sich wieder an die Baumgruppe heran, weil seiner Schätzung nach dort kein Gangster mehr sein konnte.
Seine Rechnung ging auf.
Die drei Männer hatten sich verteilt und suchten das Gelände ab. Parker befand sich jetzt hinter ihnen und durfte sich relativ sicher fühlen. Er ging noch etwas weiter und stand dann an einem Steilufer, das jäh und senkrecht zum See hinabfiel.
Parker handelte sofort.
Er wuchtete einen dicken Stein hoch, hob ihn über den Kopf und stieß einen gellenden Schrei aus, der nach Panik, Angst, Entsetzen und Überraschung klang. Gleichzeitig schleuderte er den dicken Stein hinunter ins Wasser.
Die umgebenden Berghügel gaben das Echo des Schreis zurück, dann landete der Stein klatschend im Wasser, auch mit darauffolgendem Echo. Parker lief geduckt seitlich vom Wasser weg und setzte sich unter einen Strauch. Er fühlte, daß alles wieder einmal überstanden war. Er bedauerte es nur, daß er keine Zigarre anzünden konnte.
Schritte näherten sich schnell.
Die drei Gangster versammelten sich an dem Steilhang und redeten sehr laut miteinander. Sie diskutierten über den Schrei und das immer noch erregte Wasser, das seine Kreise zog. Sie kamen sehr schnell zu der Auffassung, daß dieser schwarze Rabe, wie sie sich ausdrückten, abgerutscht und ins Wasser gefallen sei.
»Der is hin«, sagte der Fahrer des Jeeps.
»Denkste«, erwiderte Renner, »dieser Bursche hat hundert Leben und ist zäher als eine Katze … Ich wette, er paddelt da unten munter im Wasser herum … Sein ganzes Auftreten ist doch nichts als Mache … Der steckt sogar unseren Boß in die Tasche.«
»Das laß ihn besser nicht hören«, warnte Joe. »Der Chef ist sehr empfindlich.«
»Wenn schon … wir dürfen auf jeden Fall alle Suppen auslöffeln, die er uns einbrockt …«
»Wer mag wohl hinter der Maske stecken?« fragte der Fahrer des Jeeps in einem Anfall von Nachdenklichkeit.
»Ich weiß, was gespielt wird«, prahlte Renner.
»Ausgerechnet du«, stichelte Joe.
»Wetten, daß ich weiß, wer der Chef in Wirklichkeit ist?«
»Ich will dich nicht schröpfen«, antwortete Joe auflachend, »du nimmst doch bloß wieder den Mund voll …«
»Möglich, aber los, wir müssen nach diesem Raben suchen«, antwortete Renner.
»Sollen wir ihm etwa nachspringen?« gab Joe zurück.
»Unsinn, wir nehmen den Jeep und fahren runter ans seichte Ufer, wo er bestimmt rauskommen wird, falls er wirklich noch lebt.«
Butler Parker hatte sich inzwischen erhoben und handelte, während die drei Gangster noch miteinander redeten. Er wieselte zum Jeep zurück, betätigte den Anlasser und fuhr gemächlich zurück nach Wech-Lake. Er war der Meinung, daß ihm diese Art der Beförderung nach den aufregenden Minuten durchaus zustand …
*
Parker nutzte den Vorsprung. Er fuhr in seiner bewährten und bekannten Art zurück nach Wech-Lake, daß die Funken nur so stoben.
Der Butler holte aus dem starken Motor alles heraus. Nach knapp einer Viertelstunde stieg er entspannt und mit sich selbst zufrieden aus dem Jeep und ließ ihn neben dem Haus des Sheriffs stehen. Er näherte sich der Wohnung des ermordeten Doktor Flanders von der Rückseite her. Er beherzigte alle Regeln der Vorsicht, bevor er sich mit der Küchentür befaßte, die in den Hof hinausführte. Parker holte ein schmales Etui aus einer seiner Taschen und manipulierte mit einem sanft blinkenden Gegenstand etwa zehn Sekunden an dem Türschloß herum. Dann gab das Schloß nach, und Parker trat ein.
Er brauchte keine Taschenlampe zu verwenden, denn der Mond gab hinreichend Licht. Parker orientierte sich erst einmal und hielt sich dann längere Zeit im Ordinationsraum des Arztes auf.
Er interessierte sich für den reichhaltig gefüllten Arzneischrank, las mit Andacht die lateinischen Namen und stellte sich dann vor das Bücherregal. Parker blätterte in einigen Bänden, nickte mehrmals und warf dann nur einen gleichgültigen Blick auf den Schreibtisch. Er hielt es für sinnlos, ihn zu durchsuchen. Das hatten andere Leute bestimmt schon vor ihm getan.
Der Butler begnügte sich aber nicht mit den Wohnräumen, er kletterte auf den Dachboden des Hauses, fand dort aber nur verstaubtes Gerümpel, das ihm keinen Aufschluß geben konnte. Die Kellerräume waren wesentlich interessanter. Doktor Flander war ein ordentlicher Mann gewesen. Auf Lattenregalen standen viele geleerte Arzneiflaschen und noch nicht gefüllte Konservendosen.
Parker wollte zurück nach oben, als er ein dumpfes Geräusch hörte.
Er sah zur Treppe hinüber und verbarg sich geschickt hinter einer großen Tonne. Doch kein Mensch dachte daran, ihn im Keller zu besuchen, obwohl im Haus deutlich Schritte zu hören waren.
Parker aber wollte wieder einmal die Initiative übernehmen. Er schlich sich vorsichtig über die Steinstufen nach oben und öffnete die Kellertür. Im gleichen Moment fiel die Küchentür sanft ins Schloß, und schnelle Schritte waren im Hof zu hören.
Parker stellte sich ans Fenster und nickte nachdenklich. Er hatte die Witwe Anderson erkannt, die schnell in der Dunkelheit verschwand. Wonach mochte die Frau gesucht haben? Wußte der Sheriff, daß sie einen Schlüssel zur Küchentür besaß? Parker hatte nämlich aus Gründen der Sicherheit die Tür hinter sich geschlossen.
Der Butler dachte nach diesem rätselhaften Intermezzo nicht mehr daran, weiter im Haus herumzusuchen. Er hatte bestimmte Spuren ausfindig gemacht, die ihm weiterhelfen konnten.
Parker zündete sich draußen in der freien Natur mit sichtlichem Genuß eine Zigarre an und schlenderte gemächlich zurück zu Stimsons Hotel. Schon nach wenigen Schritten aber merkte er, daß er verfolgt wurde. Kurzerhand verbarg er sich hinter einer Hausecke und ließ den Verfolger näherkommen. Zu seiner Überraschung entpuppte sich dieser als Vera Anderson, die Tochter der Witwe. Das junge Mädchen erschrak fürchterlich, als Parker so plötzlich vor ihr stand.
»Clive …?« rief sie Parker fragend an.
»Es tut mir leid, Ihnen nicht mit Clive dienen zu können«, entschuldigte sich Parker. »Meinten Sie Clive Tesday?«
»Nein, Clive Blander«, erwiderte sie auch prompt und sich so verratend. »Mister Parker, ich muß Sie unbedingt sprechen.«
»Werde ich Sie auch nicht in Verruf bringen?« fragte Parker. »Ein junges Mädchen, zusammen mit einem fast alten Mann, nachts auf der Straße … Ich weiß nicht, ich weiß nicht …!«
»Mister Parker, Sie müssen meiner Mutter und mir helfen.«
»Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen … Aber wollen wir nicht besser weitergehen, dort hinüber zur Tankstelle …?«
»Mir ist schon alles gleichgültig«, seufzte das Mädchen auf. »Wenn Sie wüßten, Mister Parker, was ich bereits durchgemacht habe.«
»Stört Sie meine Zigarre?« fragte Parker, als Vera Anderson zu hüsteln begann.
»Ein wenig«, gab sie ehrlich zu.
»Ich werde sie solange verbannen«, meinte Parker und steckte sie zurück in das Etui. Er hielt dem Mädchen galant den Arm, und sie hing sich bei ihm ein. Ohne ins Licht der Straßenbeleuchtung zu treten, führte Butler Parker dann das junge Mädchen hinter die Tankstelle, wo sie sich ungestört unterhalten konnten.
»Ihre Mutter wird von Renner unter Druck gesetzt, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das, Mister Parker?«
Sie sah ihn erstaunt und erschreckt an und senkte dann verlegen den Kopf.
»Ich bin hier, um den Mord an Doktor Flander aufzuklären«, redete Butler Parker weiter. »Ich darf Ihnen versichern, Miss Anderson, daß ich auf der Seite des Rechts stehe. Warum bedroht man Ihre Mutter und Sie! Weil sie mit Doktor Flander so gut bekannt war?«
»Das ist tatsächlich der Grund«, antwortete das Mädchen. »Mutter führte dem Doktor die Wirtschaft und half ihm auch manchmal bei seinen Versuchen.«
»Das setzt doch einige Fachkenntnisse voraus?«
»Mammy war früher einmal Krankenschwester, genauer gesagt, sie arbeitete in Chikago zuerst als Laborantin, später dann als Operationsschwester …«
»Das erklärt manches«, sagte Parker zufrieden, »aber ich kenne noch immer nicht den Grund, warum man Ihre Mutter deshalb bedroht.«
»Den wahren Grund kenne ich auch nicht«, sagte Vera Anderson. »Ich hänge sehr an Mutter, obwohl ich nur ihr Adoptivkind bin … Sie ist sehr gut zu mir … Aber seit dem Tod des Doktors, Mister Parker, kommt meine Mutter fast um vor Angst …«
»Wen fürchtet sie denn …?«
»Renner … und die anderen … die immer mit ihm zusammen sind.«
»Hatte Renner irgend etwas mit Flander …? Oder war Flander hinter irgendein Verbrechen Renners gekommen?«
»Ich denke ja …«, sagte Vera Anderson. »Beweisen kann ich’s natürlich nicht, aber ich habe dieses Gefühl, verstehen Sie das? Doktor Flander wollte in die Stadt fahren, um endgültig reinen Tisch zu machen, wie er sich ausdrückte.«
»Und wann traf er diese Feststellung?«
»Genau einen Tag vor seiner Ermordung.«
»Was tat Ihre Mutter?«
»Sie warnte ihn, weinte und beschwor ihn, doch hier in Wech-Lake zu bleiben …!«
»Was geschah nach Flanders Ermordung?«
»Renner erschien in unserem Haus und benahm sich sehr unflätig. Er bedrohte ganz offen meine Mutter und sagte ihr, sie solle besser den Mund halten.«
»Tat dieser Flegel das in Ihrer Gegenwart?«
»Ich … lauschte an der Tür … Ich tue das sonst nie, Mister Parker, das dürfen Sie mir glauben.«
»Ich kenne diese Vorführungen«, gestand Butler Parker und lächelte sogar. »Machen Sie sich deswegen nur keine Sorgen, Miss Anderson. Eine Frage … Sie ahnen nicht, um was es bei diesem reinen Tisch ging?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Mister Parker … Ich habe nur die eine Bitte, daß Sie meine Mutter beschützen … Vielleicht wird sie Ihnen eines Tages alles sagen, was sie weiß …«
»Sie können sich darauf verlassen, daß ich alles tun werde, was in meiner Macht steht«, sagte der Butler sehr ernst. »Haben Sie sich wegen Ihrer Mutter schon an den Sheriff gewandt?«
»Longer … Oh, der rührt sich doch nicht. Er trinkt viel zu gern … Hinzu kommt, daß er doch von Clive Blander gestützt wird.«
»Wer ist dieser Clive Blander …?«
»Der ungekrönte König von Wech-Lake«, erwiderte Vera Anderson bitter. »Sein Wort gilt überall …«
»Womit verdient er sein Geld?«
»Er besitzt den Store hier im Ort, dann verschiedene Filialen in anderen Orten und unterhält außerdem einen Transportdienst …
Er hat die Autovertretung, arbeitet als Viehhändler und baut zur Zeit eine Konservenfabrik.«
»Sind Renner und die übrigen bei ihm beschäftigt?«
»Natürlich … wer Geld verdienen will, muß für Blander arbeiten, das ist hier nun einmal so …«
»Hank Nebbel scheint diesen Blander nicht besonders gut ausstehen zu können, nicht wahr?«
»Sie hassen sich«, antwortete das Mädchen unbefangen. »Bevor Blander hier erschien, hatte Nebbel das Heft in der Hand. Er wurde aber schrittweise zurückgedrängt … Im Grunde fürchtet er sich vor Blander.«
»Waren Blander und Doktor Flander miteinander bekannt?«
»Der Doktor war der Vertrauensarzt des Unternehmens«, antwortete das junge Mädchen.
»Auf welcher Seite steht Stimson, der Restaurantinhaber?«
»Auf keiner Seite«, sagte Vera Anderson. »Er will nur seine Ruhe haben … Er lebt von den Sportanglern, sonst versucht er sich so gerade über Wasser zu halten … Lange wird es nicht mehr mit ihm gutgehen. Blander plant ein Hotel unten am See …«
»Clive Blander scheint ein sehr energischer Herr zu sein.«
»Brutal und gemein ist er …!«
»Darf ich indiskret sein und fragen?«
»Ich weiß schon, worauf Sie abzielen, Mister Parker … Sie wollen alles wissen … Clive Blander ist hinter mir her. Er verfolgt mich mit seinen Anträgen und möchte, daß ich als seine Sekretärin arbeite. Ich weiß aber sehr genau, was er wirklich will …«
»Wie versteht sich Ihre Mutter mit Blander …?«
»Sie redet mir zu, Clive zu nehmen«, sagte das Mädchen und begann zu weinen. »Sicher, Mammy meint es sicherlich gut mit mir, aber ich liebe nun mal Frank Norts …«
»Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»Nun ja, er ist nicht gerade bedeutend … aber ein feiner und ehrlicher Junge.«
»Wo arbeitet er?«
»Er hat eine Autowerkstatt an der Hauptstraße. Er ist sehr tüchtig. Er nimmt an einem Fernkurs teil und will seinen Ingenieur machen.«
»Wünschen wir ihm doch viel Glück«, sagte Butler Parker. »Und jetzt werde ich mir erlauben, Sie nach Hause zu bringen, Miss Anderson … Ach, da fällt mir ein, welche Arbeit tat Zack eigentlich für Doktor Flander?«
»Er war so Mädchen für alles, er arbeitete schon seit Jahren für den Doktor …«
Butler Parker verbiß sich alle weiteren Fragen und brachte das junge Mädchen zurück nach Hause. Er achtete darauf, daß sie möglichst nicht gesehen werden konnten.
»Mister Parker, sagen Sie Mammy nicht, daß ich mit Ihnen über alles geredet habe«, bat sie vor dem Haus. »Mammy könnte es mißverstehen.«
»Sie können sich vollständig auf mich verlassen«, antwortete Butler Parker, lüftete seine Melone und war bald darauf in der Dunkelheit verschwunden.
Er holte sich die angerauchte Zigarre aus dem Etui und entzündete sie wieder. Genießerisch paffte er vor sich hin, während sich seine Gedanken kritisch mit dem Gehörten auseinandersetzten. Er durfte mit diesem Abend mehr als zufrieden sein und wunderte sich nur, wie ihn die kleine Anderson hatte ausfindig machen können. War sie zusammen mit ihrer Mutter in Flanders Haus gewesen? Hatte sie die Mutter verfolgt und ihn, Parker, anschließend beim Verlassen des Hauses gesehen.?
Butler Parker schlenderte über den primitiven Gehsteig und erreichte das Haus des Sheriffs. Hinter den Scheiben brannte noch Licht. Parker verbiß sich seinen Wunsch, mit Sheriff Longer über seine Abenteuer zu sprechen. Er wollte gewissen anderen Leuten den ersten Schritt überlassen. Der Jeep allerdings war inzwischen verschwunden. Die drei Gangster schienen ihn abgeholt zu haben. Parker wanderte weiter durch die milde, mondhelle Nacht. Er wurde von Hank Nebbels Tankstelle magnetisch angezogen. Überdies wollte er noch einmal nach dem gemieteten Ford sehen. Ihn interessierte dieser Wagen, vor allen Dingen die Stellung der Scheinwerfer. War der Chef der Gangster nicht auch mit einem Ford gekommen, dessen Scheinwerfer nicht genau parallel gestanden hatten? Butler Parker besaß ein erstaunliches Auge für Kleinigkeiten. Er übersah selten etwas, was wichtig für seine Ermittlungen war.
Hank Nebbel kaute auf einer kalten Zigarre herum und war noch sehr wach. Als Butler Parker im Glasverschlag erschien, wurde er von Nebbel sofort angeknurrt.
»Mister«, sagte Nebbel, »Sie haben ja zwar den Ford gemietet, aber Sie können mir wenigstens Bescheid sagen, wann Sie ihn benutzen. Komme ich doch da eben in die Garage – und das Ding ist weg! Im ersten Moment dachte ich an ’nen dummen Streich, doch dann fielen Sie mir ein …«
»Wurde der Ford nicht zurückgebracht?« erkundigte sich Butler Parker höflich.
»Natürlich, dort steht er neben der Garage … Die hintere Stoßstange werden Sie mir aber ersetzen müssen, Mister. Sie haben sie mir völlig eingedrückt.«
»Wer brachte den Wagen zurück?« fragte Parker.
»Wer anders als Sie? Als ich aus der Telefonzelle kam, fand ich den Wagen wieder vor. Die Stoßstange kostet Sie unter Brüdern mindestens …«
Nebbel redete, aber Parker hörte nicht mehr zu. Er machte sich nach diesem Gespräch erst gar nicht die Mühe, die Stellung der beiden Scheinwerfer auszuprobieren. Er wußte auch so, daß der Gangsterboß den Ford Nebbels zu einem Ausflug benutzt hatte.
*
Butler Parker hatte etwa eine Stunde geschlafen, als er aus dem Schlaf gerissen wurde.
Er hörte Rufe und Schreie vor dem Haus, stürzte ans Fenster und sah das Haus Dr. Flanders, das in hellen Flammen stand. Ohne sich besonders zu beeilen, schaffte es Parker, in weniger als drei Minuten fertig angekleidet zu sein.
Gemessenen Schrittes, angetan mit dem unvermeidlichen schwarzen Covercoat, der Melone und den schwarzen Schuhen, wanderte er zur Brandstelle hinüber. Er hatte auf den ersten Blick gesehen, daß dort nichts mehr zu retten war. Das Feuer hatte das Balkenwerk des Hauses erfaßt und leckte mit langen Zungen aus den Fensterlöchern. Die Feuerwehr, sofern man von einer solchen sprechen konnte, beschränkte sich darauf, die umliegenden Häuser gegen den Funkenflug abzuschirmen. Man regte sich nicht sonderlich über den Brand auf und nahm ihn als etwas Unausweichliches hin.
