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»UNS GEHT’S SO. WIE GEHT’S EUCH?«
ОглавлениеOb installativ, ortsspezifisch oder im Theaterraum, bei allen Arbeiten fangen Gob Squad immer mit Räumen und Bildern an. Der Raum, der Ort gibt etwas vor, er ist das »Skript«, das Regiebuch. Dabei den Spielort jeweils neu als Begegnungsort zwischen Zuschauer*innen und Darsteller*innen zu thematisieren, gewann im Laufe der Zusammenarbeit eine immer größere Bedeutung. »Das Nachdenken über die Rolle des Zuschauers bzw. der Zuschauerin ist für uns zentral. Bei jedem Konzept fragen wir uns neu«, so Sharon Smith, »wie das Verhältnis zum Publikum gestaltet werden soll.«
Mittlerweile hat das Kollektiv diese Kommunikation mit den Zuschauer*innen immer weiter vorangetrieben und geradezu eine wahre Meisterschaft darin erlangt, zufällige Passant*innen oder das Publikum im Theater als Akteur*innen einzubeziehen.
Selbst der Theaterraum ist dabei für sie kein neutraler Ort, in dem Leute im Dunkeln sitzen und den anderen auf der Bühne zuschauen: »Wir können nicht einfach so vor einem Publikum stehen«, führt Sharon Smith aus. »Entweder wir versuchen, die Realität auf der Straße reinzuholen, oder wir beziehen die Zuschauer mit ein, die zur Vorstellung kommen.«
Ein absolutes No-Go ist jegliche Instrumentalisierung oder zynische Ausstellung des Gegenübers. Durch die Konstruktion sind die Beteiligten von vornherein geschützt und »gerahmt«, so dass sie immer gut aussehen und nichts falsch machen können. Dafür wurden verschiedene Verfahrensweisen entwickelt – von Kopfhörern, über die der jeweiligen Sprecher*in der Text souffliert wird, bis hin zu Kameras und schützenden Screens, die die Laien nicht wehrlos oder ausgestellt auf der Bühne stehen lassen.
Gob Squad’s Kitchen, 2007
Revolution Now!, 2010
Wie etwa bei Prater-Saga 3 (2004) mit Texten von René Pollesch, wo die vierte Wand tatsächlich installiert wurde, um das Bühnengeschehen per Kamera live darauf zu projizieren. So standen die auf der Straße »gecasteten« Mitspieler*innen nicht unmittelbar als Schauspieler*innen auf einer Bühne, sondern waren Teil der Direktübertragung in den Zuschauerraum. »Plötzlich wurden Texte so unvoreingenommen gesprochen, wie es uns als Performer*innen nicht gelänge. Diese Momente zusammenzubringen und die unterschiedlichen Qualitäten zu nutzen, interessiert uns zunehmend«, so Berit Stumpf.
In Revolution Now! (2010) begeben sich Gob Squad beispielsweise hinaus auf die Straße und lassen völlig unbekannte Passant*innen vor ihren Kameras sprechen. Menschen, die möglicherweise noch nie etwas von der Gruppe gehört haben und vielleicht auch nicht ins Theater gehen würden. Eine/r dieser Passant*innen landete sogar jeweils im Finale des Abends, ganz allein, eine Fahne schwenkend, auf der Großen Bühne der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Ein anderes Beispiel ist die Performance Western Society (2013), in der die auf die Bühne eingeladenen Akteur*innen über Kopfhörer Instruktionen erhalten und dabei nach und nach die Originalbesetzung der Gob-Squad-Spieler*innen ersetzen, um das Bild einer Familie in der westlichen Welt nachzustellen.
Wenn die Zuschauenden als Mitspieler*innen angesprochen werden, geht es nicht um Interaktion als Selbstzweck oder Mitmachtheater, das oft als peinlich oder angstbesetzt wahrgenommen wird. Es gibt keine Verkündigung von universellen Wahrheiten herab von der Bühne oder einem anderen Ort, stattdessen sagen Gob Squad: »Uns geht’s so, wie geht’s Euch?« Nicht alles zu wissen, Fragen zu stellen, die direkte Begegnung und der Austausch mit den Zuschauenden oder den Passant*innen sind wesentliche Bausteine der Aufführungen.
Mit Elementen der Popkultur oder Alltagserfahrungen und biografischem Material wird eine Sprache generiert, die alle verstehen können und die dem ausschließenden, hermetischen Moment des klassischen Dramenkanons etwas entgegensetzt. Auch die damit einhergehenden meist veralteten Geschlechterklischees sind so von vornherein ausgeschaltet. »Jede/r, die/der auf der Bühne steht, ist Co-Autor*in, und die Zuschauer*innen auch, wenn sie mit auf die Bühne kommen«, sagt Sarah Thom.
Wenn ein/e Passant*in in Super Night Shot (2003) herausgefordert wird, vor aller Augen auf der Straße »einen Hasen zu küssen« oder besser gesagt eine/n Performer*in mit Hasenmaske, dann geht es darum, gemeinsam eine Grenze zu überschreiten. In diesem Sinne dient Partizipation bei Gob Squad häufig dazu, einen außergewöhnlichen Moment mit dem Publikum oder einer/m zufällig Vorübergehenden herzustellen oder manchmal geradezu zu erkämpfen. Das Politische bei Gob Squad ist dabei nicht, wie so oft im Theater, nur Lippenbekenntnis, sondern von vornherein strukturell implementiert. Es ist in der Praxis bereits angelegt.
Nicht, was oder worüber man etwas macht, ist entscheidend, sondern wie man etwas macht. Wie hier Kunst gemacht wird, als Kollektiv und zusammen mit dem Publikum.
»Das Politische«, so Bastian Trost, »könnte bei uns in der Ersetzbarkeit liegen … Etwas in der Gruppe zu machen, etwas gemeinsam herzustellen, ist schon ein politisches Signal.« Das heißt auch: Es gibt immer mehr als nur einen gültigen Weg, und das kollektive Arbeitsverständnis ermöglicht ein Prinzip der Ersetzbarkeit, das dies zulässt und das nicht mit beliebiger Austauschbarkeit unter neoliberalen Vorzeichen zu verwechseln ist. Diesen Anspruch auch auf die Zuschauenden auszuweiten und dabei eine Eigenverantwortlichkeit aller Beteiligten zu ermöglichen, beschreibt einen wesentlichen Aspekt der Arbeit. Ausgehend davon, dass jede künstlerische Aktion Beziehungen zwischen Menschen herstellt, ist es für Gob Squad essentiell, Barrieren zu durchbrechen, Erwartungen zu unterlaufen und immer wieder neu den Versuch zu starten, eine Gemeinschaft zu bilden.
Berlin, 2014
Super Night Shot, 2003