Читать книгу Blackout - Gregg Hurwitz - Страница 9
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ОглавлениеDer Küchenboden unter meinen Füßen fühlte sich so kalt an wie der Messergriff aus rostfreiem Stahl. Ich stand im Dunkeln und starrte auf den leeren Schlitz im Messerblock, in dem das Filetiermesser hätte stecken müssen. Ich hatte die Schiebetür zugemacht – hatte ich am Ende jemand mit mir eingesperrt?
Mit pochendem Herzen starrte ich angestrengt durch die Tür auf die Spuren, die ich für Fußabdrücke gehalten hatte. Die letzten waren auf dem Teppich zu sehen, dann kam der geflieste Boden.
Es war aber kein Schmutz, wie ich vorher angenommen hatte.
Es war Blut.
Einen Moment rutschte ich in völliges fassungsloses Grauen ab, richtiges Kleines-Kind-im-Dunkeln-Grauen. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich erwachsen war und folglich keine andere Möglichkeit hatte, als über meine Kindereien hinauszuwachsen und die Dinge in die Hand zu nehmen. Ich umklammerte den Schaft des Küchenmessers noch ein bisschen fester, dann bewegte ich mich langsam durch die Tür in den Flur. Vom Treppengeländer, das im Obergeschoss an der Seite des Laufstegs von meinem Büro bis zum Schlafzimmer entlanglief, spähte schon mal keiner auf mich herunter.
Die Fußspuren hörten auf dem gefliesten Boden nicht auf, waren jedoch auf den Steinplatten wesentlich schwerer zu erkennen. Aber dort, auf der zweiten, mit Teppich belegten Treppenstufe, war wieder deutlich ein blutiges C zu sehen. Ich blickte nach oben, wo die Treppe im Dunkeln verschwand.
Ich kämpfte meine Angst nieder und folgte der Spur. Auf jeder Stufe wiederholte sich der Abdruck.
Schließlich erreichte ich den Treppenabsatz. Die Fußspuren liefen direkt weiter in mein Schlafzimmer. Ich bewegte mich voran, wobei ich das Messer mit leicht nach außen gerichteter Klinge an meinen Unterarm gepresst hielt – wie ich es von einem erfahrenen Messerstecher gelernt hatte, als ich mal wieder Derek Chainers Repertoire erweiterte. Ich erreichte die Schwelle. Wappnete mich innerlich und sprang dann mit einem Satz ins Zimmer.
Doch dort war niemand. Nur auf dem Teppich am Fußende meines Bettes glänzte ... das Filetiermesser. Ich ging in die Hocke. Die Haut meines rechten Fußes war mit irgendetwas verschmiert, angefangen bei meinem kleinen Zeh und weiter den Rand meines Fußes entlang. Als ich hinfasste, merkte ich, dass auch meine Fingerkuppen dunkle Flecken hatten. Verschmierte Flecken auf dem Griff des Filetiermessers. Und an der Messerspitze. Mein Kopf begann sich ganz leicht zu drehen.
Als ich den Fuß anhob, bemerkte ich, wenn auch nur schwach, die C-förmige Spur, die ich auf dem Teppich hinterlassen hatte.
Mein eigenes Blut. Meine eigenen Fußabdrücke.
Ich schaltete das Licht an, legte das Küchenmesser aus der Hand und ging wieder zum Filetiermesser, das immer noch auf dem Boden lag. Ein unregelmäßiger, blutiger Fingerabdruck meines linken Daumens passte haargenau zu einem Abdruck auf dem Stahlgriff. Das Blut, das ich an den Fingern hatte – wahrscheinlich, weil ich vorher den Schnitt an meinem Fuß angefasst hatte –, hinterließ ebenfalls Spuren.
Meine Fingerabdrücke. Auf meinem Filetiermesser.
Ich wusch mir den Fuß in der Badewanne. Gemessen an der Menge Blut, die herausgekommen war, war der Schnitt relativ klein. Ein sauberer Schnitt, nicht länger als zwei Zentimeter, ungefähr einen Daumenbreit vom Gelenk des kleinen Zehs entfernt. Mit einem Heftpflaster war die Sache erledigt.
Immer noch fühlte ich mich ziemlich benebelt – war das Gangliogliom für einen Kurzurlaub zurückgekehrt? Ich versuchte mühsam auseinanderzudividieren, welche Befürchtungen jetzt vernünftig waren und welche nicht, musste jedoch feststellen, dass ich momentan zu keiner vernünftigen Betrachtung in der Lage war. Scheuchte mich hier irgendjemand wie eine Laborratte durchs Labyrinth? Entweder machte ich mich selbst verrückt, oder jemand anders hatte sich beträchtliche Mühe gegeben, um sicherzugehen, dass ich mich selbst verrückt machte. Ich schlang mir die Arme um den Bauch und blieb schaudernd auf dem Badewannenrand sitzen, bis ich zu guter Letzt nicht mehr anders konnte und das ganze Haus noch einmal abging. Ich machte überall Licht und suchte nach einer Leiche oder einem Einbrecher oder nach Allen Funt und seinem Team mit der versteckten Kamera.
