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Teil I

Ursprung und Entwicklung der Gartechniken

1 Zu den Anfängen der Nahrungszubereitung

1.1 Warum wir kaum etwas darüber wissen

Obwohl bereits Charles Darwin »Kochen als die wahrscheinlich größte Entdeckung des Menschen außer der Sprache« (WRANGHAM 2009)14 bezeichnet hat, ist die Fähigkeit des Menschen, aus sensorisch unattraktiven Rohstoffen schmackhafte Speisen zu machen, kein Gegenstand anthropologischer Forschung. Diese Technik entspricht der Leistungsebene, die es uns auch ermöglicht, z. B. Klavierspielen zu erlernen oder sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Es sind Fähigkeiten, die wir unserer Hominisation verdanken – und nicht umgekehrt. Dennoch bleibt die Frage, weshalb nur Homo sapiens das Kochen erfunden hat, nicht aber seine nächsten Verwandten, die Menschenaffen. Sie sind dem Menschen nicht nur anatomisch (und genetisch) sehr ähnlich, sondern verwenden Werkzeuge, um an Essbares zu gelangen (GOODALL 1991). Obwohl sie ungenießbare bzw. weniger attraktive Teile ihrer Nahrung entfernen (mithin »Vorarbeiten« kennen) (HESS 1989), haben sie keine echten Zubereitungsverfahren entwickelt. Nur die Hominini (die direkten Vorläufer des Menschen) kannten bereits Formen der »Food Preparation« und Feuergartechniken, mit denen sie ihre Nahrungsressourcen vergrößerten und die Qualität ihrer Nahrung optimierten. Auf diese Weise wurde der Mensch zum Nahrungsgeneralisten, der problemlos viele verschiedene organische Substanzen wie Fleisch oder Pflanzen verwerten und sich rasch an klimatisch bedingte und/oder regional begründete Rohstoffvarianzen anpassen kann (BEHRINGER 2010).

Hintergrundinformationen

Die Entwicklungslinie der Hominini beginnt mit den afrikanischen Urahnen: Homo rudolfensis (benannt nach dem Fundort Rudolfsee – heute: Turkana-See in Kenia) und Homo habilis: »geschickt«, »fähig«, »begabt«; beide werden als frühe Homo-Typen gesehen. Ihnen folgen der Frühmensch: Homo ergaster; »der arbeitende Mensch« (gilt als die frühe afrikanische Form des Homo erectus) (HOFFMANN 2014; S. 157. Die asiatische Form wird unverändert Homo erectus genannt. Aus verschiedenen ausgestorbenen vor-menschlichen Arten entwickelte sich der archaische Homo sapiens (ältester Fossilfund ist etwa 195 000 Jahre alt) und schließlich der anatomisch moderne (rezente) Mensch (Jetzt-Mensch) Homo sapiens (die einzige überlebende Homo-Art), der in der Zeitspanne zwischen 200 000 und 100 000 Jahren vor heute bereits in Afrika existierte. Voneinander unabhängig haben sich zuerst Homo erectus und dann Homo sapiens über die Kontinente ausgebreitet.

Die Ursachen und Bedingungen, die zur Entstehung des Kochhandwerks geführt haben, sind kein Forschungsgegenstand der Anthropologie. Zwar bestehen Ansätze in der Lebensmittelwissenschaft im Fachbereich Ernährungsphysiologie und Humanernährung, die mittels paläologischer Forschungen die Ernährungsweisen unserer archaischen Vorfahren zu rekonstruieren versuchen. Dabei geht es aber vor allem darum, die präventivmedizinische Relevanz der »Paläo-Diät« zu hinterfragen (STRÖHLE; WOLTER 2008). Ihre Befunde und Aussagen beschränken sich im Wesentlichen auf vermutete Mengenverhältnisse animalischer und pflanzlicher Kostanteile, die die frühen Homo-Typen15 in den jeweiligen Habitaten klima- und jahreszeitabhängig verzehrt haben könnten (STRÖHLE; WOLTER 2008).16 Der Anteil gegarter Nahrung, insbesondere stärkehaltiger Speicherwurzeln und Knollen (USOs),17 wird in erster Linie unter energetischen Aspekten diskutiert, die mit dem Glukosebedarf der immer größer werdenden Gehirne früher Homo-Spezies in Zusammenhang stehen. Ob Garaktaktivitäten auch durch sensorische Phänomene angeregt wurden, ist ungewiss, kann aber vermutet werden, zumal Nahrungskomponenten epigenetische 'Schalter' aktivieren, auf die wir weiter unten noch zurückkommen (SAPOLSKY 2017; S. 303 ff.).

Aussagen über veränderte Ernährungsweisen, die mit dem technologischen Fortschritt des modernen Homo sapiens einhergehen (und durch archäologische Funde belegt sind),18 beziehen sich ausschließlich auf Rohstoffanteile, mit denen das Nahrungsspektrum erweitert wird (»broad spectrum revolution«) (STRÖHLE 2008; S. 180). Ob Zubereitungstechniken Ernährungsvorteile brachten,19 sich begünstigend auf die Gesundheit und allgemeinen Lebensbedingungen, auf die Populationsgrößen und das Sozialverhalten ausgewirkt haben, wird nicht reflektiert (abgesehen von Überlegungen, die beispielsweise WRANGHAM 2009 dazu formuliert hat). Begründung: Es fehlen belegbare Anhaltspunkte.

Die letzte Entwicklungsphase von Homo sapiens, einem anatomisch und geistig modernen Menschen, liegt, gemessen an den großen Zeiträumen der Hominisation zeithistorisch in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer Gegenwart. Wir können diese Phase sozusagen noch mit eigenen Augen betrachten, nämlich als kulturelle Hinterlassenschaften (Artefakte, Mauern, Waffen, Geräte etc.) und künstlerisch-geistigen Zeugnissen (z. B. Höhlenmalerei). Es ist anzunehmen, dass in dieser Zeit auch komplexere Zubereitungstechniken entwickelt worden sind, die geschmackliche Ziele verfolgten (denn das Garen mit Hilfe von Feuer war bereits Usus) und damit den Wandel des Menschen vom Natur- zum Kulturwesen einleiteten.

