Читать книгу Sechs Schlüssel ins Jenseits - Günther R. Leopold - Страница 10

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»Einem Mr. Tipsy würde ich mein kostbares Leben nicht anvertrauen.« Chefinspektor Hutchingsons Miene zeigte ernste Besorgnis, was sich jedoch schlagartig änderte. »Aber einem gewissen Andy Burke jederzeit.«

Misstrauisch beäugte der Sergeant seinen Vorgesetzten. »Heißt das vielleicht, dass ich die Ehre habe, Sie wieder einmal chauffieren zu dürfen?«

»Sherlock Holmes würde in Ihrer Mutmaßung ein Plagiat seiner scharfsinnigen Schlussfolgerungen sehen. Doch genug der Scherze. Superintendent Frumingway hat darauf bestanden, dass wir – ich betone ausdrücklich, dass wir uns in Glowchester umsehen sollen.«

»In dem Städtchen wird es hoffentlich eine nette Gastwirtschaft geben, wo wir uns etwas aufwärmen können.«

»Was Sie schon jetzt vergessen können. Es soll sich nämlich um eine – tja, sozusagen um eine dienstliche Inkognito-Recherche handeln.«

»Dann werde ich mir eben selbst eine innere Aufwärmung mitnehmen.« Mr. Tipsy ließ grüßen … »Bei solchen winterlichen Temperaturen …« Burke brach ab. »Doch wenn ich recht informiert bin, gibt es in Glowchester nicht nur ein Städtchen, sondern auch eine Art Herrensitz mit benachbarter Ruine. Und Letzteres soll wohl das Ziel unserer Nachforschungen sein, nicht?«

»Sie haben schon wieder Sherlock Holmes’sche Anwandlungen. Also, in diesem Sinne«, der Melancholiker wies nach der Tür. »Und nehmen Sie den besten Dienstwagen, denn infolge Fehlens jeder, hm, inneren Erwärmung habe ich nicht die Absicht, in einem schlecht geheizten Auto nach Glowchester zu fahren.«

Die Fahrt verlief vorerst recht einsilbig. Der Sergeant hatte seine von Hutchingson gepriesene Fahrkunst zu beweisen, da die Straßen teils schneebedeckt, teils eisig waren. Nach einiger Zeit verbesserten sich aber die Fahrbahnverhältnisse, sodass ein Gespräch in Gang kam. »Chefinspektor, irre ich mich, aber dieser … dieser Lord Glennford soll doch so eine Clique von Religionsfanatikern um sich geschart haben?«

»Das können Sie laut sagen. Aus einer vielleicht anfangs durchaus harmlosen, honorigen Herrenrunde dürfte sich peu à peu etwas entwickelt haben, das der Kern dieser – wie war doch gleich der Name – Bruderschaft der wahren Christen sein könnte. Da wäre zuerst ein gewisser Sir Whildings zu erwähnen …«

»Whildings? Whildings, ist das nicht … ein Musiker?«, glaubte sich Burke zu erinnern. »Ja, ein … Orgelvirtuose soll er sein, nicht?«

»Burke, Sie überraschen mich heute immer wieder aufs Neue. Whildings – ich maße mir an, etwas von Musik zu verstehen – ist tatsächlich ein begnadeter Musiker auf der Königin aller Musikinstrumente, der Orgel. Darüber hinaus war er Geschichtsprofessor, er hielt lange Zeit in Oxford Vorlesungen über Heinrich VIII., Cromwell und Königin Elisabeth und schrieb über die Genannten kritische Bücher.«

»Na bitte, ein Religionsfanatiker eben. Wahrscheinlich hat er besagte Herrenrunde auch entsprechend beeinflusst.«

»Nicht nur Whildings kommt dafür infrage. In dem Jesuiten Padre Cruce dürfte er einen kongenialen Mitstreiter gehabt haben. Er war früher in Italien für die Erziehung von Glennfords Sohn Douglas verantwortlich.«

»Wie? In Italien? Ein Kind aus einem urenglischen Adelsgeschlecht!«

»Na ja, seine Mutter, Lord Glennfords erste Frau, war Italienerin. Ebenfalls von bestem Adel, soll sie sogar mit den Borgias verwandt gewesen sein. Vielleicht beruht darauf auch Glennfords Interesse für spektakuläre Giftmorde; er ist ja ein anerkannter Toxikologe und hat sich übrigens an den Yard um Mithilfe für sein Buch Die berühmtesten Giftmorde gewandt.«

