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Capitol Hill, Washington D.C. - USA, 18. Juni 1976

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Es war genau dreizehn Uhr zweiundvierzig, als der Senator von Massachusetts, Dr. Dorian J. Freyman, einen epileptischen Anfall erlitt.

Sein Pech war, dass er in eben diesem Moment die erste Stufe der Westtreppe des Capitols hinab betreten wollte. Er rutschte an der Kante aus, stürzte, und rollte die Stufen hinunter - bis fast ans Ende der Treppe. Beinahe wäre er schon auf einem der ersten Absätze zum Liegen gekommen, aber durch seine heftigen und unkontrollierten Bewegungen stieß er sich selber immer weiter in die Tiefe.

„Herr Senator… Jerry, um Himmels willen!“

Verzweifelt rief seine junge Sekretärin ihm diese Worte hinterher. Hören konnte er sie aber nicht mehr. Die völlig entgeisterte Frau stand wie versteinert am oberen Rand der Treppe und musste hilflos mitansehen, wie ihr Arbeitgeber, der noch etwas mehr war als ihr Arbeitgeber, über sämtliche Stufen hinunterkullerte.

Von weitem sah es fast so aus, als würde er aus reinem Übermut fröhlich Purzelbäume schlagen. Aber es waren keine - jedenfalls keine freiwilligen. Und fröhlich? Das war es gleich zweimal nicht.

Zu dieser Zeit, um Mittag herum, war nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen auf dem breiten Aufgang zum Capitol hinauf unterwegs. Keine dieser Personen befand sich jedoch annähernd in einer Position mit auch nur geringster Aussicht darauf, den Stürzenden aufhalten zu können.

In einer anderen, für den erfolgreichen Politiker etwas günstigeren Situation, hätte man vielleicht auch gesagt, er hatte ‚freie Bahn‘.

Die wenigen Passanten rund um das Geschehen nahmen den Sturz ohnehin eher teilnahmslos zur Kenntnis. Sie waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Seine junge Mitarbeiterin aber war außer sich.

„Hilfe! Hilfe! Kann ihm denn niemand helfen? Lieber Gott, dann hilf ihm du!“

Der auf diese Weise angeflehte, und der einzige, welcher ihm jetzt noch hätte helfen können, der machte bedauerlicherweise keinerlei Anstalten dazu.

Auf der allerletzten Stufe blieb der studierte Jurist endgültig liegen. Auf dem Rücken.

Der helle Sommeranzug, den er trug, war reichlich ramponiert, an einigen Stellen aufgerissen.

Den rechten Schuh hatte der Unglückliche verloren; der musste irgendwo auf der Treppe liegen. Zu sehen war er auf einen ersten Blick aber nirgends.

Beide Hosenbeine waren aufgerissen und hochgeschoben. Der Sockenhalter an dem Bein, an dem der Schuh fehlte, war von der Wade bis zum Knöchel hinabgerutscht.

Ein schön in schwarzem Leder gebundenes Notizbuch, es gehörte offenbar dem Gestürzten, lag etwa zehn Stufen weiter oben. Auch auf dem Rücken.

Die Deckel des Buches waren aufgeklappt. Eine leichte Sommerbrise spielte mit den dünnen, dicht beschriebenen Seiten, als ob jemand gedankenverloren darin blättern würde. Tat aber niemand.

Der linke Augapfel des Senators hing seitlich an seiner Schläfe herab, gerade noch so festgehalten durch einige intakte Zentralgefäße und den Sehnerv.

Das rechte Auge war noch irgendwie als Einheit erkennbar - mit etwas Fantasie.

An seinem entstellten Gesicht konnte man nicht mehr erkennen, wer der Verunglückte war.

Zum Glück war er in Begleitung seiner Sekretärin gewesen, die ihn noch am Unglücksort für die inzwischen herbeigeeilten Sicherheitsbeamten identifizieren konnte.

