Читать книгу Radsporttraining mit der Methode Obree - Graeme Obree - Страница 6
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Als ich mit 15 einem Radsportclub in der Nähe beitrat, hatte ich keine Ahnung, dass ich einmal Weltmeister werden und mir den Stundenweltrekord sichern würde. Am Anfang fuhr ich einfach in Jeans und Steppjacke und hatte keinerlei Interesse, an irgendwelchen Rennen teilzunehmen. Am Radfahren fesselte mich die Aussicht, neue Horizonte entdecken zu können.
Ich hatte das Glück, dass ich in einem Verein unterkam, in dem ich von Anfang an eine Menge über die zwei wichtigsten Aspekte des Radfahrens lernte: über die Ausrüstung und über die spezifischen körperlichen Anforderungen dieses Sports. Weil ich knapp bei Kasse war, musste ich notgedrungen irgendwie das Beste aus gebrauchtem oder beschädigtem Material machen, aber das war eine hervorragende Schule, die mir beibrachte, was beim individuellen Aufbau eines Fahrrads funktionierte und was man lieber bleiben ließ. Schließlich landete ich doch relativ schnell beim Radrennsport, gleichzeitig unternahm ich jedoch auch weiterhin mit erfahrenen Vereinskollegen ausgedehnte Touren durch Schottland. Dies alles setzte einen Lernprozess in Gang, der bis heute anhält.
Mit einer Bahnmaschine, die noch aus Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg stammte, und einer Mischung aus (damals) aktuellen Trainingskonzepten und meinen eigenen Ideen wurde ich 1983 schottischer Juniorenmeister. Es war die Ära, in der neue Ansätze wie zum Beispiel Tempo-, Intervall- oder Krafttraining zusehends das alte »Friss so viele Kilometer wie möglich«-Mantra in Frage stellten. In diesem Vakuum an klaren Leitlinien entschied ich, dass es das Beste wäre, mich einfach an die Trainingsmethoden zu halten, die a) bei mir in der Praxis funktionierten und b) deren Logik auch in der Theorie einer sorgfältigen kritischen Analyse standhielt.
In den folgenden Jahren machte ich es mir zur Gewohnheit, jeden einzelnen Aspekt des Material-Setups, der Fahrtechnik, der Sitzposition, der Ernährung und des Trainings zu hinterfragen. Dies führte 1986 zur Entwicklung der geduckten Ski-Tuck-Position, die ich verwendete, als ich 1993 auf meinem selbstkonstruierten Rad »Old Faithful« einen Angriff auf den Stundenweltrekord unternahm. Die Jahre dazwischen verbrachte ich mit Analysen vieler weiterer Aspekte, die bei Radsport-Wettkämpfen und in deren Vorbereitung eine Rolle spielen und die zusammengenommen einen großen Einfluss auf die Effizienz eines Radfahrers haben.
Die »Methode Obree« wurde seinerzeit gern auf die besondere Ski-Tuck-Position verkürzt. Tatsächlich aber konnte ich schon bei meinem ersten Stundenweltrekord in jeder Hinsicht auf einen großen Fundus an Erfahrungswissen bauen, den ich mir in zahllosen Experimenten erarbeitet hatte: durch Versuch und – in sehr vielen Fällen auch – Irrtum. Am Tag, an dem ich den Stundenweltrekord brach, setzte ich mich auf ein Rad, das heute vor allem deshalb legendär ist, weil ich beim Bau Teile einer ausrangierten Waschmaschine verwendet hatte. Doch was die Leute nicht sahen, das waren meine Tritttechnik, die auf maximale Effizienz ausgelegt war, und meine ungewöhnliche Atmungskontrolle. Ebenfalls übersehen wurde mein unverwüstlicher Glaube an mich selbst und an meine Methoden. Dieses Selbstbewusstsein war allerdings nicht einfach Teil meiner Persönlichkeit. Vielmehr resultierte es aus der Erkenntnis, dass es unmöglich ist, eine optimale Leistung zu erreichen, wenn man nicht auch die Kraft des Geistes einsetzte.
