Читать книгу Geschmackssache oder Warum wir kochen - Günther Henzel - Страница 10

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4 Feuer – Auslöser und Motor der Ernährungs(r)evolution

Wann genau unsere frühen Vorfahren damit begonnen haben, mit Feuer (einer Naturgewalt, die alles Organische vernichten kann) Nahrungsrohstoffe gezielt zu bearbeiten, wissen wir nicht. Sicher dagegen ist, dass natürliche Feuer – insbesondere große Brände und deren Folgen – auch zur Erfahrungswelt der Homininen gehörten. Allerdings erklärt dieser Sachverhalt noch nicht von selbst, wie aus den konkreten 'Beobachtungen' von Feuerwirkungen handwerkliche Techniken im Umgang mit Feuer entstehen konnten. Dass es hier aber einen Zusammenhang geben muss, liegt nahe, zumal es im Ostafrikanischen Grabenbruch (Hauptregion der Hominisation) nicht nur nach Dürreperioden, sondern auch durch Blitze, Lavaströme oder brennende Erdgase127 immer wieder zu Steppen- und z. T. wochenlangen Waldbränden kam.128 Jedoch waren solche Ereignisse eher mit Ängsten, schmerzhaften Verbrennungen, Not, Flucht, Zerstörung und Tod verbunden.129 Auf den ersten Blick scheint es daher widersprüchlich, Rohstoffe der Flammengewalt auszusetzen, zumal organische Substanzen nicht nur entflammen, sondern vollständig verbrennen können. Eigentlich hätten unsere Vorfahren eher darauf bedacht sein müssen, alles Essbare vor Feuer und Glut zu schützen, die Nahrung in Sicherheit zu bringen. Die Entwicklung verlief jedoch – wie wir wissen – anders. Weltweit und in allen Kulturen werden Mahlzeiten mit Hilfe von Feuer zubereitet.

Die Entdeckung, Feuer auch als Garwerkzeug einsetzen zu können, muss daher mit einer anderen Feuerquelle als der der Steppen- und Waldbrände gesehen werden: mit dem Lagerfeuer.130 Als die frühen Menschen gelernt hatten, solche Feuer zu entzünden und am Brennen zu halten, veränderte das ihre Lebensbedingungen grundlegend. Sie hatten in den kühlen Nächten eine Wärme- und Lichtquelle, die auch Raubtiere auf Distanz hielt. Nach WRANGHAM (2009) war das archaische Lagerfeuer der Ort, an dem sich friedfertiges Miteinander und Gefühle der Zusammengehörigkeit (Gruppenidentität) entwickelten und die sprachliche Kommunikation ihren Anfang nahm.131 Der dauerhafte Aufenthalt an solchen Feuerstellen sollte zu einer entscheidenden Beobachtung führen – nämlich der Wirkung von Wärme (Wärmestrahlung) auf unmittelbar am Feuer gelagerte Rohstoffe – vor allem auf Fleisch (das auf diese Weise Röststellen bekam). Vermutlich war es genau diese Entdeckung, die die Abspaltung des Menschen von seinen stammesgeschichtlichen Verwandten forcierte und die Entwicklung zum modernen Menschen, nicht nur zum Homo sapiens, dem vernunftbegabten, sondern dem 'schmeckenden' Menschen in Gang setzte.

Paläoanthropologen bezweifeln allerdings, ob es jemals möglich sein wird, die Fragen nach den Ursachen und Anfängen der Feuerbearbeitungstechniken schlüssig zu beantworten.132 Das wäre bedauerlich, da in diesem Fall der Beginn der Gartechniken und der schrittweise Übergang von roher zu gegarter Nahrung für immer eine ungeklärte Entwicklungsphase (gap of development) innerhalb der Menschwerdung (Hominisation) bliebe. Nachfolgende Überlegungen versuchen die möglichen Umstände, Bedingungen und Entwicklungsverläufe von Gartechniken mittels Feuer zu rekonstruieren.

Hintergrundinformationen

Physikalisch ist Feuer eine chemische Reaktion eines Brennstoffs (meist Kohlenstoffverbindungen) mit Luftsauerstoff, wobei thermische Energie (die Wärmebewegung der Atome und Moleküle) und elektromagnetische Strahlung (die sogenannte Wärmestrahlung) freigesetzt wird. Letztere sind elektromagnetische Wellen – sowohl im infraroten als auch im sichtbaren Bereich – die durch die Beschleunigung der elektrisch geladenen Atome und Elektronen erzeugt und als farbiges Licht wahrgenommen werden, das Elektronen beim Wechsel ihrer Atomorbitale aussenden.

4.1 Feuer – von der Wärmequelle zur Kochstelle

Einig sind sich die Paläoanthropologen, dass es im Energiebudget unserer Vorfahren entscheidende Veränderungen gegeben haben muss, denn in der Zeit zwischen 1,9 Millionen und 200 000 Jahren vor der Gegenwart hat sich ihre Gehirngröße verdreifacht (GIBBONS 2010). Als wahrscheinliche Ursache wird (wie bereits erwähnt) der vermehrte Fleischkonsum gesehen, der nach heutigem Erkenntnisstand vor etwa 2,7 Millionen Jahren mit dem Gebrauch scharfkantiger Steinwerkzeuge begann, wie u. a. Steinartefakte aus Gona (Äthiopien) belegen (GIBBONS 2010). Damit konnten die Vormenschen133 Tierkörper enthäuten, zerlegen und auch klein schneiden. Infolge dieser energetisch hochwertigeren Nahrung hat sich das Gehirn unserer archaischen Vorfahren bereits nach einer Million Jahren verdoppelt (von ca. 400 auf 775 m3), wie ein 1,6 Millionen Jahre alter Erectus-Schädel zu belegen scheint.134 Alan Walker geht davon aus, dass Homo erectus zu dieser Zeit Tierkadaver in sein Lager geschleppt und dort zerlegt hat (GIBBONS 2010). Ob Homo erectus zu dieser Zeit schon über die Fähigkeit verfügte, Feuer dauernd am Brennen zu halten und erste Gareffekte an Rohstoffe beobachten konnte, die in Feuernähe gelegen hatten, wissen wir nicht. Der älteste Nachweis einer Feuerstelle in Israel (Gesher Benot Ya'aquv– s. Fußn. 1, S. 12), an der nachweislich auch »gegart« wurde, ist 790 000 Jahre alt. So fehlen (derzeit) archäologische Indizien und Befunde für etwa 800 000 Jahre, die den Gebrauch einer Feuerstelle auch als »Garplatz« belegen. Allerdings fand der Paläoanthropologe Jack Harris in Tansania 1,5 Millionen Jahre alte verbrannte Steinwerkzeuge und verbrannten Ton in der Olduvai-Schlucht, ebenso in Koobi Fora in Kenia (GIBBONS 2010). Er ist überzeugt, dass die Verwendung von Feuer zu »Garzwecken« viel älter ist, als die Feuerstelle in Israel vermuten lässt.

Trotzdem liefern diese Funde und Indizien keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb Homo erectus damit begonnen hat, seine ihm vertraute natürliche (rohe) Nahrung mit Hilfe von Feuer zu verändern. Dieses absichtsvolle Tun kann nicht aus dem Nichts entstanden, praktisch urplötzlich 'über Nacht' dagewesen sein. Es setzt neben der dauerhaften Verfügbarkeit von Feuer technische und kognitive Fähigkeiten voraus – und vor allem: das »Wissen« um das Garziel. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass Mensch und Feuerstelle anfänglich keinen Bezug zu 'Gartätigkeiten' hatten, sondern in einem viel älteren, nahrungsunabhängigen Zusammenhang stehen.

Jede offene Flamme erzeugt nicht nur bei Primaten eine hohe Aufmerksamkeit, alle Lebewesen achten auf Feuer. Dieses instinktive Verhalten in Feuernähe schützt die Individuen vor gefährlichen Verbrennungen. Andererseits haben wir auch ein physiologisch begründetes Bedürfnis, die Nähe zum Feuer zu suchen, besonders, wenn es kalt ist. Ab einer bestimmten Nähe zum Feuer setzt ein wohltuender Effekt ein. Diesen »richtigen« Abstand finden wir am Lagerfeuer – ohne ihn erlernt oder gezeigt bekommen zu haben: Ein offenbar uraltes archaisches »Körperwissen« (dank Thermorezeption oder Thermozeption), das sich vermutlich in jener Zeit bildete, als die Frühmenschen ihr Haarkleid verloren hatten.