Die exakte Zeitangabe für den Sturz war ihr deswegen möglich, weil sie beide auf dem Weg zu einem offiziellen Empfang schon reichlich knapp dran waren, und der Senator sie noch unmittelbar vor seinem fatalen Fehltritt nach der Uhrzeit gefragt hatte.

Ihren Blick hatte sie noch immer auf das Ziffernblatt geheftet, als sie das erstmalige Aufschlagen seines Schädels auf einer der steinharten Stufen hörte.

Die zweiundzwanzigjährige Liz Hutton, die noch immer unter Schock zu stehen schien, war seit fünf Jahren nicht nur Sekretärin, sondern enge Vertraute des Senators gewesen. Der hatte ein Faible für brünette Mitarbeiterinnen weit unter dreißig. Das war allgemein bekannt.

Aber er hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen, was diese Arbeitsverhältnisse mit jungen Damen betraf.

Böse Zungen dagegen behaupteten, er habe sich nur nicht dabei erwischen lassen. Manche seiner politischen Gegner versuchten immer wieder, ihm mit dieser Neigung zur weiblichen Jugend am Zeug zu flicken. Ohne Erfolg.

Anschuldigungen dieser Art waren und blieben aber ohnehin nur immer Nebenkriegsschauplätze im harten Kampf um die Wähler. Denn es gab ja auch noch das, was im Gerichtswesen bei bestimmten Verfahren als ‚Hauptsache‘ bezeichnet wird: das nach wie vor ungelüftete Geheimnis um die Herkunft des Senators.

Es war das alles überschattende Rätsel, das ihn seine ganze Karriere hindurch begleitete. Seine hartnäckigsten Widersacher im Politgeschäft schlachteten diese schwelende Ungewissheit um seine Herkunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus. Noch verstärkt seit seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei.

Allzu gerne hätte er sich dieses Problems ein für alle Mal entledigt. Mit einem eindeutigen Statement, das Freund und Feind endlich überzeugen und zufrieden stellen könnte. Aber wie sollte er? Er war sich ja nicht einmal selber sicher, wer er in Wahrheit war.

Während sie mit den inzwischen eingetroffenen Beamten des Police Departments sprach, kramte Miss Hutton fortwährend in ihrer Handtasche herum, ohne zu wissen, was sie dort drin überhaupt suchte.

„Es war so schrecklich. Wir kamen gerade aus einer informellen Sitzung zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum zweihundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit. Und jetzt, jetzt kann er das Bicentennial nicht einmal selber miterleben. Der arme Jerry – ich meine, der arme Senator. Ja, wo ist es denn? Ich kann es einfach nicht finden.“

Sie nahm nur kurz ihre Hand aus der Tasche und schaute erwartungsvoll auf die Beamten, ob die ihr vielleicht die Frage beantworten könnten, wo sich dieses Etwas in ihrer Handtasche befindet, nach dem sie so unablässig suchte. Gleich darauf steckte sie ihre Finger wieder in die elegante Ledertasche und suchte weiter darin herum. Nach was, das wusste sie nach wie vor nicht.

„Es ist so schrecklich. Ja, es ist ganz sicher der Senator, der Senator Dorian Freyman. Habe ich doch schon gesagt. Ich kann es beschwören, bei Gott. Ich habe den Sturz doch selber mit ansehen müssen. Schauen Sie nur auf seine linke Hand, der kleine Finger ist etwas verkrümmt; das stammt von einer früheren Verletzung her. Es steht in seiner Krankenakte. Der eindeutige Beweis dafür, dass er es ist - für Sie, nicht für mich. Ich selbst brauche keinen zusätzlichen Beweis, ich war doch bis zur letzten Sekunde bei ihm. Mein Gott, der arme Mensch. Und was wird jetzt aus mir? Mein Vertrag läuft doch noch ein ganzes Jahr. Bleibt der denn gültig, jetzt, wo der Senator tot ist?“

Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.

Der Sergeant, dem gegenüber sie ihre Aussagen machte, der hatte Mühe, mit seinen Notizen hinterherzukommen.