1.1.1 Feuerstellen belegen die Anwesenheit von Menschen

Archäologische Aussagen zu Feuerstellen, an denen auch 'gekocht' wurde, sind meist mit Vorbehalten versehen und liegen zeithistorisch weit auseinander. Je weiter diese Fundstellen vor der jüngeren Phase der Steinzeit (Neopaläolithikum) liegen, desto weniger lässt sich ermitteln, ob an diesen Feuerstellen auch gekocht wurde. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die meisten von Menschen bewohnten hoch gelegenen Höhlen oder Felsüberhänge (Abris)20 bestanden aus bestanden aus weniger hartem Buntsteinsand und Kalk, die rasch erodieren und an deren Wänden kaum Nutzungs- und Feuerspuren erhalten sind. Außerdem lagen Teile Europas vor etwa 500 000 und 400 000 Jahren wiederholt unter einer dicken Eisschicht, sodass viele Gletscher früheste Siedlungs- und Feuerstellen zerstört haben. Die derzeit älteste Fundstelle außerhalb Afrikas (Gesher Benot Ya'aqov im Norden Israels) belegt die Nutzung von Feuer vor 790 000 Jahren (GOREN-INBAR 2014). Dort wurden u. a. Faustkeile, verbrannte Reste von Samen, Oliven, Wildgerste und Wildtraubenkerne gefunden. Weitere Funde außerhalb Europas lassen vermuten, dass sich die Frühmenschen mindestens seit 1,9 Million Jahren – zumindest teilweise – von gegarter Nahrung ernährt haben (WEBER 2012).21 Ebenso gibt es Hinweise auf Feuer und Röstaktivitäten, die zwischen 1,5 und einer Million Jahren alt sind,22 und schließlich verorten einige Archäologen den Beginn der Gartechniken in ein wesentlich jüngeres Datum, nämlich in weniger als 200 000 Jahre (GIBBONS 2010) .23 Einigkeit besteht nur darin, dass Homo erectus als Erster die Fähigkeit besaß, Feuer zu entfachen und am Brennen zu halten (WONG; WOOD 2015, VIEHWEG 2011).24

1.1.2 Geschichte der Menschheit – von Australopithecus afarensis bis Homo sapiens


Abbildung 1 Stammesgeschichte des Menschen

Die 'Südaffen' Australopithecus afarensis und africanus (die körperlich kleinste Gattung der Hominiden – eine Familie der Primaten) werden als Vorläufer des Menschen angesehen. H. Rudolfensis und H. habilis gelten als erste Vertreter der Gattung Homo (sog. Urmenschen). Weitere Homo Arten: H. habilis (bzw. H. ergaster), gelten als direkte Vorläufer des archaischen H. erectus. H. antecessor und H. heidelbergensis sind Vorläufer von H. sapiens – dem modernen Menschen. Die Entwicklungslinie von Neandertaler und H. sapiens hat sich vermutlich vor 800 000 Jahren getrennt (ALBAT 2019).Vergleichbar früh trennte sich der Denisova-Mensch (nicht eingezeichnet) von der Stammeslinie des rezenten Menschen. Genetisch passt er weder zum Neandertaler noch zum H. sapiens. Als H. antecessor (übersetzt: 'Vorläufer' des modernen Menschen) werden bis zu 900 000 Jahre alte Fossilien aus Nordspanien bezeichnet. Nach neuesten Funden kommen zwei weitere (nicht eingezeichnete) menschliche Vorläufer hinzu: Australopithecus sediba (er lebte vor knapp zwei Millionen Jahren in Afrika) und Homo naledi (ein möglicher Zeitgenosse des sehr frühen Homo sapiens) (DÖRHOFER 2019).

1.2 Die Begriffe »Garen« und »Kochen«

Obwohl es an dieser Stelle in erster Linie um die Rekonstruktion erster Gartechniken (ihrer Protoformen) geht, aus denen schließlich das Handwerk des Kochens hervorging, ist es sinnvoll, vorab die Begriffe Garen und Kochen zu definieren (s. Hintergr.-Info. unten). Diese Prozessbezeichnungen werden in Publikationen, die sich mit historisch zurückliegenden anthropogenen Ernährungsformen (u. a. in den Phasen des Paläolithikums) (BEHRINGER 2010)25 befassen, synonym verwendet werden.

Hintergrundinformationen

Das Wort »Garen« (von ahd. garo, garawēr: bereitgemacht, gerüstet, vollständig) (KLUGE 1975)26 meint den physikalischen Prozess hin zur Verzehrfertigkeit einer Zubereitung. Etwas ist 'gar', wenn durch innermolekulare Vorgänge die rohe Beschaffenheit beseitigt worden ist (enzymatisch oder mittels Säuren; meist durch Anlagerung von internem oder externem H2O an die durch kinetische Effekte freigelegten Bindungsstellen der Moleküle). Das Wort »Kochen« bezeichnet zwei unterschiedliche Prozessschritte, die eine Zubereitung betreffen: Zum einen: das Prozedere der Zubereitung selbst (die manuellen Tätigkeiten) und zum anderen: verschiedene thermische Verfahren (Abschn. 13.1, S. 204 ff.). Daneben ist »Koch/ Köchin« eine Berufsbezeichnung für jemanden, »der die Mahlzeiten zubereitet, heiß macht« (KYTZLER et al. 1995)27, was auf lat. coquere: »kochen« bzw. »sieden« zurückgeht. Letzteres setzt die Gegenwart von Wasser voraus, woraus sich der allgemeine Sprachgebrauch für Kochen als Garverfahren mit heißem Wasser erklärt. WRANGHAM bezeichnet jene Praxis, mit Feuer auf Rohstoffe direkt oder indirekt einzuwirken, sowohl als »Kochen« als auch als »Garen«. Allerdings wird heute niemand mehr das bloße »Hineinwerfen« von auf dem Feld liegenden Kartoffeln in brennendes Kartoffelkraut als Kochen bezeichnen. Andererseits ist es gebräuchlich, zu sagen, Eier, Spaghetti, Reis oder Kartoffeln zu »kochen« – nicht aber zu »garen«. Hier wird der Begriff »Kochen« als terminus technicus gebraucht, der das feuchte Garverfahren »Kochen« definiert (nämlich als das vollständige Eintauchen eines Garguts in 100°C heißes Wasser).28 Feuer, ebenso Wasser, sind hier (energetisch unterschiedliche) thermische »Werkzeuge« zur Herstellung der Genießbarkeit. Wenn wir heute über Kochen sprechen, dann meinen wir eine zeit- und arbeitsaufwändige Bearbeitung von Rohstoffen, bei der verschiedene Anteile gezielt und nach aromatischen Kriterien kombiniert werden. Wer eine 'Feld-Kartoffel' in die Glut wirft, »kocht« also nicht, sondern gart sie, macht rohe Kartoffelstärke verdaubar. Weil aber die Herstellung der Gare auch immer Ziel jeglicher Kochtätigkeiten ist, wird der Garvorgang selbst – obwohl er nur Teil der Zubereitung ist – zur Kernbedeutung dessen, was das Wort »Kochen« ausdrückt.

