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In die großen Auseinandersetzungen unserer Zeit sind auch beide Kirchen involviert. Evident ist, wie sich gesellschaftliche Konfliktlinien im binnenkirchlichen Diskurs spiegeln. Auch hier gibt es – analog zu „Dunkeldeutschen“ und „Helldeutschen“ – „dunkle“ und „helle“ Christen. Erstere halten den Abendland-Begriff und seine Inhalte für bleibend wichtig, vielleicht für wichtiger denn je angesichts der aktuellen Situation, weil politisch-soziale Ausrichtungen maßgeblich vom kulturellen Humusboden beeinflusst werden. Weiter gehen sie in der Regel davon aus, dass das Kreuz auch in der Öffentlichkeit – also auch außerhalb der Sakristei und kirchlichen Räumen – eine Rolle spielt und weiterhin spielen sollte. Dass das Kreuz spaltet, ist dabei kaum zu leugnen. Diese Scheidung der Geister kann man wahrlich nicht erst seit dem Erlass der Bayerischen Staatsregierung von 2018 über die zwingende Anbringung von Kreuzen in behördlichen Einrichtungen feststellen. Ministerpräsident Markus Söder hat sich dadurch auch den Zorn aller Vertreter des Liberalkatholizismus zugezogen, wozu im deutschsprachigen Raum weite Teile des höheren Klerus zählen.

Auch das „helle Christentum“ ist leicht zu umreißen. Man wird im Regelfall dazugerechnet, wenn man sich möglichst laut von jenen Kräften distanziert, die allenthalben als Rechtspopulisten gescholten werden. Die Attackierten sind üblicherweise Mitglieder (oder Menschen im Umfeld) von Alternative für Deutschland, „Pegida“ und Identitärer Bewegung, obwohl es sich dabei um unterschiedliche Gruppierungen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen handelt. Positiv gewendet setzt sich diese (hier idealtypisch zu charakterisierende) Richtung für offene Grenzen und weitere Masseneinwanderung ein. Selbst an der Spitze der katholischen Kirche nehmen manche eine säkulare Trias als zu verwirklichende Hauptaufgabe (statt des Einsatzes zugunsten des Seelenheils) wahr: Menschenrechte, Migration und Klimawandel. Dem globalistisch eingefärbten Humanitärethos gebührt folglich ein hoher Stellenwert, vielleicht sogar der prioritäre.

Freilich ist jenseits tagespolitischer Debatten etwas allgemeiner auf die Rolle der Kirchen in der Gegenwartsgesellschaft einzugehen. Das Neue Testament, auf das sich die Vertreter christlicher Gemeinschaften natürlich zuerst berufen, ist schon vor beinahe 2000 Jahre entstanden, die dazugehörigen Bücher der jüdischen Bibel sind sogar noch weitaus älter. Trotz dieses langen Zeitraumes offenbart die Heilige Schrift immer noch ein normatives Potenzial, das interpretationsbedürftig und hermeneutisch in die Gegenwart zu übersetzen ist. Selbst intellektuelle Vertreter der Linken haben dies in den letzten Jahren von Neuem unterstrichen.12