Bald hatte sich eine größere Menschenmenge um den am Boden liegenden Politiker und die mittlerweile ringsum abgestellten Polizeifahrzeuge versammelt. Beamte waren dabei, die Unglücksstelle weiträumig abzusperren.

Ein Officer beugte sich in einen der Einsatzwagen und zog die Sprecheinheit des Funkgerätes aus der Halterung. Er hielt sich die Sprechmuschel direkt an den Mund, um die Geräusche um ihn herum abzuschirmen. Seine Augen wanderten aufmerksam in die Runde, während er seine Meldung in das Mikrophon sprach.

„Zentrale, hallo Zentrale, kommen, hört ihr mich? Hier Wagen 37 am Capitol Hill, der angeforderte Krankenwagen kann wieder zurück zum Hospital. Wir brauchen hier einen Leichenwagen. Ende.“

„Roger“, kam es von der anderen Seite lapidar zurück.

Nach einem paarmaligen Knacken in der Leitung des Empfangsgerätes krächzte es aus dem Lautsprecher: „Wer ist es denn, Jack?“

„Noch nicht eindeutig identifiziert, wird auch gar nicht so leicht sein bei dem erbärmlichen Zustand - aber laut Zeugenaussage, sie sagt, sie sei seine Sekretärin, scheint es der Senator Freyman von den Demokraten zu sein.“

„Was? Der? Okay, ich sag dann mal denen in der Gerichtsmedizin, dass Kundschaft vorbeikommt.“

Schnell verbreitete sich die Nachricht unter den immer zahlreicher werdenden Umstehenden am Fuß der Treppe, dass es sich bei dem Unfallopfer mit aller Wahrscheinlichkeit um den geheimnisumwitterten Dorian Freyman handeln müsse. Um den ‚Sohn der Gräfin‘, wie ihn einige respektvoll, die anderen dagegen eher abschätzig nannten.

Während diese Meldung die Runde machte, ging ein vernehmliches Raunen durch die Menge, aus dem man, von größtem Bedauern bis zu klammheimlicher Schadenfreude, das ganze Register verschiedenster Gefühlsregungen heraushören konnte.

Oben, über den Kopf der Treppe hinweg, ergoss sich plötzlich ein Pulk von Journalisten, die allesamt im Capitol akkreditiert waren. Mitten in ihre Mittagspause hinein hatten sie von dem Vorfall draußen Wind bekommen und kurzerhand alles liegen und stehen lassen. Ungestüm hetzten sie im schnellen Laufschritt die Stufen herunter.

Manche nahmen zwei oder drei Treppen auf einmal. Manche noch mehr. Einige stolperten.

Mit wehenden Sakkos und Krawatten stürmten sie nach unten, als ob es etwas zu gewinnen gäbe. Jeder von ihnen wollte als Erster einen Interviewpartner ergattern, als erster seine Redaktion anrufen.

Nicht wenige hatten noch ihr angebrochenes Lunchpaket in der Hand, andere stopften sich hastig den Rest eines Hot Dogs in den Mund.

„Leute, geht doch endlich auseinander! Hört ihr? Macht Platz. Wir wollen hier in Ruhe arbeiten. Geht nach Hause. Lasst dem Mann jetzt seinen Frieden!“

Die Stimme des Sergeants klang sehr ruhig, gemessen an dem sorgenvollen Blick, den er auf die anstürmende Meute der Reporter richtete. Die könnten ihn und seine Kollegen gleich noch weit mehr bedrängen, als es die neugierigen Gaffer bisher getan hatten.

Der Mann, der in Frieden gelassen werden sollte, das war noch wenige Momente davor der immer sympathisch wirkende und allseits beliebte Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Dorian Freyman.

Er war zuletzt in allen Umfragen - trotz aller Gerüchte, die sich um ihn rankten - klarer Favorit gegen den derzeit amtierenden Präsidenten Gerald Ford, obgleich Freyman vom politischen Gegner mit allen möglichen Mitteln aufs schärfste bekämpft wurde. Mit sauberen Mitteln bekämpft und mit unsauberen. Vor allem mit unsauberen.