Zurück zu unserem Thema: der Rohstoffbearbeitung mittels Feuer, dem » Urwerkzeug« aller Garverfahren. Den Anfang machten Homo erectus, der 'archaische' Homo sapiens und Homo Heidelbergensis (dazu auch Wikipedia: Homo erectus),29 indem sie vermutlich kleinere Rohstoffe auch direkt ins Feuer legten (eine Form direkten Garens). Mit der Technik des Feuergarens (GOREN-INBAR 2014)30 ließen sich die »inneren« (molekularen) Strukturen der Rohstoffe verändern und u. a. deren Verdaubarkeit herstellen. Vermutlich schon weit vor (aber spätestens mit) der Sesshaftwerdung vor etwa 10 000 Jahren entstanden jene Garverfahren, die wir heute wie selbstverständlich anwenden (in dieser Zeit entstand auch die dafür notwendige Gefäßkultur, die das Garen in Wasser ermöglichte). Sie sind die Basis einer inzwischen zur Kochkunst avancierten Technik, die gezielt Geschmackskomponenten verschiedener Rohstoffe miteinander reagieren (amalgamieren) lässt und Aromen erzeugt, für die es in der Natur kein 'Vorbild' (Urmuster) gibt. Kochkunst zielt im Kern auf appetitsteigernde Sinneseindrücke. So gesehen ist die Entwicklungsgeschichte von Homo sapiens (lat. sapere: wissen, »der weise Mensch« – eigentlich: »der schmeckende Mensch«!) (LÄMMEL 2003)31 – auch die seines Ernährungswandels, einer geistigen Fähigkeit, Rohstoffe mit weiteren Rohstoffen schmackhaft zu machen.

1.3 Was haben unsere Vorfahren gegessen?

Nahrung und Lebensraum stehen in einem unabdingbaren Zusammenhang. Die Lebensumstände unserer Vorfahren (Klima und Umwelt) waren in ihren Habitaten keineswegs »konstant«. Klimaänderungen, Absenkung und Anstieg der Meeresspiegel, Hitze- und Kälteperioden (BEHRINGER 2010), sogar die Ausbreitung der Tsetse-Fliege (REICHHOLF 2008) hatten in Teilen Afrikas (BEHRINGER 2010) Einfluss auf den Lebensraum der Hominini und zwangen sie zur Anpassung oder – bei Letzterem – zum Verlassen der von ihnen besiedelten Gebiete.32 Aus diesen (und weiteren) Gründen erreichte der Vorläufer des modernen Menschen, Homo erectus, nahezu alle Erdregionen (REICHHOLF 2008),33 auch solche Gebiete, in denen die Temperatur dauerhaft nahe 0°C liegt.

Hintergrundinformationen

Aufgrund der Grenzen von Analysemöglichkeiten archäologischer Funde beziehen sich Aussagen über Ernährungsweisen früher Homotypen34 und Vertreter der »Frühmenschen« (H. erectus bzw. H. ergaster)35 ausnahmslos auf Rohstoffe, die sie vor etwa zwei Millionen Jahren aßen. So lassen winzigste Abnutzungsspuren an Zahnoberflächen, Isotopenanteile in Skeletten und im Zahnschmelz (oder im Zahnstein: z. B. Nachweis spezifischer Phytolithen – mikroskopisch kleiner Kieselsäurepartikel der Pflanzen) Rückschlüsse auf ihre Nahrung zu (HENRY 2012). Ebenso hinterlassen Nährstoffe, die ein Individuum zu Lebzeiten aufnimmt, unterschiedliche Konzentrationen von Spurenelementen im Skelett. Bei überwiegend pflanzlicher Ernährung ist der Anteil schwerer Isotope von Barium, Strontium oder Zink höher als bei tierischer Nahrung (GROLLE 2015).36 Chemische Analysen erlauben auch Rückschlüsse darauf, ob die Nahrung mehr marinen Ursprungs war, ob also mehr Fisch gegessen wurde HIRSCHBERG 2013). Insofern weisen diese Ernährungspräferenzen (und weitere archäologische Daten) zugleich auch auf Siedlungsräume und -perioden unserer frühen Vorfahren hin. Sie bevorzugten Randwälder von Savannen, lebten an Seen oder Fließgewässern (LEAKEY; LEWIN 1986), weil es hier für sie u. a. ergiebigere Proteinquellen als im Regenwald gab (REICHHOLF 2008). Neuere Analysen für Nahrungsmittelkrusten an Keramikgefäßen konnten etwa 300 Fischproteine (Karpfen, Rogen) nachweisen, die vor 6000 Jahren vermutlich in kleinen Mengen Flüssigkeit gegart worden waren (SHEVCHENKO 2018). In einer Berghöhle an der Grenze zwischen Südafrika und Swasiland fand man an einer archaischen Feuerstelle Reste stärkereicher Wurzeln (Rhizome der Gattung Hypoxis), die unsere steinzeitlichen Vorfahren vor mindesten 170 000 Jahren dort gegart hatten. Ein Indiz, dass Kohlenhydrate wichtiger Bestandteil des Nahrungsspektrums auch von H. erectus waren (ZINKANT, K., 2020).

Obwohl große Meere die Kontinente und damit Lebensräume frühmenschlicher Populationen trennten, haben sie in allen Erdteilen voneinander unabhängig vergleichbare Gartechniken entwickelt. Nicht aber, wie zuvor erwähnt, die Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans), obwohl sie zeitgleich mit den Hominini lebten. Diese Primaten sind seit Millionen Jahren bei ihrer überwiegend pflanzlichen Kost geblieben, die sie in ihren Waldhabitaten vorfinden; ihr Organismus ist optimal auf diesen Nahrungsvorrat angepasst. Der vierte Primat, der Mensch, unterscheidet sich im Erbgut nur etwa 1,5 % von Schimpansen (PRÜFER 2012), hat aber ein deutlich größeres Gehirn als dieser. Offenbar gibt es auch einen evolutionsbiologischen Zusammenhang zwischen der Ernährung und Gehirnentwicklung – doch dazu später mehr.