Charakteristisch für die geistig-kulturelle Entwicklung in den westlichen Industriestaaten ist ein unübersehbarer Rückgang des Glaubens. Die harten Fakten der Demoskopie hierzu sind aussagekräftig. Trotz dieser Tendenz ist das Bewusstsein in öffentlichen Debatten nicht vollständig erloschen, dass Freiheit ohne bestimmte Voraussetzungen nicht auskommt, sich also nicht völlig allein generieren kann, wie die meisten heutigen Liberalen annehmen. Ein diskursiver Reflex der Annahme von spezifisch kulturellen und kulturgeschichtlichen Abhängigkeiten der Freiheit ist in der fast inflationären Präsenz des sogenannten Böckenförde-Theorems in den politischen, juristischen, journalistischen und sonstigen Gegenwartskontroversen zu erkennen.13 So vielfältig diese Doktrin auch zu interpretieren ist: Sie handelt – in indirektem Rekurs auf Hegel und Carl Schmitt – vom Anteil des christlichen Glaubens an der Genealogie der Freiheit, die keineswegs als geschichtslos zu begreifen ist. Besonders Hegel und andere idealistische Denker arbeiteten die christliche Wahrheit als maßgebliche Präsupposition von Moderne und Freiheit heraus.14 Dieser Zusammenhang erklärt wenigstens teilweise, warum das Modernisierungstheorem, das in den 1970er-Jahren die Diskussion dominierte, heute weithin als obsolet gilt. Danach muss der Glauben als Konsequenz der Moderne schrittweise verschwinden. Allerdings ist der religiöse Faktor zumindest in einem Punkt aufklärungsresistent: Kontingenzbewältigungspraxis erscheint ohne Bezug zur Religion – in welcher Art und Weise auch immer – unmöglich.15

Niemand kann bestreiten, dass sich religiös-ethische Grundsätze nicht eins zu eins in den Bereich der Politik übertragen lassen. Christus wirkt zwar bis heute im Nachhall seiner Worte und seines Tuns überaus politisch, sein primäres Streben lag jedoch in der Verkündigung des Reiches Gottes, war also stark eschatologisch ausgerichtet. Gerade die Scheidung von Kaiser und Gott ist als hochpolitischer Akt zu begreifen. Allerdings ist auch nicht zu bestreiten, dass in den entsprechenden politischen Implikationen (auch hinsichtlich der Genese der Demokratie) kein Schlüssel liegt, eine exakte Positionierung der Kirchen – um ein Beispiel anzuführen – in dem Disput zwischen linken und liberalen Eliten einerseits und ihren Gegnern andererseits vorzunehmen. Dazu ist auch die heutige Situation zu spezifisch. Sie unterscheidet sich von vielen Fragestellungen in der Kirchengeschichte zweifellos erheblich.

Trotzdem wird öfters versucht, aus bestimmten Prinzipien, die den Glauben ausmachen, Ableitungen bezüglich der politischen Verhältnisse in der Gegenwart vorzunehmen. Nur ist die Frage, welche Grundsätze das im konkreten Fall sind. Üblicherweise versuchen liberale und linke Theologen, die universalistische Ausrichtung des Christentums in die Mitte ihrer Deutung zu stellen. Man verweist gern auf das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter, auf den Taufbefehl, auf die berühmte Stelle im Galaterbrief über das Einssein „in Christus“, aber auch auf das Pfingstwunder, über das die Apostelgeschichte berichtet. Die Nächstenliebe ist ein Grundprinzip jedes christlichen Handelns. Sie verbietet gewiss Fremdenfeindlichkeit; denn auch mit dem ausländischen Bruder oder der ausländischen Schwester kann und soll der Christ im Geiste Christi verbunden sein.

Aber muss eine solche Haltung dazu führen, die Masseneinwanderung zu befürworten, die im schlimmsten Fall seelsorgliche Aktivitäten erschweren oder sogar unmöglich machen könnte? Das Gebot der Nächstenliebe macht eine solche Entscheidung nicht überflüssig. Gleiches gilt für die umfassende Ausrichtung. Der christliche Glaube stellt nämlich nicht nur eine ethische Handlungsanweisung dar, wie die Nächstenliebe sie im Gewissen bindend vorgibt; vielmehr verpflichtet er auch zur Annahme bestimmter Glaubensinhalte, die in der praktischen Seelsorge verkündet werden. Werden die Bedingungen für eine solche Verkündigung langfristig erschwert, was durch billigende Inkaufnahme einer übermäßigen Einwanderung aus kulturfremden Gegenden wohl der Fall sein dürfte, muss einer derartigen Migration auch aus christlichen Gründen ein Riegel vorgeschoben werden. Diese Dimension des Glaubens ist evident. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die Verbundenheit des Herrn mit seinem jüdischen Volk. Sein Vater sandte ihn zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“. Auch hier zeigt sich ein schwer entwirrbares Spannungsverhältnis. Die universalistische Kehre wurde wohl nicht von der Jerusalemer Urgemeinde in die Wege geleitet, wie der Ausgang des Apostelkonzils und der Streit um die Notwendigkeit der Beschneidung von Neuchristen in der frühen Kirche belegen; vielmehr stellte erst der Apostel Paulus mit seinem Wirken in der griechischen Kulturwelt entsprechende Weichen.