Dr. Dorian Jeremias Freyman, von seinen engeren Freunden auch Jerry genannt, entstammte einer hoch angesehenen New Yorker Familie.

Seit Jahrzehnten schon hatte sie der Stadt umfangreiche finanzielle Unterstützung für Museen, Denkmäler und soziale Einrichtungen zukommen lassen. Dorian Freymans Vater war der für seine hervorragende künstlerische Arbeit in aller Welt bekannte Architekt und Immobilienmogul Joseph Freyman gewesen.

Der war leider schon ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes Dorian gestorben.

Oder aber schon etwa vier Jahre vor dessen Geburt.

Und genau das war es, was die Medien und die gesamte Öffentlichkeit ständig beschäftigte.

Seine nach wie vor im Dunkeln liegende Herkunft, seine ungeklärte Identität.

Zeitlebens haftete dem Senator dieser Makel an und brachte ihn immer wieder in Bedrängnis. Weil er auch selber nie eine schlüssige Erklärung vorbringen konnte, was es mit diesem im Dunkel liegenden Umstand auf sich hatte.

Seine Mutter, Eleonora Freyman, war vor knapp zehn Jahren verstorben. Sie hatte zu ihren Lebzeiten den recht üppigen, der Stadt zugedachten Zuwendungen der Familie Freyman in der Öffentlichkeit jeweils publikumswirksam ihr schönes Gesicht gegeben.

Die Unklarheiten in den Geburtsdaten des Sohnes konnte sie allein mit ihrem attraktiven Aussehen aber auch nicht beiseite räumen. Auf Nachfragen erklärte sie die Unsicherheit darüber lapidar mit Nachlässigkeiten der seinerzeit zuständigen Kirchenschreiber.

Man könnte auch sagen, sie hatte das Thema für sich mit solchen Erklärungen abgetan. Selbstherrlich, und ohne einen Widerspruch zu dulden.

Schließlich war sie die Gräfin von New York.

Jedenfalls nannte sie sich so. Und viele in der New Yorker Gesellschaft taten das ebenfalls.

Sie jedenfalls glaubte, dank ihrer Autorität die Leute mit dieser expliziten Schuldzuweisung überzeugen zu können.

Die breite Öffentlichkeit konnte sie jedoch mit dieser dürftigen und immer spröde vorgetragenen Erklärung zur Identität ihres Sohnes nicht zufriedenstellen.

Die Geschwister von Dorian Freyman waren in der Gesellschaft weit weniger präsent, als seine Eltern und er selber es waren. Sieht man einmal von dem guten Namen ab, den sich sein älterer Bruder, der 1933 verstorbene John Freyman in der Welt der Pferdezucht erworben hatte.

Politisch aber waren die beiden Schwestern und der Bruder des Senators bisher nie besonders in Erscheinung getreten.

Auch sie hatten nichts zur Aufklärung der Ungereimtheiten über die Umstände der Geburt ihres viel jüngeren Bruders beitragen können, oder wollen.

Natürlich wussten die Geschwister, dass Dorian aus dem Waisenhaus zu ihnen ins Haus gekommen war. Aber sie respektierten zu jenem Zeitpunkt den Wunsch ihrer Mutter, den Jungen als echtes Familienmitglied anzuerkennen und ihn als Sohn von Joseph Freyman auszugeben.

Sie wurden gewahr, wie sehr sie ihn vergötterte und stimmten schließlich einhellig der für sie unbedeutenden Korrektur seines Lebenslaufes zu.

Es schadete ja auch niemandem.

Daher schlossen sie sich auch bei sporadischen Anfragen der Presse zu dem ungeliebten Thema solidarisch der Erklärung der Gräfin an: vermutlich Schludrigkeiten bei den pastoralen Schreibkräften.