1.4 Feuer – Schrecken und Segen archaischer Naturgewalt

Es muss gravierende Gründe für das Verhalten von Homo erectus gegeben haben, seine Nahrung ins offene Feuer oder in die Glut zu legen (Abschn. 4.3, S. 76 ff.). Genau genommen ergäbe nur die umgekehrte Richtung einen Sinn, nämlich die Nahrung rasch aus dem Feuer zu entfernen, damit sie nicht Raub der Flammen wird. Selbst das Argument, dass die Rohstoffe einer »kontrollierten« Feuergarung ausgesetzt würden, erklärt diesen Widerspruch nicht. Was hat Fleisch, das brennbar ist, im Feuer zu suchen – zumal es stets roh verzehrt wurde? An den Kochtechniken indigener Völker (beispielsweise in Neuguinea: Papua, Eipo und Dani; auf Neuseeland: Maori; in der Kalahari: !Kung; im Amazonasgebiet: Yanomami) sehen wir aber, dass auch sie ihre Nahrung vor dem Verzehr hohen Temperaturen aussetzen (HARRER 1988).37 Weder Fleisch noch Pflanzen verzehren sie in der Regel roh, und selbst die Inuit (Eskimos) essen ihr Fleisch nur auf der Jagd roh, wenn sie lange unterwegs sind. Zurück im Iglu schätzen sie warmes, gekochtes Fleisch wesentlich mehr (WRANGHAM 2009).38

Zwar kennen wir inzwischen die Vorteile einer hitzegegarten Nahrung; aber unsere Urahnen, die vermutlich schon vor mehr als einer Million Jahren erste Feuerexperimente mit ihrer Nahrung angestellt hatten, kannten diese Vorteile nicht (BECKERS 2012). Es muss daher Auslöser und Gründe gegeben haben, auf vertraute Rohstoffe vor dem Verzehr massiv mit hohen Temperaturen einzuwirken und diese Verfahren zur dauerhaften Praxis werden zu lassen (MUTH; POLLMER 2010).39 Dazu verwendeten sie, wie erwähnt, vor allem heiße Steine, Glut, heiße Asche, heißen Sand (auch heißes Wasser),40 also natürlich vorkommende Energiequellen.41 Diese Fakten beantworten aber nicht die Frage, warum sie derart »massiv« auf Rohstoffe eingewirkt haben. Genau genommen fragt man sich, was hohe Temperaturen an und in empfindlichen biologischen Substanzen verloren haben? Ebenso: Weshalb wurden und werden diese gegarten Rohstoffe mehr gemocht als jene, an die sie und ihre Vorfahren seit Millionen Jahren bestens angepasst waren?

Mit der Fähigkeit, Feuer nicht nur zu erhalten, sondern es auch zur Aufbereitung von Nahrung einzusetzen, verbesserte sich deren Qualität enorm: sie enthielt weniger Gifte, war leichter verdaulich (auch das Nahrungsspektrum vergrößerte sich), bewirkte eine höhere Energieausbeute (u.a. aufgrund des geringeren ATP-Verbrauchs bei der Verdauung; s. Fußn. 159, S. 86) und hatte gleichzeitig auch Einfluss auf das soziale Leben, da die Aufnahme von gegartem Essen weniger Zeit benötigt und die Verdauung schneller erfolgt (WRANGHAM 2009). Die Vorzüge thermisch aufbereiteter Nahrung waren gegenüber der bisherigen rohen Nahrung so bedeutend, dass sich im Laufe von Millionen Jahren alle an der Verdauung beteiligten Organsysteme veränderten: u. a. wurde die Mundöffnung kleiner, die Zahnstrukturen flacher, das Verhältnis von Dünn- und Dickdarmlänge änderte sich, wie auch das Spektrum der Entgiftungssysteme (WRANGHAM 2009). Wrangham vertritt in seinem Buch Feuerfangen die These, dass erst gekochte Nahrung die Zunahme unseres jetzigen Gehirnvolumens (HARDY 2015)42 begründet (nicht allein der vermehrte Fleischverzehr), und Kochen zur Wiege der Familienbildung wurde. Essen zu garen war zeitaufwändig, (HARRER 1988)43 aber ernährungsphysiologisch wertvoller als rohe Kost. Gekocht haben seiner Theorie zufolge Frauen, denen das Essen oftmals von den körperlich überlegenen Männern gestohlen wurde. Erst die Anwesenheit eines ranghohen Mannes verhinderte diesen Raub und bot der Frau den nötigen Schutz, woraus dauernde Versorgungsbünde erwuchsen (WRANGHAM 2009).44

1.5 Der Organismus überwacht, was gegessen wird

Die »Mitsprache« des Organismus bei der Wahl der Nahrung wirkt im Verborgenen, verläuft unbewusst. Vielfältige sensorische und hormonelle Regelsysteme steuern vegetativ den Appetit und die Nahrungspräferenz (und den Metabolismus) (BERG et al. 2003), (LOGUE 1995).45 Folglich war (und ist) jede vom Menschen erzeugte »willentlich« herbeigeführte sensorische Qualität ernährungsrelevant. Warum? Bereits der Duft und der Geschmack informieren über die zu erwartende »Qualität« der Nahrung, und nach dem Verzehr »urteilt« der Organismus über die Bekömmlichkeit und den tatsächlichen Wert, z. B. mit wohligem Empfinden und Sattheit. Stellen sich diese Zustände trotz ausreichender Verzehrmengen nicht ein, wird diese Nahrung – selbst wenn sie mundet – nicht (mehr) gemocht (POLLMER 2003). Nachteilige Rohstoffveränderungen hätten sich daher nicht durchsetzen können. Den verbesserten Wert der Nahrung »erkennt« der Organismus – neben der Konsistenz (der Textur) – vor allem am Aroma (Duft und Geschmack), weil diese Sinneseindrücke jeden Bissen andauernd »zertifizieren« (Abschn. 8.1, S. 128 f.). Auch die Wirkung der Nahrung auf die Darmbiota trägt wesentlich zum Wohlbefinden bei, denn etwa 95 % des Botenstoffs Serotonins wird im Magen-Darm-Trakt produziert (ENDERS 2016).