Bis heute ist umstritten, welches aus der Antike überlieferte Theorem den Kern des Christentums ausmacht. Manche führen das christliche Menschenbild, also primär die Gotteskindschaft, ins Feld. Durchaus plausibel erscheint noch eine andere Quintessenz im Hinblick auf die Anthropologie: die Beeinträchtigung menschlichen Handelns durch die Erbsünde.16 Das „peccatum“ ruft die Leidenschaften beim Menschen hervor, die Disponiertheit zur Schuld bei jeder einzelnen Handlung bis hin zur Zerstörung der eigenen Person oder anderer Personen. Hier wird das Wesen des Menschen berührt. Von Paulus über Augustinus und Luther bis zu konservativen Protestanten, etwa dem Philosophen Günter Rohrmoser, betrachtete man von einer solchen pessimistischen Sichtweise her auch das Zusammenleben im Staat. Diese Perspektive impliziert eine andere Positionierung des Christentums (auch in den Gegenwartsdebatten!) als die bloße Betonung universalistischer Lehrelemente. Die Knute des Obrigkeitsstaates rechtfertigte man in vielen theologischen Debatten mit dem Rekurs auf die Erbsündendoktrin.

Aufgrund der unspezifisch-unscharfen Erscheinungsformen des Christentums bezüglich der Welt und allen ihren Aspekten, auch den politischen, existieren liberale17, konservative18 und sozialistische19 Interpretationen. Die Zuordnung von Glauben und Politik war seit jeher schwierig und ist seit dem Untergang der Monarchie in vielen Staaten der Welt, besonders in Europa, nicht leichter geworden. Diese Problematik zeigt sich auch in den Debatten der unmittelbaren Gegenwart.

Die deutliche Mehrheit der Amtsträger der katholischen wie evangelischen Kirche erklärt unmissverständlich, dass es keine Unterstützung sogenannter populistischer oder rechter Strömungen (beides wird häufig synonym verwendet) geben dürfe. Der Mainstream der katholischen Publizistik sekundiert dieser Ansicht. Manchmal wird vorsichtig eingeräumt, dass die Fronten nicht so klar seien, wie es prima vista erscheine.20 Man verweist (neben anderen Argumenten) auf die demoskopisch belegbare Tatsache, dass es Donald Trump im US-Präsidentenamt nicht gäbe, hätte er nicht unter den evangelikalen und katholischen Christen viele Wähler gehabt. Die Notwendigkeit einer Differenzierung liegt schon deshalb auf der Hand, weil liberale und linke Eliten ein anderes Gesellschaftsbild verfolgen, unter anderem meist ein ganz anderes Bild von Ehe und Familie präferieren, als es der herkömmlichen Sicht von protestantischen und katholischen Christen entspricht. Andere Streitpunkte, die bis heute existieren, betreffen den Schutz des ungeborenen Lebens, aber auch die Schöpfungsordnung, die geschlechtliche Binarität einschließt. Zeitgeistkonforme Modernisten aus beiden Konfessionen unterstützen heute sogar die „Ehe für alle“ und Gender-Mainstreaming.21 Mit der kirchlichen Lehrverkündigung hat eine solche Einbeziehung natürlich nichts zu tun, eher mit einer willkürlichen Interpretation der überlieferten Botschaft und einer Geringschätzung der menschlichen Natur.