Der Hauptangriffspunkt seiner politischen Kontrahenten war und blieb darum auch immer das Geheimnis um Dorian Freymans tatsächliches Alter und die damit zwangsläufig verbundene Unklarheit über seine wahre Abstammung. Denn an ein medizinisches Wunder glaubte niemand.

Tote können keine Kinder zeugen. Eine Geburt ohne physische Zeugung? So etwas glaubten selbst die Katholiken im Lande nicht, obwohl ihre Religion maßgebend auf solch Abwegigkeit aufbaut.

Und wenn er wirklich erst vier Jahre nach dem Tode seines Vaters auf die Welt gekommen war? Dann war dieser Vater eben nicht sein Vater. Punkt.

So einfach war das. Aber wenn es so war, wer war er dann? Wer war dieser Dorian Freyman?

Das war die alles entscheidende Frage. Alles andere, außer dieser nebulösen Angelegenheit, geriet in seinem politischen Leben mehr oder weniger zur Nebensache.

Zum Beispiel die Tatsache, dass Dorian Freyman privat an seinem Hauptwohnsitz in Boston relativ selten anzutreffen war. Außerdienstlich hielt er sich die meiste Zeit in New York in seinem Elternhaus auf.

Dort hatte er auch sein großzügiges Büro und dort gab er auch häufig Interviews.

Man warf ihm daher vor, er habe aus diesem Grund gar keine Berechtigung, als Senator von Massachusetts zu fungieren. Damit sei auch seine Kandidatur zum Präsidenten null und nichtig.

Oder seine angeblich so guten Kontakte in den Kreml, die einen Landesverrat nahelegten, wie es von einigen der Hardliner bei den Republikanern kolportiert wurde. Diese Vorhaltungen wurden schnell entkräftigt.

Die von seinen Gegnern so genannten ‚guten Kontakte zu den Kommunisten‘ waren schon bald als die üblichen politischen Konsultationen zwischen den beiden verfeindeten Staaten entlarvt. Auch Mitglieder der Republikaner hatten an diesen Treffen teilgenommen.

Gedacht waren sie einzig dazu, den Kalten Krieg nicht zu einem heißen werden zu lassen.

Seine Kontrahenten ließen jedoch nie locker und fanden schnell einen weiteren Angriffspunkt.

Nämlich Freymans Meinung zum Vietnamkrieg, die der landläufigen widersprach. Sie wurde von der Gegenseite als völlig unpatriotisch, ja gar als feige bezeichnet.

Ein Aufruf zum Aufgeben sei sie, Anstiftung zur Kapitulation. So bellten sie es in die Mikrophone der Radios und Übertragungsanlagen. Die Böswilligsten scheuten sich nicht, von Hochverrat zu sprechen und ihn selbst als gemeinen Landesverräter zu beschimpfen.

Freyman plädierte tatsächlich dafür, den schon so lange andauernden und erfolglos geführten Krieg in Südostasien so schnell wie möglich zu beenden.

Allerdings kippte die Stimmung zu diesem Gemetzel in der Bevölkerung gerade ebenfalls. Von der anfänglichen Begeisterung und Unterstützung für diesen Krieg tendierte die Stimmung im Volk immer mehr zu Verdrossenheit und Unverständnis für dessen Fortsetzung. Und Freymans Meinung wurde auf diese Weise immer mehr zur allgemeinen Meinung im Land.

So verkehrten sich die gegen seine Apelle gerichteten Angriffe der Konkurrenten in ihr Gegenteil.

So schnell aber manche der Vorwürfe gegen ihn aus dem Weg geräumt werden konnten, oder sich durch einen gravierenden politischen Stimmungsumbruch wie von selbst verflüchtigten - einer blieb immer aktuell, weil immer noch nicht ansatzweise geklärt:

Die eklatante Unstimmigkeit zwischen der Eintragung im Kirchenbuch der ‚Basilica of St. Patrick’s Old Cathedral‘ und den Aufzeichnungen des ‚Home of the Lord for Children‘ einerseits, sowie andererseits die offiziell beeideten Angaben in der amtlichen Geburtsurkunde, ausgefertigt von der New Yorker Kommune.

