Читать книгу Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten - Günter Huth - Страница 11
ОглавлениеAm Tage nach der Eröffnung des Weindorfes traf sich im Hockerle, einer weinhistorischen Institution der Mainfrankenmetropole, eine Gruppe honoriger Bürger.
Das Hockerle ist in der Stadt ein Weinausschank besonderer Art und auch die Gäste gehören zu einer ganz speziellen Sorte Weingenießer. Das Hockerle gehört zum Bürgerspital, einem der drei großen Weingüter Würzburgs. Es liegt unauffällig unter den Arkaden des zum Weingut gehörenden Altenstifts und bietet Schoppenfreunden einen guten Trinkwein. Dies alles auf kleinstem Raum, in dem man rundherum auf grünen Bänken wie in einem kleinen Warteraum sitzt. Wer hierherkommt, bekommt von Rainer Schlauer, dem Herrscher über dieses kleine Reich, seinen Wein garniert mit flotten Sprüchen kredenzt. Dann sitzt oder steht man zusammen, egal ob fremd oder bekannt, alt oder jung, dick oder dünn, klopft Sprüche, schimpft auf die Politik oder schweigt sich einfach nur aus. Hier wird jeder toleriert.
Die eingangs erwähnte Gruppe hatte sich, soweit das im Hockerle überhaupt möglich war, in einer Ecke zusammengesetzt und bildete eine Art Wall, der verhinderte, dass sich noch andere Gäste zu nahe dazugesellten. Der Rainer warf immer wieder mal neugierige Blicke in die Ecke. Es war schon ungewöhnlich, dass sich diese stadtbekannten Personen hier trafen und auf geheimnisvolle Weise die Köpfe zusammensteckten. Da hätte der Rainer mal gerne für zehn Minuten Mäuschen gespielt, um zu hören, was dort getuschelt wurde. Nach den Mienen und Gesten der Personen zu schließen, handelte es sich um ein höchst ernstes Thema.
„Habt ihr in der Main-Postille gelesen, was der Schöpf-Kelle wieder von sich gegeben hat? Das ist ein schöner Schlamassel! Dieser Schreiberling bringt uns doch glatt mit diesem mysteriösen Leichenfund am Unteren Markt in Verbindung!“ Der Sprecher, ein hochgewachsener Mann mit schlohweißem Haar, hielt die neueste Ausgabe der Main-Postille in der Hand und wies mit dem Finger auf die Titelseite, auf der in großen Lettern über den Leichenfund am Unteren Markt berichtet wurde. Schöpf-Kelle hatte sich ausgiebig über den merkwürdigen Tod eines Mitarbeiters des für die nächtliche Bewachung des Weindorfes zuständigen Sicherheitsdienstes ausgelassen und dabei die Vermutung geäußert, dass dieser Leichenfund mit den Verursachern der Aufsehen erregenden Transparentaktion am Petrinihaus im Zusammenhang stehen könnte. Er hatte die Theorie aufgestellt, dass der Wachmann die Wilden Alten bei ihrer Aktion womöglich gestört hatte und dabei getötet wurde.
Der zweite, deutlich ältere Mann in der Runde winkte ab. „Herrschaften, wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Er stellt nur Fragen. Antworten hat er keine. Diese Aktion zu starten war völlig richtig! Sie hat das Thema vehement in die Medien gebracht! Das war doch unsere Absicht. Das mit dem Toten ist zwar höchst bedauerlich, aber wir wissen ja, dass wir nichts damit zu tun haben. Im Ernstfall können wir uns doch gegenseitig Alibis geben.“
Der dritte, einzig jüngere Mann in der Runde, der durch eine ausgeprägte Solariumbräune auffiel, strich sich die grau melierte Künstlermähne aus der Stirn. „Wir sollten nicht lange fackeln, zur Polizei gehen und uns stellen. Wir machen unsere Aussage, dann haben wir unsere Ruhe.“
„… und morgen stehen wir alle namentlich in der Zeitung“, warf die einzige Frau in der Runde mit ernster Miene ein. „Das gäbe einen ordentlichen Skandal! Wenn die Aktion solche Kreise zieht, werde ich aussteigen.“
Der vierte Mann in der Gruppe, ebenfalls der Altersklasse 60plus zuzurechnen, hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Jetzt fuhr er sich mit einer eleganten Geste durch die kolorierten Haare und meinte mit tragender Stimme: „Die Dramaturgie eines solchen Stückes auf die Bühne gebracht, hätte wirklich einiges für sich. Wir könnten das Interesse der Bevölkerung nutzen und unsere Botschaft verstärkt verkünden. Auch eine Verhaftung böte eine Möglichkeit, auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Ich hätte jedenfalls kein Problem damit, für meine Überzeugung hinter Gitter zu gehen!“ Der mit einer gewissen Dramatik vorgetragene Schlusssatz ließ Rückschlüsse auf seinen ehemals künstlerischen Beruf zu.
Der Weißhaarige winkte ab. „Quatsch! Wir sind doch keine Märtyrer! Wir haben uns überparteilich zusammengefunden, um durch die Aktion und die Pressereaktion darauf den Stadtrat zu veranlassen, künftig seine Baupolitik zu überdenken. Wenn es sein muss, durch weitere Aktivitäten unsererseits. Wir sollten ganz einfach die weitere Entwicklung abwarten. Wahrscheinlich findet die Polizei sehr schnell den wirklichen Täter.“ „Ich sag es noch einmal: Wir sollten von uns aus zur Polizei gehen und eine Aussage machen. Angriff ist hier die beste Verteidigung. Ich kenne mich da aus.“ Der Jüngste in der Runde beharrte auf seiner Meinung. Die Diskussion ging noch einige Zeit hin und her. Letztendlich pflichteten ihm die anderen bei. Wenig später gingen die „Wilden Alten“ der Stadt Würzburg auseinander. Es handelte sich um die Stadträte Uwe Golgatha, Wunibald Fettschräuble, Schorsch Nabenschlager, Ringo Zünder und Mathilde Schlossisweg.