Читать книгу Mords-Brand - Günther Dümler - Страница 15

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Leichte Zweifel

Am Frühstückstisch der Kleinleins herrschte eine ungewöhnlich angespannte Atmosphäre.

„Und kommers essn? Sinn nedd vielleichd zu vill Viddamine drin?“

„Mensch Marga, etz sei hald nedd immer nu äso eigschnabbd, bloß walli gsachd hobb, dassi zwischernei aa amaal widder woss Handfesdes essn möcherd. Und woss sollin ner an denne Weggler auszusetzn habn? Dee sinn doch … einwandfrei!“

Eigentlich wollte er sagen: „Dee sinn doch vom Bägger Hufnagl“, konnte die Bemerkung aber gerade noch einmal entschärfen. Was er damit ausdrücken wollte war lediglich, dass die Bäckerei Hufnagel sehr zuverlässig sei und man noch nie Beanstandungen bei deren Brötchen hatte, aber dieser Hinweis hätte Marga angesichts ihrer augenblicklichen Empfindlichkeit leicht in den falschen Hals geraten können, was ihm blitzschnell zu Bewusstsein kam. Genauso gut hätte sie auch verstehen können, die sind ja auch nicht von dir. Und so fügte er nach kurzem Überlegen stattdessen friedensheischend hinzu:

„Dee sinn genauso einwandfrei wäi alles andre woss du kochsd aa! Mir müssn hald immer aweng abwechsln, ner bassds scho.“

Da die Marga dagegen nichts sagen konnte, sie andererseits aber befürchtete, dass eine Zustimmung eine hundertprozentige Rückkehr zu den früheren Verhältnissen und den Verlust jeglichen ernährungstechnischen Fortschritts bedeutet hätte, blieb sie lieber ganz stumm und zuckte mit den Schultern auf jene unbestimmte Art, die jegliche Interpretation zuließ und die von Einverständnis, über Ignoranz bis hin zu direkter Ablehnung alles bedeuten konnte. Da hatte er sich aber auch in etwas Schönes hinein manövriert.

Derart abgeblitzt wandte sich Peter erst mal seiner Morgenlektüre zu und hielt vorsichtshalber den Mund. Jetzt nur kein falsches Wort. Die Zeitung war heute besonders dick. Es gab zwei Sonderberichte. Einer befasste sich mit den verheerenden Folgen des Unwetters und dem dadurch entstandenen Brand sowie dem tragischen Tod des jungen Feuerwehrmannes. Ein weiterer, ganzseitiger Bericht zeigte unter anderem ein Bild des Bürgermeisters Helmut Holzapfel, neben ihm zwei von Kopf bis Fuß in orangefarbene Overalls der Firma easyclean gekleidete Müllmänner, von denen der eine mit breitem Grinsen ein nicht zu identifizierendes Blatt Papier in die Kamera hielt. Daneben stand eine weitere Person, ein relativ blasser Mann mit struppeligen Haaren, in Jeans und einem karierten Hemd, das ihm aufgrund einer beachtlichen Speckschwarte über den Gürtel hinunterhin. Unappetitlich! Ein Unbekannter, auf jeden Fall keiner aus dem Dorf.

Peter zog die Brauen missbilligend hoch und obwohl er eigentlich schmollte und sich vorgenommen hatte nichts mehr zu sagen, rutschte ihm doch eine Bemerkung heraus.

„Wahrscheinli hodd er scho widder a Spende gmachd, der saubere Herr Holzapfl und etz lässd er si glei widder middn Scheck foddografiern. Dübbisch Bolliddigger, dübbisch Holzapfl. Bloß ka Gelegnheid auslassen, immer vorndroo, die Wähler zeign, woss mer alles leisded.“

Doch die Marga, an die dieses Friedensangebot, sozusagen als zarter Versuch zur Wiederaufnahme der verbalen Kommunikation gerichtet war, hatte schon wieder ihre hausfraulichen Tätigkeiten außerhalb der Küche aufgenommen und hörte ihn nicht, so dass Peter auch die folgende Bemerkung ausschließlich zu sich selbst machte.

„Dess konner mer aa schbäder nu anschauer. Etz indressierd mi erschd amaal, ob mer scho woss drüber wass, warum der junge Mann sich mehr odder wenicher selber umbrachd hodd.“

Er ging aufmerksam den Bericht mit den Aussagen der Polizei zum gegenwärtigen Ermittlungsstand, sowie die ausführlichen Interviews mit den Geschädigten und dem Feuerwehrkommandanten durch. Die Zieglers taten ihm leid. Sie hatten bis auf wenige Wertgegenstände, die nach Ausbruch des Feuers in unmittelbarerer Reichweite waren und die sie auf ihrer Flucht blitzschnell zusammenraffen konnten, alles verloren. Sicher würden sie von der Brandversicherung entschädigt werden, vielleicht waren sie ja auch gegen Blitz- und Hagelschäden versichert, so dass ihnen ein Großteil der Einrichtung ersetzt werden würde, aber wo sollten sie die nächsten Monate wohnen? Es würde sicher lange dauern, bis sie wieder ein eigenes Dach über dem Kopf haben würden.