Diese Ungereimtheit gab ständig neue Nahrung für die wildesten Gerüchte.

Darauf ließen sich mühelos unterschiedlichste Verschwörungstheorien aufbauen, die darin gipfelten, dass eine ganze Reihe von Abgeordneten der Republikaner behauptete, Dorian Freyman sei gar kein Amerikaner.

Inzwischen gab es auch nur noch wenige Länder, deren Nationalität ihm von gehässigen Gegenspielern nicht angedichtet worden war.

Der Kirchensprengel im Bezirk sah sich veranlasst, eigens zu diesem Thema eine Pressekonferenz anzuberaumen.

Auf dieser erklärte der zum Zeitpunkt der Geburt Dorian Freymans zuständige Priester in der Basilica of St. Patrick’s Old Cathedral den anwesenden Journalisten wörtlich:

„Ich kann bestätigen, dass Dorian Jeremias Freyman der leibliche Sohn des Mr. Joseph Freyman und dessen Gattin, der Mrs. Eleonora Freyman ist. Das steht fest. Wie es zu den unstimmigen Einträgen in unserem Kirchenbuch kam, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären. Die Angaben darin sind unrichtig. Es müssten die nämlichen Daten enthalten sein, wie in dem behördlichen Dokument, also der Geburtsurkunde des Dr. Freyman.“

Das wurde von einigen der anwesenden Journalisten hingenommen - von anderen wiederum nicht.

„Haben Sie diese Angaben damals eigentlich selber in das Register eingetragen? Wenn nicht, wissen Sie dann, wer dafür verantwortlich war? Und wenn Sie das wissen, haben Sie Zugriff auf diese Person?“, fragte ihn recht forsch ein jüngerer Korrespondent der New York Times, der sich offenbar seine ersten Sporen verdienen wollte.

„Nein, zu dieser Zeit hatten wir für diese Aufgaben einen Vikar aus Oregon, der inzwischen leider verstorben ist. Er wäre der einzige, der dieses Rätsel heute zu unser aller Zufriedenheit lösen könnte. Aber Gott hat es gefallen, ihn frühzeitig zu sich zu nehmen.“

„Sie wissen also genau so viel, besser gesagt, genau so wenig, wie auch wir. Und worauf stützen Sie dann ihre Behauptung, Dorian Freyman wäre der leibliche Sohn der beiden Freymans? “, hakte derselbe Fragesteller nach.

„Es gab und gibt keinerlei Grund für einen noch so kleinen Zweifel, da zur Zeit der Geburt der Vater des Kindes noch am Leben war und die Eheleute Freyman einen absolut untadeligen Lebenswandel führten. So wie das auch der Rest der Familie tat. Und so wie es die heute noch lebenden Angehörigen auch noch tun.“

Das war reichlich dünn.

Aber die ausschlaggebende Behauptung für die öffentlichen Mutmaßungen zum Sachverhalt war ja, dass Dorians Vater bei der Geburt seines angeblichen Sohnes bereits seit vier Jahren tot gewesen sein sollte. Und wenn ein Priester nun das Gegenteil bestätigte. Ein Priester! Ein Mann mit höchster Reputation.

Um den Aussagen des Geistlichen noch zusätzlich an Gewicht zu verleihen, flankierten ihn am Pressetisch zwei ältere Bischöfe. Die zwei nickten jeweils nur ernst mit ihren Köpfen bei den Aussagen ihres Untergebenen; was so viel heißen sollte, dass dem Gesagten nicht zu widersprechen sei.

Den verdrossenen Publizisten blieb nur, die vorgebrachten Bekundungen des blasierten Priesters zu schlucken. Wie könnten sie auch ernsthafte Zweifel an dem Wort eines Gottesmannes anmelden!

Die Gräfin von New York

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