Eine umfangreichere, ausgewogene Darstellung über das Verhältnis von Christentum und Populismus bleibt ein Desiderat der Forschung. Eine solche Monografie müsste auch Veränderungen der Sichtweise über das Volk in beiden Kirchen berücksichtigen. Im katholischen Raum gab es bereits vor über einem halben Jahrhundert entscheidende Umbrüche: War Kirche im Grunde genommen vor dieser Zäsur stark elitär und in wichtigen Fragen primär oder ausschließlich auf den Klerus bezogen, kann man seither Neuorientierungen auf allen Ebenen beobachten. Der Gedanke des „Volkes Gottes“ wurde in der Theologie bereits vor dem Zweiten Vaticanum mitunter reflektiert22; infolge des Zweiten Vaticanums bekam er einen neuen Stellenwert, der sich seinerseits wiederum theologisch niedergeschlagen hat23. In linkskatholischen Aufbrüchen und Kreisen, etwa in Südamerika, erhielt er schnell eine politisch-progressive Ausrichtung. In den letzten Jahren ist man gegenüber dieser anscheinend demokratisierend wirkenden Redeweise wieder etwas kritischer geworden.24 Ein wichtiger Grund liegt in dem seit 1945 nicht mehr unproblematischen Verhältnis zwischen dem Alten und dem Neuen Volk Gottes (vor allem im Hinblick auf die Ablösung Israels durch die Kirche).

Sieht man von politischen Streitthemen im Einzelfall einmal ab, ist die Einordnung zwischen dem realen Christentum und sogenannten „Populisten“ auch aus einem anderen Grund nicht einfach. Die liberalen, längst global organisierten Eliten – nennen wir exemplarisch Angela Merkel, George Soros, Emmanuel Macron und Hillary Clinton – propagieren trotz aller unterschiedlichen Vorstellungen letztlich eine Agenda, die man vereinfacht als „Neue Weltordnung“ bezeichnen kann. Deren Eckpfeiler sind ein multilaterales Handelsnetzwerk, länderübergreifende politische Eingriffe und schrankenlose Migration. Dieser Gedanke von der „Einen Welt“, der wichtige Vorläufer in Freimaurertraktaten der Zeit der Aufklärung und noch danach erkennen lässt, ist vom katholischen Lehramt mehrfach verurteilt worden – und das mit Recht, wird doch auf diese Weise der Auftrag zur Bekehrung der ganzen Welt für rein profane Aktionen instrumentalisiert. Gerade deshalb ist es irritierend, wenn Papst Franziskus den Eindruck erweckt, er mache sich den vom „Wall Street Journal“ verliehenen Titel „Führer der globalen Linken“ zu eigen.25 Protestiert hat er dagegen nicht; jedenfalls drang nichts davon an die Öffentlichkeit. Zum globalistischen Habitus des gegenwärtigen Oberhauptes der katholischen Kirche gehört auch das Verfassen von gemeinsamen, stark relativierenden Erklärungen, wie 2019 in Abu Dhabi mit dem Kairoer Großimam geschehen.26 Dazu passt sein warmherziger Empfang der schwedischen Schulverweigerin Greta Thunberg, die von mächtigen, global operierenden Organisationen wie der radikalen Umweltgruppierung „Extinction Rebellion“ instrumentalisiert wird. Zur Debatte um den menschlichen Anteil am Klimawandel, dessen Bekämpfung spätestens seit der Gründung der UN-Unterabteilung IPCC als Teil einer weltumspannenden Agenda gilt, können pseudoprophetische Halbwüchsige jedoch nichts beitragen.27 Weiter werden Franziskus nicht zu Unrecht Vorlieben für die Auflösung von Nationen und Ethnien nachgesagt. Dessen ungeachtet führt historisch gesehen kein Weg von der katholischen Glaubenslehre zum liberalistisch-individualistischen Gedankengut der weltweit einflussreichen Eliten. An dieser Kluft ändert auch die Tatsache nichts, dass einige höhere Kirchenführer sich dem Establishment zugehörig fühlen. Wer die katholische Lehrverkündigung über die Jahrhunderte auch nur oberflächlich kennt, weiß um ihre liberalismuskritische Ausrichtung.

