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Die Organisationsgeschichte. Das Frauenwahlrecht als Thema innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung

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Die bürgerliche Frauenbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte sich seit ihrem offiziellen Beginn mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenverbandes im Jahr 1865 in Vereinen und später in zusammenschließenden Dachverbänden organisiert. Sie nutzte damit das im 19. Jahrhundert populärste Organisationsmodell und partizipierte an der gesamtgesellschaftlichen Fundamentalpolitisierung, die sich den 1880er Jahren immer weiter durchsetzte.30 Die Frauenbewegung war sowohl Produkt als auch Produzentin dieser Politisierung, denn sie selbst pluralisierte die öffentliche Meinung und mobilisierte als Interessensverband die Öffentlichkeit. Als Hochphase vieler sozialer Bewegungen – wie der Frauenbewegung – gelten die Jahrzehnte zwischen 1890 und 1914, die Jahre zwischen Aufhebung der Sozialistengesetze bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.31 Von den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen profitierte auch die Frauenbewegung, die zwar bis 1908 in einigen Landesteilen (z.B. Preußen und Bayern) noch unter dem Verdikt eines sie einschränkenden Vereinsparagrafen stand; aber dennoch gelang ihr ab den 1890er Jahren ein enormer Mobilisierungsschub.

Als 1904 in Berlin der International Council of Women tagte, erreichte die Popularität der Bewegung einen ihrer Höhepunkte.32 Ulla Wischermann hat für diese Zeit vier große Arbeitsschwerpunkte der bürgerlichen Frauenbewegung herausgearbeitet. Dies war einmal die Verbesserung der Bildung – wozu auch die Zulassung von Frauen zu den Universitäten gehörte –, dann die Haus- und Erwerbsarbeit, die Frage der »Sittlichkeit«, vorzugsweise das Thema Prostitution, und last but not least die Forderung nach der politischen Partizipation. Der Kampf um das Frauenwahlrecht war also als Thema in dieser wichtigen Mobilisierungsphase selbstverständlich vertreten.33

1902 war für den Kampf um das Frauenstimmrecht ein sehr entscheidendes Jahr. Anita Augspurg gründete in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, und der Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung BDF nahm auf seiner fünften Generalversammlung in Wiesbaden den Kampf um das Frauenstimmrecht in sein Programm auf. Konkret wurde beschlossen, dass der Gedanke des Frauenstimmrechts nach Kräften gefördert werden sollte, »weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind«. Diese Resolution wurde einstimmig angenommen.34 Damit war der Kampf um das Frauenstimmrecht offiziell in das Programm des BDF aufgenommen worden.

Der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht, der sich 1904 in den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht (DVerbandFS) umbenannte, setzte vor allem auf Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Darüber hinaus wurden Petitionen verfasst, Flugschriften herausgegeben, Vorträge organisiert und vor allem Parteiarbeit betrieben, die darauf abzielte, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in die diversen (bürgerlichen) Parteiprogramme einzubringen.

Von Anfang an war klar, dass der DVerbandFS ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht forderte. Dies wurde auch auf der Generalversammlung 1907 in Frankfurt am Main noch einmal betont, als »mit überwältigender Mehrheit« eine revidierte Satzung angenommen wurde, in der dieses Wahlrecht als Programmpunkt gestärkt wurde. Hintergrund dieser Klarstellung war, dass die Sozialdemokratinnen immer wieder darauf verwiesen, sie seien die Einzigen, die sich für diese Art von Frauenstimmrecht einsetzten. Der DVerbandFS hoffte nun, allen Zweifeln »die Spitze abgebrochen« zu haben.35 Auf dieser Generalversammlung in Frankfurt am Main wurde auch beschlossen, die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Die Frauenbewegung von Minna Cauer aufzukündigen, die bis dahin als Publikationsorgan auch des DVerbandFS galt. Als Begründung wurde angeführt, dass der »Verband […] nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen Partei, ebensowenig einer Partei oder Richtung der Frauenbewegung«36 stehe und daher Die Frauenbewegung, das Blatt der »radikalen« Richtung, nicht mehr das offizielle Verbandsorgan sein könne. Stattdessen wurde eine eigene Zeitschrift gegründet, die Zeitschrift für Frauenstimmrecht, die von Anita Augspurg ab 1907 herausgegeben wurde. Diese scheinbare Nebensächlichkeit ist ausgesprochen interessant, weist sie nämlich darauf hin, dass der DVerbandFS sich zu diesem Zeitpunkt als Sammelbecken aller Frauenstimmrechtsbemühungen verstand und sich nicht »nur« im linken Lager verortete. Dies zeigte sich auch daran, dass der DVerbandFS sowohl Mitglied im Weltbund für Frauenstimmrecht, als auch im BDF war.37

