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3.Kapitel
ОглавлениеAlfred Stuplinski
Alfred und Manni saßen an einem Ecktisch in Erdogans deutschem Imbiss, starrten müde in ihre halbvollen Biergläser und schwiegen. Bis Manni das dumpfe Schweigen beendete und fragte: „Warum bist du damals eigentlich aus der SPD ausgetreten?“
Alfred schaute Manni lange an, und entgegnete bedächtig: „Es gab einige Gründe, einer davon war die Einführung von Hartz IV.“
„Aha“, meinte Manni, ich verstehe, und bestellte bei Maria zwei Bier, sowie zwei Ouzo.
„Ob du das alles verstehst, das weiß ich nicht, aber ich möchte es dir erklären: Es ist jetzt vierzig Jahre her, ich war ein junger Mann und arbeitete auf Concordia unter Tage. Unser Gewerkschaftsobmann Adolf Ollschrat arbeitete als Angestellter in der Zechenverwaltung. Wir freundeten uns an und bei einem Bier gestand er mir seine Mitgliedschaft in der NSDAP, er war damals hauptamtlicher Hitlerjugendfunktionär.
Nach dem Krieg trat er in die SPD ein. Er bat mich um Stillschweigen. Er habe sich innerlich von seiner damaligen Tätigkeit distanziert. Es sei eine Jugendsünde gewesen und er bereue alles zutiefst. Er habe von dem Verbrechen der Nationalsozialisten nichts gewusst und sei politisch missbraucht und verführt worden. Ich glaubte ihm und schwieg. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Später hat er in der SPD sowie in der Gewerkschaft Karriere gemacht. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis er in ein Ministeramt berufen würde. Dann ereignete sich das schwere Grubenunglück auf Concordia, bei dem auch Marias Mann starb. Schon seit Jahren war nichts mehr in die Sicherheit der Zeche investiert worden. Die Ruhrkohle AG plante schon lange die Stilllegung der Zeche.
Bei der Trauerfeier-die Särge der zehn toten Bergleute waren vor dem Gebäude der Hauptverwaltung aufgebahrt- kam es zum Eklat. Als Hauptredner der Trauerfeier war Adolf Ollschrat aus Berlin angereist. Als er in seiner Rede davon sprach, dass er und seine Partei um jeden Zechenstandort kämpfen werde, -wohl wissend das die Stilllegung von Concordia längst beschlossen war- kam es zu ersten Tumulten. Als er weiter schwadronierte, die toten Bergleute wären Märtyrer und für ihn sowie seiner Partei Ansporn weiter um jede Zeche zu kämpfen, ist uns im Angesicht unserer toten Kameraden der Kragen geplatzt. Ich habe meine Kollegen nur mit großer Mühe davon abhalten können, die Rednerbühne zu stürmen.“
Alfred nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierglas, kippte einen Ouzo hinterher, und berichtete weiter:
„Ich ging nach vorne habe ihn lange schweigend angeschaut- man hätte das herunterfallen einer Stecknadel hören können, so still war es geworden auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude- die Augen flackerten in seinem fleischigem Antlitz, dann habe ich mit lauter Stimme, auf das mich ein jeder verstehen möge gerufen: Schweige, du verlogene opportunistische Kreatur! Du dientest den Nazis, hast nach dem Krieg die Seiten gewechselt, bist in die SPD eingetreten und missbrauchst jetzt das Vertrauen sowie die Ideale meiner Partei. Jeder weiß es, auch du, die Stilllegung aller Zechenstandorte im Steinkohlebergbau, ist mittelfristig über alle Parteigrenzen hinweg unstrittig, sowie gegen den Willen der Bergleute und großer Teile der Bevölkerung längst beschlossen! Er schaute mich entsetzt an- so als wolle er sagen, was hast du da getan, du hast dein Wort gebrochen-, dann ging er ohne noch etwas zu sagen davon. Wir haben dann die toten Kameraden ohne ihn unter die Erde gebracht. Einige Wochen später wurde Adolf Ollschrat aus der SPD ausgeschlossen. Etwa ein halbes Jahr danach fand man seine Leiche im ,,Rhein-Herne Kanal.“
Maria brachte zwei Bier und zwei Ouzo und Alfred fuhr fort: „Kurz nachdem Concordia zumachte, kam ich auf Hartz IV. Das Amt meinte ich wäre nicht mehr vermittelbar. Jetzt beziehe ich Grundsicherung im Alter, das heißt es ist der gleiche Satz wie bei Hartz IV, solange bis man bei mir den Deckel zumacht. Für ältere Menschen die in meinem Alter arbeitslos werden hätte die Politik mehr tun müssen. Das werfe ich auch der SPD vor, die damals mit Schröder den Bundeskanzler stellte, und das Harzt IV Gesetz durch den Bundestag peitschte. Sie haben alle in einen Topf geworfen, auch mich, und nicht differenziert!“
„Diese Arbeiterverräter sollten sich einmal anschauen, unter welchen Bedingungen wir hier leben müssen! Die leben doch alle in einer anderen Welt! Für mich ist diese Partei gestorben“, empörte sich Manni, und bestellte bei Maria zwei Jäger scharf, sowie Bier und Ouzo.
Alfred nickte und legte seine schwieligen Arbeiterhände auf den Tisch. Durstig von der langen Rede, nahm er sein Bierglas, trank es leer, und spülte mit Ouzo nach.
In den letzten Wochen ging es Alfred von Tag zu Tag schlechter, seine Staublunge machte ihm zu schaffen. Auch seine psychische Verfassung verschlechterte sich immer mehr. Er wirkte oft verwirrt, verängstigt, ja geradezu hilflos, es war so, als seien die Geister der Vergangenheit auferstanden um ihn zu peinigen. Er hatte auch auf die Besuche bei Lola verzichten müssen, mit der er sich für gewöhnlich einmal im Monat in der alten Zeche traf.
Dr. Naumann äußerte: ,,Seine gesundheitlich Verfassung, gebe Anlass zu größter Sorge."
An einem Frühlingsmorgen, die Luft war erfüllt von Blütenduft und Vogelsang, betrat Alfred Erdogans Dönerbude. Er wirkte gebrechlich und rastlos. Ich denke sagte er sanft: „Ich bin dir eine Menge Geld schuldig!“
Erdogan nickte bedächtig, und wartete ab. Alfred seufzte: „Ich möchte keine Schulden hinterlassen“, und legte seinem Gläubiger das Geld auf die Theke.
Erdogan, hocherfreut über die Entwicklung in dieser Angelegenheit holte eine Flasche Anis Schnaps aus dem Schrank, die er nur für besondere Anlässe-nicht für Gäste- dort bereitstehen hatte, füllte zwei Gläser randvoll, die beiden schnupperten an dem edlem Stoff, setzten die Gläser an den Mund, und tranken sie in einem Zug leer. Alfred verließ die Dönerbude, ging die Straße hinunter zum Pförtnerhaus, legte sich in seine Badewanne, und erschoss sich. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von Alfreds Tod. Lola weinte, Kuddel verfasste ein Gedicht und Erdogan bezahlte die Beerdigung.