Als die Balken des Dachstuhls eingestürzt waren, erschien auch Sheriff Longer auf der Bildfläche. Er war sichtlich angeheitert, und seine sogenannten Absperrmaßnahmen wurden überhaupt nicht beachtet. Als Longer Parker sah, torkelte er vorsichtig auf den Butler zu und tippte grüßend an die Krempe seines Hutes. Parker dagegen hob höflich die schwarze Melone.
»Schade um das Haus des Dr. Flanders«, meinte Parker im Plauderton, »es hätte sich bestimmt ein Liebhaber dafür gefunden … Was werden die Erben von Dr. Flander dazu sagen?«
»Mrs. Anderson?«
»Das Haus war der Witwe vermacht worden, wie ich Ihren Andeutungen entnehmen darf?«
»Der Doc hatte es ihr vermacht, das weiß jeder hier im Ort.«
»Hoffentlich war es brandversichert?«
»Möglich«, sagte Longer, »aber das weiß allein nur Blander … Er ist auch Agent für alle Versicherungen.«
»Mister Blander scheint ein sehr betriebsamer Mensch zu sein …«
»Warum auch nicht?«
Butler Parker hatte die Witwe Anderson gesehen und verabschiedete sich sehr umständlich von Sheriff Longer, der den Butler mit plötzlich sehr wachen Augen verfolgte, mit Augen, in denen von einer Trunkenheit nichts mehr zu erblicken war. Aber das sah Parker gar nicht; er hatte inzwischen die Witwe erreicht und verbeugte sich sehr höflich.
»Gut, daß ich Sie sehe«, meinte Mrs. Anderson, und sah Parker verkniffen und ängstlich an. »Ich verbiete Ihnen, sich an meine Tochter heranzumachen.«
»Mrs. Anderson, ich fürchte, Sie überschätzen den Charme eines alten Mannes«, gab Butler Parker etwas wehmütig zurück.
»Sie wissen genau, was ich meine«, sagte die knochige Witwe. »Ich möchte nicht, daß Vera noch Ärger bekommt … Halten Sie Ihre Nase am besten aus allem heraus …! Sie wissen ja nicht, was hier gespielt wird.«
»Ich habe mir seinerzeit von der Lady Windermere sagen lassen müssen, daß sich alle Spielregeln erlernen lassen«, meinte Butler Parker und schaute die Witwe neckisch an. »Damals handelte es sich allerdings um Whist, das ich um keinen Preis glaubte erlernen zu können. Und Lady Windermere hatte durchaus Recht. Später brachte ich es im Whist immerhin zu einiger Meisterschaft, so, daß sich Lady Windermere weigerte, mit mir zu spielen.«
»Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe«, sagte die Witwe sehr verärgert, und sie wendete dem Butler abrupt den Rücken zu.
Aber Parker übersah diesen Fauxpas und zog weiter an der Zigarre. Sein stets waches Interesse kam voll auf seine Kosten. Er wurde geradezu belohnt, als ein Buick neuester Bauart an der Brandstelle erschien und ein breitschultriger Mann ausstieg, dem die Neugierigen widerspruchslos eine Gasse öffneten. Obwohl Parker diesen Mann noch nie gesehen hatte, wußte er mit Sicherheit, daß es sich nur um Clive Blander handeln konnte. Er bewegte sich mit einer selbstverständlichen Sicherheit, die erstaunlicherweise nicht arrogant war.
Butler Parker arbeitete sich näher an diesen sagenhaften Mann heran und studierte dessen Antlitz. Das Gesicht wirkte zwar kantig, aber sympathisch kühn und offen. Blander hatte pechschwarzes, kurzgeschnittenes Haar, das ihm ausgezeichnet stand. Wenn er redete, dann waren einige goldüberzogene Zähne zu sehen.
Sheriff Longer hatte Blander erblickt und rannte zu ihm. Er platzte fast vor Wichtigtuerei, als er sich mit Blander unterhielt, der seinen Worten kaum Gehör schenkte. Vielmehr wendete sich der Vierzigjährige an die Witwe Anderson und sagte lächelnd einige Worte zu ihr. Das Haus des Arztes war inzwischen niedergebrannt. Die Löschmänner der freiwilligen Wehr rissen die Balken auseinander. Blander, gefolgt von einer Schar Männer, hatte sich umgewendet und ging auf die Eckbar zu.
Bei dieser Gelegenheit sah Parker Walter Renner, der neben der Tür der Kneipe jetzt auf tauchte. Hinter ihm erschien Joe, der Parker auch nicht mehr unbekannt war.
Butler Parker folgte den Männern, nicht, weil er durstig war, sondern weil er früher oder später doch mit Blander hätte sprechen müssen. Er liebte es eben manchmal, den Stier bei den Hörnern zu packen.
Obwohl Clive Blander der Mittelpunkt in der Bar war, um den sich alles drehte, löste Parkers Eintritt eine Sensation aus. Alles drehte sich zu dem schwarz gekleideten Mann um, der höflich seine Melone lüftete und still und bescheiden an einem kleinen Tisch Platz nahm.
Clive Blander gönnte Parker nur wenige Sekunden, dann drehte er ihm wieder den Rücken zu und unterhielt sich mit Sheriff Longer. Hank Nebbel, der am entgegengesetzten Ende der Bartheke stand, wurde inzwischen von Walter Renner und Joe angepöbelt. Die beiden Männer waren mehr als deutlich und man sah, daß Nebbel sich auf keinen Fall provozieren lassen wollte.
»Hallo, endlich einmal ein neues Gesicht …!«
Clive Blander war an Parkers Tisch getreten und zog einen Stuhl heran. Er setzte sich unaufgefordert und grinste den Butler an.
»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Parker in sanft verweisendem Ton. »Ich hatte bisher nicht das Vergnügen, Ihnen vorgestellt zu werden.«
»Ich bin Clive Blander.«
Parker nannte seinen Namen, und er blies den Rauch der Zigarre diesmal absichtlich so von sich, daß Blander einen Teil davon abbekam. Er begann dann auch prompt zu husten.
»Mann, was für’n unmögliches Kraut rauchen Sie denn da?« fragte er und wedelte sich mit der flachen Hand frische Luft zu. »Schon lange hier in Wech-Lake?«
»Ich bin noch nicht einmal, wie man sich im Volksmund so treffend ausdrückt, warm geworden«, antwortete Butler Parker.
»Wollen Sie länger bleiben?«
»Das hängt von gewissen Umständen ab, Sir, die zu beurteilen ich mich außerstande fühle«, war Parkers Antwort. »Oder vulgärer ausgedrückt, das hängt davon ab, wie schnell ich einen gewissen Doppelmörder finde, der darüber hinaus noch der Chef einer Gangsterbande ist.«
»Da haben Sie sich aber mächtig was vorgenommen«, sagte Clive Blander, ohne eine Miene zu verziehen. »Ist mir allerdings neu, daß hier in Wech-Lake eine Gangsterbande existieren soll … Sheriff … wissen Sie etwas davon?«
Es war sehr still in der Bar geworden.
Alles hatte sich dem Tisch zugewendet, an dem sich Blander und Butler Parker gegenübersaßen. Sheriff Longer schnaufte erschreckend laut, als er an den Tisch herantrat.
»Gangster?« gab er zurück, »hier in Wech-Lake? Das kann doch nur ein Witz sein.«
»Na, sehen Sie, Mister Parker«, sagte Blander auflachend, »Sie bilden sich da was ein … gehören Sie eigentlich zur Polizei?«
»Ich arbeite privat …«
»Dann wollen Sie hier wohl Reichtümer erwerben, wie?«
»Ich mache mir recht wenig aus dem schnöden Mammon«, entgegnete Butler Parker würdevoll. »Geld schafft Sorgen, wie so treffend einmal vom Herzog von Windesblad gesagt wurde. Viel Geld, viel Sorgen, sehr viel Geld, Existenzangst. Ich habe mir erzählen lassen, Mr. Blander, daß Sie sehr reich sein sollen.«
»Ich habe aber trotzdem keine Sorgen.«
»Dann dürften Sie demnach von den Gangstern bisher verschont worden sein.«
»Was soll das heißen?«
»Ich traf eine logische Feststellung«, sagte Parker sehr ruhig. »Hoffentlich werden sich die Gangster auch weiterhin nicht um Sie kümmern, sonst würde das Sprichwort, das ich eben zitierte, auch eines Tages für Sie zutreffen.«
»Zum Teufel mit Ihren Gangstern … Ich habe bisher noch keinen feststellen können. Sie rennen Gespenstern nach.«
»Ein alter, verbrauchter Mann wie ich muß eben ein Steckenpferd haben«, meinte Parker in elegischem Ton. »Ich versprach Doktor Flander vor seinem Ableben, mich um gewisse Dinge zu kümmern.«
»Was Sie nicht sagen! Sie haben sich noch mit ihm unterhalten können, bevor er …?«
»Er konnte zumindest mein Interesse auf Wech-Lake richten«, redete Butler Parker weiter. »Falls es Sie interessiert, Mister Blander, so will ich nicht verhehlen, daß Doktor Flanders Angaben bisher stimmten.«
»Flander war ein Narr«, sagte Clive Blander da mit kühler Stimme und stand auf. »Was er auch immer gesagt haben mag, mich interessiert das nicht.«
Er erhob sich, kippte an der Theke seinen Drink hinunter und verließ wortlos die Bar. Ein Schwarm von Männern folgte ihm, doch Walter Renner und Joe hackten weiter auf Nebbel herum, der bereits dicht davor stand, die Nerven zu verlieren.
»Mister Renner, auf ein Wort?«
Renner drehte sich um und grinste Parker bösartig an. Joe wich etwas seitlich aus.
»Was willst du schwarzer Rabe von mir?« fragte Renner.
»Sie vergaßen, mir etwas zurückzugeben«, sagte Parker fast heiter. »Es handelt sich um einen Gegenstand, der mir sehr lieb geworden ist. Wollen Sie bitte die Güte haben und mir die Fundsache wieder auszuhändigen?«
»Hol dir doch, was du suchst«, erwiderte Renner auflachend.
»Sie wollen doch einen alten Mann nicht zwingen, sich zu erheben«, antwortete Parker. »Ich bin sicher, daß Sie zu mir kommen werden.«
»Einen Dreck werde ich«, erwiderte Renner, der schwer angetrunken war. »Du gehst mir sowieso mächtig auf die Nerven, du verdammter Schleicher. Aber warte nur, eines Tages bist auch du dran!«
»Walter, halte den Mund!« rief Joe ihm da befehlend zu.
»Laß mich doch in Ruhe!« schimpfte Renner weiter. »Dieser Halunke ist doch nur darauf aus, mich fertigzumachen; aber das kann er mit Walter Renner nicht machen. Mit mir nicht. Ich habe schon ganz andere Figuren kleingekriegt.«
»Komm jetzt, Walter, der Chef wartet«, sagte Joe. »Blander will gleich zurück ins Baucamp fahren.«
»Ach, fahr doch zur Hölle«, stieß Renner wie von Sinnen hervor. »Dieser alte Kerl geht mir auf die Nerven.«
»Wegen des Glaskorkens?« warf Butler Parker ein. »Wegen der Glasflaschen?«
Renner drehte durch. Er griff in die Tasche und holte mit erstaunlicher Schnelligkeit die Magnum hervor, die Butler Parker vermißte.
»Aha, da ist sie ja, die liebe Magnum«, freute sich der Butler sichtlich. »Nett von Ihnen, Renner, daß Sie sie mitgebracht haben. Das erspart mir einen Weg!«
Aber Renner wollte etwas ganz anderes.
Bevor er allerdings abdrücken konnte, hatte Butler Parker den schweren Porzellanaschenbecher als Diskus verwendet und ihn auf Renner abgefeuert.
Die kreisende Scheibe traf ihr Ziel.
Renner ließ die Magnum aus der Hand fallen und griff sich an die Stirn.
Im gleichen Moment peitschte ein Schuß auf, der zuerst einmal die Fensterscheibe der Bar zertrümmerte und anschließend Walter Renner von den Beinen warf. Als sich Butler Parker über ihn beugte, war Renner bereits tot.
Während sich die Gäste der Bar zu Boden warfen oder in einen Nebenraum flüchteten, hob Parker seine Magnum auf und versenkte sie in eine seiner Covercoat-Taschen. Dann nahm er die Zigarre aus dem Mund und verließ die Bar. Er wunderte sich nicht darüber, daß der Buick Blanders bereits verschwunden war. Sheriff Longer tauchte wenige Sekunden später aus der Dunkelheit auf und fragte keuchend nach Neuigkeiten. Er kam aus der Gegend, wo der Mörder Renners gestanden haben mußte; aber Parker hütete sich, das laut werden zu lassen.
*
Butler Parker legte keinen Wert darauf, sich noch länger in dem Ort aufzuhalten. Er ging diesmal schnell hinüber zur Tankstelle und holte den gemieteten Ford aus der Garage, die nicht verschlossen war.
Als er an der Bar vorbeikam, trug man Walter Renner gerade heraus. Sheriff Longer gestikulierte mit den Armen in der Luft herum und schien überhaupt nicht mehr Herr der Situation zu sein. Parker hupte, um einige Fußgänger auf den Gehsteig hinaufzutreiben und fuhr dann zum See hinunter.
Lange brauchte er nach dem Haus Renners nicht zu suchen. Es befand sich gemäß der Beschreibung tatsächlich hart am See und war nicht zu verfehlen. Parker ließ den Ford vor dem Haus stehen und näherte sich vorsichtig der Blockhütte, die auch in der Dunkelheit einen ziemlich verwahrlosten Eindruck machte.
Parker brauchte die Tür zu Hütte nicht mehr zu öffnen, sie stand schon auf. Und Butler Parker förderte aus einer der Taschen seines Covercoats eine Taschenlampe hervor und sichtete damit die beiden Räume der Hütte ab. Vor ihm war schon Besuch dagewesen, genau wie vor zwölf Stunden in der Hütte des Negers Zack. Alles war auf den Kopf gestellt worden. Wahrscheinlich hatte man nach irgendwelchen belastenden Dingen Ausschau gehalten und etwaige Spuren verwischt.
Butler Parker entwickelte nicht den Ehrgeiz eines Sherlock Holmes, der in solch einer Situation sicher verbissen nach irgendeiner Zigarrenkippe gesucht hätte. Nein, Parker richtete einen der umgestürzten Stühle auf und setzte sich. Er schien zu warten.
Als sich aber nach einer guten Viertelstunde nichts gezeigt hatte, stand er wieder auf und verließ die Blockhütte; das heißt, er ging dabei etwas umständlich vor. Er legte einen Umhang, den er an einem Haken gefunden hatte, um einen Stuhl und schob dieses eigenartige Gebilde zuerst zur Tür hinaus.
Seine Vorsicht sollte sich lohnen.
Kaum war dieses unförmige Gespenst nach draußen geschoben worden, da bellten zwei Gewehrschüsse auf. Parker schrie auf, stöhnte wie ein Bühnenheld und ließ den Umhang samt Stuhl geschickt zu Boden fallen. Er aber stand mit der gezogenen Magnum dicht neben der Tür und schaute durch ein kleines, viereckiges Fensterchen nach draußen. Seiner Schätzung nach mußte sich der Schütze bald zeigen.
Parker nickte zufrieden, als sich tatsächlich wenig später eine Figur aus einem Gebüsch löste und an die Hütte heranpirschte. Noch vermochte der Butler das Gesicht des Näherkommenden nicht zu sehen. Auf halbem Wege blieb der Unbekannte plötzlich stehen. – Er drehte sich dann auf dem Absatz um und rannte zurück in das dichte Unterholz. Parker hätte seine Magnum benutzen können, aber er war kein Mörder und verabscheute es, mit den Argumenten einer Bleiladung zu arbeiten.
Parker seufzte nur auf und steckte seine Waffe wieder zurück in die Manteltasche. Schade, er hatte sich schon so auf dieses Gesicht gefreut. Nun mußte er eben auf eine andere Gelegenheit warten. Er hatte jetzt übrigens keine Bedenken mehr, das Haus zu verlassen. Er setzte sich in den Ford und ließ den Wagen anrollen. Allerdings bog er nicht nach Wech-Lake ab, sondern benutzte die Schotterstraße, um höher in die Bergwildnis zu gelangen. Er hatte sich spontan entschlossen, dem Camp Blanders einen Besuch abzustatten. Butler Parker fuhr sehr langsam, denn er hatte Zeit. Müde war er nicht, ihm reichten schon ein oder zwei Stunden, um sich wieder zu erholen. Unterwegs zündete er sich eine seiner geliebten schwarzen Zigarren an, bei deren Rauch er so gut zu denken vermochte.
Parker ging im Geiste alle seine bisherigen Ermittlungen durch. Er fügte Steinchen auf Steinchen und ging mit sich zu Rate, ob er irgendeine Unterlassungssünde begangen habe. Seiner Berechnung nach aber fand er keinen Ansatzpunkt zur Kritik.
Fest stand nach den bisherigen Erfahrungen, daß Doktor Flander von Walter Renner und diesem Joe ermordet worden war. Diese beiden Gangster hatten Flander auch die Aktentasche gestohlen, in der sich die Lösung des Rätsels befunden haben mußte.
In Wech-Lake existierte eine Gangsterbande, das war ebenfalls vollkommen klar. Das bewiesen allein schon die Morde an Zack und Walter Renner. Ja, Parker hatte sogar schon Kontakt mit dem Chef der Bande aufnehmen können. Wer aber war dieser geheimnisvolle maskierte Mann, der seine Stimme absichtlich verstellt hatte?
Dieser Bandenchef wollte sich tarnen, das lag auf der Hand. Aber weil er zu diesen Mitteln griff, mußte es sich um einen sehr bekannten Mann aus Wech-Lake handeln. Kam Clive Blander dafür in Betracht? Parker war viel zu vorsichtig, um diese Frage zu bejahen. Er war kein Mensch, der sich aus Gründen der Bequemlichkeit selbst belog. – Sicher, Blander war der Arbeitgeber Renners und Joes, also hatte er einen engen Kontakt zu diesen Gaunern. Aber ein Beweis war das noch nicht. Die grundsätzliche Frage, die zu klären war, bestand nach Parkers Meinung darin, auf welchem Gebiet sich die Gangster betätigten. Was hatte Doktor Flander verraten wollen? Welche dunklen Geschäfte wurden von der Bande betrieben? – Der Gangsterchef hatte seine Leute bestimmt nicht aus Langeweile um sich versammelt.