4.2 Zuerst war das Bedürfnis nach Wärme

Dass wir heute wärmendes Feuer schätzen, haben wir den Lebensbedingungen unserer auf zwei Beinen gehenden homininen Vorfahren zu verdanken. Sie lebten in der baumarmen offenen Savannenlandschaft Afrikas, die als Folge des Klimawandels vor etwa 2,5 bis 2 Millionen Jahren entstanden war. In dieser Zeit entwickelte sich ihr tropischer Stoffwechsel,135 der tagsüber – in der Aktivitätsphase energetisch vorteilhaft war, nicht aber in den kühlen Nachtstunden, insbesondere nach dem Verlust des Haarkleids.136,137 Dieser genetisch bedingte Fellverlust war, wie auch die Fähigkeit, durch Schwitzen den Körper zu kühlen, eine Anpassung an den Lebensraum (mit Tagestemperaturen auch über 30°C). In den Nächten, bei empfindsam kühlen Temperaturen von 8–12°C, erwies sich der Fellmangel jedoch als Nachteil.138 Bevor sich der inzwischen »nackte Affe« (MORRIS 1968) ein Ersatzfell (Tierfell) umhängte, konnte er der nächtlichen Unterkühlung nur entgehen, wenn er sich an warmen Stellen oder in Feuernähe (dicht aneinandergerückt) aufhielt. Die derzeit ältesten Spuren menschlicher Feuerstellen liegen in der Nähe von (damals aktiveren) Vulkanen im Ostafrikanischen Graben.139 Andererseits konnte er sich auch nur deshalb unmittelbar am offenen Feuer wärmen (nahe genug herantreten), weil er kein Fell mehr hatte – jede Böe wäre sonst für ihn wegen des Funkenflugs eine Gefahr gewesen.140 Wahrscheinlich besteht zwischen dem Verlust des Haarkleides und dem gezielten Aufsuchen und schließlich dem Herstellen von Feuerstellen entwicklungsgeschichtlich eine Parallele. Noch heute dient das Lagerfeuer indigenen Völkern (z. B. San, !Kung, Hadza) als Wärme- und Lichtquelle, sobald es kühl und dunkel wird. Hier sitzen Gruppen dicht beieinander und blicken auf die Flammen (LEAKEY; LEWIN 1980; S. 151). Nicht anders werden sich unsere »nackten« Vorfahren verhalten haben.

Diese biologisch begründete Notwendigkeit, bei kühlen Temperaturen die Nähe zum Feuer zu suchen, zwang unsere Vorfahren, wärmendes Feuer dauerhaft zu erhalten und entsprechende Techniken dafür zu entwickeln. Die Dauerwirkung der Wärmestrahlung sollte sich nicht nur als wohltuend für den Organismus erweisen, 141 sondern sich auch, wie angedeutet, auf nahe am Feuer gelagertes Fleisch auswirken, das an einigen Stellen Rösteffekte aufwies. Diese Hitzewirkung auf Fleisch weckte die besondere Aufmerksamkeit der Frühmenschen, da sie die sensorischen Eigenschaften des rohen Fleisches veränderte. Vermutlich waren es genau diese Beobachtungen, die dazu führten, Feuer als Garmedium einzusetzen. Bevor wir diese Vermutung noch genauer untermauern, werden wir kursorisch weitere Annahmen zur Entstehung von Gartechniken betrachten.

4.3 Vermutungen zur Entstehung erster Feuergartechniken

Da wir heute Feuer als Garmedium nutzen (oder vergleichbare Energieträger, die an die Stelle offener Flammen oder Glut getreten sind), muss es im Leben unserer Urahnen Ereignisse gegeben haben, die die Verwendung von Feuer zur Rohstoffbearbeitung in Gang gebracht haben. Aber welche? Offenbar hatte die Natur es ihnen wie in einer 'Arbeitsanleitung' anschaulich »vorgemacht« und sie erkennen lassen, dass »ein bisschen« Feuerwirkung keineswegs von Nachteil, dass »Angebranntes« (also eben nicht »Verbranntes«) nicht automatisch als Nahrung verloren war, sondern eher einem Leckerbissen entsprach. Ließe sich diese archaische »Lernsituation« der Hominini – einschließlich der dafür notwendigen kognitiven und manuellen Voraussetzungen – rekonstruieren, wüssten wir, weshalb nur der »nackte« Mensch (nicht aber die großen behaarten Menschenaffen)142 schließlich zum »Coctivor« wurde. Die gängigste Vermutung dazu ist die einer »Spontanentdeckung«, die u. a. beim Hantieren mit Nahrung und Feuer gemacht wurde – u. a. WRANGHAM 2009. Aber auch andere Entdeckungsszenarien sind denkbar, wie z.B. die der »Inferno-Hypothese«.

4.3.1 Die »Inferno-Hypothese«

Szenario: Ein geradezu infernalisches, viele Tage wütendes Feuer hatte das Habitat einer unserer Ahnenpopulationen vernichtet. Sie selbst hatten sich durch Flucht in eine Felshöhle retten können. Als sie wieder ins Freie traten, sahen sie eine trostlose, schwarz verbrannte Landschaft ohne jegliches Leben, nur glimmende und rauchende Baumstümpfe. Getrieben von Durst und Hunger durchstreiften sie die Gegend und stießen auf einen Tierkörper mit starken Brandspuren. Obwohl dieser widerwärtig roch, fingen sie an, daran herumzukratzen, um nach Fleisch zu suchen. Und tatsächlich: unter dem verbrannten Fell befand sich etwas, das zwar nicht blutrot, sondern grau aussah, auch nicht nach Fleisch roch, aber Fleisch sein musste. Der blanke Hunger ließ sie die abstoßenden Verbrennungsgerüche143 und ihre instinktive Vorsicht gegenüber »fremder« Nahrung (Neophobie) überwinden. Der für sie existentielle Lebensmoment war gekommen: Entweder sicherten diese Bissen ihr Überleben oder sie würden verhungern.

Hier hat also der Zustand größten Hungers (und der der Not geschuldete Geschmackstest) einige Individuen unserer homininen Vorfahren jene sensorische Besonderheit entdecken lassen, die zu eigenen Garanstrengungen – der schrittweisen Abkehr von roher Fleischkost hin zu einer mit Feuer modifizierten (prozessierten) weicheren Nahrung – führte.144

4.3.2 Die »Zufällig-ins-Feuer-gefallen«-Hypothese

Die »Inferno«- und die »Zufall«-Hypothese nennen lediglich Beobachtungen und Geschmackseindrücke, erklären aber nicht, wie aus den »Zufallsentdeckungen« eine planvolle, gezielte Herstellung, das technische Prozedere des Garens entsteht. Unklar ist, ab wann Aktivitäten am Feuer bereits als 'Herstellen eines Garziels' betrachtet werden können: Wann beginnt, wann endet Garen, wann ist das »Optimum« erreicht und wovon hängt dieses ab? Diese Fragen weisen auf die Komplexität des Garvorgangs. Ohne die Fähigkeit zur Prozesssteuerung, ohne Kenntnisse zeitabhängiger Garphasen (Veränderungen am und im Rohstoff) führt das Hantieren mit Rohstoffen am/im Feuer eher zu sensorisch unattraktiven Ergebnissen. Der Einsatz von Feuer als 'Garwerkzeug' konnte ohne absichtsvolles, vorausschauendes Handeln kaum erfolgreich sein.145 Vermutlich waren unzählige Fehlversuche vorausgegangen, bis das Gargut schmackhaft war. Stammesgeschichtlich sind deshalb diese erfolgreichen kochenden Akteure dem modernen Menschen näher als jene, die vor über einer Million Jahre die allerersten Feuerexperimente mit Rohstoffen anstellten.