1.6 Natürliche Grenzen für die Beweisbarkeit der Kochanfänge

Garen zielt, neben der Herstellung der Verzehrfähigkeit, u. a. auf die Erzeugung appetitsteigernder Komponenten. Der Zusammenhang von Aromen und Ernährungswerten (im Kontext von Garverfahren), ist, wie betont, nicht Gegenstand anthropologischer Forschung (sondern Teil der Ernährungsphysiologie). Selbst wenn es einen Nebenzweig in der Archäobiologie gäbe, der molekularbiologische und sensorische Ernährungsaspekte als mögliche Co-Faktoren der Hominisation untersuchte, ließen sich diese Aussagen weder überprüfen noch belegen. Die früheren Wildpflanzen mit ihren damals typischen Nährstoff- und Giftanteilen gibt es nicht mehr – ähnliches gilt für das Jagdwild. Schon deshalb lässt sich das Aroma archaischer Kocherzeugnisse nicht mehr »nachbauen« und beurteilen. Letztlich sind physiologische Reaktionen, die diese Rohstoffe bei Homo erectus tatsächlich auslösten, reine Mutmaßungen, da seine tatsächliche Enzymausstattung und die Zusammensetzung seiner Darmbiota unbekannt sind. Daher bleiben Fragen, ob und wie sich schmackhaftes Essen begünstigend auf die Entwicklung der Hominini ausgewirkt haben könnte, durchweg spekulativ. Alle Nachforschungen können nur auf den heutigen Menschen und andere Primaten Bezug nehmen – einen Rückschluss auf die aromatische Qualität menschlicher Urnahrung erlauben sie nicht.

Das ist bedauerlich, denn ausgerechnet jener Aspekt, der Kochtechniken vermutlich erst angeschoben hat (die »Kochkunst« entwickelte sich nachweislich in Richtung Aromahebung – die vor allem durch Kombination verschiedener Anteile möglich wurde), bleibt aus Sicht der Wissenschaft eine Art terra incognita. Aussagen über die Nahrung der Frühmenschen können sich nur auf die Nennung der Rohstoffe beziehen, die auf dem »Speiseplan« standen. Auch der Hinweis auf eine Vorstufe der »Food Preparation«, die Gorillas anwenden (sie kennen insgesamt über 120 Futterpflanzen; HESS 1989),46 ist kein Hinweis auf eine sich entwickelnde »Zubereitungs- oder Gartechnik« (Hess 1989).47 Aromatische Garprodukte entstehen dabei nicht.

1.7 Ohne Sensorium kein Wohlgeschmack

Offenbar kann der Organismus unabhängig vom Verstand beurteilen, welche Nahrung für ihn günstiger ist (LOGUE 1995).48 Er ist, wie bereits erwähnt, mit vielfältigen hormonellen und metabolischen Reglersystemen ausgestattet, die seine Nahrungswahl steuern, ihn Neues probieren lassen, warnen oder stimulieren. Sowohl der Nahrungsbedarf als auch die Bewertung des Verzehrten unterliegen endogen Kontrollen (REHNER; DANIEL 2010).49, 50 Sie schützen den Organismus vor giftigen und ungünstigen Nahrungszusammensetzungen. Wenn der geschmackliche Wert (»Impact«) nicht mit dem zu erwartenden Ernährungswert übereinstimmt, wird das u. a. vom enterischen Nervensystem (ENS oder 'Darmhirn') registriert und an das Gehirn 'gemeldet'.51

Es ist zu vermuten, dass auch Homo erectus über »vergleichbare« endogene Kontrollsysteme verfügte, da sein Körperbau (u. a. der Brustkorb) auf gleiche Dünn- und Dickdarmlängen schließen lässt und somit auf gegarte Nahrung eingestellt war. Die Epithelzellen der Darmwände tragen Riech- und Geschmacksrezeptoren, die entsprechende Hormone oder Neurotransmitter je nach Nahrungskomponenten freisetzen (HATT 2006). Unsere Ahnen begannen also nicht ohne jegliche »Kontrolle« mit verschiedenen Rohstoffen und Gartechniken zu experimentieren. Vielmehr führte das am Essen und der Verdauung beteiligte Sensorium im Hintergrund »Regie«, entschied über »like« oder »dislike« dieser Kreationen. Die Realisierung attraktiver Garprodukte setzt aber nicht nur Wissen über vielfältige Nahrungsrohstoffe, sondern graduell handwerkliches Können und vor allem planvolles Handeln voraus. Ohne entsprechende Denkleistungen gäbe es diese (z. B. durch Rohstoffkombination) aromatisch optimierten Mahlzeiten nicht. Mit seinem relativ großen Gehirn konnte der in Europa lebende Homo erectus problemlos appetitlichere, vorteilhaftere Alternativen erinnern und zunehmend selber herstellen. Was aber sind vorteilhaftere Alternativen, wenn der Organismus kraft evolutionärer Entwicklung auf eine naturgegebene Nahrung »angepasst« ist?

1.8 Unspezifische Nahrungsvorzüge

Biologische Systeme sind grundsätzlich nicht statisch und befinden sich in einem ständigen Anpassungsmodus. Selbst im Zustand des 'Gut-angepasst-Seins' verfügen sie über genetische Dispositionen, alternative Nahrung zu erkennen und zu nutzen (RUSCHKE 2007). Das ist biologisch sinnvoll, da sich ihr Lebensraum in einem (über erdgeschichtliche Zeiträume hinweg) andauernden Wandel befindet. Verändert sich z. B. aufgrund des Klimawandels ihr Nahrungsspektrum, werden jene Rohstoffe gewählt, die am schmackhaftesten und am besten verdaulich sind – vorausgesetzt, sie sichern damit ihr Überleben. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine vollständig »neue« Ernährung, sondern um eine graduelle Abweichung zur bisher vertrauten Nahrung (die benötigten Nährstoffe sind mit anderen Begleitstoffen verpaart und liegen in einer anderen Rohstoffmatrix und in anderen Mengenverhältnissen vor). Stellte der Menschen solche abweichenden 'modifizierten Rohstoffe' selbst her, musste in diesen Veränderungen ein »physiologischer Mehrwert« liegen (wäre das nicht so, hätten die Nachteile überwogen und dem Organismus auf Dauer geschadet). Dieser »Mehrwert« hatte (und hat) einen »Geschmack« – und zwar einen höchst attraktiven.