Warum war Renner immer so wild geworden, sobald die Rede auf den bewußten Glaskorken gekommen war? Was verschwieg die Witwe Andersen, die Flander bei der Arbeit assistiert hatte? Warum hatte Zack, das Faktotum Flanders, so schnell sterben müssen?
Butler Parker sog sehr heftig an der Zigarre und gab das Grübeln auf. Es hatte keinen Sinn, Fragen über Fragen zu stellen. Er wußte genau, daß er dieses Rätsel eines Tages lösen würde. Daß er sich auf dem richtigen Wege befand, bewiesen allein schon die Mordanschläge auf ihn. Er war dem Chef der Gangster unbequem geworden.
Parker hatte inzwischen den Höhenzug überquert und rollte in eine Hochebene hinein. Von weitem schon sah er das gleißende Licht von Scheinwerfern. Es handelt sich wohl um das Camp von Blander, der dort seine Konservenfabrik aufbaute und erweiterte. Parker steuerte einen erleuchteten Steinbau an und kletterte umständlich aus dem Ford. Mit kurzen Trippelschritten näherte er sich dem Eingang des zweistöckigen Hauses, wurde aber bald darauf von einem Mann aufgehalten, der eine Armbinde trug, auf der in Druckbuchstaben »Blander-Police« stand.
»Ich hege die Absicht, Mister Clive Blander einen Höflichkeitsbesuch abzustatten«, erklärte Parker und grüßte freundlich. »Ich darf wohl unterstellen, daß Mister Blander gerade vor mir eingetroffen ist, ja?«
»Der Chef ist vor ’ner Viertelstunde angekommen«, sagte der Mann ahnungslos. »Wer sind Sie denn?«
»Ich nenne mich Parker«, erwiderte der Butler. »Die Nennung meines Namens allein wird schon ausreichen, um Mister Blander zu veranlassen, mich zu empfangen.«
»Gehen Sie immer rein in die gute Stube«, sagte der Mann fassungslos, denn so viel Höflichkeit hatte er noch nie in seinem Leben auf einmal zu hören bekommen. Er deutete auf die Tür und steckte sich schnell eine Zigarre an, um sich von seinem großen Schreck zu erholen.
Parker betrat das Gebäude und hüstelte diskret, als ein untersetzter Mann ein Zimmer verließ. Dieser Mann, er war vielleicht fünfzig Jahre alt, blieb wie erstarrt stehen, als er die erstaunliche Gestalt Parkers wahrgenommen hatte.
»Wo kommen Sie denn her?« fragte er mit einer unangenehmen, scharfen Stimme.
»Durch die Tür, lieber Freund, bestimmt nur durch die Tür«, versicherte Parker. »Haben Sie doch die Güte und Freundlichkeit, mich bei Mister Blander anzumelden. Er wird sich über meinen Besuch sicher freuen.«
»Jetzt? Um diese Zeit?«
»Mister Walter Renner starb leider nicht früher«, erwiderte der Butler Parker. »Unverzeihlich, wenn man es von Ihrem Standpunkt aus betrachtet.«
»Was ist denn draußen los?« brüllte Blanders Stimme plötzlich durch die angelehnte Tür.
»Mister Blander?«
»Die Stimme kommt mir aber verflixt bekannt vor!« rief Blander. Ein Stuhl wurde gerückt, und Blander erschien auf dem Korridor.
»Haben Sie sich auch nicht verlaufen?« fragte er den Butler.
»Ich denke nicht«, sagte Parker. »Ich komme als der Überbringer einer traurigen Nachricht. Walter Renner, Ihr Mitarbeiter, wurde vor gut einer Stunde erschossen.«
»Na … und? Was geht das mich an? Das ist doch seine Sache.«
»Wahrlich, wahrlich«, meinte Parker lächelnd, »der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er eines Tages die Neigung zeigt, sich in seine Bestandteile aufzulösen. Ein treffliches Sprichwort.«
»Um mir diesen Vortrag zu halten, sind Sie zu mir herausgekommen?«
»Wer verliert schon gern einen erstklassigen Mitarbeiter?«
»Ich will Ihnen mal was sagen, Mister Parker«, begann Blander und lehnte sich gegen die Flurwand. »Ich weiß nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht. Sie sind hinter Gangstern her, wie Sie mir schon einmal verraten haben. Schön, das ist Ihre Sache. Aber verschonen Sie mich bitte mit diesen Mätzchen. Renner war Arbeiter bei mir, richtiger gesagt, er war ein Vormann, einer von vielen. Was er privat in seiner Freizeit getrieben hat, interessiert mich nicht. Und wenn Sie der Meinung sind, ich hätte etwas mit Renners Dingen zu tun, dann sind Sie auf dem Holzweg. Mich interessieren Gangster solange nicht, wie sie mich in Ruhe lassen. Treten sie mir aber auf die Füße, werde ich zurücktreten, und zwar noch stärker. Ist Ihnen das eingegangen?«
»Sie waren hinreißend und überzeugend«, erwiderte Butler Parker lobend. »Schon wegen dieser Erklärung dürfte sich meine Fahrt in Ihr Camp gelohnt haben.«
»Sie sind ein komischer Kerl«, sagte Blander und schüttelte lachend den Kopf. »Haben Sie schon mal so was gesehen, Heswell?«
Heswell, der Mann mit der unangenehmen Stimme, enthielt sich jeder Stellungnahme. Er beobachtete Parker und schürzte verächtlich die Lippen.
»Mister Parker vermutet in Wech-Lake eine Gangsterbande«, erklärte nun Blander seiner rechten Hand.
»Eine Gangsterbande? Was ist denn schon hier bei uns zu holen?« fragte Heswell zurück. »Sie müssen sich irren, Mister Parker.«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte der Butler und lüftete seine Melone. »Ich darf vielleicht am Rande auf einen Ausspruch der Lady of Lattersweg hinweisen, die immer so treffend und humorig sagte, daß viele Wege nach Rom führen.«
»Wie bitte?« gab Heswell erstaunt zurück.
»Das war nur, wie gesagt, eine Sentenz der seligen Lady of Lattersweg«, sagte Butler Parker und verließ den Korridor. Schon nach wenigen Schritten wurde er von Blander angerufen.
»Mister Parker, ich habe mir Ihre Hinweise auf die Gangsterbande durch den Kopf gehen lassen«, meinte Blander ernst. »Unterstellen wir einmal, daß Sie recht haben. Welche Spuren haben Sie bisher entdeckt? Ich bin nicht daran interessiert, daß irgendwelche Leute von mir mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Haben Sie Grund zur Vermutung, daß außer Renner noch andere Männer als Gauner in Betracht kommen?«
»Soweit sind meine Ermittlungen leider noch nicht gediehen«, erwiderte der Butler. »Ich bin untröstlich, Ihnen das sagen zu müssen, das heißt, ich kenne noch einen gewissen Joe …«
»Joe Prite etwa? Er war der Freund dieses Renners«, stellte Heswell fest.
»Welche Rolle spielte der Junge bei uns im Camp?« wandte sich Blander fragend an seine rechte Hand.
»Er ist Lastwagenfahrer«, sagte Heswell. »Er machte bisher einen guten Eindruck auf mich.«
»Was soll Joe Prite getan haben?«
»Er dürfte zusammen mit Renner Doktor Flander ermordet haben.«
»Und das sagen Sie so einfach? Weiß das der Sheriff? Longer muß da sofort eingreifen.«
»Mal eine Frage am Rande«, schaltete sich Heswell ein. »Mister Parker, woher wollen Sie denn das alles so genau wissen?«
»Das ist eben der Haken an der Sache, wie man so im Volksmund sagt«, antwortete Parker lächelnd, »ich kann Joe Prite nichts beweisen. Er gab den Mord an Flander zwar in meiner Gegenwart zu, aber er wird diese Behauptung vor einem Richter bestimmt nicht aufrecht erhalten. Das war einige Minuten vor dem Erscheinen dieses Gangsterchefs, von dem ich eben schon gesprochen habe.«
»Den wollen Sie auch schon gesehen haben?« fragte Heswell und lachte spöttisch.
»Er unterhielt sich sogar mit mir, hielt es dann aber für angebracht, sich schnell zu empfehlen. Wissen Sie, meine Herren, die Erfahrung hat gelehrt, daß die Chefs der Gangsterbanden sich durch besondere Feigheit und Angst auszeichnen. Dieser Boß, von dem ich eben sprach, trieb seine Vorsicht sogar soweit, daß er maskiert auftrat. Er war der irrigen Ansicht, sich dadurch unkenntlich machen zu können, in Wirklichkeit lieferte aber gerade seine Vorsicht hinreichende Anhaltspunkte über seine Person.«
»Was Sie nicht alles entdeckt haben«, meinte Heswell grinsend. »Und warum haben Sie diesen sagenhaften Mann noch nicht überführt und gestellt?«
»Wir streiften eben das Thema Beweise«, führte Butler Parker aus. »Ich würde den Gangsterboß doch nur in die Lage versetzen, sich mit seiner Flucht zu befassen, falls ich seinen wirklichen Namen preisgebe. So weiß er nicht, ob ich mich irre oder nicht. Er muß auf das warten, was ich gegen ihn unternehmen werde. Ein wenig erfreulicher Zustand für diesen Mann, finden Sie nicht auch?«
*
Als Butler Parker wieder in den Ford stieg, war es hell geworden. Die Sonne konnte man zwar noch nicht sehen, doch die Morgenröte färbte den Himmel bereits blutig rot. Es sah ganz so aus, als würde es ein sehr heißer und schwüler Tag werden.
Parker war mit dem Erfolg seines Besuches sehr zufrieden. Er paffte an seiner schwarzen Zigarre und hatte sich sogar den Luxus geleistet, das Autoradio spielen zu lassen. Im übrigen fand er es an der Zeit, daß Mike Rander auftauchte. Wenn das so weiterging wie bisher, dann brauchte er einige Unterstützung. Parker gab sich keinen Illusionen hin. Er wußte sehr wohl, daß er ein Hornissennest aufgescheucht hatte.
Der Ford machte sich daran, die Höhenstraße zu erklettern. Der Motor arbeitete sauber und einwandfrei, bis er plötzlich wie durch Zauberei zu spucken begann und dann seinen Betrieb einstellte. Parker ließ den Wagen ausrollen und kletterte ins Freie. Es konnte seiner Meinung nach nur am Benzin liegen. Er schraubte den Tankverschluß auf und wollte mittels eines Zweiges feststellen, ob der Brennstoff ausgegangen war.
Im gleichen Moment löste sich oben an der Steilwand eine Steinlawine, die mit erschreckender Geschwindigkeit auf die Schotterstraße zudonnerte.
Im ersten Moment war Parker sprachlos darüber, wie prompt der Benzinmangel mit der Steinlawine gekoppelt war. So etwas konnte doch nur ein Zufall sein. Oder hatte man ihm eine spezielle Zuteilung an Benzin im Wagen gelassen, der gerade ausreichte, ihn an diese Stelle zu dirigieren? Aber das war doch kaum möglich.
Dann hielt Parker es allerdings für angebracht, sich erst einmal in Sicherheit zu bringen. Er beging nicht den laienhaften Fehler vor der donnernden Lawine davonrennen zu wollen. Das hätte ihm doch nur den sicheren Tod eingebracht.
Nein, der Butler handelte genau entgegengesetzt.
Er lief erstaunlich schnell auf die Steinlawine zu, als habe er es darauf angelegt, sich überrollen zu lassen. Sein Ziel war eine vorspringende Felsnase, die ihm einigen Schutz bieten sollte.
Er schaffte es gerade noch.
Kaum hatte er sich in den Unterschlupf gezwängt, da donnerten die Steinmassen auch schon über ihn. Die Felsnase erwies sich als ausgezeichnet. Sie hinderte die Steine und das Geröll daran, zum Grab des Butlers zu werden.
Parker hatte seine Zigarre nicht aus dem Mund genommen und wartete ergeben ab, bis alles vorüber war. Einige Nachzügler an Steinen hüpften an ihm vorbei, dann war alles in eine riesige Staubwolke gehüllt. Hüstelnd trat Parker aus der Deckung hervor, orientierte sich und ging zurück zu seinem Ford. Erstaunlicherweise war dem Wagen nichts passiert. Nur eine seitliche Scheibe war von einem abirrenden Stein getroffen und zertrümmert worden.
Ohne sich weiter um den Ford zu kümmern, machte sich Parker auf den Weg nach Wech-Lake. Er mußte immer wieder an die Lawine denken. Es war seiner Schätzung nach ausgeschlossen, daß hier eine Absicht Vorgelegen hatte. Um der Sache aber doch auf den Grund zu gehen, bog der Butler vom Weg ab und kletterte den Steilhang empor.
Da er sich nicht beobachtet fühlte, konnte er sich voll ausgeben. Es grenzte fast an ein Wunder, mit welcher gemsenartigen Geschicklichkeit und Schnelligkeit sich Parker nach oben arbeitete. Als er den Rand des Steilhanges erreicht hatte, atmete er kaum schneller als sonst. Nein, eine Absicht hatte nicht vorgelegen.
Parker hatte die Steinbrocken schnell untersucht. Durch irgendeine Erschütterung hatten sich die Geröllmassen gelöst und auf die Schotterstraße gestürzt. Die Lawine hatte die Straße halb zugeschüttet, aber es existierte noch ein zweiter Fahrweg.
Butler Parker wollte sich gerade wieder an den Abstieg machen, als er weit vor sich eine Bewegung erkannte. Ein Vogel flatterte nervös hoch, kreischte und krächzte protestierend. Er war sicher aufgescheucht worden.
Parkers Interesse war geweckt worden.
Er holte aus dem Covercoat das Teleskopfernrohr, zog es auseinander und suchte die Felsen und Sträucher oberhalb der Schotterstraße ab. Er nickte, als er den Rücken eines Mannes erkannte, der sich am Boden zu schaffen machte. Als sich der Mann aufrichtete, erkannte Parker Joe Prite, den Freund Renners.
Prite hielt ein Gewehr in der Hand und spähte nach unten auf die Schotterstraße. Er wartete sicher auf einen Ford. Parker bedauerte es, daß er seine Magnum nicht verwenden konnte. Er beschloß aber, die Gelegenheit zu nutzen und sich einmal ausführlich mit Joe zu unterhalten.
Ein Indianer hätte Parker gegenüber tolpatschig gewirkt. Der Butler verschmolz förmlich mit dem Untergrund, auf dem er sich bewegte. Er pirschte sich zwar vorsichtig, aber doch erstaunlich schnell an Joe Prite heran, der unruhig aufgestanden war und immer wieder nach unten auf die Straße spähte.
Er war übrigens allein.
Parker hatte sich ihm inzwischen entscheidend genähert. Um alle Überraschungen auszuschalten, hatte er seine Magnum gezogen und entsichert. Joe war mehr als überrascht, als der Gesuchte plötzlich seitlich neben ihm stand. Er war so perplex, daß er glatt vergaß, sein Gewehr hochzureißen. Sein Unterkiefer klappte herunter, und seine gestammelten Worte waren wirklich nicht zu verstehen.
»Ich würde Ihnen den guten Rat geben, die Waffe vorsichtig niederzulegen«, sagte Butler Parker. »Ich hoffe, daß ich Sie nicht in Ihren Dispositionen gestört habe.«
»Wo … wo kommen Sie denn her?«
»Ich würde ein weit interessanteres Thema vorschlagen!« erwiderte Butler Parker. »Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, hier auf mich zu warten?«
»Ich!«
»Mister Prite«, begann Parker in überredendem Ton, »wir wollen einander doch nichts vormachen. Sie haben in der Nacht versucht, mich vor Renners Hütte zu erschießen. Ich konnte Sie genau erkennen. Wann merkten Sie eigentlich, daß ich gar nicht getroffen worden war?«
»Ihre Melone!«
»Richtig, Mister Prite, ich danke Ihnen für diesen Hinweis. Beim nächstenmal werde ich meine Strohmänner ebenfalls mit Melonen ausstatten, aber jetzt zur Sache. Wer hat Sie hierher geschickt?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe hier gesessen und wollte Wildtauben schießen.«
»Sie schmeicheln mir, mich alten Mann mit einer Wildtaube zu vergleichen«, erwiderte Parker mit gewinnendem Lächeln. »Wer richtete Ihr Augenmerk also auf mich Wildtaube?«
»Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Sie unterschätzen unsere Begegnung«, sagte Parker. »Man sagt mir in einschlägigen Kreisen die Geduld eines sanften Lammes nach, doch es gibt Momente im Leben, in denen ich mich verwandle. Das ist dann der Fall, wenn gewisse Leute, die mir mehrmals nach dem Leben getrachtet haben, meinen Weg kreuzen. Wie jetzt!«
Joe Prite versuchte es mit einem Ausfall.
Er wollte sein Gewehr als Keule benutzen, doch der Kolben zersplitterte wirkungslos an einem Felsen. Parker hatte sich längst zur Seite begeben, um nicht getroffen zu werden. Als Prite wie besessen auf ihn eindringen wollte, schüttelte der Butler mißbilligend den Kopf.
»Sie benehmen sich wie ein Kind«, sagte er vorwurfsvoll, »wollen Sie mich wirklich zwingen, unangenehm zu werden? Ich will jetzt wissen, wann Sie Ihr Chef informiert hat, daß ich über diesen Weg dort unten zurück nach Wech-Lake fahren würde. Beeilen Sie sich bitte mit der Erklärung, ich verliere sonst die Geduld!«
Parker hatte seine Stimme noch nicht einmal sonderlich erhoben. Er sprach nur mit einer gewissen Festigkeit, die aber gefährlich klang. Joe Prite merkte wohl, was die Glocke geschlagen hatte. Er bekam einen roten Kopf.