Nachdem ich frühzeitig mit alternativen Trainingsansätzen experimentiert und mich in den 1980ern auch im Speedskating und als Triathlet versucht hatte, entwickelte ich irgendwann ein beinahe manisches Bedürfnis, alle möglichen Informationsquellen nach Dingen abzuklopfen, die mich womöglich weiterbringen könnten. Dies alles geschah in dem Bestreben, so etwas wie »Best Practices« für die athletische Herausforderung des Radfahrens zu ermitteln. Ich versuchte, jedes kleinste Detail aller denkbaren Ansätze zu analysieren, ganz gleich, ob diese Ansätze nun traditioneller oder kommerzieller Natur waren (wobei mir selbstverständlich klar war, dass es bei Letzteren vor allem darum ging, neue Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen). Um meinen Verstand zu schärfen, saugte ich so viele Informationen wie möglich aus Fachbüchern und wissenschaftlichen Studien auf, während ich gleichzeitig versuchte, nicht das Bewusstsein dafür zu verlieren, was sich richtig anfühlte.
Nachdem ich 1993 Stundenweltrekordler und Verfolgungsweltmeister geworden war, wurde meine geduckte Position von der UCI verboten. Mir blieb nichts anderes übrig, als dieselben Analysemethoden erneut einzusetzen – diesmal, um das Potenzial jener neuen Lenkeraufsätze zu maximieren, wie sie von anderen Fahrern in der Zwischenzeit verwendet wurden. Das Ergebnis war die Superman-Position mit komplett nach vorn ausgestreckten Armen. Mit dieser Position holte ich mir den WM-Titel zurück, und sie wurde mit großem Erfolg von anderen Fahrern kopiert, aber bald darauf ebenfalls verboten.
Ich machte weiter, notgedrungen mit konventioneller Sitzposition, und mit Hilfe meines Trainingswissens siegte ich 1997 bei der britischen Meisterschaft im Einzelzeitfahren – ein eindeutiger Beleg, dass ich auch dank athletischer Überlegenheit gewinnen konnte. Seither habe ich im Laufe der Jahre noch sporadisch (und durchaus erfolgreich) an Wettkämpfen teilgenommen. Und gerade auch weil ich kein Auto besitze, ist mein Interesse an den Leistungs- und Effizienzaspekten des Radfahrens erhalten geblieben. Im Rahmen weiterer Untersuchungen war es mir möglich, meine Atem- und Tritttechnik nochmals zu verbessern, und ich verfüge heute über einen Wissensschatz, der mir früher in meiner Karriere sicherlich sehr von Nutzen gewesen wäre. Schade, dass ich ihn damals noch nicht besessen habe.
Was ich Ihnen mit diesem Buch erläutern und an die Hand geben möchte, ist letztlich nichts anderes als mein eigener Modus Operandi: die »Methode Obree«. Rennradfahren als Breitensport hat in den vergangenen Jahren enorme Popularität erlangt, und insbesondere Anfänger müssen sich darauf gefasst machen, mit einer wahren Flut an (nicht selten widersprüchlichen) Ratschlägen bombardiert zu werden. Es ist gut möglich, dass Sie nicht alle Vorschläge, die Sie auf den folgenden Seiten finden, für sich selbst als sinnvoll erachten werden. Das ist überhaupt kein Problem. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass Sie in diesem Buch sämtliche Methoden, die sich für mich in Praxis und Theorie bewährt haben, detailliert kennenlernen können – nicht mehr und nicht weniger. Ich habe mein Bestes gegeben, um dabei so objektiv wie möglich zu bleiben. Aber das ist natürlich nicht immer machbar, und wenn eine Aussage nur meine persönliche Meinung darstellt, habe ich versucht, dies deutlich zu machen. Ich hoffe, dass sich meine Ansätze und Tipps auch für Sie als nützlich erweisen werden und dass Ihnen die Lektüre dieses Buch helfen wird, sich als Radsportler ein Stück weit zu steigern.