Die alternative Theorie des Feuerwehrkameraden Seyler war bei dem eifrigen Lokalreporter auf fruchtbaren Boden gefallen, so dass das winzige Samenkörnlein, das er ausgestreut hatte, im subtropischen Wachstumsklima der Redaktion und unter Hinzufügung eines wirksamen Düngers aus ausufernder Fantasie und ungebremster Sensationslust inzwischen zu einer stattlichen Pflanze heranreifen konnte. Der Tote war demnach in die Tochter der Zieglers verliebt gewesen, eine einseitige Angelegenheit, wie da zu lesen war. Ihre Zurückweisung hatte ihn vermutlich so sehr deprimiert, dass sein Lebenswille im ungünstigsten Augenblick entscheidend geschwächt war, so dass er sich unter dem nervenaufreibenden Druck der Brandkatastrophe in einem Anflug von Verzweiflung das Leben nahm. Eine Lovestory, noch dazu eine tragische, machte sich immer gut.

Peter hielt nicht viel von solchen Übertreibungen, aber nach Abzug aller journalistischer Sensationshascherei hatte er auch keine andere Erklärung. Niemand wusste einen Grund, warum der Mann noch einmal in das bereits geräumte Haus gerannt sein könnte. Alle Personen waren gerettet, auch er wusste das. Was kann er nur dort drinnen trotz der ungeheuren Gefahr gesucht haben? Peter juckte es geradezu es in den Fingern, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen, jedoch angesichts der momentanen Stimmungskrise im Hause Kleinlein wäre das einem gefährlichen Spiel mit dem Feuer gleich gekommen. Die Marga hatte es schon im Adler deutlich gemacht. Das ist ein Fall für Polizei und Feuerwehr, keinesfalls für selbsternannte Amateurdetektive. Aber nachdenken, das durfte er doch trotzdem oder etwa nicht? Die Gedanken sind schließlich frei, wie es der Dichter schon so treffend formuliert hat.

Peter blätterte erst einmal weiter. Die ganze Sache musste er später noch einmal in Ruhe überlegen. Als er zu dem Artikel mit dem Bild des Bürgermeisters kam, stellte er sehr schnell fest, dass ihn sein erster flüchtiger Eindruck getäuscht hatte. Der Bürgermeister hatte keinesfalls eine Spende für die Müllabfuhr geleistet, der Mann ganz rechts außen hielt auch keinen Scheck in der Hand. Es war ein Dokument, das die beiden zu seiner Linken abgebildeten Herren in einer auf dem Sperrmüll geworfenen Schublade gefunden hatten. Eine alte Frau war im Alter von 89 Jahren an Altersschwäche gestorben und der herbeigerufene Enkel, nach Informationen der Zeitung der einzige Erbe, hatte das Haus komplett entrümpelt und dabei unbemerkt eine wichtige Urkunde weggeworfen, aufgrund derer unter Umständen die Röthenbacher Gründungsgeschichte neu geschrieben werden musste. Bei dem erwähnten Enkel musste es sich um den zotteligen Bären handeln, der seine Wampe so ungeniert ins Bild hielt. Irgendwie kam er Peter nun doch bekannt vor, er konnte sich aber nicht erinnern wo er den Mann schon einmal gesehen hatte. Es war auch ziemlich egal.

So viel hatte bisher der Bürgermeister selbst mit Hilfe einschlägig interessierter Mitarbeiter der Tageszeitung herausgefunden. Eine fachkundige Analyse über das Alter der Handschrift und deren genauen Inhalt, sowie eine geschichtliche Einordnung der darin geschilderten Ereignisse würden Fachleute des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg vornehmen. Man konnte bisher anhand der laienhaften Bemühungen aber schon so viel sagen, dass das historische Dokument von einem Totschlag handelte, verübt von einem gewissen Schankwirt Eberhard Beringer aus Röthenbach. Hinz Laumer, das Opfer, ein Bauersmann aus Heinerslohe, war wohl infolge eines heftigen Streits, beflügelt durch den angeborenen Jähzorn des Wirts, sowie dessen reichlichem Bierkonsum zu Tode gekommen. Die Handschrift berichtet von der damals, im Jahre des Herrn 1114, verhängten Strafe gegen eben jenen rabiaten Wirt. 1114. In Worten elfhundertvierzehn. Er hätte es sich mehrmals selbst vorlesen müssen, bis er glauben konnte was er da sah. So wurde das Dorfoberhaupt vom Artikelschreiber zitiert. Das bedeutete, dass Röthenbach nicht wie bisher angenommen 805 Jahre alt wäre, sondern nachweislich bereits knappe 100 Jahre zuvor existierte. Bürgermeister Holzapfel hatte den Journalisten zwar noch nichts Konkretes sagen können, aber nichtsdestoweniger vollmundig angekündigt, dass dieses nunmehrige 900-jährige Jubiläum Anlass für eine große Feier sein würde. Und das gerade einmal fünf Jahre nach der 800-Jahr-Feier.

Mords-Brand

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