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DIE MENSCHEN SIND NICHT DAS PROBLEM
ОглавлениеDem allgegenwärtigen Selbstoptimierungsdruck setzen Gob Squad ihre Suche nach solidarischen Momenten entgegen, nach einer Begegnung zwischen den Menschen, die dazu einlädt, Hindernisse zu überwinden und neue Blickwinkel einzunehmen. »Dass du mit wildfremden Leuten in Kontakt treten und etwas bewirken kannst«, sagt Simon Will, »das ist auch eine gesellschaftliche Utopie des Zusammenlebens.«
Be Part of Something Bigger – so betitelten sie dann auch das grandiose Fest zu ihrem 20. Jubiläum 2014 im HAU Hebbel am Ufer, dem internationalen Produktionshaus und bis heute langjährigen Berliner Kooperationspartner.
»Mit naivem, blindem Glauben an eine bessere Welt«, wie sie selbst sagen, zerlegen Gob Squad all das, was uns umgibt. Es wird neu zusammengesetzt und gegen die alltäglichen Widerstände augenzwinkernd und manchmal auch mit distanziertem Blick in ein anderes Licht gerückt. »Wir sind umgeben von Bildern, Musik, Vorstellungen. Hollywood erklärt uns«, so Sean Patten, »was Liebe und was Schmerz ist. Wir wollen die Klischees aufbrechen und herausfinden, was dahintersteckt.« Die Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt und schon zeigt es sich – die Menschen sind nicht das Problem. Wir müssen uns nicht ständig selbst befragen und selbst optimieren. Ganz im Sinne der Feststellung von Dietmar Dath: »Die Menschen sind schon gut genug.«
In der Hoffnung, dass etwas bleibt, schaffen Gob Squad einzigartige Gegenwelten. So haben sie, mit Kameras bewaffnet, einen Kampf gegen die Anonymität in der Stadt geführt (Super Night Shot) oder nächtelang ausschweifende Partys unter Beobachtung gefeiert (What Are You Looking At?). Sie haben sich unsichtbar gemacht und Kinder auf die Bühne gestellt, um ihnen beim Älterwerden zuzusehen (Before Your Very Eyes, 2011), oder sich durch Zuschauer*innen während ihrer Shows selbst ersetzen lassen (Gob Squad’ Kitchen und Western Society). Sie haben sich nachts mit Unbekannten in Hotelzimmern getroffen, um der Einsamkeit zu entkommen (Room Service) oder versucht, einem Roboter Gefühle beizubringen (My Square Lady, 2015). Sie haben auch versucht, nach fast zwanzig Jahren Zusammenarbeit, endlich das Unsagbare auszusprechen (Are You With Us?, 2010) oder den Brexit vielleicht doch noch zu verhindern (I Love You, Goodbye, 2019). Dabei sind großartige Unterhaltung und der Spaß am gemeinsamen Denken unverzichtbare Bestandteile einer gelungenen gemeinschaftsstiftenden Begegnung mit den Zuschauenden.
Eigentlich könnte man sagen, Gob Squad haben schon alles erreicht:
Sie haben in den letzten 25 Jahren um die fünfzig Projekte realisiert und sind damit weltberühmt geworden. Von New York bis Nowosibirsk haben sie auf großen und kleinen Bühnen gestanden, auf internationalen Festivals und in Kunstzentren Erfolge gefeiert und das Publikum in ihren Bann gezogen. Ihnen wurden diverse Preise verliehen, und es gab 2012 eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. In der internationalen Kunstszene haben sie sich einen Namen gemacht und in unzähligen freien und festen Häusern produziert. Sie erhalten regelmäßig – wenn auch immer noch viel zu wenig – Förderung von der Stadt Berlin und konnten im Laufe der Jahre ein großes internationales Koproduzent*innen-Netzwerk um sich scharen. Allem Gegenwind zum Trotz haben sie sich dabei als Kollektiv behauptet, Regeln durchbrochen und an Tabus gerüttelt.
Aber woran misst sich der Erfolg? Für Gob Squad sind es die unerwarteten, die utopischen Momente, das Unvorhersehbare und Ungesicherte. Immer wieder Fehler zuzulassen, unperfekt zu sein, je mehr, desto besser. Rauszugehen, es nochmal zu probieren, alles auf eine Karte zu setzen, sich Kompliz*innen zu suchen, vielleicht zu scheitern, aber immer weiterzugehen, um das Unmögliche möglich zu machen – das ist der Motor ihrer kollektiven Arbeit.
Würden sie sich dabei nicht immer wieder neu erfinden, wären sie nicht diese unverwechselbare Crew aus Berlin, die unverdrossen antritt, die Welt zu verändern. Das ist für sie das Mindeste und sei es nur für einen Augenblick.