4.3.3 Aussagekraft der genannten Entstehungs-Hypothesen

Die »Inferno«- und die »Zufall«-Hypothese nennen lediglich Beobachtungen und Geschmackseindrücke, erklären aber nicht, wie aus den »Zufallsentdeckungen« eine planvolle, gezielte Herstellung, das technische Prozedere des Garens entsteht. Unklar ist, ab wann Aktivitäten am Feuer bereits als 'Herstellen eines Garziels' betrachtet werden können: Wann beginnt, wann endet Garen, wann ist das »Optimum« erreicht und wovon hängt dieses ab? Diese Fragen weisen auf die Komplexität des Garvorgangs. Ohne die Fähigkeit zur Prozesssteuerung, ohne Kenntnisse zeitabhängiger Garphasen (Veränderungen am und im Rohstoff) führt das Hantieren mit Rohstoffen am/im Feuer eher zu sensorisch unattraktiven Ergebnissen. Der Einsatz von Feuer als 'Garwerkzeug' konnte ohne absichtsvolles, vorausschauendes Handeln kaum erfolgreich sein.146 Vermutlich waren unzählige Fehlversuche vorausgegangen, bis das Gargut schmackhaft war. Stammesgeschichtlich sind deshalb diese erfolgreichen kochenden Akteure dem modernen Menschen näher als jene, die vor über einer Million Jahre die allerersten Feuerexperimente mit Rohstoffen anstellten.

4.3.4 Wärmestrahlung als Auslöser für Garaktivitäten

Dass unsere Vorfahren überhaupt dazu übergingen, Feuer gezielt als Garmedium einzusetzen, lässt sich nur mit der hohen sensorischen Attraktivität der dabei entstehenden Produkte erklären. Ihre verbesserte Schmackhaftigkeit ist die 'Belohnung' für den Aufwand - der seinerseits durch die Belohnungserwartung gerne erbracht wird.147 Wahrscheinlich gehen diese Tätigkeiten nicht auf eine einzige Beobachtung, nicht auf ein einzelnes Erlebnis (einer Art »sinnlichen Erweckung«) zurück, sondern auf wiederholt auftretende (identische) sensorische Erfahrungen, die schließlich erwartet wurden. Nach heutigem Wissenstand ist davon auszugehen, dass auch epigenetische Faktoren (umweltbedingte Genregulationen, die Geschmackspräferenzen modulieren; s. Fußn. 165, S. 89) die Realisierung des 'verbesserten Geschmacks' zum intrinsischen Handlungsmotiv werden ließen.148

Der allmähliche Wandel hin zur gezielten Röstung von Fleisch lässt sich mit Vorgängen am Lagerfeuer erklären. Erjagtes Wild wurde nicht unmittelbar am Jagdort verzehrt, sondern am Lagerplatz und in unmittelbarer Nähe des Feuers gelagert, sobald mit dem Mahl begonnen wurde (GIBBONS 2010). Das begann mit dem Herauslösen und Kleinschneiden von Fleischstücken und dauerte über Stunden. Gab es große Fleischmengen, und lagerten Teile davon »dichter« am Feuer, entstanden an der dem Feuer zugewandten Fleischseite Röststellen. Deshalb war – so ist jedenfalls zu vermuten – die Beobachtung des Wärmestrahlungseffekts149 der Auslöser für gezielte 'Garaktivitäten'.

4.3.5 Die »Wärmestrahlen-Hypothese«

Der erste Rohstoff, den Homo erectus durch Feuerwirkung molekular (zuerst unabsichtlich) veränderte, war Fleisch. Warum? Immer, wenn Feuer lange gebrannt hatte, wurden auch die in unmittelbarer Nähe befindlichen Steine und Sandflächen erhitzt.150 Wenn darauf Fleischteile lagen und Wärmestrahlung auf nahe am Feuer gelegene Stücke wirkte, dann veränderten sich die Muskelfasern diese Fleisches: es denaturierte an einigen Stellen und bekam die oben genannten sensorisch besonders auffälligen Röststellen.

Wenn wir heute gebratenes Fleisch mögen, so ist diese Empfindung ein physiologisches 'Feedback' auf diesen Geschmack, der weiter Appetit macht. Nicht anders wird es Homo erectus ergangen sein, wenn er angeröstete Stellen probierte.

Der Genusswert eines Bissens steuert – früher wie heute – die Aufmerksamkeit des Essers. Die sensorische Besonderheit (Röstaroma) konnte Homo erectus bereits zuordnen: Das in unmittelbarer Feuernähe gelagerte Fleisch verändert sich optisch, aromatisch, im Kauwiderstand, erscheint saftiger und schmeckt kräftiger. Solche veränderten Stellen waren attraktiver als das rohe Fleisch und wurden rasch zu den begehrtesten Stücken. Wie viele »Generationen« es gedauert hat, bis einige clevere Individuen ihre entbeinte Jagdbeute so in Feuernähe platzierten, dass die Hitze (durch Drehen und Wenden) allseits wirken konnte, ist für unsere Überlegungen nachrangig. Die alles entscheidende Entdeckung war die der »Fernwirkung von Feuer« auf Fleisch – insbesondere die der Glut. Damit ließen sich die Textur und der Geschmack verändern – es brauchte lediglich Zeit und die hatten sie, da sie sich ohnehin am Feuer aufhielten. Deshalb spricht vieles für die Vermutung, dass die Ernährungs(r)evolution – der Einsatz von Feuer zu Garzwecken – am Lagerfeuer ihren Anfang nahm.

4.4 Der gezielte Einsatz von Feuer als «energetisches Werkzeug«

Die Wirkung von Feuer auf Fleisch war anfänglich nur ein schmackhafter »Mitnahmeeffekt«. Diese 'passiv-beobachtende' Ebene änderte sich schließlich, als die Menschen begannen, Feuer nicht nur als Wärmequelle, sondern gezielt auch als »Werkzeug« zur Veränderung ihrer Rohstoffe einzusetzen. Damit betrat der Mensch eine neue Handlungsebene, auf der nicht allein mit »Armen und Beinen« und mit harten Materialien, wie Steinen oder Stöcken, und feinmotorischen Fertigkeiten etwas produziert wurde, sondern durch den Einsatz einer Naturkraft. Der Mensch ließ Feuer für sich arbeiten. Diese Technik konnte offenbar genauso erlernt werden wie das Imitieren bestimmter Handlungen (s. Hintergr.-Info., S. 81). Hierbei handelte es sich aber nicht um die beobachtete Tätigkeit eines Artgenossen, die man nachmacht (die Wirkung von Feuer ist keine Tätigkeit eines Artgenossen), sondern setzt die Wirkung von Feuer/Glut planvoll ein. Das Erlernen von Gar- und Rösttechniken lag daher auf einer kognitiv höheren Ebene, als die »Eins-zu-Eins-Imitation« beobachteter Handlungen – es instrumentalisiert die » Wirkung thermischer Energie«. Das war der Beginn einer technischen Revolution, die viele Jahrhunderttausende später u. a. die Herstellung der Mikrolithe (kleine, durch Feuer glasierte Steinklingen) (MAREAN 2016), von Tongefäßen, Kupfer, Bronze und die Verhüttung von Eisenerzen möglich machte. Dass diese Technologien ihren Ursprung, ihren »Lernort«, am Lagerfeuer hatten, ist uns genauso wenig bewusst wie die Tatsache, dass genau dort die Kochkunst ihren Anfang nahm.

