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Frühe Publikationen von Helene Lange und Minna Cauer zum Frauenwahlrecht

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In das Bild der zögernden und zaudernden bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung passt es schlecht, dass Helene Lange bereits 1896 einen wichtigen Aufsatz veröffentlichte, in dem sie sich dezidiert für das Wahlrecht aussprach.18 In diesem Text verweist sie darauf, dass durch Wahlen jeder die »Interessen seines Standes, seines Bildungskreises, seiner Scholle vertritt«19; durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts habe man diese Vertretungslogik auch anerkannt. »Bis auf eine Kleinigkeit«, fährt Lange fort. »Obwohl niemand an der oben ausgeführten Wahrheit ernstlich zweifelt, ist eine Fiktion doch immer aufrechterhalten worden, die nämlich, daß die Männer zugleich die Interessen der Frauen wahren.«20 Hier kann – so Lange – nur »die Frau der Frau« helfen, denn »so wenig ein Stand für den anderen, so wenig auch ein Geschlecht für das andere eintreten kann«, das leuchte jedem konsequenten Denker ein. »Erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine Stimmrecht zu etwas mehr als eine reine Redensart.«21

Im weiteren Verlauf des Artikels entkräftet Lange die ihr und allen Zeitgenossinnen wohlbekannten Gegenargumente wie: Kriegsdienst und Wahlrecht seien miteinander verschränkt oder die Frau verstünde nichts von Politik und wolle überhaupt das Stimmrecht nicht haben. Nur ein Argument wäre für Lange stark genug, um das Stimmrecht der Frau nicht zu fordern, und dies sei die Gefährdung des öffentlichen Wohls. Aber wie steht es denn um das öffentliche Wohl am Ausgang des 19. Jahrhunderts? Hier stellt Lange dem Männerstaat ein schlechtes Zeugnis aus. Die Völker stünden sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber, der Alkoholismus gedeihe und fülle die Zuchthäuser, ein Kampf aller gegen alle, Verarmung, Heimatlosigkeit, Jugendkriminalität, Prostitution und Egoismus greife immer weiter um sich. »Der rein männliche Staat in seiner starren Einseitigkeit«, so schlussfolgert Lange, »hat sich eben nicht bewährt. In dieser Überzeugung kann uns Frauen keine ›Belehrung‹ erschüttern, und sei sie noch so sehr von oben herab, im deutschen Professorenton gehalten.«22

Die eigentliche Frage sei also nicht, ob Frauen ein Wahlrecht brauchen oder nicht, sondern wie zu diesem zu gelangen sei. Die Zeiten, so Lange, stünden für eine Einführung nicht sehr gut. Die öffentliche Meinung stehe noch nicht aufseiten des Frauenstimmrechtes und viele Männer hätten noch nicht erkannt, dass die politische Frauenarbeit für das staatliche Gemeinwohl wichtig sei. Das eigentliche Problem sah sie aber im Desinteresse der Frauen selbst, die noch nicht verstanden hätten, dass sie selber es waren, die die öffentliche Meinung und die der Männer verändern müssten. »Und so ist uns der Weg gewiesen«, so Lange. »Es gilt einzudringen in die Arbeit der Gemeinden, in die Schulverwaltungen, die Universitäten, die verschiedenen Berufszweige, und überall zu zeigen: das kann die Frau. […] Der Weg ist weit; aber er ist kein Umweg.«23 Damit formulierte Lange eine Herangehensweise, die sie in den nächsten Jahr(zehnt)en immer wieder propagieren wird, der langsame Weg von der Kommune hin zur Staatsspitze. Damit schloss sie sich der liberalen Idee eines langsamen politischen Einflussaufbaus an, der vor allem von Hugo Preuß vertreten wurde, dem späteren Mitbegründer der liberalen Deutschen Demokratischen Partei. Dieser wies seit den 1880er Jahren immer wieder auf die prinzipielle Gleichheit von Gemeinde und Staat hin. Der Staat war als die gegenwärtig größte Körperschaft gedacht, in der alle Körperschaften ihren Zusammenschluss fanden. Alle Gebietskörperschaften waren jedoch wesensgleich und unterschieden sich lediglich in der Größe. Das heißt, dass alle mit grundsätzlich gleichen Rechten, Pflichten und Funktionen versehen waren.24 Helene Lange nutzte diese politische Theorie und machte sie für die Argumentationen der Frauenbewegung nutzbar. Sie hatte damit einen Weg gefunden, gleichzeitig das Frauenwahlrecht zu fordern und dies mit der praktischen Arbeit vor Ort zu verknüpfen.