Nur am Rande zu erwähnen ist, dass Visionäre durchaus schon vor längerer Zeit den Schulterschluss des katholischen Kirchenoberhauptes mit EU-Kommissaren und Nichtregierungsorganisationen prophezeit haben. Zu erinnern ist an den im Original Mitte der 1990er-Jahre auf den Markt gekommenen, leider zu wenig rezipierten Roman „Der letzte Papst“ von Malachi Martin SJ (1921–1999).28 Der Autor, ein Geistlicher und zeitweiliges Mitglied der Gesellschaft Jesu, beschreibt eine kriminelle Kardinalsclique, die am Stuhl des amtierenden Nachfolgers Petri (Papst Johannes Paul II.) sägt. Schließlich tritt das Kirchenoberhaupt zurück. Das Ziel dieser verweltlichten Kurienmitglieder, die überlieferte Glaubenslehre zu einem humanitären Weltethos umzufunktionieren, ist in der Erzählung offenkundig. Heute kann man einiges von diesem fiktionalen Szenario in der Realität wahrnehmen.

Man mag mit Recht einwenden, dass die (wenigstens lehramtliche) Kluft von Kirche und Moderne lange zurückliegt. Das Zweite Vaticanum war sichtlich um die Zuschüttung wenigstens der ärgsten Gräben bemüht. Heute sind selbst die meisten höheren Amtsträger – für den weitaus größten Teil der Laien gilt der Konformismus ohnehin – um starke Anpassung bemüht, ungeachtet des Ratschlages des heiligen Apostels Paulus: „Nolite confirmari huic saecolo.“

Gibt es Affinitäten zu den sogenannten Populisten in einigen Staaten Osteuropas? Hier stellen „Populisten“ nicht eine Minderheit dar, sondern sogar die Mehrheit. Jedenfalls regieren sie. Natürlich gibt es keine zwingenden Korrelationen von christlichen Traditionen und den politischen Vorstellungen der Regierungen in Budapest und Warschau. Eine solche Annahme wäre wohl in der Tat eine unzulässige Vereinnahmung religiöser Gedanken zugunsten politischer Zwecke.

In Erinnerung zu rufen ist, dass Viktor Orbán in einem ideengeschichtlichen Exkurs seiner viel beachteten Rede vor jungen Ungarn in Rumänien am 26. Juli 2014 eine „illiberale Demokratie“ der liberalen gegenüberstellte.29 Konkret thematisierte er die tendenzielle Entmachtung des politischen Souveräns, des Volkes, in der liberalistischen Auslegung der Demokratie. Diese Variante offenbare Affinitäten zur Herrschaft mächtiger globaler Konzerne, Organisationen und deren Interessenvertretern in verschiedenen Regierungen. Besonders registrierte er die Einflüsse des „Open.Society“-Börsenspekulanten George Soros, der vor Interventionsversuchen in seinem Herkunftsland nicht zurückschrecke. Orbáns Vorwurf an die Repräsentanten der liberalen Demokratie lautete, wohl zugespitzt, aber im Kern zustimmungsfähig: Sie überhöhten ihr System und trügen die damit verbundenen prioritären Freiheitsrechte gleich einer Monstranz vor sich her, könnten diese aber immer weniger garantieren. Grund hierfür sei zuvörderst die Akzeptanz der Masseneinwanderung durch die dominanten Eliten. Die Schlussfolgerung angesichts dieser Lagebeurteilung lautete: „Die liberale Demokratie“, so Orbán, sei „nicht mehr in der Lage, die Würde der Menschen zu schützen, Freiheit zu schaffen, die körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten bzw. die christliche Kultur aufrechtzuerhalten.“ Auch an anderer Stelle hat er seine Aversionen gegen eine rein liberale Ausdeutung der Demokratie ausgedrückt, so in der Ansprache zur Lage der Nation am 19. Februar 2018 in Budapest: „Sie wollen, dass wir […] die Politik übernehmen, die aus ihren eigenen Ländern Einwanderungsländer gemacht und dem Niedergang der christlichen Kultur und der Expansion des Islam den Weg geebnet hat. Sie wollen auch, dass wir […] Länder mit gemischter Bevölkerung werden.“ Der wahre Europäer „verteidigt solche veralteten, mittelalterlichen Konzepte wie Heimat und Region nicht“30, so der Ministerpräsident, womit er den Standpunkt seiner Opponenten süffisant wiedergab. Diese beiden Schlüsselzitate liefern die Begründung dafür, warum er die Grundausrichtung der liberalen Demokratie im Widerspruch zu jener Spielart sieht, die er „christliche Demokratie“ nennt. Letztere korreliert Orbán zufolge in zentralen Punkten mit der „illiberalen Demokratie“. Natürlich ragen in den Reden Orbáns existenziell politische Akzente heraus; er will keine ideengeschichtlichen Traktate vorlegen. Dennoch lohnt ein Blick auf geistesgeschichtliche Traditionslinien, die durchaus für die praktische Politik relevant sein können.