Hintergrundinformationen

Man unterscheidet bei Werkzeugen natürliche und künstliche, wobei Letztere eigens hergestellt werden. So benutzen, wie betont, »Schimpansen (in der Wildnis) Steine zum Nüsseknacken, Blätter als Schwamm oder Tuch, Stöcke zum Dreschen oder als Prügel, andere Gegenstände als Waffen oder Wurfgeschosse, sie verwenden Stöckchen zum Selbstkitzeln, zum 'Angeln' von Termiten, zum Graben nach Ameisen und für vieles mehr«(ROTH 2011; S. 301). Den Werkzeuggebrauch und die Werkzeugherstellung erforschen Verhaltensbiologen u. a. auch an Tieren (z. B. Vögeln) und an verschiedenen Affenarten. Erlernt werden neue Verhaltensweisen allein durch Beobachten von Aktionen der Artgenossen. Uneins sind die Forscher, ob es sich dabei um die für Menschen typische echte Imitation handelt oder das Interesse am Tun des anderen als reine Reizverstärkung, Reaktionsbahnung bereits angelegter Strukturen handelt oder aber als bloßes Nacheifern oder »Nachäffen« (Emulation) interpretiert werden muss. Entscheidend für die Aneignung dieser gesehenen Handlungen ist der eigene Erfolg (die Belohnung).Dieses Lernen (durch Tun) wird als operative Konditionierung bezeichnet und ist typisch für eng zusammenlebende Gruppen, wie z. B. der Menschenaffen (ROTH 2011; S. 298 ff.).

Für diesen Feuereinsatz zur Rohstoffbearbeitung bedurfte es nicht nur technischer Fertigkeiten. Er setzte die kognitive Fähigkeit voraus, zwei in zeitlichem Zusammenhang stehende Vorgänge als eine Ursache-Wirkung-Beziehung zu erkennen: die der Feuerwirkung (in Dauer und Intensität) und die damit einhergehenden variablen sensorischen Effekte. Insofern belegt der gezielte Einsatz von Feuer als »energetisches Werkzeug« eine Denkleistung, die die sensorische Veränderbarkeit der Nahrung als »Möglichkeit« bereits 'kennt'. Im Gegarten (dem Ergebnis einer »Teamleistung« aus Sensorik und Verstand) wird das vom Organismus 'Gewollte' schmeckbar. Als wesentlicher Antrieb und Impulsgeber dieser Gartechnik muss der (sich zunehmend differenzierende) Geschmackssinn angenommen werden – ein Produkt auch epigenetischer Faktoren (SKINNER 2015). Aromen und Molekülkomponenten haben physiologische und hormonelle Systementwicklungen begünstigt, die unsere heutigen Geschmacksempfindungen begründen.

4.4.1 Feuer und Lernfähigkeit

Die Wirkung des Feuers auf Rohstoffe erkennen die Sinne entweder als Vor- oder Nachteil. Diese sensorischen Werte stehen mit den äußeren Bedingungen (Flammen, Glut) in einem optischen, zeitlichen und räumlichen Zusammenhang und erfüllen damit die Voraussetzungen einer Kontextkonditionierung. Der Organismus erlernt den Zusammenhang »bestimmter Reize bzw. Ereignisse in einer ganz bestimmten Umgebung oder ganz bestimmten Verhältnissen, einem Kontext« (ROTH 2011, S. 3). Dieser Zusammenhang wird zum Gedächtnisinhalt, der untrennbar mit der Erwartung – hier: schmackhaftes Essen – gekoppelt (assoziiert) ist.

Hintergrundinformation

Lebewesen reagieren auf ihre Umwelt nicht nur reflexartig und instinktgesteuert, sondern sie sind auch lernfähig, haben ein Gedächtnis und sind ab einer bestimmten Gehirngröße auch zu kognitiven Leistungen fähig. Zu den biologisch elementarsten erfahrungsbedingten Verhaltensanpassungen zählen die Habituation (eine Reaktionsabnahme auf einen Reiz, wenn sich dieser in der Wiederholung als harmlos erweist) und die Sensitivierung, bei der sich die anfänglich schwache Reizantwort verstärkt, sobald sich nicht erwartete negative oder positive (!) Konsequenzen einstellen. Beide Reaktionen sind ausschließlich Bewertungen durch das Nervensystem, die weitgehend autonom ablaufen. Lebewesen, die über ein Säugerhirn verfügen – also auch der Mensch – speichern und erinnern Ereignisse in der Regel kontextgebunden. Die Gedächtnisinhalte stehen mit besonderen zeitlichen und räumlichen Bedingungen in Zusammenhang (sind damit assoziiert). Physiologische Reaktionen sind an erwartete Zustände gekoppelt und können bereits auf kleinste Anzeichen »im Voraus« ausgelöst werden. Diese Körperreaktion (Stimulus-Response) bezeichnet die behavioristische Lernpsychologie dann als konditioniert, wenn zwei Reize in einem Kontext 'zeitnah' auftreten (z. B. zuerst ein Glockenton, dann Futtererhalt – wie der Physiologe Iwan Pawlow an Hunden zeigen konnte, die schließlich bereits bei dem Glockenton Speichelfluss bekamen). Auf das Essen bezogen lässt uns ein optischer oder olfaktorischer Reiz (z. B. gebräunt, Röstaroma) Schmackhaftes erwarten – wir bekommen Appetit.

Geschmackliche Eindrücke haben erst dann eine Bedeutung für den Organismus, wenn er ihre Vor- oder Nachteile erkennen kann, d. h., über Erkennungsstrukturen verfügt, in denen diese Merkmale bereits 'angelegt' sind (eigentlich: »wiedererkannt« werden). So lassen beispielsweise bittere oder stark saure Empfindungen nichts Gutes ahnen. Nicht nur Homo erectus verfügte über ein sensorisches »Gedächtnis« (und daran gekoppelte Emotionen), mit dem er den »Wert« eines Bissen rasch beurteilen konnte.151 Alle höheren Lebewesen haben ein solches vegetatives Kontrollsystem. So verfügt der Mensch über verschiedene Geschmacksrezeptoren (davon allein über 25 Bitterrezeptorarten) – nicht nur auf der Zunge, sondern auch im gesamten Organismus unterschiedlich verteilt. Welche Doppelfunktionen insbesondere die Bitterrezeptoren auch beim Abwehren von Giften und Bakterien haben, ist Gegenstand aktueller Forschung und zeigt die biologische Verflechtung von Geschmack und Gesundheit (LEE; COHEN 2016).152

4.4.2 Viele Tiere mögen hitzedenaturierte Nahrung

Nahrungsaufnahme ist die elementarste Handlung (und entwicklungsgeschichtlich älter als der Sexualtrieb), die der Organismus kraft Evolution weitgehend autonom steuert und überwacht. Im Rahmen von Tierexperimenten, bei denen Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans zwischen rohen und gegarten Speisen wählen konnten, entschieden sich alle (!) für die leichter verdaulichen (gegarten) Karotten, Kartoffeln, Fleischstücke und Äpfel (nachdem sie vorab diese Speisen kurz probieren durften, um Neophobie zu vermeiden (MUTH; POLLMER 2010; S. 53). Selbst Schimpansen, die vorher nie gekochtes Fleisch gegessen hatten, in der freien Wildbahn aber gerne Buschbabys, Artgenossen (und auch Menschenbabys) mit Genuss fressen, wählten sofort die gegarte Version. Die Forscher begründeten dieses Futterwahlergebnis mit der weicheren Textur, was sich auch mit der Präferenz von gemahlener und zerdrückter Nahrung deckt (MUTH; POLLMER 2010).

Die Weichheit, ein haptisches Merkmal des Kauwiderstands, ist für die Nahrungswahl bedeutsam, da zeit- und energieaufwändiges Kauen geringer sind (u. a. verbringen Berggorillas 60 bis 70 % ihrer aktiven Tageszeit mit der Nahrungsaufnahme (HESS 1989; S. 75). In der weichen Textur einer Nahrung liegen aber noch weitere 'sensorische Informationen' für den Organismus, die u. a. die Resorptionsgeschwindigkeit betreffen (LOGUE 1995). Der tatsächliche Nahrungsnutzen (stets ein Summenwert) kann offenbar bereits durch ein einzelnes her-vortretendes Merkmal »erkannt« werden, an das oft weitere metabolische Vorteile gekoppelt sind (z. B. raschere Bioverfügbarkeit, geringere Keimbelastung, giftarm). Je vorteilhafter der Gesamtnutzen ist, desto attraktiver ist das Geschmackserlebnis. Über diese endogen ablaufenden Kontrollen der Nahrungsqualität verfügen nicht nur unsere genetisch engsten Verwandten, sondern alle Lebewesen, die ihre Nahrung selektiv wählen.

