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Demokratiegeschichte als Frauengeschichte

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Die Geschichte der Demokratie gibt sich gerne triumphal: mit wehenden Fahnen und geballten Fäusten, über Barrikaden stiebend und Mauern einreißend. Demokratische Staaten feiern Revolutionen als ein geradezu heiliges Erbe. Der Kampf – so die Erzählung – liege der Demokratie zugrunde, weil Menschen sich nach Partizipation sehnen und mit Macht und Gewalt um ihr Mitbestimmungsrecht kämpfen. Der zentrale Topos eines globalen Demokratienarrativs lautet: Demokratiegeschichte ist ein revolutionärer Kampf von unten gegen oben, und es liegt auf der Hand, dass diese Geschichte in aller Regel eine Männergeschichte ist.1 Entsprechend gestaltet sich die demokratische Ikonografie. Von den europäischen Barrikaden, über die philippinischen Freiheitskämpfer, von den bewaffneten Rebellen in Kenia bis zu George Washingtons Armee – die Geschichte der Ursprünge von Demokratie präsentiert sich der Welt als eine Geschichte von Männern in Waffen und im Aufruhr. Das Gesicht des bärtigen, bewaffneten Che Guevara wird in reichen und stabilen Demokratien gerne von jungen Männern als Konterfei auf dem T-Shirt getragen: Der für bestimmte Ziele gewaltausübende Mann ist die zur Popikone komprimierte Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie. Der Fall Kuba zeigt einen weiteren Erzählstrang: Paradoxerweise sind diese fast überall anzutreffenden Demokratie- und Freiheitsgeschichten spezifisch nationale Erzählungen.

Es ist also folgerichtig, wenn die politische Ermächtigung der Hälfte der Menschheit durch das Frauenwahlrecht in vielen Demokratiegeschichten kaum der Erwähnung wert erscheint. Der Stoff passt nicht in die Erzählanordnung, nicht in das »emplotment«, um mit Hayden White zu sprechen.2 Allenfalls die gewalttätigen Suffragetten in Großbritannien erhalten in der globalen demokratiehistorischen Hall of Fame ein Denkmal, und sie sind es, derer in Spielfilmen mit Starbesetzungen gedacht wird. Das Bedürfnis, Demokratiegeschichte als Geschichte des gewalttätigen Kampfes zu erzählen, verleitet also dazu, ausgerechnet eine kleine Minderheit unter den Frauenrechtlerinnen in den Fokus der Geschichte des Frauenwahlrechts zu rücken. Für Deutschland wird häufig behauptet, es sei die spezifische Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs gewesen, die das Wahlrecht hervorgebracht habe, und immer noch findet sich die Meinung, der Krieg sei der Vater des Frauenwahlrechts – womit die Bedeutung der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts formierenden Frauenbewegung ebenso missachtet wird wie die Komplexität des ganzen Prozesses überhaupt. Die Geschichte des Frauenwahlrechts wird also, wenn sie denn Erwähnung findet, in das nationale Erzählmuster von Revolution und Krieg gepresst.

Die Beiträge in diesem Band erzählen andere Geschichten, denn die Einführung des Frauenwahlrechts zwingt dazu, alte Narrative zu überdenken und den Blick zu weiten. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes zeigen dies quellengesättigt und an konkreten Beispielen. Dieser Band weitet das Feld in drei Richtungen, wobei er oft neuere Forschungsansätze aufnehmen kann: Erstens wird ein weiter Begriff von Politik und citizenship genutzt.3 Zweitens verstehen wir wie in der historischen Demokratieforschung länger schon gefordert und in der Frauengeschichte vielfach eingelöst Demokratiegeschichte transnational,4 und drittens legen wir einen Schwerpunkt darauf, wie Demokratie geschlechtlich praktiziert und erzählt wird – eine Erweiterung, über die in der politikwissenschaftlichen Forschung viel nachgedacht wird, weniger jedoch in der demokratiehistorischen.5