Doch nicht nur in Reden führender Mitglieder der jetzigen ungarischen Regierung finden wir entsprechende Akzente. Schon die ungarische Verfassung von 2011 gibt die neue Grundausrichtung vor. In der Präambel heißt es: „Gott segne die Ungarn!“ Anhänger der linksliberalen Eliten, besonders in den Medien, schienen beim Blick auf dieses Gesetzeswerk wie vom Blitz getroffen. Im britischen „Guardian“ stellte ein Journalist fest, die Verfassung atme christlichen Geist und stelle einen neuen Wertekanon auf:31 Familie, Nation, Treue, Glaube und Liebe stünden im Fokus. Familie und Nation würden als Fundamente des Zusammenlebens begriffen. Besonders stieß den Linksliberalen in Europa das Bekenntnis zum „heranwachsenden Leben“ auf, das „ab dem Zeitpunkt der Empfängnis zu schützen“ sei, weiter das Verständnis von Ehe als Verbindung von Mann und Frau. Hier zeigt sich ein offiziell abgesegneter und partiell ins Recht transformierter Wertekatalog, dessen Inhalte man in Mittel- und Westeuropa nicht selten mit der Gesinnung „rechter Christen“ identifiziert.

Weitere Überlegungen zu Orbáns oben erwähnten Ausführungen finden sich in seiner politischen Umgebung. So verwies György Schöpflin, zeitweise Mitglied im EU-Parlament und aktiv in der Regierungspartei Fidesz, auf einige kulturelle Bruchlinien in der EU.32 Östliche Länder wie Ungarn seien lange Zeit Teile von Großimperien gewesen, welche die Modernisierung von Staat und Gesellschaft nicht selten unterdrückt hätten. Nach dem Niedergang dieser Mächte hätten autoritäre Lösungen oft als unvermeidlich gegolten. Diese kamen sowohl von nationalistischer Seite – das Regime des Reichsverwesers Miklós Horthy war eine Zeit lang mit dem Nationalsozialismus verbunden – wie auch von kommunistischer. Solche Formen von Kolonialisierung durch fremde Mächte, die bis 1989 das Schicksal Ungarns bestimmten, hinterließen Spuren im Geschichtsgedächtnis dieser Nation. Viele Bewohner haben noch die Unterdrückung erlebt oder kennen sie zumindest vom Hörensagen. Sie sind durchaus sensibel für die Gefahren äußerer Oktrois. Heute werden diese stark mit „Brüssel“ identifiziert. Jedenfalls blieb Ethnizität ein zentraler Anknüpfungspunkt zur Bewahrung der eigenen Identität.