In Regionen, wo Steppen- und Buschbrände regelmäßig vorkommen,153 nutzen viele Tiere die Brandgebiete zur Futtersuche:154 »Falken jagen fliehende Tiere (…), Weißnacken-Störche und Königsgeier sammeln gegrillte Insekten oder Reptilien, wenn das Feuer weitergezogen ist (…). In Australien wurden zahlreiche Tierarten, wie Reptilien, Vögel und Ratten beobachtet, die nach Buschbränden die Flächen gezielt nach Futter absuchen (…). Manche Vögel patrouillieren entlang der Feuerlinie auf der Suche nach versengten Insekten (…)« (MUTH; POLLMER 2010; S. 53). Die durch Feuerwirkung veränderte Nahrung ist für diese Tiere ein 'Leckerbissen', weil ihr Futtererkennungsschema – eine in zig Millionen Jahren entstandene genetisch regulierte Nahrungsorientierung – den metabolischen Vorteil dieser denaturierten Strukturen 'kennt'.

Brände gibt es auf der Erde seit Äonen und es wäre geradezu eine Nahrungsverschwendung, wenn unzähliges Kleingetier und Insekten (alles hochwertige Eiweißlieferanten) als Nahrung wegfielen, 'nur' weil sie geröstet sind. Tatsächlich verhält es sich genau andersherum, und dafür muss es Gründe geben. Die sensorische 'Information' thermisch veränderter Nahrung löst bei den meisten Lebewesen eine Art Fress-Stimulus aus (der grundsätzlich an hormonelle Reaktionen gekoppelt ist),155 und genau hierin liegt die attraktive Sonderstellung gerösteter Nahrung im sonst üblichen Spektrum begründet.

Durch die Einrichtung und Erhaltung einer dauerhaften Feuerstelle konnten jene attraktiven gegarten »Zustände«, die die Frühmenschen nach Buschbränden auf und unmittelbar unter dem Erdboden immer wieder finden konnten, nun selbst hergestellt werden. Das Warten auf ein Buschfeuer gehörte damit der Vergangenheit an.

4.5 Das Sammeln – Rohstoffe »kommen zum Feuer«

Ob die Frühmenschen Feuer gelegt haben, um u. a. Kleintiere aus ihren Verstecken zur jagen, wissen wir nicht, auszuschließen ist das aber nicht (BEHRINGER 2010).156 Im großen Afrikanischen Grabenbruch (Great Rift Valley) – der Wiege der Menschheit – gab es zu Zeiten der Hominiden vermutlich genügend heiße Erdstellen, die auf Vulkantätigkeiten zurückgingen und mit Phänomenen (geothermische Anomalien) vergleichbar sind, wie sie z. B. auf Islote de Hilario im Nationalpark Timanfaya der Kanarischen Insel Lanzarote vorkommen. Dort reicht die vom Erdinneren austretende Hitze aus, hineingeworfenes Gestrüpp sofort zu entflammen.157 Von einer solchen »Feuerquelle« ließen sich glimmende Zweige abtransportieren und an anderen Stellen Brände entfachen. Da aber große Brände schnell Teile des Habitats zerstört hätten, mussten die gelegten Feuer eingegrenzt bleiben.158 Dadurch waren sie zu unergiebig, um ausreichend geflüchtetes Getier und geröstete Leckerbissen zu finden. Die Lösung lag in der Umkehrung: Nicht mehr das Feuer kam zu den Tieren und Pflanzen, sondern diese wurden (als Sammelgut) zum Feuer gebracht.

Sammeln wurde zu einer Erkundungsleistung, bei der das Gesammelte (z. B. Kleintiere, Raupen, Knollen, Wurzeln, Körner, Nüsse) als »zum Garen geeignet« bekannt sein musste. Diese im rohen Zustand z. T. kaum genießbaren Rohstoffe waren dennoch »Nahrungsschätze«, da deren gegarte Qualität hohen Genuss verhieß. Vermutlich hatte dieser sensorische Hintergrund die »Sammlerkultur« regelrecht befördert. Warum sollte man sonst Rohstoffe aller Art erst mühevoll zu einer Feuerstelle tragen, wenn damit keine Vorteile verbunden waren?

4.5.1 Die Energiewirkung des Feuers mindert Verdauungsarbeit

Nach Berechnungen von WRANGHAM (2009) beträgt bei gegarter Nahrung die Energieeinsparung etwa 23,4 % (es wird weniger ATP verbraucht).159 Auch sind die Dauer der Aufnahme und die Resorptionszeit der Inhaltsstoffe kürzer. Unser Appetit auf gegartes, geröstetes Fleisch wird über endogene Prozesse gesteuert, die mit den Inhaltskomponenten und der Verdaulichkeit in Verbindung stehen (LÖFFLER; PETRIDES 1988). Obwohl die Ur- und Frühmenschen überwiegend Fleisch roh aßen (selbst Schimpansen fressen, wie erwähnt, gelegentlich Artgenossen und Buschbabys), entwickelte sich zunehmend ihr Appetit auch auf Gegartes.160

Hintergrundinformationen

Wenn wir Fleisch essen, nehmen wir mit jedem Happen große Mengen Biomoleküle auf, deren molekulare Zusammensetzung und chemische Bindungsstrukturen Zerlegungsarbeit im Magen-Darm-System erfordern, bevor diese resorbiert werden können. Äße man rohes Fleisch (was Schimpansen in freier Wildbahn gelegentlich tun), müsste der Organismus alle notwendigen molekularen Abbauprozesse mit seinen 'physiologischen Bordmitteln' alleine leisten. Nach mühsamem Zerkauen folgt die Eiweißquellung mittels Magensalzsäure und Pepsin und eine enzymatische Spaltung der Großmoleküle (durch Peptidasen). Schließlich müssen die langen Peptidbindungen im Dünndarm in kurzkettige Peptide oder einzelne Aminosäuren (durch Endo- und Exopeptidasen) zerlegt werden. Erst so ist das vormalige Muskelgewebe resorbier- und nutzbar. Diese hydrolytischen Spaltungen – vom Kompaktmolekül bis zu den kleinsten Eiweißbausteinen (den Aminosäuren) – verbrauchen Zeit und Energie, die der Körper in Form von ATP (Adenosintriphosphat) aufbringen muss.

Die Wirkung von Flammen/Glut auf hitzelabile organische Substanzen lässt sich (am Beispiel von Fleisch) von außen gut verfolgen: Zuerst verdampfen Wasseranteile der Randflächen (mit Zisch- und Platzgeräuschen) und die Innentemperatur steigt. Dadurch nimmt das Zellvolumen zunächst zu (thermische Expansion), Zellwandbestandteile lockern sich, werden durchlässig und quellen. Die inzwischen 'wasserfreien' (über 100° C heißen) Außenflächen bräunen durch die sog. Maillard-Reaktion (bei der Eiweiß-Fleisch-Zucker-Verbindungen entstehen (dazu Hintergr.-Info. S. 89 f. unten und Abschn. 11.4, S. 183 f.). Flüchtige fleischtypische Röstaromen (bei Pflanzen entweichen ätherische Öle) lassen die Dauer und Intensität des Garvorgangs auch olfaktorisch erkennen. Schließlich hat sich außen eine braune Kruste gebildet, die auf den inneren Garzustand hinweist (hinweisen kann). Weil bei Garvorgängen die Moleküle ihre natürliche Struktur verlieren, bezeichnet man das als Denaturierung (denaturieren = den natürlichen Zustand wegnehmen).