Was den ersten Punkt eines erweiterten Begriffs von Politik und citizenship betrifft, so sind die Anregungen der Historikerin Paula Baker fundamental, die von der »domestication of politics« während des 19. Jahrhunderts spricht: Das bedeutet einerseits die Inkorporation der häuslichen Sphäre in die Politik, andererseits die Zähmung des zuvor als männlich gedachten politisch-öffentlichen Einflussbereichs.6 So beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren dieses Buches mit dem Kampf für kommunale Armenfürsorge oder Prostitutionsregulierungen, sie denken Familien- und Wahlrecht zusammen, erzählen von Frauen-Lesesälen und Körperpraktiken auf offener Straße oder vom weiblichen Reden im Gerichtssaal. Diese »domestication of politics«, zu der wesentlich die Herausbildung des Wohlfahrtstaates gehört, einer zentralen Säule von Demokratie, fand bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen Höhepunkt.7

Auch Carole Pateman, die einen international vergleichenden Blick auf die Implementierung des Frauenwahlrechts wirft, verweist auf die Vorkriegsjahre. In dieser Zeit habe sich die Bedeutung des Wahlrechts überhaupt geändert. Mit dem Politikwissenschaftler C. B. Macpherson vermutet Pateman, dass durch die neue Machtfülle der Parteien das Wahlrecht gezähmt und daher weniger gefürchtet worden sei. International gesehen (insbesondere im Hinblick auf die partizipative Bedeutung der Parteien für die Massenmobilisation) aber erscheint uns ein anderer von Pateman genannter Faktor wichtiger: Mittlerweile galt das Massenwahlrecht nicht zuletzt dank der Entwicklungen in der Vorkriegszeit als unverzichtbare Voraussetzung für Herrschaftslegitimation. In Deutschland oder Frankreich war das nicht wesentlich anders als in Belgien oder in den USA.8 Diese Aufbrüche vor dem Ersten Weltkrieg sprechen für die These, die Historikerinnen wie Ute Planert, Sandra Stanley Holton oder Angelika Schaser seit längerer Zeit darlegen, dass das Wahlrecht für Frauen durch den Krieg eher hinausgezögert als befördert worden sei.9 Das Frauenwahlrecht kam auch in Deutschland nicht über Nacht, durch Krieg und Revolution in die Welt gestoßen.

Zur Bedeutung der Frauenbewegung gehörte die anwachsende internationale Vernetzung der Welt, die häufig als erste Globalisierung bezeichnet wird.10 Und das ist die zweite Perspektiverweiterung: Es lohnt sich, Demokratiegeschichte transnational zu verstehen. Die Beiträge von Malte König oder Hedwig Richter zeigen, dass die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung als integraler Teil der ersten Globalisierung um 1900, mit ihrer Transnationalität und als verstörender Faktor im aufkommenden Zeitalter der Extreme, dazu beitragen kann, die nationalen Erzählmuster zur Demokratie aufzubrechen.11 Wie erwähnt betonen gerade die Studien zur Frauengeschichte den globalhistorischen und transnationalen Aspekt der Demokratiegeschichte. Auch wenn sich Aktivistinnen häufig innerhalb dezidiert nationaler Diskurse bewegten, engagierten sie sich insbesondere im nordatlantischen Raum für die gleichen Bereiche und betteten fast immer das Wahlrecht in einen größeren Zusammenhang von Sozialreformen und speziellen Frauenrechten ein.12

Dabei bleibt es für die Analyse wichtig, der Frage nachzugehen, warum Demokratiegeschichten nationalen Narrativen folgen: Seit Demokratie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weithin zur Verheißung wurde und ein globales Renommee errungen hat,13 betrifft Demokratie das Selbstbild, die Selbstdarstellung – das, was Personen, Gruppen oder Nationen als ihre Identität präsentieren. Nationale Erinnerungskulturen und Historiografien sind unverzichtbar für diese Selbstkonstruktionen. Und so lautet eine unserer Thesen: Demokratiegeschichte hängt eng mit Identitätserzählungen zusammen, mit Vorstellungen von Gesellschaft, Nation und Staat und mit dem Verständnis von Herrschaft – allesamt geschlechtlich konnotierte, normative Begrifflichkeiten.14