»Also. Ich wurde angerufen«, sagte er, »vor einer Stunde!«
»Was sagte Ihr Chef?«
»Ich sollte Sie abfangen, Sie kämen gleich.«
»Wo erreichte Sie dieser Anruf?«
»In Wech-Lake. Ich war dort geblieben, wegen Walter Renner.«
»Verständigt sich Ihr Chef immer so mit Ihnen?«
»Er ruft uns nur per Telefon an.«
»Und wie zahlt er Sie aus?«
»Durch Päckchen, in denen das Geld ist.«
»Wo wurden diese Päckchen bisher immer auf gegeben?«
»Das ist ganz verschieden. Mal in Chikago, mal in Minneapolis, mal in Detroit.«
»Und wofür wurden Sie bisher bezahlt?«
»Ich weiß das nicht, ich bin ja noch nicht lange bei dem Haufen. Renner hat mich breitgeschlagen, daß ich mitmachen sollte. Er allein trägt die Schuld, daß ich …«
»Selbstverständlich. Das Gericht wird Ihnen jedes Ihrer Worte abnehmen, Mister Prite. Wenn Sie auch erst kurz bei der Gang sind, was haben Sie bisher tun müssen?«
»Ich habe Päckchen mitnehmen müssen, das war alles.«
»Um welche Päckchen handelte es sich? Wie groß waren sie? Was war der Inhalt?«
»Die Dinger sind immer versiegelt, und ich habe nie reingesehen.«
»Wohin brachten Sie sie?«
»Kurz hinter dem Camp liegt eine verfallene Kupfermine. Dort waren die Päckchen, die wir mitnehmen mußten. Sie gingen meist nach Minneapolis. Von dort aus übernahm sie dann die Post. Wir brachten sie nur zu den Postämtern.«
»Wer außer Renner und Ihnen?«
»Ich weiß nur von Renner, bestimmt, das müssen Sie mir glauben.«
»Haben Sie sich nie Gedanken darüber gemacht, was in den Päckchen sein könnte?«
»Banknoten«, sagte Prite.
»Blüten?«
»Natürlich. Ich bin sicher, daß sie hier irgendwo in der Gegend hergestellt werden.«
»Von wem wurde Flander erschossen?«
»Von Renner. Und er hat auch Zack erschlagen.«
»Dafür töteten Sie Renner, nicht wahr?«
»Nein«, heulte Prite auf, »das habe ich nicht getan. Im Gegenteil, Mister, ich glaube, daß ich bald dran bin. Ich traue dem Chef nicht mehr über den Weg. Er hat Renner umlegen lassen.«
»Wer ist der Chef?«
»Wir haben ihn noch nie gesehen.«
»Keinerlei Vermutungen?«
»Ich will Ihnen mal was sagen«, erwiderte Prite, »ich traue diesem Blander nicht. Auch nicht seiner rechten Hand, diesem Heswell. Renner hat mir gesagt, er habe zusammen mit Heswell im Zuchthaus gesessen.«
»Welch ein Umgang«, seufzte Parker auf. »Warum mußte Doktor Flander sterben?«
»Der Chef sagte uns, er wollte uns verraten.«
»Was war in der Tasche, die Sie ihm stahlen? Ich wette, daß Sie hineingesehen haben?«
»Haben wir auch«, sagte Prite.
»Ich muß gestehen, daß mir diese Aussage etwas zu knapp ist«, antwortete Butler Parker.
»Ich gebe Ihnen den Tip, wenn Sie mich laufen lassen.«
»Sie verwechseln mich mit einem Händler«, erwiderte der Butler würdevoll.
»Machen Sie sich jetzt schon darauf gefaßt, daß ich Sie dem Sheriff übergeben werde. Was also befand sich in der Tasche?«
»Banknoten«, erwiderte Prite wütend, »nichts als Banknoten und eine Skizze, aus der wir nicht klug geworden sind.«
»Wo befindet sich diese Skizze?«
»Renner hat sie versteckt. Er wollte herausbekommen, wo sich die Druckerei befindet.«
»Und der Chef? Ich wette, daß er Renner und Ihnen nicht über den Weg traute?«
»Tat er auch nicht, aber was konnte er schon machen? Er mußte glauben, was wir ihm sagten.«
»Gehörte Doktor Flander Ihrer Bande an?«
»Natürlich, aber der feine Herr wollte aussteigen. Ich glaube, er stellte die Druckfarben her.«
»Wir wollen uns auf den Weg machen«, sagte Parker und strammte seine schwarzen Handschuhe, die er selten auszog. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, Mister Prite, daß ein Fluchtversuch so gut wie sinnlos ist. Etwaige Versuche in dieser Richtung würde ich durchaus falsch auslegen und dementsprechend handeln.«
*
Nach einem Gewaltmarsch von knapp zwei Stunden näherten sich der Butler und Joe Prite Wech-Lake. Prite wirkte trotz seiner Jugend mehr als erschöpft, Butler Parker hingegen war nichts anzumerken. Man hätte den Eindruck gewinnen können, er wäre gerade einem gut gekühlten Pullmanwagen entstiegen.
Prite hatte unterwegs nur einen einzigen Fluchtversuch unternommen, ihn aber schnell wieder aufgegeben, als der Butler auf seine Art etwas energisch geworden war. Prite hatte jetzt eine Riesenangst und tiefen Respekt vor dem schwarz gekleideten Herrn, der ihn beim Sheriff ablieferte.
Longer rieb sich die Augen, als Prite vorgeführt wurde. Er schaute auf Parker, dann auf Prite und sah schließlich den Butler an.
»Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß Mister Prite Ihnen einiges zu erzählen hat«, sagte Butler Parker, nachdem er seine schwarze Melone auf den Tisch gelegt hatte.
»Ich erstatte Anzeige gegen diesen Mann«, unterbrach ihn Joe Prite wütend, »er hat mich mit einer Waffe bedroht und mich unter Gewalt hierhergeschleppt. Dadurch habe ich meinen Dienst bei Mister Blander nicht antreten können. Ich mache diesen Mann für den Schaden und für den Verdienstausfall haftbar. Ich verlange …«
»Nun halte mal erst die Luft an«, sagte Longer zu Prite. »Was ist eigentlich gespielt worden?«
»Ich werde mich bei Mister Blander beschweren«, sagte Prite wütend, »Dieser Kerl dort«, er zeigte auf Parker, »hat mich mit der Waffe bedroht Ich verlange, daß Mister Blander sofort verständigt wird, haben Sie mich verstanden, Longer?«
»Alles zu seiner Zeit«, meinte Longer. Er wollte Prite vorsichtig zuzwinkern, aber Parker sah es doch. Der Butler ließ sich natürlich nichts anmerken, sondern kam zur Sache. Er erzählte Sheriff Longer, was Prite ihm gestanden hatte.
»Vielleicht sollte man diese Aussagen zu Protokoll nehmen«, schlug der Butler abschließend vor. »Ich denke, daß so zumindest die Morde an Doktor Flander und an dem Neger Zack geklärt worden sind. Vor allen Dingen dürfte feststehen, daß sich hier in oder um Wech-Lake eine Banknotendruckerei befindet, die nicht den Beifall des Schatzamtes finden wird.«
»Hier steht Aussage gegen Aussage«, meinte Sheriff Longer und kaute hingebungsvoll an seinem Federhalter herum. »Ich denke nicht daran, mich in die Nesseln zu setzen!«
»Ich verlange, daß dieser schwarze Vogel eingelocht wird«, hetzte Prite weiter. »So geht das ja nicht, daß man einfach mit ’ner Kanone zum Sheriff gehetzt wird, weil man angeblich was getan haben soll.«
»Ich werde Mister Blander anrufen«, entschied Longer. Er kurbelte wie besessen an dem altertümlichen Telefonapparat herum, bis er endlich eine Verbindung mit Blanders Camp bekam. Es dauerte eine Weile, bis Blander sich meldete. Parker nutzte diese Zeit und zündete sich genußreich eine seiner schwarzen Zigarren an. Er wirkte heiter und gelassen, als sei ihm durchaus kein Strich durch die Rechnung gemacht worden.
Prite hatte sich sehr beruhigt, als Sheriff Longer sich bereit erklärt hatte, Blander anzurufen. Prite stand sehr lässig an der Barriere, die den Arbeitstisch des Sheriffs vom Publikum zu trennen hatte. Er rauchte eine Zigarre und sah den Butler triumphierend an, als habe er das Rennen bereits gewonnen.
»Wunderbar, Mister Blander«, meldete sich Longer gerade, »hier spricht Longer. Ja, Longer, Mister Blander, Joe Prite steht hier neben mir am Apparat. Er ist von Mister Parker … Ja, von Mister Parker vor wenigen Minuten hierhergeschleppt worden. Prite hat angeblich gestanden, zusammen mit Renner den Doktor umgebracht zu haben. Er streitet das natürlich rundweg ab und … Wie bitte? Ja, selbstverständlich, ich habe sehr genau verstanden. Sie legen keinen Wert mehr auf Prite. Ich soll ihn einlochen und ruhig vernehmen. Das ist natürlich etwas anderes, wenn Sie dieser Meinung sind, Mister Blander … In Ordnung … Ich danke Ihnen für den Hinweis. Selbstverständlich werde ich noch heute zu Ihnen ins Camp kommen. Ende!«
»Sie können mich doch nicht aufs Kreuz legen«, wütete Prite los, als Longer den Hörer aufgelegt hatte. »Haben Sie überhaupt mit meinem Chef gesprochen?«
»Von mir aus können Sie ihn sofort anrufen und sich danach erkundigen«, meinte Longer grinsend.
»Das laß’ ich nicht mit mir machen«, schrie Prite und schlug auf den Tisch, »das kann Blander mit mir nicht machen. Wenn er mich los sein will, dann werde ich ihm mal was anderes erzählen. Dann pack’ ich aus, darauf kann er sich verlassen.«
»Sie nehmen den Mund ein bißchen voll«, erwiderte Longer gemütlich. »Mister Parker, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich werde die Ermittlungen sofort aufnehmen.«
Prite hatte keine Lust, sich einsperren zu lassen. Er versuchte, aus dem Büro des Sheriffs zu flüchten, doch Parker hüstelte nur warnend, und schon hatte Prite keine sonderliche Lust mehr, sich selbständig zu machen. Als Longer ihm die Handschellen anlegte, begann er wenig schön zu schimpfen.
»Sie haben immer noch nicht begriffen«, sagte Longer lächelnd. »Joe, du hast verspielt. Blander braucht dich nicht mehr. Er läßt dich hängen, und ich kann’s ihm noch nicht einmal verübeln!«
»Ich werde ihn reinreißen«, sagte Prite, der ruhiger geworden war. »Ich werde auspacken, und daran soll er verdammt wenig Freude haben.«
»Ich wünsche den Herren eine gute Unterhaltung«, mischte sich Butler Parker in diese Hinweise, »Wegen des Protokolls erlaube ich mir, am Nachmittag noch einmal hereinzuschauen.«
Höflich verbeugte sich Parker vor dem Sheriff und verließ das Dienstgebäude. Er trippelte hinüber zu Stimsons Hotel und verkniff sich seinen Wunsch, dort etwas zu essen. Er legte keinen sonderlichen Wert darauf, vergiftet zu werden.
Nachdem Parker sich erfrischt hatte, erschien er erneut auf der Hauptstraße des Ortes und setzte sich in die Bar, um dort einen kleinen Imbiß zu sich zu nehmen. Danach ließ er sich in der Autowerkstatt Frank Norts’ sehen.
Frank Norts, der Freund der Vera Anderson, war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und wirkte sehr nett und sympathisch. Er trug einen verölten Overall und war dabei, irgendwelche Teile eines Motors mit Benzin zu reinigen. Als er Parker sah, ließ er die Teile sinken und starrte den Butler fast entgeistert an, dann allerdings grinste er vergnügt.
»Sie sind bestimmt Mister Parker. Vera hat mir schon von Ihnen erzählt. Wenn Sie sich setzen wollen, müßte ich Ihnen erst mal einen sauberen Stuhl besorgen.«
»O nein, ich bedanke mich für diese Freundlichkeit, aber ich ziehe das Stehen vor«, erwiderte Parker umständlich. »Sie haben sich eine sehr nette Werkstatt eingerichtet.«
»Sie könnte besser sein«, erwiderte Norts. »Es fehlt an allen Enden und Ecken. Aber mit der Zeit werde ich es schon schaffen.«
»Vera Anderson glaubt fest an Sie«, sagte Parker. »Und sehr viel Konkurrenz dürften Sie hier in Wech-Lake ja nicht haben.«
»Nebbel ist der einzige Monteur, der mir die Kundschaft abjagen könnte«, erwiderte Norts.
»Verstehen Sie sich gut mit ihm?«
»Mit Nebbel kann man sich nur schwer vertragen«, war die Antwort des jungen Mannes. »Er ist irgendwie verbittert. Vielleicht liegt das daran, daß er nicht mehr in seinem alten Beruf arbeitet.«
»Er war ursprünglich kein Mechaniker?«
»Er stammt aus der Druckerbranche. Was er genau getan hat, weiß ich nicht. Aber er spielte sich unentwegt als der große Nebbel auf, wenn Sie mich verstehen, was ich damit meine.«
»Durchaus, durchaus, Mister Norts«, antwortete Butler Parker und nickte wohlgefällig. »Ich habe den Eindruck, Sie machen sich Ihre eigenen Gedanken, ja?«
»Man hat in Wech-Lake viel Zeit, um zu grübeln.«
»Haben Sie auch über den Tod Doktor Flanders gegrübelt?«
»Er saß in irgendeiner Klemme«, antwortete Norts offen. »Er hat natürlich nie darüber gesprochen. Wenn Sie mich fragen, so arbeitete er an irgendeiner Erfindung, und ihm war darüber das Geld ausgegangen.«
»Davon habe ich ebenfalls schon gehört.«
»Was er genau wollte, weiß ich natürlich nicht, aber er arbeitete nächtelang.«
»Wobei ihm der Neger Zack half, nicht wahr?«
»Zack war Tag und Nacht beim Doktor«, berichtete Norts weiter. »Sie hatten sich fast in ihrem Keller vergraben.«
»Hatte Flander sich dort eine Werkstatt eingerichtet?«
»Das kann man eigentlich nicht sagen«, sagte Norts. »Ich habe für Doc Flander mal vor Monaten eine Lichtmaschine gebaut. Damals war ich in seinen Kellerräumen, aber von einer Werkstatt habe ich nichts gesehen.«
»Wohin haben Sie die Lichtmaschine geliefert?«
»Ich wollte sie ihm im Keller installieren. Dazu hätte ich ’ne Leitung für die Abgase bauen müssen, aber davon wollte er nichts wissen. Ich habe ihm das Ding in den Schuppen stellen müssen. Was aus der Lichtmaschine geworden ist, weiß ich nicht. Er hat bei mir auch nie Dieselöl gekauft, um das Ding anzutreiben. Vielleicht ist es im Schuppen verrostet. Was weiß ich.«
»Half Witwe Anderson bei diesen Versuchen?«
»Ich glaube ja. Sie war sehr oft bei Doktor Flander.«
»Erhielt der Doktor oft Besuch von auswärts? Fuhr er selbst öfter weg?«
»Nie. Er hatte sich zu Hause vergraben. Was zu erledigen war, besorgte Mrs. Anderson. Sie fuhr mit der Bahn weg und kam dann mit Paketen beladen wieder zurück. Oder auch Vera wurde in die Stadt geschickt. Nein, Flander hielt nichts von Reisen.«
»Verstand er sich gut mit Blander?«
»Darüber weiß ich kaum etwas, Mister Parker.«
Der Butler unterhielt sich noch eine Weile mit Norts und schlenderte anschließend hinüber zur Tankstelle Nebbels. Er berichtete von dem Ford, den er draußen in den Bergen hatte zurücklassen müssen, was Nebbel ohne große Aufregung zur Kenntnis nahm. Er interessierte sich für ganz andere Dinge.
»Ich habe mir gerade erzählen lassen, daß Joe Prite eingelocht worden ist«, sagte er. »Stimmt das eigentlich? Sie sollen ihn angeschleppt haben.«
»Er war geradezu versessen darauf, mich zu erschießen«, antwortete Butler Parker. »Aus verständlichen Gründen hatte ich etwas gegen diese Absicht. Er folgte mir dann hierher nach Wech-Lake. Unterwegs erzählte er mir allerdings erstaunliche Dinge.«
»Joe hat immer gut erzählt.«
»Er beichtete mir, er gehöre einer Gang an, die falsche Banknoten herstellt. Er scheute sich nicht, auch Ihren Namen in die Debatte zu werfen. Er wollte mir doch um jeden Preis auf die Nase binden, Sie wären früher einmal Drucker in einer Staatsdruckerei gewesen.«
»Stimmt«, erwiderte Nebbel knapp. Dann hatte er plötzlich keine Zeit mehr für Parker. Er entschuldigte sich damit, er müßte den Ford abschleppen und den Tank wieder in Ordnung bringen. Parker schaute dem schnell davonfahrenden Mann ausdruckslos nach. Parker legte nie Wert darauf, daß sein Gesicht der Spiegel seiner Seele und seiner Gedanken war.
Den Rest des Tages hielt sich Parker in Wech-Lake auf.
Er stocherte in den Brandresten des Hauses von Doktor Flander herum; aber viel war nicht zu erkennen. Die verkohlten Bretter und Balken waren in den Keller abgestürzt und füllten ihn aus. Der Schuppen, den Frank Norts erwähnt hatte, konnte Parker ebenfalls nicht mehr begutachten. Auch er hatte sich in der Brandnacht in Rauch und Flammen aufgelöst. Erstaunlicherweise aber war kein ausgeglühter Motor zu entdecken. Er schien sich in Nichts aufgelöst zu haben, denn auch im Keller hatte ihn Parker seinerzeit nicht gesehen.
Parker ging sehr methodisch vor.
Er fragte sich, ob er wirklich alle Kellerräume gesehen hatte. Oder gab es vielleicht irgendwelche Räume, die er übersehen hatte. Schließlich hatte ihm nicht viel Zeit zur Verfügung gestanden, um alles in Augenschein nehmen zu können.
Parker dachte an den bewußt angestifteten Brand. Schon allein diese Tatsache war Grund genug, sich noch einmal richtig mit dem abgebrannten Haus zu befassen, und sei es auch nur aus dem Grund, um den Boß der Gangster mißtrauisch und nervös werden zu lassen.
Dann war da die Sache mit dem Dieselmotor, der als Lichtmaschine umgebaut worden war. Flander hatte sich dieses Gerät bestimmt nicht aus Langeweile bestellt. Er mußte es irgendwo installiert haben. Vielleicht in einer geheimen Banknotendruckerei?
*
Als es zu dämmern begann, ging Butler Parker nach oben in sein Hotelzimmer und verfaßte ein längeres Telegramm. Er nahm sich sehr viel Zeit dazu und benutzte einen Codeschlüssel, den nur Mike Rander kannte. Parker brauchte einige Auskünfte, vor allen Dingen interessierte er sich dafür, ob die Banken oder das Schatzamt zur Zeit Sorgen mit irgendwelchen Banknotenfälschungen hatten. Ferner brauchte er Hinweise über verschiedene Personen, die seiner Meinung nach mit dem Mordfall im Zusammenhang stehen konnten. Nachdem er das Telegramm aufgesetzt und verschlüsselt hatte, brachte er es zur Poststation und blieb solange dort, bis der Beamte es durchgegeben hatte. Erst dann verließ der Butler die Station, um der Witwe Anderson einen Besuch abzustatten.