Der Appetit ist eine vorgeschaltete physiologische Reaktion auf erwartete Inhaltsstoffe, die Genuss versprechen und in der Regel auch gut verdaut werden können. Deshalb sucht jedes Lebewesen in seinem Umfeld die Nahrung, die ihm am besten bekommt und ihm den größten Nutzen bringt (das oben erwähnte Optimal foraging, die »optimale Futtersuche«).161 Alle Lebewesen sind mit vielfältigen Sensoren ausgestattet, um die für ihren Organismus geeignete Nahrung zu finden. Bei Säugern, also auch beim Menschen, beginnt das »Training von Gaumen und Stoffwechsel« bereits im Mutterleib: »Während das Fruchtwasser Geschmacksstoffe aus der Nahrung aufnimmt (Anm. d. Verf. – die so auf die Zunge des Fötus gelangen), liefert das mütterliche Blut die Nährstoffe aus der Nahrung und 'informiert' mittels hormoneller Signale über die Wirkungen. Später transportiert die Muttermilch einen Teil der sensorischen Botschaften der vorher verzehrten Speisen. Nach dem Stillen übt der Geschmack der ersten Nahrung eine prägende Wirkung aus« (POLLMER 2003; S. 14). Auf diese Weise kann der Stoffwechsel prüfen, »welche Substanzen in der Nahrung enthalten sind, um angesichts der Verfügbarkeit und Veranlagung den Stoffwechsel optimal einzustellen« (ebenda).

4.5.2 Gefühlsbegleitende Effekte bei der Nahrungsaufnahme

Beim Menschen steuern, prüfen und bewerten zunächst die Kopfsinne jeden Bissen (cephale Steuerung), den wir aufnehmen (wollen). Danach wird die aufgenommene Nahrung von unserem evolutionsbiologisch ältesten Nervensystem kontrolliert, das unsere Darmwände mit einem dichten Nervengeflecht ummantelt und salopp als Darmhirn bezeichnet wird.162 Dieses Nervensystem wird von Rezeptoren der Darmwand informiert, die an der Innenseite (dem Lumen) liegen. Sie funktionieren wie Riech- und Geschmackssinneszellen und »schmecken« nicht nur Nährstoffe, sondern reagieren auch auf Komponenten, die unseren Gefühlszustand beim Essen beeinflussen: die Opioidrezeptoren. Solche Rezeptoren befinden sich nicht nur in unserem zentralen Nervensystem und den Blutgefäßen, sondern eben auch in der Darmwand. Hier können sogenannte Exorphine andocken, die in jedem Nahrungsgemisch unterschiedlich konzentriert vorkommen.163

Hintergrundinformationen

Das Besondere dieser Rezeptoren ist ihre Wandelbarkeit (Adaptationsfähigkeit). Ihre Empfindlichkeit für spezifische Nahrungsmoleküle ändert sich ständig (POLLMER et al. 2008/2009),164 (BERG et al. 2003). Das geschieht auch durch An- oder Abschalten von Genen (Aspekte der Epigenetik),165 die diese Rezeptoren regulieren und entsprechend auf gute oder ungünstige Komponenten reagieren lassen. Das heißt, dass auch Nahrungskomponenten das Ablesen von Genen und die Herstellung bzw. die Unterbindung von Genprodukten steuern, die für Sensibilität auf Inhaltsstoffe codieren (PFUHL; POLLMER 2013).166 Auf diese Weise kann der Organismus die Ausschüttung von spezifischen Verdauungsenzymen regulieren und die Bildung neuer Rezeptoren verstärken – um auf wertvolle Nahrung effizienter zu reagieren (durch Aktivierung spezifischer Zellwachstumsfaktoren – sogenannte Growth Factors).

Wie erklärt sich nun die zunehmende Präferenz unserer homininen Vorfahren für gegartes, geröstetes Fleisch? Es war weicher und besser kaubar als rohes Muskelgewebe und hatte ein signifikantes Röstaroma. Diese Merkmale sind als sinnliche Einheit in den neuronalen Bereichen für Nahrungsmerkmale und -bewertung (besonders im Limbischen System) »verankert«. Deshalb löste jeder Fleischbissen bei Homo erectus einen Endorphinschub aus, den auch wir bei geröstetem, aromatisch saftigem Fleisch erfahren. Diese angenehme essbegleitende Empfindung hält zudem länger an als beim Verzehr von ungeröstetem Fleisch (s. Hintergr.-Info. unten).

Hintergrundinformationen

In den gerösteten Fleischanteilen haben sich durch das Verschmelzen von Eiweiß und Fleischzucker bei der oben erwähnten Maillard-Reaktion nicht nur Melanoidine gebildet, sondern auch Stoffe, die die Chemiker Alkaloide nennen. Hierbei handelt es sich um einfache Indol-Alkaloide,167 die als β-Carboline168 bezeichnet werden und sich u. a. in der braunen Kruste befinden und opioid wirken (sie docken nach dem Verzehr an die Opiatrezeptoren der Blut- und Hirngefäße). Auch sorgen sie dafür, dass diese Hochstimmung nach dem Essen länger anhält, denn sie blockieren Enzyme (u.a. Monoaminooxidasen, MAOs), die unsere Hormone und Endorphine abbauen, die den wohligen Zustand bewirken (KLEIN 2009). Deshalb hält der Wohlfühlzustand länger an, sobald sich im Blut Stoffe befinden, die die Aktivitäten der MAOs ausbremsen. Genau das leisten β-Carboline, denn sie wirken nicht nur opioid, sondern sind auch potente MAO-Hemmer [POLLMER (Hg.) 2010].169 Schließlich wirken auch Komponenten des Muskeleiweißes selbst stimmungshebend, weil sie sogenannte Exorphine (Hämorphine) enthalten.

4.6 Feuerwirkung auf pflanzliche Bestandteile

Auch pflanzliches Gewebe wird durch Hitzewirkung molekular verändert, wodurch sich nicht nur die Aufnahme ihrer Nährstoffe deutlich verbessert, sondern auch große Anteile ihrer Abwehrgifte (Antinutritiva) zerstört werden. Zwischen den früheren Wildformen, die zur Zeit der Hominini wuchsen (von denen nur einige wenige in Kultur genommen worden sind) und den heutigen Kulturpflanzen bestehen in Bezug auf Gift-, Faserstoff- und Nährwertgehalte erhebliche Unterschiede. Viele Gemüsesorten können wir – dank genetischer Veränderungen (Züchtung) – inzwischen problemlos auch roh verzehren. Wer zu Zeiten von Homo erectus noch große Mengen roher Pflanzen, Knollen und Früchte auf dem Speiseplan hatte, musste über ein entsprechendes Darmsystem (und über Entgiftungsenzyme) verfügen und war in der Regel viele Stunden des Tages mit Suchen, Fressen und Verdauen beschäftigt. Für den modernen Menschen wäre der Rohkostplan unserer frühen Artgenossen nahezu ungenießbar (wie Selbstversuche von WRANGHAM 2009 gezeigt haben). Nicht nur weil uns u. a. Zellulasen und entsprechende Entgiftungssysteme fehlen, sondern weil unser Organismus inzwischen auf gekochte Nahrung angewiesen ist (unser Dünndarm ist auf Gekochtes bestens vorbereitet – deshalb ist er auch wesentlich länger als der Dickdarm. Letzterer kann mit Hilfe der Darmbiota u. a. einige Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren (u. a. Butyrat) zerlegen und energetisch und immunologisch nutzen.

Weltweit – auch in indigenen Kulturen – werden Pflanzen nicht roh, sondern vielfältig zubereitet und gegart verzehrt. Dafür gibt es ernährungsphysiologische Gründe. Stärkereiche Knollen und Wurzeln sind für das menschliche Verdauungssystem erst dann verwertbar, wenn die Stärke verkleistert (durch Wasseraufnahme gequollen) ist. Rohe Stärke ist nahezu unverdaulich, sieht man von wenigen modernen Getreidesorten ab (z. B. Haferflocken). Da viele Pflanzentoxine hitzelabil (z. B. Linamarin, Phasin) oder wasserlöslich sind (Solanin, Chaconin) und in das Kochwasser übertreten (das meist verworfen wird), konnten Garverfahren das pflanzliche Nahrungsspektrum erweitern. Viele unserer heute genutzten Pflanzen wären eigentlich wegen ihrer Giftanteile ungenießbar.

Werden Pflanzen- bzw. Gemüseteile direktem Feuer ausgesetzt (z. B. auf einen Grill gelegt), entstehen ebenfalls Maillard-Produkte, da auch Pflanzen Eiweiße und Zuckeranteile enthalten. Allerdings sind diese im Vergleich zu Röststoffen tierischer Rohstoffe weniger aromatisch. Der Grund liegt u. a. im Mangel an bestimmten Eiweißbestandteilen (wie der Aminosäure Cystein), die in Verbindung mit Zucker (Glukose) das fleischtypische Röstaroma erzeugen.