Das erklärt auch die zahlreichen Exzeptionalismusgeschichten, die nationale Forschungen in verschiedenen Ländern zur Einführung des Frauenwahlrechts hervorgebracht haben – obwohl doch schon der Umstand, dass das Frauenwahlrecht in zahlreichen Ländern innerhalb weniger Jahre parallel eingeführt wurde, verdeutlicht, wie wenig plausibel rein nationale Erklärungen sind. Für Historikerinnen und Historiker in der jungen Bundesrepublik beispielsweise war es wichtig, die Frauenbewegung in das historische Narrativ einer von jeher deutschen Demokratiefeindlichkeit einzubetten: Unter Missachtung zahlreicher Parallelen in anderen Ländern diagnostizierten sie einen besonders starken deutschen Antifeminismus, eine besonders schwache oder besonders nationalistische oder besonders auf Mütterlichkeit absetzende Frauenbewegung im deutschsprachigen Raum, allein in Deutschland sei die Frauenbewegung stark zerstritten gewesen und habe nicht an einem Strang gezogen.15 Doch die Phänomene glichen sich in den verschiedenen Staaten.16 Kerstin Wolff untersucht in ihrem Beitrag, wie diese Erzählungen zu Deutschland entstanden und welche Rolle sie spielten – zur Stärkung des eigenen Lagers und Diffamierung der anderen etwa oder um sich aus taktischen Gründen weniger entschieden feministisch zu geben. Wolff kann aufzeigen, dass es der sich selbst als radikal bezeichnende bürgerliche Flügel der Frauenbewegung war, der die Meistererzählung für den Wahlrechtskampf vorgab, dem dann die frühe Geschichtsforschung folgte. Demnach habe sich der Großteil der deutschen Frauenbewegung nicht für das Wahlrecht interessiert.17 Ein Irrtum, wie beispielsweise im Beitrag von Susanne Schötz über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung deutlich wird.

Die Revolutionsnarrative bestärkten die nationalen Sondererzählungen. Die Demokratieunfähigkeit der Deutschen beispielsweise wird daran festgemacht, dass allein die Revolution von 1918/19 diesem Land das Frauenwahlrecht aufzwingen konnte (wobei ansonsten die deutsche Demokratieaversion gerade an der angeblichen Unfähigkeit zur Revolution nachgewiesen wird).18 So wird verständlich, warum Großbritannien seine militanten Suffragetten feiert und warum Deutschland sich nicht an seine Rolle erinnert, von der es im Zentralorgan der internationalen Frauenwahlrechtsbewegung »Ius Suffragii« 1919 hieß: Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland sei »zweifellos der bedeutendste Sieg«, der bisher je für die Sache gewonnen worden sei. »Deutschland«, so hieß es weiter, komme »die Ehre zu, die erste Republik zu sein, die auf wahrhaften Prinzipien der Demokratie gründet, dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für alle Männer und Frauen.«19 Der transnationale Zugriff bleibt allerdings nicht jenseits der Kategorie Nation; es geht vielmehr darum, die nationalen Geschichten transnational oder auch national vergleichend zu reflektieren und zu interpretieren.

Drittens schließlich wird mit der Erweiterung des Zugriffs die Reflexion darüber fortgesetzt, wie sich die nahezu exklusive Verbindung der Demokratiegeschichte mit Männlichkeit erklären lässt. Und zwar auf zwei Ebenen: Einerseits wurde Demokratie und Partizipation tatsächlich bis ins 20. Jahrhundert als männlich gedacht, konzipiert und praktiziert – man denke etwa an die dezidiert maskulinen Inszenierungen der Stimmabgabe im 19. Jahrhundert.20 Zweitens aber hat ein Großteil der Forschung zur Demokratiegeschichte diese tiefe geschlechtliche Durchdringung kaum in die Forschung einbezogen und beispielsweise die demokratische Männlichkeit tatsächlich wie die Zeitgenossen als »Universalität« verstanden. Nicht zuletzt der ideengeschichtliche Zugang zur Demokratiegeschichte spiegelt zuweilen eher die historische Geschlechtlichkeit von Demokratie wider, als dass er sie reflektiert, wenn er von den Männern auf der Agora bis zu den Arbeitern in Massenparteien alles integriert, aber mit den Frauen konsequent die Hälfte der Menschheit ausblendet. »Das Studium der historischen Texte ist ein wichtiger Teil«, erklärt Carole Pateman, »aber die meisten der gängigen Interpretationen der Texte übersieht nach wie vor die Tatsache, dass faktisch jede Theorie auf den Mann als den politischen Akteur hin entworfen ist.«21 Ein weiterer Politikbegriff nun ermöglicht es, beide Geschlechter in den Blick zu nehmen, indem er Entwicklungen einbezieht, die für Demokratisierungsprozesse unverzichtbar waren, wie den Ausbau des Wohlfahrtsstaats oder den Aktionsraum der Kommunen.