Grundsätzlich sind sensorische und metabolische Wechselwirkungen (als biologische Regulative) maßgeblich an der handwerklich »beabsichtigten« Veränderung von Rohstoffen beteiligt – eine Strategie zur Selbsterhaltung und -organisation (KÜPPERS 2012). Die Erfindung von Kochtechniken ist daher nichts anderes als eine vom Körper kontrollierte und herbeigeführte »Nahrungsoptimierung«.

1.9 Der Faktor Verstand

Bevor der Frühmensch verschiedene Handlungsschritte im Voraus durchdenken und in zeitlicher Abfolge ausführen konnte, benötigte er ein leistungsfähiges Gehirn (ROTH 2011).52 Nach ROTH lag der sog. »zerebrale Rubikon« in der menschlichen Entwicklung bei etwa 750 g,53 ein Wert, den Homo erectus mit 900 bis 1100 g deutlich übertraf. Damit war sein Gehirnvolumen mehr als doppelt so groß wie das der Schimpansen und Gorillas (400 bis 550 g). Da diese keine vergleichbaren technologischen Fertigkeiten wie der moderne Mensch entwickelt haben, liegt ein Zusammenhang mit der Gehirngröße nahe.54 Allerdings lassen bloße Größen- oder Gewichtsaspekte des Gehirns nicht zwangsläufig auf den Grad der Intelligenz schließen (sonst müssten Elefanten und Wale intelligenter sein als wir). Entscheidend ist das relative Verhältnis von Gehirn- und Körpergewicht (ROTH 2011).55

Neben Ernährungsaspekten werden für die Größenzunahme des Gehirns (MARTIN 1995) vor allem auch anatomische Veränderungen vermutet, die mit der Entwicklung des aufrechten Gangs in Verbindung stehen. Einen in der Savanne in Aktion befindlichen Körper auf nur zwei Beinen stabil zu halten, erforderte ein leistungsfähigeres Gehirn als dafür, einen Körper von Ast zu Ast zu hangeln. Es müssen beim Gehen und Laufen 'unzählige' Muskelaktivitäten mit dem Gleichgewichtssinn, der Körperbewegung und -lage im Raum (Propriozeption = Eigenempfindung) koordiniert werden. Weiterhin war im aufgerichteten Körper ein höherer Blutdruck notwendig, um gegen die Schwerkraft das Gehirn mit ausreichend Blut, also auch mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Letzteres sollte sich bei einem weiteren Selektionsdruck hin zu größeren leistungsfähigeren Gehirnen als wichtiger Co-Faktor erweisen,56 da die vermehrte, auch zur Kühlung erforderliche Blutzirkulation mehr Energie und Nährstoffe ins Gehirn transportierte. Insbesondere die Trockenzeit vor etwa 2 Millionen Jahren war laut C. Egeland »die Zeit der Selektion immer größerer Gehirne« (EWE 2009), weil das trockene Klima einen steten Selektionsdruck in Richtung innovativer Problemlösungen erzeugte.57

Eine vergleichende Genomanalyse zwischen Mensch und Schimpansen zeigt, dass sich die Aktivität ihrer Gene und Proteinbiosynthese im Gehirn – besonders bei den synaptischen Anlagen – deutlich unterscheidet. Auch ist das Wachstum des Gehirns bereits beim menschlichen Fötus (also schon im Mutterleib) größer als beim Fötus der Schimpansen. Zur Entwicklung eines größeren Gehirns trugen vermutlich auch zwei Gen-Inaktivierungen (durch Mutation) bei. Eins, das bei Säugern für die kräftige Muskulatur im Kieferbereich verantwortlich ist.58 Diese war für eine gekochte, weichere Nahrung nicht mehr erforderlich. Nach HANSELL J. STEDMANN besteht ein zeitlicher und funktioneller Zusammenhang zwischen der Rückbildung der Kaumuskulatur und dem Beginn der Gehirnvergrößerung. Der zweite Genverlust betrifft einen DNA-Abschnitt für jene Enzyme, die beispielsweise bei Affen dafür sorgen, überschüssige (nicht mehr benötigte) Neurone wieder abzubauen, die im Laufe der frühen Gehirnentwicklung gebildet werden. Auf diese Weise blieben Neuronen vermehrt vorhanden, die das o. g. Gehirnwachstum (mit) begründen (RENO 2018).

Nur, wo genau liegt der Zusammenhang zwischen geistigen Leistungen und handwerklichem Können? Wird überhaupt – wie im Fall des Kochhandwerks – zur Geschmackshebung Intelligenz benötigt? Nasen- und Zungenreize werden intelligenzunabhängig erfahren, und sensorische Effekte folgen genetischen Programmen, die sich in archaischen Zeiten als vorteilhaft erwiesen haben – und deshalb in der DNA encodiert sind. Handwerkliches Können basiert überwiegend auf motorischen Fähigkeiten, die durch Training verbessert werden (können). Mehr noch: Schmeckt uns etwas, das bisher unbekannt war, reagieren unsere Sinne – nicht aber der Verstand.

Der Verstand ist aber am Erfassen und Erinnern von Geschmackseindrücken (Objektmerkmalen), der Fundstelle und Erreichbarkeit dieser Nahrung stets beteiligt; auch der räumliche und zeitliche Aufwand einer Wegstrecke (lohnen sich die Anstrengungen?) wird von ihm erfasst.59 (OSTERKAMP 2014) Der Verstand »wägt ab«, bevor er den Organismus in Aktion setzt. Dabei gilt: Je höher der sensorische Wert, je wertvoller die Nahrung, desto mehr Aufwand ist er bereit zu investieren.60 Die leckersten Früchte hängen bekanntlich ganz oben im Baum und ihre Erreichbarkeit erfordert mehr körperlichen Aufwand. Dieser Urtrieb, besonders Attraktives haben zu wollen, begründet offenbar auch die Fähigkeit zur Impulskontrolle (STOUT 2016), Rohstoffe nicht sofort, sondern erst nach aufwändiger Bearbeitung zu verzehren.

Bevor aber komplexere Zubereitungstechniken gängige Praxis waren, mit denen aromatische Kochprodukte gezielt hergestellt wurden, gab es einfachere Vorläufertechniken (Proto-Stufen), die nicht qua »Überlegung« entstanden, sondern das Ergebnis zufälliger Beobachtungen waren, die das Bessere von weniger Gutem unterscheiden ließen.