127 Auch Gase, die im Moor durch Bakterien beim Vergären organischer Substanzen unter Luft- und Lichtabschluss entstehen, wie z. B. Methan, Schwefelwasserstoff oder Phosphorwasserstoff, können sich nach einem Gewitter entzünden. Wenn Phosphorwasserstoff an die Luft kommt, entzündet er sich von selbst und verbrennt mit einer blauen Flamme; »[auch] gab es […]permanente natürliche Feuerquellen, ähnlich der methangespeisten Feuerquelle nahe Antalya in der Südwesttürkei« (WRANGHAM 2009; S. 201; auch heiße Erdlöcher können Gräser und Zweige entflammen, wie z. B. auf der Vulkaninsel Lanzarote (durch Hitzestrahlung der alten Lava des Timanfaya-Vulkans)

128„Entlang der gerissenen Erdkruste erhoben sich zahlreiche Vulkane. Eine Serie von Erdbeben und gewaltigen Vulkanausbrüchen öffnete den Graben immer weiter. Magma schoss an die Oberfläche und bildete den Grund des Ostafrikanischen Grabenbruchs. Geysire und thermale Quellen sprudelten entlang des Grabenbruchs empor. Sie befördern noch heute kochend heißes Wasser aus dem Erdinneren nach oben“ (HEIDENFELDER 2017)

129 Die alltäglichen Meldungen über die verheerenden Verwüstungen durch Steppen-, Busch- oder Waldbrände führen uns vor Augen, welche Bedrohung und Gefahren offenes Feuer für die Lebewesen hatten und haben

130 Ein Lager ist dort, wo man liegt und sich bettet; altnord. legr 'Grabstätte', got. Ligrs 'Lager, Bett'; Ableitung zu liegen (KLUGE 1975; S. 419)

131 A. a. O., S. 194-195

132 »Wir werden wohl nie erfahren, wie das Kochen begann, da dieser Durchbruch so lange zurückliegt und wahrscheinlich innerhalb eines kleinen geografischen Gebietes sehr schnell erfolgte« (WRANGHAM 2009; S. 196)

133 Als Vormenschen gelten die Australopithecinen (Südaffen), die etwa vor 4,2 bis 1,1 Millionen Jahren lebten. Sie stehen innerhalb der Gattung Homo am Beginn; aus ihnen entwickeln sich die Vertreter der Hominini. Als Urmenschen werden die ab etwa 2,6 Millionen Jahren auftretenden Homotypen: H. rudolfensis / H. habilis und H. erectus/ H. ergaster bezeichnet (HOFFMANN 2914); (s. Abb. 1, S. 26)

134 Dazu auch Wikipedia: Hominine Fossilien von Dmanissi

135 Der Organismus verliert bei 27°C Außentemperatur (Neutraltemperatur) gerade so viel Wärme, wie der Stoffwechsel im Grundumsatz erzeugt. Dieser tropische Stoffwechsel reguliert noch heute den Energiehaushalt des modernen Menschen (REICHHOLF 2008; S. 101 und 142)

136 Homo erectus hat vor etwa 1,5 Millionen Jahren am Ufer des Baringo-Sees in der Nähe des Vulkans Karosi in Kenia Feuer gemacht, wie Werkzeuge aus Lavagestein und gebranntem Ton vermuten lassen; Feuerstellen wurden auch an der äthiopischen Grenze an der Ostseite des Turkana-Sees (Camp Koobi Fora) gefunden, also beides Orte in der Nähe aktiver Vulkane (LEAKEY; LEWIN 1980)

137 Der Wärmeverlust des Körpers mit tropischem Stoffwechsel ist bei Temperaturen unter 10°C erheblich. Der Zeitpunkt des vollständigen Haarkleidverlustes der Hominiden wird anhand evolutionsgenetischer Studien (über Hautpigmente, die vor Sonne schützen und zu dunkler Haut führten) auf mindestens 1,2 Millionen Jahre geschätzt. Schimpansen tragen unter ihrem schwarzen Fell hellrosige Haut – wie vermutlich die Vormenschen auch (insbesondere die Australopithecinen) (JABLONSKI 2010)

138 So schlafen z. B. die Ureinwohner Neuguineas nackt am Lagerfeuer, wobei sie recht nahe an der Feuerstelle liegen und deshalb von Funkenflug und Glutwirkungen erhebliche Brandverletzungen davontragen (HARRER 1988; S 148, 149)

139 Homo erectus hat vor etwa 1,5 Millionen Jahren am Ufer des Baringo-Sees in der Nähe des Vulkans Karosi in Kenia Feuer gemacht, wie Werkzeuge aus Lavagestein und gebranntem Ton vermuten lassen; Feuerstellen wurden auch an der äthiopischen Grenze an der Ostseite des Turkana-Sees (Camp Koobi Fora) gefunden, also beides Orte in der Nähe aktiver Vulkane (LEAKEY; LEWIN 1980)

140 Allein die Vorstellung, ein behaarter Schimpanse hielte sich in der unmittelbaren Nähe offener Flammen auf, lässt uns die Gefahr sofort erkennen

141 Der Mensch verfügt über eine Wahrnehmung für Strahlungsenergie, die im mittleren Wellenbereich der Infrarotstrahlung (Wellenlängen von 3,0 µm bis 8 µm) als angenehm erlebt wird

142 Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Schimpansengehirne über ein geringeres Maß jener neuronalen Stränge verfügen, die beim Menschen während handwerklicher Tätigkeiten aktiv sind (STOUT 2016; S. 36)

143 Haare (Fäden verhornter Zellen) bestehen hauptsächlich aus Keratin, ein Eiweiß mit hohem Schwefelanteil, wodurch bei der Verbrennung entsprechend übelriechende Schwefelverbindungen entstehen

144 Zweifellos haben Hominini solche Beobachtungen und Erfahrungen gemacht. Aber erst ab einer Gehirnleistung, die ihnen erlaubte, kausale Zusammenhänge zu erkennen, konnten diese Erfahrungen zu Auslösern planvollen Handelns werden

145 In der Kognitionsforschung wird als prozedurales, nichtdeklaratives Gedächtnis bezeichnet, was »alle Fertig-keiten, über die wir verfügen, seien sie kognitiver (…) oder motorischer Art, sowie die Ausbildung von Gewohn-heiten umfasst« (ROTH 2011; S. 7)

146 In der Kognitionsforschung wird als prozedurales, nichtdeklaratives Gedächtnis bezeichnet, was »alle Fertigkeiten, über die wir verfügen, seien sie kognitiver (…) oder motorischer Art, sowie die Ausbildung von Gewohnheiten umfasst« (ROTH 2011; S. 7)

147 Die diesen Handlungen zugrunde liegenden hormonellen Regelkreise, insbesondere die des Belohnungserwartungssystems, sind inzwischen gut erforscht (ROTH, STRÜBER 2014; S. 147–150)

148 Die verschiedenen genetisch bedingten neuromodulatorischen Regelkreise unter dem Einfluss von Erfahrungen (mit epigenetischen Folgen) und daraus entstehenden individuellen Handlungsweisen bzw. -motiven (ROTH; STRÜBER 2014)

149 Wärmestrahlung ist ein Phänomen (thermisches Spektrum vieler Materieteilchen), das ein Körper (Glut, heiße Steine u. a.) infolge seiner Temperatur aussendet (deshalb wird die Wärmestrahlung auch als Temperaturstrahlung bezeichnet). Sie gehört zur elektromagnetischen Strahlung und ist in ihrer Ausbreitung nicht an Materie gebunden (wirkt auch im Vakuum). Im Spektrum der elektromagnetischen Strahlen schließt sich die Wärme-strahlung an das sichtbare rote Licht an. Sie wird daher auch als Infrarot- oder Ultrarot-Strahlung bezeichnet (HTWK Leipzig 2019 'A'), (HTWK-Leipzig 'B'). Bei einem Abstand von 25 cm wird ein kleines Feuer auf der Haut schon nach ca. 21 Sekunden als viel zu heiß empfunden; bei einem großen Feuer in einem Abstand von einem Meter bereits nach gut einer Minute. Die Temperaturen der Flammen reichen von etwa 800° bis 900° C. Die Wärmestrahlung selbst ist unsichtbar (Planet Schule SWR/ WDR 2019)