Die knochige Frau war genauso mürrisch wie bei seinem ersten Besuch. Sie war dabei, Geschirr abzutrocknen und bot Parker keinen Stuhl an.
»Ich wollte noch einmal bei Ihnen vorbeisehen«, meinte Parker in seiner höflichen Art. »Wissen Sie, Madam, ich mache mir ernstliche Sorgen um Sie.«
»Ich denke, daß das meine Sache ist«, erwiderte die Witwe.
»Es ist bestimmt nicht meine Art, mich anderen Leuten aufzudrängen«, entschuldigte er sich, »aber mich treiben doch gewisse Informationen zu Ihnen, die Sie sicherlich klären können. Zudem müßten Sie meiner Schätzung nach mit einem Besuch des Sheriffs rechnen.«
»Longer? Daß ich nicht lache! Dieser angetrunkene Kerl kommt mir nicht in meine Wohnung. Ich wüßte nicht, was er bei mir zu suchen hätte!«
»Sie sollen laut Aussage eines gewissen Joe Prite Doktor Flander bei der Herstellung von Spezialfarben zum Druck von Falschgeld geholfen haben«, meinte Parker in seiner umständlichen Art. »Schon als ich diese Behauptung hörte, mußte ich innerlich den Kopf schütteln.«
»Was soll ich getan haben?«
»Sie weniger. Doktor Flander soll Druckfarben zur Herstellung von Falschgeld produziert haben.«
»Und das hat Prite behauptet?«
»Er versicherte es mir einige Male.« »Das ist doch reiner Unsinn«, erklärte die Witwe und zerrte sich die buntgemusterte Schürze vom Leib. »Ich weiß, daß über den Doktor viel geredet worden ist. Auch mir hat man allerlei Dinge anhängen wollen. Ich kann Ihnen genau sagen, was Doktor Flander hergestellt hat, oder noch besser ausgedrückt, was er hat herstellen wollen.«
»Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie mir keine Rede und Antwort zu stehen brauchen«, warf der Butler ein. »Ich bin eine Privatperson. Ja, ich besitze noch nicht einmal die Lizenz eines Privatdetektivs.«
»Je schneller Wech-Lake weiß, was wirklich vorgefallen ist, desto eher werden die Gerüchte wohl aufhören«, sagte die Witwe. »Doktor Flander arbeitete an einem neuen Serum. Das ist das ganze Geheimnis. Wir leben hier in einer Gegend, in der die Viehzucht zu Hause ist. Flander wollte ein kombiniertes Serum schaffen, um die Gesundheit des Viehs sicherzustellen.«
»Soviel ich weiß, verfügte er aber nicht über ein Laboratorium.«
»Selbstverständlich hatte er keine Versuchsräume, wie man sie in chemischen Werken findet«, erwiderte die Witwe, die etwas zugänglicher geworden war, »aber für Flanders Zwecke reichten die Geräte aus. Er hat sich sehr viel Mühe gegeben und Tag und Nacht an dem Serum gearbeitet.«
»Auf diesem Gebiet bin ich nur ein Laie«, entschuldigte sich Parker. »Ich frage mich nur, wieso Prite solche Behauptungen aufstellen konnte.«
»Er will sich den Buckel reinhalten«, meinte die Witwe Anderson. »Ich habe Doktor Flander sehr gut gekannt und kann nur sagen, daß er ein Ehrenmann gewesen ist.«
»Aber warum hat man ihn wohl ermordet?«
»Darüber denke ich auch immer wieder nach«, erwiderte die Frau. »Vielleicht hat man ihn mit jemand verwechselt. So etwas passiert ja immer wieder.«
»Oder könnte Doktor Flander hinter irgendein Geheimnis gekommen sein, rein zufällig? Ich denke an Mister Blander.«
»Darauf kann ich mir keinen Reim machen«, sagte die Witwe Anderson, und ihr Gesicht nahm wieder die harten Konturen an. »Ich weiß nichts und ich werde mich hüten, irgendwelche Gerüchte in die Welt zu setzen.«
»Sie wissen wohl inzwischen, daß Walter Renner ermordet wurde. Oder bin ich der Überbringer dieser Nachricht?«
»Natürlich habe ich schon davon gehört«, sagte die Witwe. »Ich habe aber jetzt wirklich keine Zeit mehr für Sie, Mister Parker. Ich habe große Wäsche.«
»Da bin ich der letzte, der stören will«, entschuldigte sich der Butler und stand auf. »Ach, Mrs. Anderson, ich zerbreche mir da den Kopf über eine gewisse Lichtmaschine, die Doktor Flander sich hat herstellen lassen. Können Sie mir sagen, wo er sie installiert hatte?«
»Was für eine Lichtmaschine?«
»Frank Norts baute sie für ihn.«
»Ach, Sie meinen den Motor? Den hat Doktor Flander bald wieder verkauft.«
»Sie wissen gewiß als seine Hausangestellte, an wen sie verkauft wurde, nicht wahr?«
»Darum habe ich mich nicht gekümmert, Mister Parker«, entgegnete die knochige Frau, die sichtlich verlegen geworden war. »Ich will Ihnen mal etwas sagen, Mister …«
»Parker ist mein Name …«
»Das weiß ich doch«, sagte sie verärgert. »Sie schnüffeln hier bei mir herum und wollen etwas erfahren. Ich kann Ihnen nur immer wieder sagen, daß Mister Flander ein Ehrenmann war. Verschonen Sie mich in Zukunft mit Ihrem Besuch!«
»Ihr Wunsch soll mir Befehl sein«, antwortete der Butler. »Wie gesagt, es ist nicht meine Angewohnheit, mich aufzudrängen. Ich darf mir wohl erlauben, Ihnen abschließend ruhige Tage und vor allen Dingen ruhige Nächte zu wünschen.«
Parker verließ das Haus und spürte, daß ihm die Witwe durch das Korridorfenster nachschaute. Parker hatte aber auch noch mehr gesehen, nämlich eine imposante Schrotflinte, die in der Küche neben dem Arbeitstisch stand. Die Witwe schien sich also doch nicht so sehr wohl zu fühlen, wie sie nach außen hin tat. Es stand für den Butler fest, daß Mrs. Anderson in einer großen Angst lebe, die noch nicht einmal unbegründet war. Sie wußte zuviel, und es war bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis sich der Boß der Gangsterbande mit ihr befaßte.
Im übrigen wurde der Butler von den Trümmerresten des Hauses angezogen, in dem Doktor Flander angeblich nach einem neuen Serum gesucht haben sollte. Wie ein Storch stakste er mit angezogenen Beinen zwischen den Trümmern herum und bedauerte es, daß ihm die Trümmer den Weg in die Kellerräume versperrten.
Er kümmerte sich nicht darum, daß er beobachtet wurde. Kinder und Erwachsene hatten sich vor der Trümmerstelle versammelt und schauten ihm schweigend zu. Parker spürte förmlich das feindliche Schweigen, dessen Ursprung wohl in der großen Angst begründet war. Die Einwohner von Wech-Lake fühlten sich alle irgendwie bedroht. Derjenige, der etwas wußte, der schwieg sicher, um nicht das Schicksal Renners teilen zu müssen.
Parker schritt das gesamte Grundstück ab. Er stand lange vor den Resten des Schuppens, schritt durch den verwilderten Garten und erreichte einen verfallenen Brunnenschacht, der erstaunlich massiv im oberen Teil ausgemauert worden war. Dann stieg das Gelände sehr steil an und ging in Felstrümmer über. Nördlich des Steilhanges erhob sich eine Schutthalde, die aber mit mannshohen Sträuchern und Bäumen bewachsen war.
Zur Verblüffung der Zuschauer zog der Butler einen Zollstock aus den unergründlichen Manteltaschen und begann zu messen. Er wußte zwar selbst nicht, was er ausmaß, aber er besorgte das mit einer Gründlichkeit, die die eines Geometers noch übertraf. Dann kritzelte er sinnlos Zahlen in sein Notizbuch, nickte mehrmals beifällig und trippelte zurück in Stimsons Hotel.
»Dieser Brief ist für Sie abgegeben worden«, sagte Stimson, der auf den Butler gewartet zu haben schien. Parker öffnete ihn und zog das Schreiben hervor. Er las mit innerer Genugtuung, daß er sich bis gegen zwanzig Uhr aus Wech-Lake absetzen sollte. Für den Fall, daß er blieb, verhieß ihm der Briefschreiber den sofortigen Tod! Unterschrieben war das Schreiben nicht, aber das hatte Parker auch nicht erwartet …
Er fragte erst gar nicht, wer ihm diesen Brief zugestellt hatte. Er massierte sich wortlos sein Kinn und übersah die fragenden Augen Stimsons.
»Schlechte Nachrichten?« fragte der Hotelier neugierig.
»Sie können mir meine Rechnung machen«, erwiderte Parker, »ich muß dringend verreisen.«
»Wann wollen Sie fahren?« fragte Stimson.
»In einigen Stunden«, sagte Parker »Können Sie mir einen netten Zug nach Minneapolis aussuchen?«
Stimson war bestens informiert. Er nannte einige günstige Abfahrtszeiten und beeilte sich, die Rechnung aufzustellen. Parker zahlte und ging nach oben, um sein Gepäck zu richten. Er war bester Laune und zündete sich zur Feier der Stunde eine Zigarre an. Nach knapp sechzig Minuten erschien er wieder und schritt gravitätisch zur Bahnstation. Er informierte den Zugbeamten und wartete dann ergeben auf das Erscheinen des Zuges, der in einer Viertelstunde fällig sein mußte. Der Expreß erschien pünktlich.
Parker stieg ein und ließ sich von dem Negerwaiter in sein Schlafwagenabteil bringen. Dort setzte er sich und sann seinem Fall nach. Er hatte selbstverständlich nicht die Absicht, Wech-Lake für immer den Rücken zu kehren. Seine Abfahrt geschah nur aus taktischen Gründen, um gewisse Leute in Sicherheit zu wiegen oder aber sie nervös werden zu lassen. Parker hielt viel von der Psychologie. Er liebte es, seine Gegner in Zwangslagen zu bringen. Er bugsierte sie unmerklich in Situationen, in denen sie so oder so Farbe bekennen mußten.
Seiner Meinung nach war gewisses Licht in die Sache gekommen. Er glaubte zu wissen, wer als Chef der Gangsterbande in Betracht kam, aber natürlich fehlten ihm noch alle Beweise. Er war nur auf Vermutungen angewiesen. Hinzu kam, daß er die geheime Werkstatt der Gangster ausfindig machen mußte. Erst dann war er in der Lage, mit Sicherheit sagen zu können, daß wirklich Falschdrucke hergestellt wurden.
Als der Expreß Minneapolis erreicht e hatte, kletterte der Butler aus dem Zug und setzte sich in das Bahnhofsrestaurant. Hier aß er, frei aller Vergiftungssorgen, ausgiebig und telefonierte anschließend mit der Kanzlei Mike Randers. Die verlangten Auskünfte hatte man in der kurzen Zeit noch nicht einholen können; aber er erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß Mike Rander, der bekannte Strafverteidiger, längst abgereist sei, um Parker zu unterstützen.
Nach Klärung dieser Fragen rief der Butler einen Autoverleih an und ließ sich einen Stationswagen zum Bahnhof bringen. Es handelte sich um einen Jeep, der nur sehr geräumig karossiert worden war. Parker verstaute seine Koffer auf der Ladefläche, beglich die Sicherheiten und die Wagenmiete und schlängelte sich vorsichtig durch die belebte Innenstadt. Jeder, der ihm folgen wollte, hatte Zeit und Gelegenheit, sich an ihn zu hängen. Darauf legte der Butler besonders großen Wert. Als er das Weichbild der Stadt verlassen wollte, steigerte der Butler allerdings die Geschwindigkeit des Wagen s. Er fuhr brillant und brauchte keine Rücksicht auf ängstliche und nervöse Mitreisende zu nehmen.
Unterwegs hielt er einige Male und orientierte sich. Er ließ Wech-Lake südlich liegen und fuhr sofort auf einigen Umwegen hinauf zum Camp Clive Blanders. Es war gegen Morgen, als Parker dort erschien. Er ließ den Wagen unter einer Baumgruppe stehen und erkletterte einen steilen Hügel. Von dort aus beobachtete er durch ein scharfes Glas die Vorhänge im Camp.
Er sah einige Male Blander, der zusammen mit seiner rechten Hand, Heswell, herumkommandierte, dann später aber wieder im Bürohaus verschwand. Bei der Gelegenheit machte Parker einen Schacht aus, der ihn an eine Mine erinnerte. Dieses Gebäude befand sich in unmittelbarer Nähe der Konservenfabrik, an die wiederum große Weiden grenzten, auf denen sehr viel Vieh zu sehen war. Parker ging mit sich zu Rate, ob er diesem Gelände einen kurzen Besuch abstatten durfte. Es war eigentlich noch ein wenig zu hell. Parker riskierte es dennoch.
Er verließ den Beobachtungshügel und pirschte sich mit aller gebotenen Vorsicht an das Ziel seiner Wünsche heran. Er nutzte jede Deckung geschickt aus und hatte es bald geschafft. Die Leute, die in der Konservenfabrik arbeiteten, hatten genug mit ihrer Arbeit zu tun, um sich mit ihm befassen zu können. Parker hatte endlich den hohen Stacheldrahtzaun erreicht, der das Gebäude umgab. Nur diesen Zaun brauchte er noch zu überwinden, dann …
Doch er hatte einiges Pech.
Er hörte hinter sich das Knicken eines Astes, wollte herumwirbeln, kam aber nicht mehr dazu. Ein Pistolenlauf preßte sich gegen seinen Rücken, und eine leise Stimme forderte ihn höflich, aber sehr nachdrücklich auf, die Arme hochzunehmen. Parker kam diesem Wunsch nach, doch er lächelte erfreut.
*
»Mister Rander«, sagte der Butler und drehte sich langsam um, »ich kann nicht umhin, Ihnen mein Kompliment auszusprechen … Ich muß gestehen, daß ich Sie nicht gesehen habe.«
Mike Rander, der bekannte Strafverteidiger aus Chikago, der von sich aus den Fall angefaßt hatte, lächelte seinem Butler zu und versenkte die Waffe wieder in seiner Rocktasche. Rander trug Räuberzivil und sah wie ein Landstreicher aus. Mißbilligend stellte der Butler fest, daß sich Rander nicht rasiert hatte.
»Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte Rander, »ich glaube, daß wir ohnehin nicht mehr an den Schacht herankommen können. Es ist schon zu hell.«
»Ich hatte seinerzeit einmal das Vergnügen, dem Duke of Rindbergh dienen zu dürfen«, begann Butler Parker. »Er vertrat die Meinung, daß es nie zu spät sei … allerdings handelte es sich damals um ein Börsenmanöver, bei dem er sein Vermögen einbüßte.«
»Kommen Sie schon«, sagte Rander auflachend, »ich merke, daß Sie Wech-Lake auch nicht umkrempeln können. Sehen wir uns den Schacht einmal an, doch ich glaube, daß wir keine Sensationen erwarten dürfen.«
Die beiden so ungleichen Männer arbeiteten sich schnell und geschickt über den Zaun und erreichten das Schachthaus, dessen Eisentore geöffnet waren. Sie duckten sich, als sie einen Mann erkannten, der auf einem großen Eisenstuhl saß und an einigen überlangen Hebeln herumhantierte. Er dirigierte damit die Förderanlage und bewies auch gleichzeitig, daß zumindest diese Anlage noch in Betrieb war.
Butler Parker schüttelte den Kopf. Was er sah, paßte nicht in das Bild, das man ihm vorgezeichnet hatte. Als er sich an Mike Rander wenden wollte, da wurden sie beide angesprochen. Parker erkannte sofort die Stimme Clive Blanders.
Sie drehten sich langsam zu dem Mann herum, der leichtes Sommerzeug trug und sie anlächelte. Blander war waffenlos, aber seine rechte Hand Heswell trug eine Waffe in der Hand. Der zweite Begleiter Blanders hatte sich mit einer Maschinenpistole ausgerüstet.
»Das hätte leicht schiefgehen können«, sagte Blander. »Wir waren schon der Meinung, die Konkurrenz hätte uns einige Spitzel auf den Hals geschickt … Wer ist denn das …?«
Blander wies auf Rander, der sich knapp verbeugte. Seitdem Mike unter der Fuchtel seines Kammerdieners Parker stand, hatte er sich eine Menge seiner etwas rauhbeinigen Manieren abgewöhnt.
»Wenn ich mir erlauben darf, die Herren vorzustellen«, schickte der Butler voraus und ignorierte die beiden Waffen souverän. »Das hier ist Mister Mike Rander, ein Strafverteidiger aus Chikago … Ich habe die Ehre und das wirkliche Vergnügen, sein Kammerdiener zu sein. Mister Rander, darf ich Sie mit Mister Clive Blander bekannt machen? Mister Blander ist … Unternehmer und der Chef dieser Besitzungen. Dort sehen Sie Mister Heswell, während der dritte Herr mir noch nicht bekannt ist.«
»Hallo, Mister Rander«, sagte Blander, »nett, Sie bei mir zu sehen. Aber warum haben Sie sich denn wie ein Dieb auf mein Gelände geschlichen? Falls Sie meinen Betrieb besichtigen wollen, lade ich Sie dazu herzlichst ein. Diese Einladung erstreckt sich auch natürlich auf Sie, Mister Parker …«
Butler Parker nickte sehr zufrieden. Nicht weil auch er eingeladen worden war, sondern weil ihm die Höflichkeit Blanders durchaus zusagte.
»Wir möchten Ihren Betrieb nicht stören«, erwiderte Mike Rander.
»Aber Sie stören mich auf keinen Fall«, erwiderte Blander höflich. »Ich nehme an, Sie interessieren sich besonders für meine Kühlanlage, nicht wahr?«
»Kühlanlage?« echote Butler Parker.
»Sie befinden sich in den ehemaligen Hauptschächten des Bergwerkes«, antwortete Clive Blander. »Bitte gehen Sie nur voran … Sie werden später zugeben müssen, daß wir uns ausgezeichnet installiert haben.«
Parker und Rander sahen sich blitzschnell an, zwinkerten sich kaum merklich zu und nahmen die Einladung an. Heswell grinste etwas bösartig und blickte verliebt seine Waffe an. Der dritte Mann mit der MP war nur ein Statist, der keine Gefühlsregung zeigte.