1908 änderte sich die Situation schlagartig, als ein einheitliches Reichsvereinsgesetz in Kraft trat und die frauendiskriminierenden Sonderregelungen in diversen Vereinssgesetzen damit aufgehoben wurden. Ab diesem Zeitpunkt nahm die organisierte Stimmrechtsbewegung noch einmal richtig Fahrt auf, und die Mitgliederzahlen wuchsen enorm an. Was allerdings damit auch anwuchs, waren Kontroversen darüber, welchen genauen Inhalt die Frauenstimmrechtsforderungen haben sollten, bzw. darüber, welcher Weg zum Erreichen des Ziels sinnvoll sei. Klar war allen bürgerlichen Frauenstimmrechtlerinnen, dass die Arbeit der Frauen parteiübergreifend sein musste. Wenn aber – so fragten sich einige Mitglieder – ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht38 in den Statuten des DVerbandFS als Ziel stand und die Sozialdemokratie als einzige Partei dieses Wahlrecht forderte, war der Verband dann parteipolitisch neutral? Und: Wo war es sinnvoller für das Frauenstimmrecht zu kämpfen? In einem Frauenstimmrechtsverband oder auch oder nur in einer Partei? Erschwerend kam hinzu, dass der Landtag in Preußen nach wie vor durch das Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde. Vor allem Frauen aus dem preußischen Landesverband befürchteten, dass die Forderung nach dem allgemeinen usw. Wahlrecht für alle eine zu große Hürde für die preußischen Frauen darstellen würde. Da Minna Cauer als Vorsitzende des preußischen Landesverbandes des DVerbandFS konsequent auf der Forderung dieses Wahlrechts bestand, spalteten sich der westdeutsche und der schlesische Landesverband ab. Sie gründeten 1911 zusammen mit dem norddeutschen Verband eine eigene Organisation, die Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht (DVereinigungFS), die ein Frauenstimmrecht forderte, das dem der Männer entsprach – also wie etwa in Preußen ein Zensuswahlrecht, das Frauen einbezog.39

Auch personell kam es zu großen Veränderungen in den Frauenstimmrechtsvereinen; so legten Augspurg und Heymann den Vorsitz im DVerbandFS nieder, und Minna Cauer verließ den Preußischen Landesverband. Statt Augspurg führte ab 1911 Marie Stritt den Verband, der nur noch pro forma (und da sich die Gegnerinnen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten) das allgemeine usw. Wahlrecht für Frauen forderte. Es war aber auf der Generalversammlung 1913 mehr als klar geworden, dass die Mehrheit nicht hinter diesem Wahlrecht stand. Da Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sowie die bayerischen, hamburgischen, bremischen, Teile der badischen Landesverbände und ein Teil der Berliner Ortsgruppen, die Ortsgruppe Darmstadt und Einzelpersonen eine Fixierung auf das allgemeine usw. Wahlrecht verlangten, verließen sie schließlich den Verband endgültig und gründeten den dritten Frauenstimmrechtsverein, den Deutschen Stimmrechtsbund (DSRB).

Vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland somit drei bürgerliche Frauenstimmrechtsvereine. Einmal der 1902 gegründete DVerbandFS, dann die DVereinigungFS, die 1911 aus den ausgetretenen Mitgliedern preußischer Landesverbände gegründet worden war, und der DSRB. Minna Cauer fasste diese Entwicklung im Februar 1914 mit den Worten zusammen: »Es ist nunmehr genügend Auswahl vorhanden, so daß jeder sein Feld sich aussuchen kann; das konservative, das gemäßigte und das demokratische. Rechnen müssen die Frauen also jetzt mit diesen drei Richtungen der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland.«40

Wie lässt sich diese Organisationsentwicklung analysieren? Zuerst einmal wird m.E. deutlich, dass sich um das Frauenstimmrecht eben nicht nur der »linke« Flügel bemühte, sondern auch der »rechte«. Auch die sich als »konservativer« verstehenden Gruppen hatten sich für das Wahlrecht engagiert und Möglichkeiten gefunden, ihre politische Präferenz und eine Agitation für das Frauenstimmrecht miteinander zu verbinden. Das Schweigen des Dachverbandes BDF zu diesem Thema, welches in der Forschung als Nichtinteresse gewertet wurde41, wird bei genauer Betrachtung der Organisationsgeschichte zum normalen Umgang des BDF mit neuen Themen. Der BDF hatte bereits 1902 auf seiner fünften Generalversammlung den Kampf um das Frauenstimmrecht in sein Programm aufgenommen. Er verstand folglich die sich um das Stimmrecht bemühenden diversen Frauenstimmrechtsvereine als seine Aktionen für das Frauenwahlrecht – umso mehr als der DVerbandFS ja auch sofort Mitglied im BDF geworden war. Umgekehrt verstanden sich die Frauenstimmrechtsvereine als Mitglieder einer allgemeinen Frauenbewegung. Der BDF als Dachorganisation sah unter diesen Voraussetzungen überhaupt keine Veranlassung, sich zusätzlich noch mit dem Thema zu beschäftigen, es wurde ja bereits von der eigenen Frauenbewegung bearbeitet. Helene Lange ging 1902 sogar so weit zu sagen: »Herrscht doch über die einschlägigen Fragen – der Vereins- und Versammlungsfreiheit, wie das Stimmrecht – keinerlei Meinungsverschiedenheit innerhalb der deutschen Frauenbewegung.«42 Und auch noch 1910 formulierte sie in einem internen Schreiben an die ADF-Landesvorsitzenden: »Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß die Gegensätze innerhalb der Frauenbewegung, da sie im Wesentlichen nur Gegensätze der Taktik sind, nicht so entscheidend sind, um eine eigentliche Parteibildung notwendig zu machen.«43

Es gab also – wie übrigens auch in Großbritannien oder den USA – viele widerstreitende Meinungen im großen Feld der Frauenstimmrechtsbewegung, doch können diese nicht mit »radikal« oder »gemäßigt«, geschweige denn mit Zustimmung oder Ablehnung erklärt werden. Vielmehr sind die Unterschiede auf verschiedene taktische Herangehensweisen, aber auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die bürgerliche Frauenbewegung zum ersten Mal versuchte, ein dezidiert (partei)politisches Thema innerhalb ihrer sich als parteipolitisch neutral verstehenden Bewegung zu platzieren. Dabei zeigte sich, dass eine umfassende Frauensolidarität, die noch beim Kampf um das Bürgerliche Gesetzbuch von 1890 bis 1900 als Argumentationsgrundlage funktioniert hatte – da das BGB ja Frauen als Geschlechtsgruppe massiv diskriminierte –, in der Frage nach dem Wahlrecht nicht trug.44 Vielmehr wurde deutlich, dass der (partei)politische Hintergrund der Frauenbewegungsaktivistinnen eine viel größere Rolle spielte als die gemeinsame Opposition gegen den Ausschluss vom Wahlrecht.

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