Burke grinste und wäre fast von der noch immer rutschigen Fahrbahn abgekommen. »Oho, Nachtigall, ich hör’ dir trapsen! Ist das nicht auch Ihr Lieblingsgebiet, Chefinspektor?«

»Nur teilweise. Ich interessiere mich für jede Art von Mord, es müssen nicht Giftmorde sein. Doch zurück zu Lord Glennfords interessanter Herrenrunde. Ich habe mich vorhin als richtiger Musikkenner gerühmt. Daher weiß ich, Whildings hat als Orgelspieler einen beinahe besseren Konkurrenten, nämlich Simon Laxter. Der stammt aus einer Orgelbauerfamilie. Er kennt sich sowohl handwerklich als auch künstlerisch mit Orgeln und Orgelmusik aus.«

»Und dieser Laxter gehört ebenfalls der Bruderschaft der wahren Christen an?«

»Keine Ahnung, was für einen Chefinspektor von Scotland Yard allerdings sehr traurig ist. Natürlich könnte Laxter – er soll ja für Glennford die alte Burgorgel restaurieren – zu der Bruderschaft gehören. Das trifft auch auf Asgard Soulbrooke zu, einen halbverrückten Spiritisten. Glennford duldet ihn nur deshalb in seiner Freitagsrunde, weil der Spiritist – er nennt sich selbst gern Hellseher – allen Ernstes behauptet, dass er mit Godwin, Glennfords erstgeborenem, früh verstorbenem Sohn, Kontakt aufnehmen könne. Dabei soll auch über den sagenhaften Schatz etwas zu erfahren sein. Übrigens versichert dieser, hm, Übersinnliche, schon zweimal mit Cromwell und einmal mit Heinrich VIII. in Verbindung gewesen zu sein. Die beiden scheinen ihre blutigen Metzeleien nicht zu bereuen.«

»Na, wenn das keine verrückte Herrenrunde ist!« Der Sergeant konnte sich nur wundern. »Doch da gibt es ja noch eine Frau, Lady … Lady Jane, glaube ich, die viel zu junge Gattin des schon in die Jahre gekommenen Lords!«

»Was Sie nicht alles wissen! Wahrscheinlich haben Sie in einem polizeilichen ›Who is Who?‹ nachgelesen.«

»Brauchte ich nicht, hatte eine viel bessere Quelle. Ferguson, ein Kollege von der Sitte, stammt nämlich aus dieser Gegend und bei einem oder auch mehreren Gläsern Fergusons mit einem gewissen Mr. Tipsy – wie Sie sagen würden – kann man schon einiges erfahren.«

»Traurig, traurig, wenn die Untergebenen bessere Quellen haben als ein Chefinspektor. Doch es gibt da noch zwei Personen, die zur Familie gehören und nicht als Gäste einzustufen sind.«

»Ich weiß, ich weiß«, prahlte der Sergeant mit seinem Wissen. »Frank Glennford, ein entfernter Verwandter, den seine Lordschaft als Adoptivsohn angenommen hat, und natürlich Douglas Glennford, der jüngste Spross dieser hehren englischen Familie.«

»Der, der mir am meisten Sorgen macht«, grübelte der Melancholiker, woraufhin er plötzlich das Thema wechselte. »Mr. Tipsy, da, schauen Sie nach links. Die Kirchturmspitze von Glowchester City. Es scheint tatsächlich ein nettes Städtchen mit viel innerer Erwärmung zu sein. Der Wirt vom ›Harry zur See‹ soll laut Superintendent Frumingway einen berühmtberüchtigten heißen Grog brauen. Wie schade, dass unser Wegweiser nach rechts, nach Glowchester Castle weist.«

Andy Burke war sichtlich empört. »In einem früheren Leben müssen Sie der Inquisition angehört haben …«

»… oder den Folterknechten von Frank Glennfords ›Gerichtssaal‹, wo es für lüsterne Besucher nicht nur eine eiserne Jungfrau zu bestaunen gibt. Aber dem Himmel sei Dank, die Führungen durch das, was von der Burg übriggeblieben ist, beginnen erst Anfang Mai.« Der Melancholiker lächelte. »Ob mein fintenreicher Sergeant den richtigen Schlüssel für einen unbezahlten Eintritt hat?«

Sechs Schlüssel ins Jenseits

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