Die Männer schritten zur Förderanlage hinüber und warteten auf den Korb, der bald darauf an der Oberfläche erschien. Sie drechselten sehr viel nette Redensarten, als sie gemeinsam den Förderkorb betraten und dann nach unten fuhren. Butler Parker hatte sich bereits vorgenommen, im Falle eines Falles Blander auszuschalten. Obwohl Blander keine sichtbare Waffe trug, hielt Parker ihn für den gefährlichsten Mann. Er hatte in dieser Beziehung seine Erfahrungen.
Schaukelnd hielt der Transportkorb, und Rander und Parker durften ihn als erste verlassen. Doch zu Parkers Überraschung befanden sie sich tatsächlich in einem großzügig eingerichteten Gefrierraum, in dem Rind neben Rind hing, Wände und Decke des breiten Ganges waren gekachelt, der Boden mit Steinfliesen ausgelegt worden.
»Was sagen Sie jetzt?« fragte Blander stolz. »Wir sind unabhängig von der Witterung … Oben im Betrieb werden die Tiere geschlachtet und dann hier unten in gleichbleibender Temperatur gekühlt, bis sie zu Büchsenfleisch verarbeitet werden können.«
»Durchaus erstaunlich«, sagte Parker.
»Wir haben dadurch natürlich den Vorteil, günstig einkaufen zu können«, sagte Blander weiter. »Überschüsse können hier unten abgefangen und eingelagert werden. Zudem ersparten wir uns den Neubau einer riesigen Kühlhalle. Wenn Sie sich umdrehen, sehen Sie die beiden Schiebetore, die den Kühlraum zum Schacht hin restlos verschließen können. Hatten Sie das hier unten so erwartet?«
»Wenn ich ehrlich sein soll, so vermisse ich noch die Notendruckerei«, sagte Butler Parker lächelnd.
»Wen bitte?« fragte Blander und musterte den Butler erstaunt.
»Ich habe mir von Joe Prite sagen lassen, hier unten befinde sich eine Notendruckerei!«
»Prite wird Ihnen einen Bären aufgebunden haben«, sagte Blander auflachend. »Ich verstehe … Sie halten mich noch immer für den Chef der Gangsterbande, die Sie in Wech-Lake suchen, nicht wahr?«
»Sie existiert tatsächlich«, widersprach der Butler höflich.
»Aber nicht hier unten in meinen Kühlräumen«, erwiderte Blander kurz angebunden. »Ich weiß, daß viel über mich geredet wird … Ich habe mich durchsetzen wollen und habe das auch geschafft … Ich gebe gern zu, daß meine Mittel nicht immer sehr korrekt waren, aber sie halten jeder gerichtlichen Untersuchung stand. Aus welchem Grund sollte ich mir eine Gang aufgezogen haben? Ich habe so schon genug am Hals.«
»Ihr Personal brachte mich auf diese Vermutung.«
»Sie spielen auf Heswell an, weil er im Zuchthaus gesessen hat?«
»Sie drücken sich sehr direkt aus.«
»Es ist auch besser so, damit wir uns ein für allemal verstehen, Mister Parker … Heswell hat gesessen, das weiß ich … Er hat seine Strafe hinter sich gebracht, und ich habe ihm hier eine echte Chance gegeben. Er hat sie genutzt, und ich möchte Heswell nicht mehr missen. Er hält die Jungens wenigstens in Schwung.«
»Ich denke jetzt an Walter Renner, an Joe Prite … Und an die vielen andere Männer, die nach Ihrer Pfeife tanzen, wie der Volksmund sich ausdrückt.«
»Ich würde den Jungens auch die Beine langziehen, wenn sie nicht parierten«, erwiderte Blander. »Ich muß hier an Arbeitskräften nehmen, was sich anbietet, das dürfte doch klar sein. Daß sich darunter auch Raufbolde befinden, streite ich gar nicht ab, das ergibt sich von allein. Aber Sie haben ja auch im Fall Prite gesehen, daß ich kurzen Prozeß machen kann. Ich will mir keinen Skandal leisten.«
»Das geht gegen Sie, Heswell!« antwortete Butler Parker, sich dann schnell an Heswell wendend. »Könnten Sie sich vorstellen, daß irgendein Mann von diesem Camp aus eine Gang aufgezogen hat?«
»Das geht gegen Sie, Heswell?« meinte Blander und lachte unbefangen auf.
»Möglich«, erwiderte Heswell, ohne sich aber zu regen. »Mister Parker, Sie sprachen von Falschmünzergang … Wie soll sich so etwas hier im Camp aufziehen lassen? Dazu benötigt man Fachleute, eine komplett eingerichtete Druckerei und vieles mehr …«
»Muß es sich unbedingt um Falschgeld handeln?« warf da Mike Rander beiläufig ein.
»Man gründet doch schließlich eine Gang, um mit ungesetzlichen Mitteln schnell an viel Geld zu kommen«, definierte Blander. »Was also sollte hier ohne unser Wissen aufgezogen worden sein? Nein, nein, meine Herren. Sie haben sich auf den Arm nehmen lassen, gestehen Sie sich das ruhig ein!«
»Und deshalb haben Sie so etwas wie einen bewaffneten Werkschutz aufgezogen?«
»Wegen der Burschen, die wir zwangsläufig engagieren müssen und auch wegen der Konkurrenz. Wir haben selbstverständlich sehr viele Feinde, die uns unseren Erfolg neiden. Denken Sie doch nur an Nebbel. Ich habe ihm bisher nichts nachweisen können, aber ich weiß, daß er darauf brennt, mir mein Camp in die Luft zu jagen.«
»Ist Nebbel wirklich so gefährlich?«
»Ein Verrückter kann sehr viel Unheil anrichten«, erwiderte Blander. »Und was meine Reserve angeht, die ich gezeigt habe, so haben wir es hier an der Kante nicht besonders gern, wenn Leutchen aus der Stadt erscheinen und herumschnüffeln. Mit unseren Problemen werden wir allein fertig.«
»Wird der Sheriff das auch schaffen können?«
»Longer ist schon richtig.«
»Wird er die Morde aufklären können?«
»Das ist seine Sache, dazu ist er ja gewählt worden. Eine andere Frage: Sie beschäftigen sich doch beide mit den Morden Flander, Zack und Renner. Wer bezahlt Sie eigentlich dafür? Sie müssen doch irgendeinen Auftraggeber haben?«
»Wir kümmern uns privat um diesen Fall. Weil es sich um Mord handelt. Mister Parker und ich haben etwas gegen Mörder.«
»Dann wünsche ich Ihnen Hals- und Beinbruch«, erwiderte Blander und schaute abrupt auf seine Uhr. »Und jetzt müssen Sie mich leider entschuldigen … ich habe noch eine Menge zu tun.«
Parker war bereit, sich in Bruchteilen von Sekunden auf Blander zu stürzen, doch zu seiner Überraschung fuhren sie alle wieder ohne Streit und Zwietracht nach oben. Vor dem Förderhaus wendete sich Blander noch einmal an Parker und Rander.
»Damit wir uns richtig verstehen«, sagte er höflich, »der Eingang zu meinem Betrieb befindet sich unten an der Straße. Sollten Sie Lust haben, noch einmal über den Zaun zu steigen, so rechnen Sie mit blauen Bohnen, ja? Ich kenne Sie nicht, und ich muß mich vor Saboteuren schützen …«
»Wir bedanken uns für die interessante Grubenfahrt«, sagte Rander und nickte. »Wahrscheinlich werden wir Sie nicht mehr zu belästigen brauchen.«
»Darf ich eine Bitte zur Sprache bringen?« fragte der Butler, sich an Blander wendend.
»Klar, was ist denn los?«
»Dürfen wir noch ein zweitesmal über den Zaun steigen? Ich möchte uns den weiten Weg ersparen!«
Blander grinste und hatte nichts dagegen. Parker und Rander kletterten nicht gerade wie Sieger über den Zaun und gingen zum Wagen des Butlers zurück. Sie setzten sich und rauchten erst einmal, das heißt, als Parker sich eine Zigarre anzünden wollte, protestierte Mike Rander laut.
»Wenn Sie diesen Giftstengel rauchen wollen, dann setzen Sie sich da draußen auf einen Stein und testen Sie erst die Windrichtung, damit ich nicht vergast werde«, meinte er.
»Ich bin davon überzeugt, daß auch Sie eines Tages, Mister Rander, zu meinen Spezialanfertigungen greifen werden«, prophezeite der Butler würdevoll. »Ich erlebte das bei dem Lord of Rigglecome … Jahrelang weigerte er sich, nach meinen Zigarren zu greifen, dann eines Tages aber …«
»Wieviel Tage danach starb dieser selbstmörderische Lord?« erkundigte sich Mike Rander auflachend. »Aber jetzt zur Sache, Parker, was liegt eigentlich an? Blander scheint eine reine Weste zu haben, was die Notendruckerei angeht.«
»Ich zweifle überhaupt, daß es sich um eine Notendruckerei handelt«, antwortete der Butler. »Sicherheit habe ich erst, wenn das Schatzamt mitteilt, daß tatsächlich keine Blüten im Umlauf sind.«
»Was vermuten Sie denn eigentlich?«
»Mister Flander war Arzt. Witwe Anderson war Laborantin …, das deutet im Zusammenhang mit den Aussagen Prites auf die Tatsache hin, daß der Hintergrund aller Morde auf dem Gebiet der Chemie zu suchen ist.«
»Sie haben sich schon deutlicher ausgedrückt.«
Butler Parker setzte zu einem ausführlichen Vortrag an. Gemessen und in wohlgesetzten Worten entwickelte er seine Theorie, die sich auch wirklich bestechend anhörte. Mike Rander nickte wiederholt zustimmend.
»… ich komme sofort zum Schluß, daß Doktor Flander freiwillig oder unter Druck etwa Rauschgift hergestellt haben könnte«, beendete der Butler seine Ausführungen. »Doktor Flander wollte wohl unter der Last seines Gewissens seine Arbeit aufgeben und wurde vom Boß der Gangsterbande vor unserer Haustür ermordet.«
»Durchaus möglich«, sagte Rander. »Man sollte sich Flanders Ruine noch einmal gründlich ansehen …«
»Und ebenfalls auch die Hütte dieses Negers Zack«, schlug der Butler vor. »Alle Personen, die in unmittelbarer Nähe des Arztes gelebt haben, wurden entweder bedroht oder getötet.«
»Nur die Witwe Anderson noch nicht«, warf Rander ein.
»Noch nicht … aber wer weiß, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hat«, sagte Parker. »Darf ich den Vorschlag machen, so schnell wie möglich nach Wech-Lake zu fahren? Ich fürchte nämlich nicht nur um die Witwe, sondern bin auch besorgt, was das Schicksal dieses Joe Prite angeht …«
*
Stimson riß die Augen weit auf, als Butler Parker wieder in der kleinen Hotelhalle erschien. Er kam um die Theke herum und trocknete sich dabei die Hände an einem Küchenhandtuch ab.
»Haben Sie was vergessen?« erkundigte sich Stimson.
»Allerdings«, erwiderte Butler Parker. »Ich habe den Mörder Doktor Flanders zurückgelassen … Richten Sie uns bitte zwei Zimmer her. Das hier ist Mister Rander, ein Strafverteidiger aus Chikago.«
»Zwei Zimmer? Natürlich, werde ich sofort machen«, antwortete Stimson und rannte förmlich die Treppe hoch.
»Darf man sich erkundigen, ob sich in der Zwischenzeit einiges in Wech-Lake getan hat?« fragte er höflich. »Wie geht es dem Sheriff? Lebt Joe Prite noch? Ärgert sich Mister Nebbel immer noch mit Mister Blanders Leuten herum?«
»Nein, nein, alles in bester Ordnung«, sagte Stimson. Dann verschwand er auf der Treppe, als fürchte er, Rede und Antwort stehen zu müssen. Rander und Parker setzten sich unmittelbar neben das Fenster der Hotelhalle. Parker wollte nach einer Zigarre greifen, doch ein Blick Randers ließ ihn erstarren. Aufseufzend steckte Parker das Zigarrenetui zurück in die Tasche und verzichtete auf seinen Genuß.
Nach einer Viertelstunde konnten sie ihre Zimmer betreten, die nebeneinander lagen. Butler Parker wollte sich als perfekter Kammerdiener betätigen, doch Rander jagte ihn aus dem Zimmer. Er war der Meinung, sich selbst rasieren zu können.
Parker machte sodann Rander mit Wech-Lake bekannt. Sie stocherten sehr, sehr lange auf der Trümmerstelle des abgebrannten Arzthauses herum. Longer hatte wieder einmal getrunken, aber er strahlte Parker und Rander an. »Was macht denn Joe Prite?« fragte Parker, nachdem er Rander vorgestellt hatte.
»Ruhe vor dem Sturm«, erwiderte Longer … »Er hat bereits ’nem Anwalt geschrieben, und will keine Aussagen machen …«
»Soll dieser Prite hier in Wech-Lake bleiben?« fragte Rander.
»Prite geht noch heute zur Kreisstadt«, meinte Longer. »Ich habe den Fall freiwillig aus der Hand gegeben … Sollen die sich doch drüben in der Stadt die Pest an den Hals ärgern … Viel Freude werden sie an Prite aber bestimmt nicht haben, der Junge ist nämlich mächtig stur.«
»Hat er sich in der Zwischenzeit noch einmal mit seinem Chef Blander in Verbindung setzen können?« fragte nun Parker.
»Zweimal hat er Blander angerufen, aber der hat darauf überhaupt nicht reagiert … Und trotzdem, wenn Sie mich fragen, so scheint Prite auf irgend etwas zu warten.«
»Immerhin verfügen Sie ja über ein sehr solides Haus«, sagte Parker anzüglich. »Wer hier nicht hereinkommen soll, der kann bestimmt daran gehindert werden, denke ich.«
»Selbstverständlich«, sagte der Sheriff und warf sich in die Brust, »wer auch immer die Absicht hat, Prite zu befreien, wird auf Granit beißen.«
»Den Eindruck machen Sie durchaus«, bestätigte ihm Mike Rander ironisch und lächelte Longer an, der etwas aus dem Gleichgewicht geraten war und sich an der Tischkante festhielt. »Sagen Sie, Sheriff, werden Sie selbst Prite in die Kreisstadt bringen?«
»Das soll mir ein Vergnügen sein«, erwiderte Longer. Er fühlte sich als Held und schwafelte noch eine Zeitlang herum. Er hinterließ allerdings keinen guten Eindruck.
»Ich wette, Prite wird niemals die Kreisstadt erreichen«, sagte Mike Rander zu Parker, als sie das Haus des Sheriffs verlassen hatten. »Man müßte etwas tun, um es doch dazu kommen zu lassen«, war Parkers Ansicht. »Darf ich mir erlauben, Ihnen, Mister Rander, einen Vorschlag zu machen?«
»Sie machten es immer sehr spannend«, antwortete Rander grinsend. »Man soll sich an den Wagen des Sheriffs hängen«, entwickelte der Butler seinen Plan. »Ich weiß natürlich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, wieviel Prite weiß, daß er aber eine wichtige Figur in diesem Fall ist, dürfte auf der Hand liegen … Der Chef der Gangsterbande wird meines Erachtens alles daransetzen, Prite zu ermorden.«
»Sorgen Sie dafür, Parker, daß unser Wagen fahrbereit und in Ordnung ist«, erwiderte Rander.
»Ich werde mich darum kümmern«, antwortete der Butler. »Und ich werde jetzt schnell zur Post gehen und erst einmal nachsehen, ob inzwischen etwas eingetroffen ist.«
Die beiden Männer schlenderten zum Postbüro hinüber und nahmen einige dick ausgefüllte Umschläge in Empfang, die sie gleich draußen vor dem Postgebäude öffneten. Der Inhalt mußte angenehm ausgefallen sein, denn Rander und Parker sahen sich nach dieser interessanten Lektüre sehr beziehungsvoll an.
»Ihre Theorie scheint aufzugehen«, meinte Rander schließlich. »Das Schatzamt bestätigt ausdrücklich über die Behörden in Chikago, daß zur Zeit in keinem Staat eine massive Anhäufung von Falschgeld anzutreffen ist … Wir werden es doch mit der Chemie zu tun bekommen …«
Absichtlich gingen sie dann noch einmal auf das Grundstück des ermordeten Arztes und suchten in den Trümmern herum. Ob es ein Zufall war, daß kurz darauf Frank Norts erschien, war nicht zu ergründen. Der junge Mann lächelte Parker erstaunt an und nickte Rander zu.
»Ich hatte mir sagen lassen, Sie hätten Wech-Lake verlassen«, meinte er.
»Ich kann mich einfach nicht von diesem netten Ort trennen«, antwortete der Butler. »Sagen Sie, Mister Norts, die Lichtmaschine, von der Sie gesprochen haben, stand zuletzt dort in dem Schuppen, der jetzt abgebrannt ist?«
»Dort habe ich sie zuletzt gesehen«, erwiderte Norts.
»Sie waren nie in den Kellerräumen des Hauses?«
»Flander ließ mich nie nach unten gehen.«
»Ich habe mir sagen lassen, daß sich hier in unmittelbarer Nähe des Hauses früher einmal eine Mine befunden haben soll.«
»Doch, davon weiß ich auch«, erwiderte Frank Norts zögernd, »aber sie wurde schon seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt …«
»Wo befand sich eigentlich der Eingang zu dem Schacht?«
»Der muß drüben am Hügel gewesen sein … Wissen Sie, Mister Parker, ich habe mich nicht mehr darum gekümmert … Als Kinder haben wir dort mal gespielt, aber später zäunte der Doktor Flander alles ein. Vielleicht wollte er irgendwelche Unfälle verhindern … Der Boden dort am Hügel ist brüchig und unterwühlt … Da kann leicht einer absacken.«
»Sie dürfen mich keineswegs für übertrieben neugierig halten«, redete Parker weiter und verstellte Norts den Weg, »aber können Sie sich möglicherweise daran erinnern, ob Doktor Flander größere Umbauten in seinem Haus vorgenommen hat?«
»Da müssen sie schon Miss Anderson fragen«, antwortete Norts ausweichend. »Ich hatte mit Flander keinen besonderen Kontakt.«
Frank Norts fand eine Entschuldigung, sich schnell absetzen zu können. Parker, der hier im Freien seine Zigarre rauchen durfte, marschierte zu den Hügeln, wo sich die Mine früher einmal befunden haben sollte.
Im hohen, wuchernden Gras erkannte man jetzt tatsächlich verrostete Eisenschwellen, zwei Grubenhunde, die sehr verwittert aussahen, und verfaultes, mit Pilzen bedecktes Grubenholz. Nur der Eingang zur damaligen Mine war nicht mehr auszumachen. Vielleicht hatte ihn Doktor Flander zuschütten lassen?