Minna Cauer, die zusammen mit Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann als wortgewaltigste Vertreterin für das Frauenwahlrecht gilt, äußerte sich 1899 selbst ausführlich zum Wahlrecht. In diesem Jahr publizierte der Berliner Siegfried Cronbach Verlag ihr Buch mit dem knappen Titel: »Die Frau im 19. Jahrhundert«. Das Buch erschien in einer Reihe, die, kurz vor der Jahrhundertwende, verschiedene Rückschauen auf 100 Jahre »geistiger Entwicklung« warf. Cauer kam in ihrem siebten und abschließenden Kapitel, welches sich der Zeit ab der Reichsgründung bis 1899 zuwandte, auf das Frauenstimmrecht zu sprechen. Interessant ist, dass Cauer, wie Lange auch, ihrer eigenen Zeit ein ungünstiges Zeugnis ausstellte. »Klassenkampf, Rassenkampf, Interessenkampf, Kampf der Geschlechter! […] Trotz, Uebermut, Egoismus, Mangel an Verständnis bei den Herrschenden; Haß, Anfeindung, Märtyrertum bei den Besitzlosen.«25 Und doch gebe es Hoffnung auf eine neue Zeit, so Cauer, denn nun seien die Frauen auf die politische und gesellschaftliche Bühne getreten. Diese seien es, die in die Gesellschaft das einbringen könnten, was so dringend fehle: »Verständniß, Versöhnung, Ausgleich, Gerechtigkeit, Sitte und Sittlichkeit …«, und es sei die Frauenbewegung, in der »die wahre Kraft der deutschen Frau für ein solches Arbeiten, für ein solches Wirken [liege].«26 Um den Einfluss der deutschen Frauen erreichen zu können, müssten die Frauen endlich – so Cauer – das Stimm- und Wahlrecht erhalten. »Die deutschen Frauen wollen als Staatsangehörige im deutschen Reiche gelten und alle Pflichten, welche von ihnen gefordert werden, erfüllen. Dazu bedürfen sie der Rechte als Bürgerinnen.«27 Aber auch Cauer sieht, dass diese Forderung, kurz vor der Jahrhundertwende aufgestellt, nicht in kürzester Zeit und vor allem ohne große Mühen zu erreichen sein wird. Im Gegensatz zu Lange, die auf ein allmähliches Hinaufarbeiten der Frauen setzte, wollte Cauer den »Kampf um das Recht«28 aufnehmen und dafür die geschützte Atmosphäre der reinen Frauenvereine verlassen. »In die Männervereine müssen Frauen Zutritt gewinnen; ebenso müssen die Frauen nicht mehr abgeschlossen nur immer unter sich sein wollen. […] Die Sache erfordert jetzt Zusammenarbeit von Männern und Frauen.«29 Nur dann, wenn die Frauen es schaffen, auch die Männer von der Notwendigkeit des Frauenwahlrechts zu überzeugen, nur dann gebe es eine realistische Chance auf die Einführung des weiblichen Bürgerrechts – so Cauer.

Hier nun, bei der Debatte über den Weg zum Ziel, unterscheiden sich die beiden Protagonistinnen. Setzt Lange auf ein langsames und stetiges Vorwärtsschreiten von der kommunalen Ebene hin zur staatlichen Spitze, möchte Cauer durch klassische Interessenspolitik das Wahlrecht für die Frauen erringen. Sie möchte Verbündete suchen, die mit ihr das Frauenwahlrecht vertreten und letztendlich auch durchsetzen. Dazu bedarf es aber bei Cauer, wie bei Lange auch, der stetigen Anstrengung der Frauen, die zeigen müssen, dass sie reif für das Frauenstimmrecht sind.

Doch obwohl sich eindeutige Unterschiede im Hinblick auf den zu beschreitenden Weg zur Erreichung des Frauenstimmrechts zeigen, ist die Übereinstimmung in der Argumentationsweise doch recht erstaunlich. Nicht nur Lange weist auf den gescheiterten Männerstaat hin, auch Cauer tut dies, und wie Lange auch sieht sie die Lösung der Probleme in der Mitarbeit der Frau. Auch Cauer argumentiert also mit der Geschlechterdifferenz und nicht mit der Gleichheit, wenn sie auf die Notwendigkeit der Einführung des Frauenstimmrechts zu sprechen kommt. Interessant ist an dieser Stelle, dass Lange auf ein Agieren innerhalb von Frauenvereinen setzte, während Cauer eine Öffnung in Richtung Parteien andachte. Darin liegt sicher der größte Unterschied zwischen diesen beiden Positionen. Beide Wege aber verstanden sich als Methode, die Stimmung in der Bevölkerung zu drehen und damit das Frauenwahlrecht zu erreichen.

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