14 A. a. O., S. 137

15 Homo Rudolfensis und Homo habilis gelten als die ersten Vertreter der Gattung Homo, sog. Urmenschen; der Fund von Homo Naledi in Südafrika (in der Höhle Dinaledi) könnte diese »erste« Stellung allerdings noch verschieben; WRANGHAM geht davon aus, dass bereits vormenschliche Primaten, die Australopithecinen (Vormenschen), ihre Nahrung gezielt bearbeitet haben; WRANGHAM 2009, S. 189 ff.

16 A. a. O., S. 173 ff.

17 USOs: Underground storage organs (unterirdische Speicherorgane); belegt sind der Verzehr von »gegarten« Wurzeln (Gattung: Hypoxis) in einer Höhle Südafrikas vor etwa 170 000 Jahren (ZINKANT 2020).

18 Aus der Phase des Jungpaläolithikums, der jüngere Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit, die sich etwa von vor 40 000 Jahren bis zum Ende der letzten Kaltzeit um etwa 9.700 v. Chr. erstreckt

19 Die vermutlich spätestens mit dem Auftauchen von Homo sapiens in Europa vor etwa 40 000 Jahren gängige Praxis wurden

20 Nach einem Fundort in der Dordogne, dem Abri Cro Magnon, wird der moderne Menschentyp (hohe Stirn, kleineres Gebiss, zurückgebildete Augenwülste) als Cro-Magnon-Mensch bezeichnet; (BEHRINGER 2010) a. a. O., S. 53

21 »Erste Köche lebten vor zwei Millionen Jahren« vermuten Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“, aufgrund der deutlich kleineren Backenzähne von Homo erectus im Vergleich mit den anderen Primaten; demnach müsste der Frühmensch (Homo habilis) bereits neben üblicher Rohkost zum Teil weiche und zubereitete Speisen gegessen haben

22 GIBBONS nimmt Bezug auf J.HARRIS, der Steinwerkzeuge und verbrannten Ton in der Olduvai-Schlucht in Tansania und in Koobi Fora in Kenia fand, die 1,5 Millionen Jahre alt sind. Spuren von Homo erectus gibt es an beiden Stellen

23 GIBBONS zitiert BRACE, C. LORING: »Feuer hatten die Vormenschen schon vor etwa 800.000 Jahren unter Kontrolle, aber sie haben es weniger als 200.000 Jahre systematisch genutzt, um Speisen darauf zuzubereiten«

24 Er erschien etwa vor 1,8 Millionen auf der Bildfläche der Erde und war der erste Primat, der die Wiege der Menschheit, Afrika, verließ und wahrscheinlich laut neuen Analysen der Funde von Ngandong vor mindestens 143 000 Jahren, vermutlich aber schon vor mehr als 550 000 Jahren ausstarb

25 Altsteinzeit; von griech: palaion, »alt« und griech.-lat.: lithicum, »Steinzeit«; das Paläolithikum ist die früheste und längste Epoche in der Entwicklungsgeschichte des Menschen; Beginn vor etwa 2,5 Millionen Jahren - Ende ca. 10 000 v. Chr.

26 A. a. O., S. 232

27 A. a. O., S. 332

28 Deshalb ist z.B. Dämpfen (ebenfalls ein Terminus technicus) ein feuchtes (gesättigtes) Nassdampfverfahren

29 H. heidelbergensis ging aus H. erectus hervor und entwickelte sich vor etwa 200 000 Jahren in Europa zum Neandertaler (H. neanderthalensis)

30 Die älteste nachgewiesene Feuerstelle ist Gesher Benot Ya‘aqov in Israel und etwa 790 000 Jahre alt. Nach der These des Primatologen R. WRANGHAM müsste H. erectus bereits vor 1,9 Mio. Jahren Feuer genutzt haben (WRANGHAM 2009)

31 Das Wort sapere bedeutet eigentlich »schmecken« und lässt sich nur in einem übertragenen Sinne mit 'verstehen und Weisheit erlangen' übersetzen (wortwuchs.net 2019) – als Substantiv gebrauchten die Römer das Wort nicht nur für den »wahren Weisen«, sondern gleichermaßen für den »Staatsmann« und den »Feinschmecker«

32 Nach Reichholf könnte die Tsetse-Fliege die Vertreibung aus dem 'biblischen Paradies' verursacht haben; alttestamentarisch liegt das Paradies an der Mündung von Euphrat und Tigris (CLINE 2016)

33 Out-of-Africa-Theorie: Sie nimmt an, dass die Ausbreitung von H. erectus von Afrika ausging, da dessen älteste Fossilfunde außerhalb Afrikas rund 1,8 Millionen Jahre alt sind. Die Bezeichnung Out-of-Africa wird jedoch häufig auch auf die Ausbreitung von H. sapiens angewandt – vor etwa 60 000 bis 70 000 Jahren

34 »Vor- und Urmenschen«: Australopithecinen; H. rudolfensis, H. habilis, die vor etwa 4,2 – 1,1 Mio. Jahren lebten

35 Mit denen auch die archäologische Epoche der Steinzeit (Paläolithikum) beginnt – vor etwa 2,6 Mio. Jahren

36 Ein Nachweisproblem der Radiokarbondatierung liegt darin, dass nicht unterschieden werden kann, ob ein Hominine C4-Pflanzen oder das Fleisch von Tieren, die C4-Pflanzen gegessen haben, verzehrt hat. C4-Planzen binden CO2 besser als C3-Pflanzen – eine Anpassung an wärmere Regionen mit höherer Lichteinstrahlung. Vor allem Gräser und Nutzpflanzen, wie Amarant, Hirse, Mais und Zuckerrohr nutzen die C4-Photosynthese; die Bezeichnung 'C4' leitet sich vom ersten Fixierungsprodukt ab, welches durch die Assimilation von Kohlenstoffdioxid entsteht (GROLLE 2015)

37 A. a. O., S. 134 ff.

38 A. a. O., S. 36

39 Bei ausgewilderten Schimpansen hat man beobachtet, dass sie nach Buschbränden nach verkohlter Nahrung suchen, und dass sie, wie auch Orang Utans, versuchten, in der Wildnis das Entfachen eines Lagerfeuers nachzuahmen (Bezug: MCGREW; ebenda)