»Ob man sich formell bei Blander die Erlaubnis einholen sollte, hier graben zu dürfen?« fragte Rander. »Falls er etwas zu verbergen hat, wird er uns bestimmt mit Ausflüchten kommen.«
»Ein Versuch kann nie schaden und zahlt sich so oder so immer aus«, antwortete der Butler. »Dieser Meinung und Ansicht war seinerzeit der Earl of Begsburr, der außerdem die Marotte hatte …«
»Verschonen Sie mich mit Ihren Erinnerungen«, wehrte Mike Rander ab. »Parker, Sie könnten eigentlich schnell anrufen, ich werde hier die Stellung halten.«
»Darf ich Sie auf Schrotschützen aufmerksam machen?« meinte der Butler. »Hier im Gelände jagt man mit Vorliebe nach Kaninchen … Es wäre wirklich sehr bedauerlich, wenn Sie einem Fehlschuß zum Opfer fallen würden.«
»Fragt sich«, erwiderte Mike Rander nachdenklich. »Als Sie, Parker, noch nicht hier in Wech-Lake erschienen waren, konnten sich die Gangster eine Menge erlauben. Im schlimmsten Fall alarmierten sie diesen betrunkenen Sheriff, der schon dafür sorgte, daß hier kein Ärger entstand.
Jetzt aber rühren auch wir noch in der Suppe herum. Es fragt sich, ob der Gangsterchef die Nerven besitzt, sich einen weiteren Skandal zu leisten.«
»Darf ich mir erlauben, etwas anderer Meinung zu sein?« schickte der Butler voraus. »Sie, Mister Rander, und ich, wir beide stehen meiner Schätzung nach unmittelbar vor einem Anschlag. Der Gangsterchef muß sich aus seinem Versteck herauswagen und zuschlagen. Wir haben uns schon zu intensiv mit ihm befaßt … Und die bisherigen Morde weisen eindeutig darauf hin, daß die Lösung des Rätsels sehr leicht zu finden ist. Umsonst mußten Flander, Zack und Renner nicht sterben …«
»Ist nur recht, wenn dieser Gangsterboß die Nerven verliert«, antwortete Rander und sann nach. »Er wird sich dabei zwangsläufig eine Blöße geben müssen.«
»Wir haben nur zu überleben«, sagte Parker, »damit haben wir bereits gewonnen.«
Übrigens hatte Blander nichts dagegen einzuwenden, daß Rander und Parker in den Trümmern herumwühlten. Er empfahl allerdings, sich doch an den neuen Besitzer des Grundstücks zu wenden, nämlich Vera Anderson, die als Haupterbin von Doktor Flander eingesetzt worden war. Das hatte die Testamentseröffnung am vorigen Tag nämlich ergeben.
»Das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal bei Mrs. Anderson aufzutauchen«, sagte Parker zufrieden. »Sie werden erstaunt sein, wie unhöflich diese Dame sein kann, Mister Rander. Aber sie lebt wahrscheinlich in einer furchtbaren Angst vor dem Mörder Flanders. Sie fühlt sich umlauert und beobachtet.«
»Sie ist doch eine echte Mitwisserin, was Doktor Flander angeht«, erwiderte Rander. »Erstaunlich, daß ihr noch nichts passiert ist.«
»Sie ist eben auf der Hut.«
»Oder sie ist der Chef dieser Gangster, nach denen wir suchen!«
»Sie hat sich allerdings verdächtig gemacht«, bestätigte Butler Parker.
»Was ihre Körperkräfte und ihre Energie angeht, so traue ich ihr ohne weiteres zu, daß sie gut mit einer Waffe umgehen kann.«
»Warum reden Sie nicht weiter?«
»Ich möchte mich nicht festlegen«, erwiderte der Butler lächelnd, was mit aller gebotenen Zurückhaltung geschah, »aber gerade, weil Mrs. Anderson noch nicht behelligt worden ist, gerade deshalb könnte ein Trick des Gangsters vorliegen. Er will den Verdacht geschickt auf eine bestimmte Person konzentrieren.«
»Was hätte denn Ihrer Meinung nach geschehen müssen, um Mrs. Anderson unverdächtig werden zu lassen?«
»Hätte sie sich nicht selbst anfallen müssen?« fragte der Butler zurück.
»Ein fingierter Überfall, einige Schüsse, vielleicht sogar eine kleine Verwundung, das hätte Mrs. Anderson doch leicht in Szene setzen können. Als Mittäterin wäre sie doch dann aller Sorgen ledig gewesen.«
»Man könnte ihr ja diesen Vorschlag machen«, sagte Mike Rander auflachend. Sie hatten inzwischen das Haus der Witwe erreicht, das jetzt einer belagerten Festung glich. Mrs. Anderson hatte sämtliche Läden vor die Fenster gelegt, im Vorgarten tummelten sich einige wie wild gebärdende Hunde.
»Wie lösen Sie denn dieses Problem?« erkundigte sich Mike Rander angelegentlich bei seinem Butler. »Wie wollen Sie die Hunde beschwichtigen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich nur diesen Anzug mit mir führe. Eine zerrissene Hose kann ich mir unter keinen Umständen leisten.«
Als sie am Gartentor standen, hatten sich die drei Hunde vor dem Maschendraht versammelt und waren außer sich. Sie glichen tobenden Höllenhunden.
Doch der Butler wendete einen Trick an, der einen durchschlagenden Erfolg hatte. Er förderte eine kleine Streudose aus seiner Manteltasche und behandelte die drei kläffenden Hunde, als wollte er ein schwach gewürztes Mittagessen etwas aufwürzen, mit Pfeffer. Daraufhin verzogen sich die Köter sehr schnell und sehr brav und gaben so den Weg frei.
Als Parker und Rander vor der Haustür standen und geklingelt hatten, wurde eine Klappe in der Haustür geöffnet, und ein Gewehrlauf schob sich nach draußen.
»Ich lege auf Ihren Besuch keinen Wert«, sagte Mrs. Anderson, »wenn Sie nicht gleich wieder abdrehen, werde ich schießen.«
»Wir wollen Sie weiß Gott nicht belästigen«, erwiderte der Butler, höflich seine Melone schwenkend. »Wir möchten nur die Erlaubnis Ihrer Tochter einholen, um im Haus des Doktor Flander etwas nachforschen zu dürfen. Man teilte uns freundlicherweise mit, das Haus oder das, was davon übriggeblieben ist, sei Ihrer Tochter vermacht worden.«
»Es hat ihr tatsächlich bis vor einer Stunde gehört«, sagte Mrs. Anderson, ohne aber die Stellung des drohenden Gewehrlaufes zu verändern, »jetzt gehört das Grundstück Mister Nebbel. Wenden Sie sich an ihn und lassen Sie mich in Frieden!«
*
»Ich möchte meiner ehrlichen Befürchtung Ausdruck geben und feststellen, daß in dieser Nacht etwas passieren wird«, meinte Butler Parker. Er stand in Mike Randers Zimmer und schaute durch das Fenster auf die Straße von Wech-Lake hinunter. Mike Rander, der eine automatische Pistole reinigte, sah hoch und stand dann schließlich auf.
»Mister Blander ist zusammen mit seiner rechten Hand Heswell eben eingetroffen und muß sich in unserem Hotel befinden«, redete der Butler weiter. Dann sah er Hank Nebbel, der sich seinen Waffengut umgebunden hatte. Er schien angetrunken und ging in die Eckkneipe.
»Reicht das schon aus, Sie pessimistisch werden zu lassen?« fragte Rander verwundert.
»Blander ist nicht allein gekommen, er und Heswell wurden von vier stämmigen Männern begleitet, denen man nachts bestimmt nicht gern begegnen würde.«
»Womit rechnen Sie denn im Lauf der Nacht?«
»Mit Joe Prites Abtransport, der bisher noch nicht erfolgte«, antwortete der Butler. »Longer hat es wohl mit der Angst bekommen und läßt Prite abholen.«
»Dieser Joe Prite geht mir allerdings auch nicht aus dem Kopf«, meinte Mike Rander. »Er stellt für den Chef der Gangster eine permanente Gefahr dar. Ich bin gespannt, was man gegen ihn unternehmen wird. Ob man das Haus des Sheriffs stürmen wird?«
»Ich möchte die Führung dieses Falles bestimmt nicht an mich reißen«, sagte der Butler. »Aber wenn Sie mich fragen, Mister Rander, so sollten wir inzwischen unsere Positionen beziehen. In einer halben Stunde wird es dunkel sein.«
»Und was macht unser Leihwagen? Ist er noch betriebsklar?«
»Ich werde mich sofort davon überzeugen«, antwortete der Butler und verließ das Zimmer des Strafverteidigers. Er trug wie gewöhnlich seinen schwarzen Mantel, schwarze Schuhe, die Melone und hatte sich diesmal auch einen altertümlich aussehenden Regenschirm über den Arm gehängt.
Als er die Hotelhalle durchquerte, wurde er von den dort wartenden Männern neugierig angestarrt. Aber keiner von ihnen, selbst Blander nicht, richteten auch nur ein Wort an ihn. Man übersah Parker bewußt, oder man hatte wirklich so viel mit sich selbst zu tun, daß man auch durch den Anblick des Butlers nicht abgelenkt werden konnte. Parker ging zu dem Leihwagen, der auf dem Hof des kleinen Hotels stand. Er sah auf den ersten Blick, daß man sämtliche vier Reifen zerschnitten hatte.
Der Wagen stand lahm auf den Felgen, und die Reifen hatten sich zu seltsamen Gebilden geformt.
Parker sah, daß eine Reparatur mit den üblichen Mitteln völlig sinnlos gewesen wäre. Er mußte sich einen anderen Leihwagen mieten. Vielleicht konnte Hank Nebbel helfen.
Doch Nebbel, der seine Tankstelle geschlossen hatte, schüttelte nur den Kopf, als Parker seine Wünsche vorbrachte. Nein, einen Leihwagen hatte er nicht mehr an Parker zu vermieten. Auch schlauchlose Reifen besaß er nicht auf Lager, und auch sonst konnte er nicht helfen. Er wollte einfach nicht, und Parker besaß keine legale Möglichkeit, ihn dazu zu zwingen, den Wagen wieder fit zu machen. Er ging trotzdem aber neben. Nebbel her, als seien sie die besten Bekannten. Parker machte in Konversation und überschüttete den Mann mit einem Schwall nichtssagender Redensarten.
»Ich habe mir erzählen lassen, daß Sie das Grundstück Flanders von den Erben gekauft haben«, warf Parker schließlich beiläufig in die Unterhaltung.
»Das hat sich aber verdammt schnell herumgesprochen. Ja, ich will den Schutt ausräumen und dort eine neue Garage aufbauen. Die hier in Wech-Lake sollen noch Augen machen!«
»Liegt das Grundstück eigentlich so günstig zum Verkehr?«
»Der kleine Anfahrtsweg stört nicht«, entschied Nebbel. »Hauptsache, ich habe Platz und kann mich ausdehnen.«
»Miss Vera hat aber sehr schnell verkauft.«
»Sie tat’s, um Blander zu ärgern«, meinte Nebbel auflachend. »Er war ja wie der Teufel hinter dem Grundstück her.«
»Erstaunlich, erstaunlich«, sagte Parker wie zu sich selbst, »und ich war der Meinung, daß Mrs. Anderson etwas für Blander übrig habe.«
»Hat sie auch, aber diesmal hat die kleine Vera ihren eigenen Kopf durchgesetzt. Übrigens wundere ich mich auch, daß sie Norts nicht das Grundstück übertragen hat. Nein, sie verkaufte es mir, und ich habe ein tolles Geschäft gemacht.«
»Möge es Ihnen zum Glück verhelfen«, sagte Parker und verabschiedete sich von Nebbel, der auf seinem neu erworbenen Grundstück verschwand. Parker steuerte die Werkstätte Frank Norts’ an und hatte das Glück, den jungen Mechaniker anzutreffen. Er war übrigens nicht allein. In seinem kleinen Bretterverschlag, der ihm als Büro diente, hockte Vera Anderson. Ihrem Gesicht war auf Anhieb anzumerken, daß sie geweint hatte. Sie versuchte zwar, das zu vertuschen, doch der Butler war nicht zu täuschen.
»Ich möchte auf keinen Fall als Störenfried wirken«, entschuldigte er sich erst einmal. »Mister Norts, ich brauche dringend Ihre Hilfe. Man hat die Reifen unseres Wagens zerschnitten. Können Sie mit neuen Reifen aushelfen? Oder uns vielleicht einen Leihwagen zur Verfügung stellen?«
»Nein«, sagte Norts nur kurz angebunden.
»Darf ich mich nach dem Grund Ihrer Ablehnung erkundigen?« fragte der Butler höflich lächelnd weiter. »Ich brauche Sie wohl nicht darauf aufmerksam zu machen, daß ich in bar bezahle.«
»Nein«, erwiderte Norts nur wieder.
»Frank, warum willst du dem Herrn nicht helfen?« mischte sich Vera Anderson in die Unterhaltung ein.
»Du hast den Mund zu halten, das geht dich nichts an!«
»Ich muß sagen, daß ich sehr empört bin«, sagte Vera Anderson. »Ich freue mich, daß wir uns vor unserer Verlobung noch so gut kennengelernt haben. Ich glaube, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben.«
»Vera!«
Norts hatte diesen Namen fast hilflos hervorgestoßen, aber als Vera sich nicht mehr zu ihm umwandte, hob er nur resigniert die Schultern und machte sich an einem auseinandergenommenen Motor zu schaffen. Parker verließ zusammen mit Vera Anderson die Werkstatt.
»Sie dürfen Mister Norts Ablehnung auf keinen Fall tragisch nehmen«, sagte der Butler vermittelnd. »Ich bin fest davon überzeugt, daß er für seine Weigerung ganz bestimmte und triftige Gründe anzuführen weiß.«
»Warum nennt er sie dann nicht!«
»Vielleicht sorgt er sich sehr um Sie, Miss Vera.«
»Um mich? Ich sehe da keinen Zusammenhang.«
»Lassen wir das Thema fallen«, schlug der Butler vor. »Ich weiß jetzt nur nicht, was ich machen soll. Eigenartigerweise sah sich auch Mister Nebbel nicht in der Lage, mir mit einem Wagen auszuhelfen.«
»Das sieht ja fast wie eine Verschwörung aus.«
»Wir wollen besser nicht übertreiben«, meinte der Butler lächelnd. »Mister Nebbel würde sich nicht als Verschwörer betätigen. Sie haben ihm übrigens das Grundstück des Doktors verkauft?«
»Er machte uns ein günstiges Angebot. Ich schlug sofort zu. Ich …«
»Wenn Sie Sorgen haben sollten, so vertrauen Sie sich mir an«, bat der Butler in ruhiger Selbstverständlichkeit. »Ich ahne übrigens, was Sie zu diesem schnellen Verkauf trieb.«
»Das können Sie nicht! Wirklich!«
»Man rief Sie wahrscheinlich an und teilte Ihnen mit, das Grundstück schnellstens an Nebbel zu übertragen, falls Ihrer Mutter nichts passieren sollte, war es nicht so?«
»Allerd… Woher wissen Sie das?«
Sie sah ihn vollkommen verblüfft an.
»Wann erfolgte dieser Anruf?«
»Eine gute Stunde, bevor Nebbel bei uns erschien.«
»Einen Augenblick, Nebbel kam selbst zu Ihnen?«
»Er sagte uns, er habe Wind von unserer Verkaufsabsicht bekommen«, erzählte Vera weiter. »Ich habe Mammy natürlich nicht eingeweiht, um sie nicht noch ängstlicher zu machen, aber ich bin auf Nebbels Angebot sofort eingegangen. Mutter war sehr dagegen, und Frank machte mir eben auch noch Vorwürfe. Aber später werden sie wohl alles verstehen. Ich konnte ja einfach nicht anders handeln, finden Sie nicht auch?«
»Sie haben das schon ganz richtig getan«, antwortete der Butler nachdenklich. »Jetzt möchte ich allerdings wissen, wie ich mein eigenes Problem lösen kann. Ich brauche unbedingt einen Wagen.«
»Mister Parker, darf ich Ihnen meinen Wagen anbieten?«
»Sie haben einen Wagen?«
»Nun, er ist nicht gerade ein Prachtstück, aber er fährt.«
»Ich nehme selbstverständlich dankend an«, erwiderte Parker sehr zufrieden. »Wo kann ich mir den Wagen abholen? Was wird denn Ihre Mutter zu diesen Dingen sagen? Ich kann mich des traurigen Gefühls nicht erwehren, daß Sie etwas gegen mich hat.«
»Sie ist schrecklich nervös und überängstlich«, antwortete Vera.
»Ihr Zustand muß mit dem Tod Dr. Flanders Zusammenhängen. Seit dieser Zeit traut sie sich kaum noch auf die Straße. Mister Parker, ich habe eine fürchterliche Angst, daß Mammy etwas passieren könnte.«
»Warum sollte ihr etwas passieren?« versuchte Parker sie zu beruhigen.
»Nun, Zack, der mit Flander zusammenarbeitete, wurde auch ermordet. Und Mutter war doch die engste Mitarbeiterin des Doktors. Nach menschlichem Ermessen müßte doch auch sie sehr gefährdet sein.«
»Haben Sie schon mit Longer darüber gesprochen?«
»Ach, der Sheriff«, sagte sie etwas verächtlich, »der ist doch froh, wenn er in Ruhe gelassen wird. Ich habe das Gefühl, daß er von Blander bestochen worden und von ihm abhängig ist.«
Parker ließ sich noch einiges berichten und fuhr dann mit dem Buick, den Vera ihm ausgeliehen hatte, vor das Hotel. Er parkte den Wagen so, daß er ihn vom Fenster aus im Auge behalten konnte. Mike Rander hatte nur auf diesen Moment gewartet. Er kam Parker schon auf der Treppe entgegen.
»Wir sollten uns zuvor in den Wagen setzen«, schlug er vor, »dann wissen wir wenigstens, daß er nicht noch einmal unklar gemacht werden kann.« Blander, Heswell und seine Männer standen an den Hotelfenstern und sahen ausdruckslos zu, wie Parker und Rander wenig später das Restaurant Stimsons verließen. Parker, der wie üblich das Steuer übernommen hatte, fuhr durch den Ort und parkte den Wagen unterhalb einer Felsnase dicht hinter Wech-Lake. Von hier aus konnten sie mit dem mitgeführten Nachtglas erkennen, was sich in Wech-Lake tat.
