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1. Kapitel

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Prolog

Rajiv Kallisada (kurz Kalli genannt) bewirtschaftete einen Kiosk mit beigefügter Paketstation. Sein Laden war kein Muster an Sauberkeit, eher das Gegenteil, aber für die Bedarfsdeckung seiner Kunden unentbehrlich. Kalli, ein Tamile aus Sri Lanka, hatte es vor ca. dreißig Jahren in die Stadt verschlagen. Er öffnete seinen Kiosk im Morgengrauen, und schloss ihn wenn der Mond hoch am Himmel stand. Kalli war von gedrungener kräftiger Statur, sowie meist zuvorkommend zu seinen Kunden.

War er im Laden, so stand ihm stets an der Kasse, neben ihm der Scanner für seine Pakete. Einen seiner fleischigen Finger schmückte ein etwas zu groß geratener Siegelring. Sobald Kunden sein Geschäft betraten, huschten seine kleinen braunen Augen wachsam und ruhelos von einem Ende des Ladens zum anderen. Er traute keinem.

Viermal täglich zündete Kalli-ein gläubiger Hindu- seine Räucherstäbchen an, beugte sich über seinen Altar, betete zu seinen Göttern, und bat sie ihm gewogen zu sein. Er hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seinen Bier trinkenden Stammkunden. Kalli fürchtete nicht ganz zu Unrecht, diese würden seine Paketkunden erschrecken, verängstigen, oder sie veranlassen ihre Pakete möglicherweise in einem anderen Shop abzugeben. Tagsüber belieferte er seine Kunden mit Paketen und Getränken. Währenddessen vertraten ihn Ulrich oder Kuddel in seinem Kiosk. Die beiden Auserwählten waren zwei seiner Stammkunden, von denen er annahm dass sie die erforderliche Qualifikation besaßen um diese „anspruchsvolle“ Tätigkeit ausüben zu können. Ulrich, ein gelernter Bauingenieur, war zurzeit ohne eine feste Anstellung. Bei Kuddel handelte es sich um einen bisher wenig, diesbezüglich in Erscheinung getretenen Schriftsteller.

Schräg gegenüber von Kallis Kiosk, auf dem alten Zechengelände hatte die Autoverwertung, mit angeschlossenem Gebrauchtwarenhandel von Amed Erdogan ihr Domizil. Daneben standen einige in die Jahre gekommene Zechenhäuser, dessen Verfallsdatum längst überschritten war. In einem dieser Häuser befand sich das Restaurant und Stundenhotel „Zur alten Zeche“. Inhaberin Anna Lena von Stetten, eine attraktive etwa fünfzig jährige Dame von blauem Blut, so hieß es. Sie hatte ein gutes Herz und große Brüste. Ihren formvollendeten Körper schmückte ein hübscher Kopf, mit flammend roten Haaren. Kurzum, sie war ein großartiges Weibsbild. Wie eine Henne für ihre Küken, so sorgte sie für ihre Damen. Infolge ihres Alters, oder anderer Gebrechen, waren einige ihrer Mädels nur wenig beschäftigt. Anna Lena behielt sie trotzdem, auch wenn sie gelegentlich bemerkte: „Drei Mahlzeiten bekommt ihr täglich, aber keine fünf Stöße schafft ihr im Monat!“

Neben der Autoverwertung hatte Amed Erdogan-ein ehemaliger Bergmann- in einer alten Lagerhalle einen Dönerimbiss eingerichtet. Einige Häuser weiter besaß der geschäftstüchtige Erdogan einen weiteren Imbiss, für Freunde der gepflegten deutschen Küche.

Dort durften die Gourmets unter seinen Feinschmeckern, so erlesene Gerichte wie zum Beispiel, ,,Frikadelle in Curry Sauce (kalt oder warm), die deutsche Bratwurst, Wiener Schnitzel mit Pommes, oder Jäger scharf mit Kartoffelsalat verspeisen.

Jeden Samstag gab es dort, mit Beginn der Übertragung der Bundesligaspiele, deutschen Erbseneintopf mit Bockwurst, die Terrine für nur einen Euro. Köchin, Bedienung, sowie gute Fee des Ladens war Maria Anthonasidis, Mutter von fünf Kindern, deren Mann Aristoteles vor Jahren bei dem schweren Grubenunglück auf Concordia, in tausend Metern Tiefe verschüttet wurde, und für den die Rettungsmannschaften nichts mehr hatten tun können. Seitdem schlug sie sich mit ihren fünf Kindern alleine durch.

Erdogan war zwar sehr geschäftstüchtig, hatte aber auch ein gutes Herz für alle Gestrauchelten, Gescheiterten, Harz IV Empfänger, für Kranke und Schwache, also all diejenigen die auf der Schattenseite des Lebens dahin vegetierten. Sie hatten bei ihm bis zu einer bestimmen Höhe Kredit, sofern sie selbigen irgendwann zurückzahlten. Es kam aber auch vor, das der eine oder andere Freund von Erdogans guter Küche, seine Trink- und Essgewohnheiten dermaßen ausufern ließ, dass der Schuldenberg eine schwindelnde Höhe erreichte. In solchen Fällen ließ Erdogan sich dann die Automobile seiner Schuldner überschreiben,- sofern sie welche hatten- um sie dann in seinem Autohaus ganz pragmatisch wieder zu verkaufen. Bei solchen Anlässen sprach er voller Rührung und Empathie, von wahrer Freundschaft, Treue und Beständigkeit.