Mit dem dritten Punkt weiten wir also zugleich den Begriff von Demokratie. Vorstellungen und Deutungen von Demokratie haben sich immer wieder grundlegend verändert.22 Eine auf heutige Demokratievorstellungen fixierte, normativ festgelegte Definition erlaubt es kaum, Demokratieentwicklungen vor 1919 oder selbst vor 1945 sinnvoll zu analysieren – sei es in den USA (wo ein gewichtiger Teil der Erwachsenen bis in die 1960er Jahre de facto vom Wahlrecht ausgeschlossen blieb) oder in Europa (wo wie in Frankreich oder Großbritannien die Frauen erst zur Jahrhundertmitte das volle und gleiche Wahlrecht erhielten). Doch im Kern drehte es sich bei Demokratie stets um Vorstellungen und Praktiken von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit.23 Frauengeschichte nun drängt die Demokratieforschung dazu, sich erneut und konsequenter mit dem Konzept von Gleichheit auseinanderzusetzen. Die Forderung nach universaler Gleichheit und Freiheit stand seit dem Revolutionszeitalter im ausgehenden 18. Jahrhundert im Zentrum demokratischer Reflexionen: der Anspruch, dass die Gleichen kraft ihrer Freiheit die Herrschaft ausüben und in Freiheit ihr Leben gestalten.24 Durch diesen Universalitätsanspruch wird das Umstürzende der Moderne deutlich. Moderne Demokratie heißt in letzter Konsequenz die egalitäre Relevanz aller Menschen – gerade auch für die Herrschaft. Und damit rückt Geschlecht ins Herz der Forschung über Macht und Politik. Geschlecht konstituiert nicht nur Vorstellungen von Herrschaft, sondern trägt wesentlich zur Konstruktion des modernen Staates bei, was auch damit zusammenhängt, dass es zu den wirkmächtigsten Produzenten von Ungleichheit gehört.25

Der zähe Ausschluss der Frauen erweist sich im Kontext der allgemeinen Wahlrechtsgeschichte als überaus erklärungsbedürftig. Frauen bildeten eine der wenigen Gruppen, die intensiv und über einen langen Zeitraum hinweg um ihr Wahlrecht gekämpft haben. Während die Einbeziehung von immer mehr Männern im Verlauf des 19. Jahrhunderts häufig sogar von oben oktroyiert wurde, blieb Frauen das Wahlrecht trotz ihres Engagements über Jahrzehnte verwehrt.26 Und dieser Ausschluss gestaltete sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bemerkenswert unumstritten und stabil.27 Warum hielt die Exklusion von Frauen aus dem Gleichheitsverständnis so problemlos an? Diese immer wieder gestellte Frage bleibt essenziell, und die Forschung dazu reißt nicht ab.28 Daran schließt sich die Frage an, warum dann um die Jahre des Ersten Weltkriegs in vielen Ländern möglich wurde, was sich die Jahrzehnte zuvor schlicht als abwegig dargestellt hatte: die Anerkennung von Frauen als Gleiche, als politische Subjekte?29 Das wiederum führt zu der Frage, wie das universale Wahlrecht aufgenommen wurde und welche Wirkungen es hatte. Die Beiträge in diesem Band befassen sich mit diesen Fragen. Geordnet nach drei Gesichtspunkten tragen sie zu der geforderten Weitung des Blickwinkels bei, mit der die Neuordnung des Geschlechterarrangements – jene zentrale Entwicklung der Demokratisierung – nicht außen vor bleibt, sondern elementar die Analyse durchdringt: Raum, Körper und Sprechen – wobei alle drei eng miteinander verwoben sind und die meisten Texte mindestens zwei dieser Aspekte verdeutlichen.

Frauenwahlrecht

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