Nach einer knappen halben Stunde war der Wagen von Sheriff Longer zu erkennen, der den Ort in langsamer Fahrt verließ. Sofort nach seiner Abfahrt setzten sich zwei weitere Wagen in Bewegung, in denen Blander, Heswell und die übrigen Männer saßen. Sheriff Longer, der diese Abfahrt im Rückspiegel gesehen haben mußte, steigerte daraufhin das Tempo und fuhr bald an Rander und Parker vorbei, ohne diese aber sehen zu können. Ähnlich verfuhren Blander und seine Leute. Sie alle waren bald in der Dämmerung verschwunden.
»Kaum zu glauben«, meinte Rander zweifelnd, »daß Blander so offen Vorgehen wird.«
»Selbst wenn er wollte, würde er wenig erreichen«, erwiderte der Butler. »Darf ich Sie, Mister Rander, zu einem kleinen Spaziergang ermutigen?«
»Was ist los?«
»Mister Rander, ich muß gestehen, daß ich Ihnen gegenüber nicht gerade mit offenen Karten gespielt habe«, antwortete der Butler. »Halten Sie das bitte der Eitelkeit eines alten Mannes zugute.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Joe Prite befindet sich nicht im Wagen des Sheriffs.«
»Wo sonst soll er stecken?«
»Er befindet sich nach wie vor im kleinen Gefängnis in Wech-Lake.«
»Hat Longer Ihnen das verraten?«
»Bewußt nicht, aber ich ahne das, Longer hat uns alle an der Nase herumführen wollen. Er wird uns das später gern bestätigen.«
»Ich lasse mich überraschen. Und was wollen wir jetzt tun, Parker?«
»Wir sollten uns um Joe Prite kümmern«, sagte der Butler. »Obwohl Sheriff Longer ihn gut untergebracht hat, befürchte ich doch das Eingreifen des Chefs der Gangster. Ich möchte fast wetten, Mister Rander, auch der Gangsterboß weiß, was gespielt wird.«
»Wissen Sie etwa, wer der Bursche ist?«
»Mir fehlt nur noch ein Geständnis«, antwortete Butler Parker ernst. »Sie werden überrascht sein, wenn er sich demaskiert hat.«
*
Sie ließen den Wagen stehen und gingen auf Umwegen nach Wech-Lake. Da sie nicht weit zu gehen hatten, war der kleine Ort bald erreicht. Rander, der die Geheimniskrämerei seines Butlers mehr als hinreichend kannte, stellte keine weiteren Fragen. Das hier war Parkers Fall, und er sollte auch die Trümpfe so ausspielen, wie sie ihm günstig erschienen.
Sie hielten es immer so, denn sie verstanden sich ausgezeichnet und entwickelten gegeneinander auch niemals einen ungesunden Ehrgeiz.
Parker führte den Strafverteidiger geschickt an das Büro des Sheriffs heran, und sie legten sich hinter einem kleinen Busch in den Hinterhalt. Von hier aus hatten Sie einen tadellosen Überblick über das Gebäude, konnten vor allen Dingen aber die beiden Türen des Jails gut überschauen.
Erst als es vollkommen finster geworden war, erhoben sie sich und huschten zur rückwärtigen Tür des Hauses. Butler Parker, der erstaunliche Dinge in seinem Leben gelernt hatte, öffnete das komplizierte Schloß der Tür mit bewunderungswürdigem Geschick. Ein Außenstehender hätte Parker in seiner dunklen Kleidung für einen Einbrecher halten müssen. Als sie das Gebäude betreten hatten, verschloß der Butler wieder die Tür. Er übernahm die Führung, betrat den Arbeitsraum des Sheriffs und ging achtlos an dem Gitterkäfig vorbei, in dem Joe Prite gesessen hatte. Rander hatte dicht aufgeschlossen, um in der Dunkelheit nicht den Kontakt zu verlieren.
Plötzlich blieb der Butler stehen.
Ein feiner dünner Lichtstrahl sickerte durch seine schützenden Finger, die er um das Glas der Taschenlampe gelegt hatte. Er leuchtete den Boden ab und brummte zufrieden, als er die Umrisse einer Falltür erkannt hatte. Gemeinsam wuchteten sie die Tür auf und stiegen über eine Steigleiter nach unten in den Kellerraum. Sie waren sehr leise, als würden sie bereits beobachtet.
Parker ging sehr methodisch und langsam vor.
Er leuchtete auch hier unten sehr vorsichtig herum, öffnete dann die Tür und ließ den vollen Schein der Lampe auf ein längliches Paket fallen, das sich als Joe Prite herausstellte.
Sheriff Longer hatte den Gangster erstklassig verschnürt und wehrlos gemacht. Selbst ein Knebel war nicht vergessen worden. Prite hatte das Licht wahrgenommen, und seine Augen weiteten sich entsetzt. Er schnellte sie wie ein Fisch auf dem Trockenen hoch, und man sah ihm deutlich die riesige Angst an, die er hatte. Er glaubte wohl, von seinem Boß besucht zu werden.
Parker und Rander gaben sich nicht zu erkennen. Sie huschten an Prite vorbei und verbargen sich hinter einem Regal, in dem staubige Einmachgläser und Konserven lagen. Sie hockten sich beide auf eine umgestürzte Kiste und warteten.
Der Butler verfügte über die Geduld eines Asiaten. Er sah nicht einmal auf seine Armbanduhr. Rander hingegen war doch etwas nervös geworden. In immer kürzer werdenden Abständen sah er auf seine Uhr, doch die Zeit verstrich nur langsam. – Hin und wieder hörte man die Bewegungen Prites, der sich unruhig und ängstlich herumwälzte und stöhnte. Gerade Prite wußte nicht, was eigentlich gespielt wurde. Er mußte in der Dunkelheit Höllenqualen ausstehen.
Rander ergriff Parkers Arm, als plötzlich dumpf und weitab das Heulen einer Sirene zu hören war. Parker antwortete nicht, er wollte jedes Risiko vermeiden. Er wußte, daß er es mit einem sehr raffinierten Gegner zu tun hatte, der sehr vorsichtig sein würde.
Gerade dieses Heulen, auf das er so gewartet hatte, bewies ihm die Richtigkeit seiner Gedanken. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, bis der Boß der Gangster in die Falle lief.
Mike Rander hütete sich, Parker eine Frage zu stellen. Er wollte sich diese Blöße nicht geben. Er spürte aber, daß sich irgend etwas tat. – Dann waren plötzlich feine, schleichende Schritte zu hören.
Parker richtete sich auf.
Mike Rander biß sich nervös auf die Lippen.
Die feinen, schleifenden Geräusche erstarben, dann ächzte eine Dielenbohle und ein Glas klirrte. Das alles war so fein im Geräusch, daß man es fast nur erahnen konnte.
Erst als die schwere Falltür geöffnet wurde, quietschte eine Angel. Joe Prite, der das bestimmt genauso gut wie Rander und Parker gehört hatte, stöhnte auf. Er wußte, daß sein Mörder kam. Er wußte, daß er bald sterben sollte. Und in seiner Angst vergaß er bereits den ersten Besuch, der hier unten im Keller zusammen mit ihm auf den Mörder lauerte.
Die Falltür war aufgeklappt worden.
Kühle und frische Luft strich nach unten in den dumpfen Kellerraum. Und jetzt waren auch die Geräusche auf der Straße wesentlich deutlicher zu hören. In Wech-Lake schien der Teufel los zu sein. Alles mußte auf den Beinen sein.
Die eisernen Trittstufen der Steigleiter scharrten; aber man konnte die Gestalt, die nach unten kletterte, nicht erkennen, dazu war es selbst bei geöffneter Falltür zu dunkel.
Plötzlich flammte der starke Strahl einer Taschenlampe auf. Er saugte sich an Joe Prite fest und irrte nicht weiter durch den Raum. In dem Streulicht des Strahls war jetzt eine vermummte Gestalt zu erkennen, die sich vor Prite aufbaute. Butler Parker sah sofort, daß sie es tatsächlich mit dem maskierten Boß der Gangsterbande zu tun hatten. Diese Umrisse waren unverkennbar.
»Prite«, krächzte die verstellte und blecherne Stimme, »jetzt bist du an der Reihe, mein Junge! Du hast zuviel geredet, und du wirst alles daransetzen, deinen Kopf zu retten. Du weißt, was dir blüht?«
Prite konnte selbstverständlich nicht antworten.
Er wand sich wie ein getretener Wurm, und seine Augen starrten die vermummte Gestalt entsetzt an. Der maskierte Bandenchef aber redete mit sichtlichem Genuß weiter.
»Ihr Dummköpfe! Ihr habt alle nicht gewußt, um was es sich gehandelt hat. Banknotenfälschung, wie du diesem Raben erzählt hast, lag nie vor! Weiß Gott nicht, dazu hatte der liebe Flander keine Hand. Gut, daß wir dich nie in den Stollen hineingelassen haben. Aber daß du ihn kennst, genügt, um dich sterben zu lassen! Du würdest das Geheimnis früher oder später doch verraten!«
Prite war natürlich außerstande zu antworten.
»Ich kann dir jetzt sagen, was wir hergestellt haben«, redete inzwischen der Bandenboß weiter. »Wir haben …«
»Rauschgift hergestellt«, warf der Butler in diesem Moment ein. »Das ist doch längst kein Geheimnis mehr, Mrs. Anderson!«
Parkers Worte wirkten wie ein Donnerschlag.
Die vermummte Gestalt kreischte nun plötzlich sehr weiblich auf, und die Stimme klang nicht mehr verzerrt. Die Taschenlampe fiel zu Boden und erlosch, aber dafür schaltete Parker seine Lampe ein und ließ die vermummte Gestalt nicht aus dem Lichtstrahl.
»Mrs. Anderson, es wäre zu empfehlen, den Mummenschanz zu beenden«, redete Butler Parker weiter. »Nein, das würde ich aber bestimmt nicht tun!«
Butler Parker wurde gezwungen, etwas schneller zu schießen als der Boß der Gangster. Die vermummte Gestalt, die einen Revolver hatte hochreißen wollen, stieß einen Schmerzensschrei aus und krümmte sich.
Parker und Rander schossen nun aus ihrem Versteck hervor. Als der Umhang und die Gesichtsmaske abgerissen worden waren, standen sie tatsächlich der Witwe Anderson gegenüber, die sich stöhnend ihre angeschossene Hand hielt.
»Wir gehen besser nach oben«, meinte Parker, »dort kann man sich etwas besser unterhalten. Und wenn mich nicht alles täuscht, werden wir dort auch Sheriff Longer antreffen. Meiner Schätzung nach müßte er eigentlich schon zurück sein.«
Die knochige Witwe ließ sich widerstandslos nach oben in das Büro bringen. Dort setzte sie sich schwer atmend in einen Sessel und starrte trübselig vor sich hin.
»Mrs. Anderson, wir wollen zur Sache kommen«, begann Butler Parker. »Sie haben zusammen mit Doktor Flander Rauschgift hergestellt und es über eine geschickt aufgezogene Organisation vertrieben. War das so?«
»Ich hätte dich viel früher umbringen müssen«, zischte ihm die Witwe entgegen. »Ich streite alles ab. Ich habe mir unten im Keller nur einen Streich erlaubt.«
»Versuchen Sie, das dem Richter klarzumachen«, antwortete ihr der Butler. »Welche Chancen rechnen Sie sich denn eigentlich noch aus, Madame? Sie sind auf frischer Tat überführt worden. Es wird Ihnen nur noch ein Geständnis etwas helfen können!«
»Der Meinung bin ich auch«, schaltete sich Sheriff Longer ein, der das Büro durch die hintere Tür betreten hatte. Er grinste den Butler wohlwollend an und rieb sich die Hände. »Ich schätze, daß ich mich etwas verspätet habe, Mister Parker. Lebt Prite noch?«
»Er ist quicklebendig und wird sich ein Vergnügen daraus machen, Ihnen das Versteck des geheimen Labors zu verraten«, meinte der Butler. »Wir konnten Madame gerade noch daran hindern, Prite zu erschießen.«
»Ihr Spiel ist aus, Witwe Anderson«, sagte Longer. »Ich habe Sie seit Monaten beobachtet und alles getan, um vertrottelt zu wirken. Ich wußte aber, daß Sie zusammen mit Flander etwas aufgezogen hatten, und Flander selbst gab mir einen sanften Tip.«
»Ich kann mir unmöglich vorstellen, daß Flander angestiftet worden ist«, sagte Butler Parker. »Er wird die Witwe in sein verderbliches Spiel hineingezogen haben.«
»Flander, dieser Schwächling? Es hat. mich Schweiß gekostet, bis ich ihn soweit hatte«, brach es da aus der knochigen Witwe heraus. »Er war immer schon ein Waschlappen. Ich habe ihn erst auf den Trichter bringen müssen. Und später wollte er aussteigen und sich der Polizei stellen. Deshalb habe ich ihn von Renner und Prite erschießen lassen. Er hätte uns alle ans Messer geliefert, nur weil er plötzlich Gewissensbisse bekommen hat.«
»Wie sind Sie denn auf den Gedanken gekommen, Rauschgift herzustellen?« fragte Mike Rander.
»Ich habe das Zeug früher schon im Hospital geschnupft und bin nie mehr davon losgekommen«, redete die Witwe weiter. »Als mir das Geld ausging, habe ich mich an Flander herangemacht. Ich war seine Freundin, und er belieferte mich dafür mit dem Zeug. Später erpreßte ich ihn sanft und brachte ihn dazu, selbst die Ware zu destillieren. Wir haben ganz schön daran verdient, bis Flander dann aussteigen wollte. Es hat mir leid getan, daß ich ihn sterben lassen mußte; aber es ging eben nicht anders.«
»Zack geht ebenfalls auf Ihr Konto?« fragte Parker.
»Ist das so schwer zu erraten?«
»Renner?«
»Na, wenn schon, ich hatte keine Lust, mich verraten zu lassen. Aber ich habe nicht mit Ihrem Auftauchen gerechnet.«
»Sehr schmeichelhaft, aber Sie unterschätzen Sheriff Longer. Auch er hatte bestimmte Informationen eingezogen.«
»Mrs. Anderson, können Sie sich an die acht Monate Entziehungskur erinnern, der Sie sich unterwerfen mußten?« fragte Longer lächelnd. »Sie sehen, ich hatte mich bereits sehr damit befaßt. Wie gesagt, Flander gab mir diesen Tip und … Ihre Pupillen.«
»Sehr richtig«, sagte Parker, und er nickte. »Auch mir waren Ihre Pupillen aufgefallen, wenn Sie wieder mal geschnupft hatten. Darum besuchte ich Sie einige Male, um Unterschiede feststellen zu können. Aber was wichtiger ist, ich wußte gleich nach unserem ersten Zusammenstoß unten am See, wer der Boß der Gangster war.«
»Machen Sie sich bloß nicht wichtig.«
»Ihre Kernseife verriet Sie mir«, sagte der Butler. »Ich darf an dieser Stelle wohl einflechten, daß ich seinerzeit bei einem gewissen Lord of Wennersgrat als Butler arbeitete. Dieser besagte Lord hatte sich einen Namen gemacht, weil er in der Lage war, Gerüche zu definieren. Er betätigte sich an führender Stelle in der Nahrungsmittelindustrie; durch ihn hatte ich den Vorzug, in die Geheimnisse der Grundgerüche eingeführt zu werden. Mir fiel am See auf, daß der Gangsterboß eine stark riechende Kernseife billigster Art benutzt. War es nicht die Marke ›Hausstolz‹?«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Mrs. Anderson erstaunt und verblüfft.
»Sehen Sie, ›Hausstolz‹ hat Sie verraten«, redete der Butler weiter. »Ein Mann hätte diese Seife niemals benutzt, schon gar nicht ein Gangsterboß. Als ich dann in Ihrer Küche war, Mrs. Anderson, überfiel mich der Geruch von ›Hausstolz‹ geradezu.«
»Eine tolle Beweisführung«, sagte Sheriff Longer auflachend.
»Aber sie stimmt«, ergänzte der Butler. »Ich schnüffelte herum und fand heraus, daß Mrs. Anderson die einzige mir bekannte Person in Wech-Lake war, die diese Kernseife benutzte. Der Schluß lag dann sehr nahe, daß sie der Gangsterboß sein mußte.«
»Auch Sie können sich nicht beklagen«, sagte Rander, sich an den Sheriff wendend. »Sie haben uns allen Sand in die Augen gestreut.«
»Ich fürchte, daß sich Mister Parker nicht täuschen ließ«, sagte der Sheriff. »Um ungestört arbeiten zu können, habe ich den Trottel gespielt und es in Kauf genommen, daß man mich für bestechlich hielt. Ich wußte aber, um was es ging. Als Prite eingeliefert wurde, hatte ich endlich die Möglichkeit, Mrs. Anderson in die Falle zu locken. Sie hatte Wech-Lake durch fingierte Aufrufe in Angst und Schrecken versetzt. Keiner traute mehr dem anderen, Blanders Rowdies sorgten ohnehin dafür, daß man sich nicht mehr sicher fühlte. Er wird sich übrigens bald wundern, wenn seine Leute so weitermachen. Kurz, ich brachte Prite angeblich in die Kreisstadt, in Wirklichkeit aber stellte ich mich dabei so ungeschickt an, daß Mrs. Anderson von ihrem Haus aus unbedingt feststellen konnte, daß ich Prite nicht in den Wagen gebracht hatte. Ich heuerte Blander und einige seiner Leute an, die mich begleiten sollten. Unterwegs stieg ich aus und fuhr in einem dort abgestellten Wagen schnell wieder nach Wech-Lake zurück, um die Witwe in Empfang nehmen zu können.«
»Wußte Blander Bescheid?«
»Ich weihte ihn nicht ein, und wahrscheinlich wird er gleich fluchend und schimpfend mit seinen Leuten wieder in Wech-Lake eintreffen. – Aber ich wollte auch keinen Menschen einweihen. Mrs. Anderson war mir dazu viel zu gerissen. Sie witterte die Gefahr, wenn sie sich noch nicht richtig gebildet hatte.«
»Wir haben es auf jeden Fall geschafft«, sagte Mike Rander. »Die weiteren Einzelheiten werden sich von selbst klären. Nur würde ich mich dafür interessieren, ob das Labor unter dem abgebrannten Haus Flanders begraben liegt.«
»Natürlich«, sagte die Witwe wütend. »Ich war ja gezwungen, alles zu vernichten. Dieser schwarze Rabe hat mir alles verdorben. Ich könnte ihm den Hals umdrehen!«
»Von segensreichen Wünschen kann man aber bestimmt nicht sprechen«, schloß Butler Parker betrübt.
– ENDE –