Im unteren Teil der Zechenstraße, kurz vor der inzwischen von Wildwuchs überwucherten Zechenhalde, wohnte in einem baufälligen Haus Dr. Naumann, Arzt und Zahnarzt. Dr. Naumann war klein, schmächtig, von undefinierbarem Alter, sowie mit einem dunklen Vollbart ausgestattet. Rund um die Uhr war er für seine Patienten da, wenn er nicht gerade bei seiner Schwester im fernen München weilte. Dr. Naumann war Arzt, Philosoph, Lebensberater, Priester und Bestatter. Er zitierte bei Bedarf, Schopenhauer, Nietzsche, Goethe, und andere Geistesgrößen. Er soff und hurte, und er war Anhänger von Schalke 04.

Alfred Stuplinskis Vorfahren waren im neunzehnten Jahrhundert aus Polen eingewandert. Stuplinksi, ein Sozialdemokrat vom altem Schrot und Korn, war vor zehn Jahren aus seiner Partei ausgetreten, und lebte im heruntergekommenen Pförtnerhaus der ehemaligen Zeche Concordia.

Früher malochte er als Bergmann unter Tage, danach bezog er Harzt IV. Vor fünf Jahren wechselte seine Frau den Mann, -sie haute mit einem anderen Kerl ab-und er wechselte in die Grundsicherung. Die meiste Zeit seines Daseins verbrachte er bei Kalli, oder in Erdogans deutschem Imbiss.

Peter, ein Maschinenbautechniker, war alleinerziehender Vater eines achtundzwanzigjährigen Studenten, sowie eines weißen Pudels. Seine Frau starb vor einigen Jahren. Peter war einer der wenigen Menschen in der Straße, die noch einer geregelten Arbeit nachgingen. Er war ein liebenswerter Mensch mit viel Humor, und erfreute sich höchster Wertschätzung bei allen die ihm nahestanden, insbesondere bei denjenigen, denen er hin und wieder mit einem Kleinkredit das Leben erleichterte. Seinem Pudel fehlte es an nichts. Erlesene Gerichte, sowie hochwertige Getränke, waren für das Tier geradezu selbstverständlich. Jeden Monat kam eigens ein Hundefigaro ins Haus, der ihn frisierte, manikürte und wusch. Peter war dermaßen angetan von der Pflegetätigkeit des Hundefrisörs, dass er ihn gelegentlich bat, auch bei ihm Hand anzulegen.

Peter war kein Kostverächter, sein Durst war legendär, meist löschte er ihn bei Kalli, oder in Erdogans Dönerbude. Wobei anzumerken sei, dass es seit geraumer Zeit atmosphärische Störungen zwischen Peter und Hund einerseits, sowie Amed Erdogan andererseits gab.

Nach Augenzeugenberichten hatte sich folgendes zugetragen: Der gute Erdogan hatte Peters Hund freundlicherweise ein Stück Döner angeboten, was dem verwöhnten Tier jedoch nicht gefiel, worauf es sich unter lautem Knurren umdrehte, und Erdogan samt seinem Döner sein Gesäß zuwandte. Dies hat der hochsensible Erdogan persönlich genommen und dem Hund Hausverbot erteilt. Seitdem speiste Peter in ,,Der alten Zeche" mit Hund.

Die vom Wildwuchs überwucherte Zechenhalde war der „Wohnsitz“ der Wohngemeinschaft von Manfred(Manni), Graham, Conny und Andreas. Eigentlich waren die Jungs zurzeit obdachlos, doch sie hatten aus ihrer Not eine Tugend gemacht und sich auf der Halde aus organisiertem Holz, sowie anderen Baumaterialien, eine notdürftige Bleibe geschaffen. Zurzeit bestand die Innenausstattung ihrer Hütte aus vier Matratzen, einem großen Foto aus Mannis Militärzeit, sowie einem Schrank ohne Tür. Sie hatten sich immerhin vorgenommen ihr „Haus“ in absehbarer Zeit, mit weiterem Mobiliar zu ergänzen. Obwohl im besten Mannesalter ging keiner der vier einer regelmäßigen Arbeit nach. So etwas war in ihrer Lebensphilosophie nicht vorgesehen. Manni so eine Art Sprecher der vier, war ein großer kräftiger Bursche um die vierzig. Er war mit allen Höhen und Tiefen eines wechselvollen Lebens vertraut. Hin und wieder wenn ihm danach war, oder wirtschaftliche Engpässe ihn dazu zwangen jobbte er als Security-Mann bei irgendwelchen Veranstaltungen.

Graham ein trinkfester britischer Krankenpfleger, der vor Jahren mit nichts anderem in seinem Gepäck, als die Hoffnung auf ein besseres Leben den Ärmelkanal Richtung Deutschland überquert hatte, pflegte zurzeit sich selbst.

Andreas mit seinen achtundzwanzig Jahren, war das jüngste von insgesamt sieben Kindern die seine Mutter zur Welt brachte. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, der hatte sich nach seiner Geburt abgesetzt, und seine Mutter, die sechs Geschwister, sowie ihn alleine zurückgelassen. Er hatte vier Jahre eine Grundschule besucht, danach kam er für weitere sechs Jahre in eine Hauptschule. Menschen die dieser Schulform nicht gewogen sind, behaupten dort lerne man nur etwas über Laster und Verbrechen,

wie auch immer, sei es wie es sei, da Andreas in beiden Schulen beim Unterricht nicht genügend aufgepasst hat, hatte er beim Verlassen der Schule weder Ahnung von Laster und Verbrechen, noch von Mathematik oder Grammatik. Das Schicksal hatte es bisher mit dem liebenswerten und hilfsbereiten Burschen nicht gut gemeint.

Die drei anderen Jungs waren seine Ersatzfamilie, in der ich so wohl fühlte, sowie Akzeptanz und Wertschätzung fand. Conny hatte eine Lehrer als Automechaniker abgeschlossen und sich dann zur Ruhe gesetzt.

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