Читать книгу Träumen - Gottfried Wenzelmann - Страница 14
3.2 Alfred Adler (1870–1937)
ОглавлениеBlickte Freud in seiner Traumdeutung überwiegend in die biografische Vergangenheit des Träumers, interessierte sich Alfred Adler14 für die zukünftigen Ziele, die sich im Traum zeigen. Adler sieht im Traum eine Bewegung vom Heute zum Morgen und sieht die Beziehungsgestaltung der Träumer als fundamental. Der Begründer der Individualpsychologie befasste sich in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig mit dem Streben nach Macht, der Überwindung des Minderwertigkeitsgefühls und der Bewältigung von Lebensaufgaben. Die Mischung dieser drei grundsätzlichen Lebensabsichten bildet das „Gemeinschaftsgefühl“ des Menschen; dieser Begriff ist für die Individualpsychologie grundlegend. Er ist individuell geprägt und wird in dieser Psychologie als der persönliche Lebensstil bezeichnet.
In diesem Rahmen interpretiert Adler die Träume: In seinem Umgang mit Träumen rückte Adler von Freuds Gedanken eines latenten Traumwunsches ab und verstand den manifesten Traum als Ausdruck des Lebensstils. Der Traum setzt den Lebensstil des Träumers in Szene. Man kann sagen, dass der Traum so etwas wie ein bildhafter Kommentar zur aktuellen Lebenssituation des Träumers darstellt. Entsprechend hat die Traumdeutung die Aufgabe, den Lebensstil der Träumenden, gleichsam das Bewegungsgesetz mit seinen in der Kindheit entwickelten Grundmustern, zu erschließen. So sagt der Traum für Adler zentral etwas über unser Denken, Fühlen und Handeln aus. Dabei kommen die Lebens-Grundüberzeugungen und die Ziele ans Licht, die etwas über die Ansichten des Träumers sagen, wie er sein Leben führt und Verantwortung wahrnimmt. Diese Lebens-Grundüberzeugungen können lebensfördernd oder – leider weitaus häufiger – lebensbehindernd wirken. Der Traum kann auf unbewusste neurotische und irrige Ziele hinweisen. Dazu kann die immer wieder auftauchende Strategie gehören, aus einem Empfinden von Minderwertigkeit oder Unvollkommenheit heraus unbewusst überwertige Lösungen anzustreben, um doch noch eine Überlegenheit oder die ersehnte Übervollkommenheit zu erreichen.
Zwei Fragen prägen das individualpsychologisch geführte Traumgespräch:
– In welcher Weise lässt der Traum den Lebensstil des Träumenden erkennen? Was sind seine Lebensziele und Absichten?
– Was sagt der Traum über das Verhältnis des Träumers zur Gemeinschaft?
Mit der Hilfe dieser beiden Fragestellungen sollen die Träumenden dazu geführt werden, neurotische Ziele zu erkennen und einen dysfunktionalen Lebensstil zu verändern.
Was ist zum individualpsychologischen Umgang mit Träumen zu sagen?
– Auf der positiven Seite hat Adler dazu beigetragen, die Engführung, die mit der Traumdeutung Freuds gegeben war, zu überwinden. Viele Träume lassen sich nicht auf ein sexuelles Problem hin deuten. Da erweist es sich als eine hilfreiche Blickerweiterung, in den Träumen den Lebensstil der Träumenden herauszuarbeiten.
– Adler hat ferner mit seiner Traumdeutung die soziale Verfasstheit des Menschen zentral in den Blick genommen. Mangel, Minderwertigkeit und Macht sind Faktoren, die stark emotional besetzt sind und in Träumen auf vielfältige Weise ihren Ausdruck finden.
Blicken wir auf die Grenze der individualpsychologischen Traumdeutung:
– Adlers Deutung der Träume hat eine erneute Einengung mit sich gebracht: Träume alleine unter dem Blickwinkel des Lebensstils und des Gemeinschaftsgefühls zu betrachten, schließt wichtige Bedeutungsgehalte der Träume aus. In Träumen können z. B. Emotionen betreffende Symbole erscheinen, die nicht auf die Hauptthemen der Individualpsychologie zu „trimmen“ sind. Gerade Träumen, in denen sich das Elend des Lebens unmaskiert zeigt, kann mit der einengenden Frage nach dem sich zeigenden Lebensstil eine Form von Gewalt angetan werden.