150 Diese physikalischen Phänomene und Beobachtungen sollten viele Jahrhunderthausende später zur Grundlage von Gartechniken werden; HARRER (1988) berichtet von Kochtechniken der Bewohner Neuguineas, bei denen Steine als »Kochplatten« und »Wärmespeicher« dienen; in Südalgerien, Tunesien, Sahara, Mali, Niger und Burkina Faso dient heißer Sand (durch Feuer erzeugt) zur Herstellung von Brotfladen (CLAUS; ROSSIE; 1976; wiss. Film)

151 Das 'Nahrungsgedächtnis' ist vor allem im limbischen System eingebettet. Dorthin gelangen die von den Sinneszellen empfangenen Geruchs- und Geschmackseindrücke (allesamt bioelektrische Signale) in Kerngebiete und lösen dort energetisch definierbare Erregungszustände aus, die, so ist zu vermuten, mit den sie auslösenden (die Rezeptoren aktivierenden) chemisch-physikalischen Energiepaketen in 'energieäquivalenter' Beziehung stehen. Erzeugen diese Signale im Hippocampus (eine Art Gedächtnisregion und zentrale Schaltstelle im limbischen System) den dafür angelegten »Erinnerungswert« (ein 'Energiewert-Äquivalent'), kann das Stirnhirn (im präfrontalen Cortex) diesen entweder als 'gut' oder 'schlecht' bewerten. Diese Reizverarbeitung mit Bewertungssystem (u. a. aufgrund hormoneller Effekte) hat sich evolutionär entwickelt und folgt (überwiegend) genetischen Programmen. Deshalb 'weiß' der Organismus, was ihm guttut; dazu auch Wikipedia: Gehirn

152 Noam und Cohen weisen den Zusammenhang zwischen chemosensorischen Effekten (durch Signale der Geschmacksrezeptoren) und der Immunabwehr des Körpers nach: Insbesondere die Epithelzellen der »Superschmecker« (dazu: Fußn. 504, S. 211; Fußn. 505, S. 212) setzten nach ihrer Stimulation, z. B. durch einen Bitterstoff, vermehrt Stickstoffmonoxid (NO) zur Abwehr eindringender Bakterien frei: »NO diffundiert in die Bakterien und tötet sie ab«; ebenda

153 Blitzeinschlagsfeuer sind in diesen Regionen natürlich vorkommende Umweltfaktoren, die im Jahresmittel bei einem Blitz pro 5 000 m2 liegen

154 »Wenn Buschbrände über die Savanne fegen, schreiten Störche (in Scharen) und andere Vögel hinter der Feuerfront her, um die solcherart 'gebratenen' Heuschrecken, kleinen Echsen und anderen Kleintiere aufzusammeln und zu verzehren« (REICHHOLF 2008; S. 134)

155 Durch quantitative und qualitative Botenstoffwerte (abhängig von der Anzahl der Rezeptoren), die unser Organismus bei schmackhaften Speisen als »Memory-Faktor« ausschüttet (z. B. Serotonin), wodurch wir uns an das wertvolle Essen erinnern können. Hierzu auch (LEE; COHEN 2016) und (ROTH 2011; S. 95–152)

156 »Bereits paläolithische Jäger dürften das Feuer zur Jagd benutzt und damit weiträumige Umgestaltung der Landschaft bewirkt haben …«; a. a. O., S. 68

157 Die vom Erdinneren austretende Hitze am Islote de Hilario, ausgelöst durch eine Magmakammer in geringer Tiefe (4–5 km Tiefe), reicht aus, um Fleisch zu rösten; dazu auch Wikipedia: Nationalpark Timanfaya

158 Feuerjagdtechniken sind auf der Welt weit verbreitet. Nicht nur die Indianer Nordamerikas setzten Feuer als Mittel zur Treibjagd ein, auch die Ureinwohner Australiens. Die Aborigines » jagen nicht nur mit ihren Speeren, sondern sie legen bei der Jagd auch kleine Feuer« (KUHRT 2913)

159 ATP (Adenosintriphosphat) ist eine energiereiche Verbindung, die durch einen komplizierten Vorgang in den Membranen der Mitochondrien entsteht. Dabei werden Protonen aus dem Innenraum der Mitochondrien nach außen gepumpt (die Energie stammt von der 'Verbrennung', der Oxidation der Fette, Kohlenhydrate und Proteine), wobei ein energetisches Konzentrationsgefälle entsteht, das die Synthese von ADP (Adenosindiphosphat) und anorganisches Phosphat (Pi) antreibt – sobald die zurückströmenden Protonen den Ionenkanal passieren. Hier wird die elektrochemische Energie des Protonengradienten in chemische Bindungsenergie des ATP umwandelt. Dieser Ionenkanal wird ATP-Synthase genannt; REA, P. A. et al. 2015; S. 28

160 Was, wie bereits genannt, zu morphologischen Veränderungen führte. Innerhalb der Entwicklungslinie der Hominini kam es zur Grazilisierung des Gebisses, der Dünndarm wurde länger und der Dickdarm kürzer u. a. m.

161 Der deutsche Begriff dafür ist auch: Optimalitätsmodell; a. a. O., S. 204 ff.

162 Das enterische Nervensystem besteht aus einem komplexen Geflecht von Nervenzellen (Neuronen), das nahezu den gesamten Magen-Darm-Trakt durchzieht. Es besitzt beim Menschen 4–5 Mal mehr Neuronen als das Rückenmark (etwa 100 Millionen Nervenzellen); siehe auch Wikipedia: Enterisches Nervensystem

163 »Aus dem Fleisch und Blut werden während der Verdauung Exorphine (sog. Hämorphine) freigesetzt«; Exorphine sind kurzkettige Aminosäuren (Peptide), die in Eiweißmolekülen enthalten sind und von den Darmenzymen nicht in Aminosäuren zerlegt werden. Sie wirken opioid, weil sie an Opioidrezeptoren koppeln (POLLMER et al. 2008/2009; S. 8)

164 »… erst wenn der Körper weiß, dass die Kost für ihn vorteilhaft ist, bildet er die jeweiligen Rezeptoren aus«; a. a. O., S. 8; siehe auch BERG et al. 2003; S. 37

165 Hierbei handelt es sich um chemische Faktoren, die Vorgänge im Zellkern steuern. So wird u. a. durch Methylierung oder Acetylierung der Histone (basische Eiweiße der Chromatinfäden = das Material der Chromosomen), in denen die DNA – Desoxyribonukleinsäure (engl. für Säure: Acid – deshalb DNA) – 'aufgerollt' vorliegt, das 'Ablesen' der Gene temporär reguliert (BLECH 2010); (NÜSSLEIN-VOLHARD 2004)

166 A. a. O., S. 18 f.

167 Indol-Alkaloide enthalten einen Indol- oder Indolin-Grundkörper (2 'Ringe'). Inzwischen kennt man über 12 000 Alkaloide, die überwiegend pflanzlichen Ursprungs sind. Sie dienen ihnen als chemische Abwehr gegen Fraßfeinde. Auch der menschliche Organismus kann aus körpereigenem Tryptamin (ein Amin) und Acetaldehyd (das in der Leber u. a. beim Abbau von Alkohol entsteht) β-Carboline herstellen

168 Beta-Carboline gehören zur großen Gruppe natürlicher Indol-Alkaloide, die sich aromatisch unterscheiden und ein breites Spektrum pharmakologischer Eigenschaften aufweisen, u. a.: beruhigend, angstlösend, antiviral, antiparasitär und antimikrobiell (CAO et al. 2007)

169 „Beachtliche Gehalte an β-Carbolinen finden sichim Gebratenen und Gegrillten… “; a. a. O., S. 116

Geschmackssache oder Warum wir kochen

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