Ich untersuchte die Tür nach Einkerbungen und Kratzern im Lack, aber alles war unversehrt. War ich schlafwandelnd ins Erdgeschoss gekommen und hatte die Tür selbst geöffnet? Warum hätte ich überhaupt hinausgehen sollen? Ich ging wieder nach oben und starrte verblüfft mein Bett an. Auch auf dem Bettzeug waren ein paar Blutschmierer zu sehen, auf demselben Bettzeug, in dem ich gerade von Genevièves Haus geträumt hatte. Ein bizarr lebendiger Traum. Währenddem ich schlafwandelnd ins Erdgeschoss gelaufen war, das Filetiermesser gegriffen hatte, wieder ins Bett gegangen war und mir einen Schnitt in den Fuß zugefügt hatte? Warum? Konnte ich keine produktivere Art der Selbstbestrafung finden?
Der Traum kam in seiner ganzen Bedeutsamkeit zurück, und da packte mich plötzlich die Erregung. Ich konnte nicht feststellen, ob ich einen vorübergehenden geistigen Aussetzer gehabt hatte, aber ich konnte etwas überprüfen, was ich tatsächlich wissen könnte. Wenn Genevièves Sprinklerkopf wirklich kaputt und der Untersetzer des Blumentopfs zerbrochen war, dann litt ich nicht nur unter Halluzinationen. Zumindest konnte ich bestimmen, ob ich in meinem Kopf ein Fragment der Nacht wiedergefunden hatte, in der Geneviève ermordet worden war.
Ich zog mich an und ging nach unten. In meinem Hybrid-Schuldgefühlmobil warf ich einen Blick auf den Kilometerzähler, als ob der mir die Rätsel erklären konnte, die ich selbst nicht knacken konnte. Auf einem Notizblock im Handschuhfach notierte ich den Kilometerstand und nahm mir vor, das ab jetzt bei jeder Fahrt zu tun, so dass ich in Zukunft feststellen konnte, wann ich mit meinem verblödeten Hirn mal wieder auf Spritztour ging.
Während ich auf dem Mulholland Drive auf einem Mondlichtsplitter dahinfuhr, fühlte ich mich, als würde ich gerade etwas Illegales tun. Wahrscheinlich tat ich das ja auch. Im Slalom fuhr ich hinunter bis nach Coldwater, wo ich für die scharfe Kurve hinter dem Straßenschild abbremste. Und da war ich wieder, wie ich in meinem Traum den steilen Abhang hochfuhr. Das Licht der Straßenlaterne, das durch die eigensinnigen Zweige eines Baumes fiel. Die zu schmale Straße, die noch in Zeiten angelegt worden war, als die Haushalte noch keine drei Autos hatten und ihre überschüssigen Jeeps am Bordstein parkten. Der Schweiß trat mir auf die Stirn, als wollte auch er ganz genau dem Drehbuch folgen. Vielleicht träumte ich jetzt ja auch gerade? Vielleicht hatte ich diese ganze Geschichte erfunden – und erfand sie gerade ein zweites Mal?
Die Haarnadelkurve kam bald, meine Reifen gaben das vorgeschriebene Quietschen von sich, und dann ragte auch schon Genevièves Haus über mir auf. Von hier wirkte das Gebäude einschüchternd – es duckte sich behaglich an die Flanke des Berges, seine Pfähle stemmten sich missbilligend in die Erde, als wäre mein Auto eine Ratte und das Haus eine Deutsche Dogge, die die Situation abschätzt.
Ich stieg aus und machte die Tür nicht hinter mir zu. Als ich das Rasenstück erreichte, sah ich den kaputten Sprinklerkopf und erstarrte.
Ich will, dass das nicht wahr ist. Ich will, dass das nicht passiert ist.
Vorher hatte ich nicht gewusst, dass dieser Sprinklerkopf kaputt war, erst jetzt, nach meinem Traum, in dem der Highlander auf den Gehsteig geholpert war. Was bedeutete, dass es kein Traum gewesen sein konnte.
O Gott, o Gott, ich war allein in meinem Highlander. Ich hin diesen Weg alleine hochgegangen. Ich habe den Schlüssel alleine gefunden. Nur ich war hier, niemand anders, nur ich.
Ich ging den Pfad hoch, wobei die Steinplatten lose unter meinen Füßen rutschten und sich kleine Erdstückchen aus den Ritzen lösten. Ich wusste, was ich jetzt finden würde, aber ich musste ganz sichergehen.
Die Bohlen knarzten, als ich die Veranda betrat. Das Haus war still und leer, wie ich gehofft hatte. Was für eine Ausrede konnte ich wohl vorbringen, wenn Schwester Adeline plötzlich an der Tür auftauchen würde?
Der Philodendron winkte mir aus seinem Terrakottatopf zu. Ich wischte mir die Handflächen an meiner Jeans ab und ging in die Hocke, bevor ich die Blätter beiseiteschob, um einen Blick darunter zu werfen.
Eine gezackte Linie verlief über den Tonuntersetzer, sie reichte fast bis zum Rand und sah aus wie ein Blitz.
Kein Traum.
Ein Stück meiner verlorenen Vergangenheit.