40 Heiße Quellen, geothermal erwärmtes Grundwasser, gibt es besonders in vulkanischen Gebieten. Der ostafrikanische Grabenbruch (engl. Great Rift Valley im Westen Kenias) gilt als die Wiege der Menschheit. Er ist eine Landschaft vulkanischen Ursprungs mit vielen Seen, Geysiren und heißen Quellen (LEAKEY; LEWIN 1986); auch Maori, die Ureinwohner Neuseelands, nutzen die 200°–300°C heißen Quellen traditionell u. a. zum Kochen (STEIN-ABEL 2019), (STEUBER; BUCHER 2014) – mittels Spießen u. Netzen; über einer Feuerstelle waren geeignete Gefäße notwendig, die erst mit der Entdeckung der Töpferei den entscheidenden Durchbruch erhielt

41 Offenes Feuer (direkte Flamme) ist als Garmethode für große Tierkörper ungeeignet, da äußere Bereiche verbrennen und das Innere roh bleibt; in Neuseeland werden kleine Tiere an einem Holzspieß gegrillt, der in unmittelbarer Nähe des Feuers schräg im Boden steckt (HABERLAND 1912). Diese Technik nutzt die Strahlungswärme des offenen Feuers

42 Die Ernährungsforscherin Karen Hardy vertritt die Auffassung, dass das Kochen von Nahrung und der Zuwachs an Amylase-Genen in einer Art Co-Evolution stattgefunden haben, wodurch erhöhte Mengen Glukose für das Gehirn, insbesondere während der Entwicklung im Mutterleib, zur Verfügung standen

43 Bis zu drei Stunden Vorarbeit (zur Beschickung der Gargruben/Kochmulden) und etwa zwischen einer und acht Stunden Garzeit wenden indigene Bergeinwohner West-Neuguineas auf, die sich heute noch steinzeitlich ernähren; a. a. O., S.136

44 A. a. O., S. 165 ff.

45 Wir wissen heute, dass jeder Bissen im Organismus in verschiedenen Schritten biochemisch (enzymatisch) zerlegt und umgebaut wird (Katabolismus), bevor seine Moleküle den Zellen als Energie- und Baustoffe dienen (Anabolismus). Diese enzymatische Zerlegung erfolgt schrittweise (von komplexen Molekülgruppen bis runter zu einfachen) und kann nur unter bestimmten 'Voraussetzungen' ablaufen, überwiegend unter Anwesenheit von Wasser

46 Ungenießbares wird aussortiert, Fasern abgestreift, Teile sorgfältig gewählt und Happen fortlaufend variiert: »Zum Beispiel werden für kurze Zeit die zarten Selleriespitzen bevorzugt, dann erfolgt ein Wechsel zu Nesselblättern, danach steht Galium auf dem Programm und anschließend kehrt man zum Sellerie zurück, aber dieses Mal gilt das Interesse den wasserhaltigen, geschälten Stangenteilen«; a. a. O., S. 77

47 A. a. O., S. 75

48 Experimente mit Versuchstieren haben gezeigt, dass Tiere über den Geschmack von präpariertem Futter (z. B. mit weniger Kalorien) die Nahrungsmenge steuern, indem sie automatisch mehr essen, wenn sie diesen Geschmack erkennen. Bei geschmacklich verschiedenen Lösungen (A mit weniger und B mit mehr Kalorien), werden sie durch Freisetzung von Cholecystokinin (steuert das Sättigungsgefühl – wörtlich: Gallenblasenbeweger) davon abgehalten, von der Lösung mit dem Geschmack A zu trinken, nicht jedoch mit dem Geschmack B; a. a. O., S. 75 ff.

49 U. a. die autonome Kontrolle der Glukose- und Fettdepots ('Notvorrat'), Aminosäurespiegel des Plasmas und Speicherkapazitäten für ATP; die Regeneration des ATP-Pools muss durch Energieanteile aus der Nahrung gewährleistet sein und wird durch ein spezifisches Hungergefühl geregelt. Derzeit werden weiße, braue und beige Fettzellen unterschieden – das eigentliche Fettdepot besteht nur aus weißen Zellen; braune und beige Fettzellen dienen der unmittelbaren Energieerzeugung (unter Umgehung der ATP-Bildung) (REA, P. A. et al. 2015)

50 Ein Nahrungssuchverhalten, wie es für Allesfresser typisch ist. Diskutiert werden gegenwärtig verschiedene Transkriptionsfaktoren, die durch die Bindung eines Liganden (meist Hormone) in der Lage sind, an DNA zu binden und die Transkription eines oder mehrerer Gene zu unterdrücken oder in Gang zu setzen. Auf diese Weise kann jedes Individuum auf Nahrungsinhaltsstoffe spezifisch reagieren und vorteilhafte Komponenten durch die Ausbildung von Rezeptoren präferieren (RUSCHKE 2007)

51 Das enterische Nervensystem (ENS) ist Teil des Nervensystems; es enthält Neurotransmitter (u. a. Serotonin, Dopamin), die auch im Gehirn freigesetzt werden, wenn uns etwas gut schmeckt; auch deshalb steht die Darmbiota im Blick aktueller Forschung; siehe auch: BLECH 2019

52 A. a. O., S. 385, 386

53 A. a. O., S. 388

54 A. a. O., S. 369

55 A. a. O., S. 327 ff.

56 Auf der Suche nach Nahrung in der unbeschatteten Savanne überhitzte rasch der Kopf, sodass sich nur jene Individuen behaupten konnten, deren Gehirn mit einem Geflecht kleiner Venen ausgestattet war, das die Hitze aus dem Kopf transportierte – eine Art »Klimaanlage« des Gehirns (HOFFMANN 2014; S. 137)

57 »Verbesserte Werkzeuge, Anpassungen im Sozialverhalten (Aufteilen von Aufgaben und Ressourcen innerhalb der Gruppe, verstärkte Kooperation), Entwicklung von Sammel- und Jagdstrategien« (EWE 2009)

58 Die Mutation des Gens, das für das Protein MYH16 (myosin heavy chain) kodiert, habe sich vor rund 2,4 Millionen Jahren ereignet (gefunden in: Wikipedia)

59 Man nimmt an, dass sich der Organismus mit sog. Orts- und Gitterzellen und auch Zeitzellen des Gehirns orientiert, mit denen er die Dauer der Wegstrecke ermittelt und erinnert; a. a. O.

60'Prinzip der optimalen Futtersuche' (optimalforaging) oder das Optimalitätsmodell. Ein Aspekt der Ökologie, der die Nahrungsbewertung und Entscheidungsfindungen bei der Futtersuche und Nahrungsauswahl nach Kriterien einer 'Kosten-Nutzen-Rechnung' beschreibt (HARRIS 1990; S. 258 ff.)

Geschmackssache oder Warum wir kochen

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