Besonders auch in Polen ließ sich der ethnische Faktor nicht von religiösen Hintergründen trennen. Widerstände gegen die kolonialisierende Dimension der liberalen Demokratie sind auch in der katholischkonservativen Publizistik dieses Landes immer wieder Thema. Einer ihrer führenden Vertreter, der Krakauer Philosoph Ryszard Legutko, einige Jahre Abgeordneter im EU-Parlament, konstatiert in seinem Buch „Der Dämon der Demokratie“ einen totalitären Grundzug im realen westlichen Liberalismus der unmittelbaren Gegenwart.33 Legutko umschreibt die „erstickende Zudringlichkeit“ in diesem Modell folgendermaßen: Jede scheinbar siegreiche politische Formation, die sich am „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) wähnt, neige zu Arroganz und Verabsolutierung. Legutko erwähnt den ersichtlichen Willen, Ehe, Familie, Gemeinschaftsleben, Sprache und Sexualität zu regulieren. Als Stichworte hierzu seien lediglich Gender-Mainstreaming und der Hang zur politischen Korrektheit angeführt. Auffallend sei der jakobinische Gleichheitsfuror, der alle Teile der Gesellschaft durchdringe. Weiter stellt Legutko völlig zu Recht fest, dass in etlichen EU-Staaten eine Inflation von Ansprüchen zu beobachten sei. Ihnen stünden jedoch keinerlei (oder kaum) Verpflichtungen gegenüber. Dieser Trend könne das Gemeinwesen nur schädigen.

Wesentlicher Hintergrund der von Orbán vorgenommenen Zuordnung, die das linke und liberale Establishment zutiefst verstört, ist der indirekte Bezug auf das abendländische Geschichtsgedächtnis. In Ungarn ist dieser Grundzug aufgrund der geschichtlichen Erfahrung des Landes und der vergleichsweise größeren Bedeutung dessen, was man „Kollektividentität“ nennen könnte34, deutlich stärker gegenwärtig als in anderen Teilen der EU. Ein nicht geringer Teil abendländischer Identität liegt in ihrer abgrenzenden Natur vor allem gegen islamistische Invasoren; herausragenden Stellenwert besitzen daher Orte wie Tours und Portiers, Lepanto oder Wien. Im Zeitalter verstärkter weltweiter Kulturkämpfe ist eine solche Diagnose nicht überraschend. Freilich findet sie in der Publizistik und im wissenschaftlichen Schrifttum hierzulande vergleichsweise wenige Befürworter, anders als Großunternehmen, welche die Weltlage eher verharmlosen, wie das im Freimaurergedankengut wurzelnde „Projekt Weltethos“35, das vor über einem Vierteljahrhundert von dem Tübinger Theologen Hans Küng initiiert worden ist und inzwischen viele Folgebände hervorgebracht hat36.

Abseits dieses Hauptstromes gibt und gab es durchaus nicht nur humanitär verbrämte Ignoranz. Statt anderer alternativer Traditionslinien ist kurz auf diejenige einzugehen, die von Carl Schmitt zu Robert Spaemann und weiter zur Identitären Bewegung führt37, deren Aktivismus durchaus kritikwürdig ist, deren Gedankengut aber nichtsdestotrotz eine gerechte Würdigung verdient38. Diese Richtung, so heterogen sie anmutet, unterscheidet die ethischen Impulse, die zum Wesen des Glaubens gehören, etwa die Nächstenliebe, von den Inhalten des Glaubens. Diese beiden Dimensionen klafften im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder einmal auseinander, was heute oft in kirchenkritischer Absicht reflektiert wird. Gegenwärtig sieht es so aus, als sei die ethische Dimension übermächtig. Dieser Augenschein rührt daher, dass das Christentum besonders in den wohlhabenderen Staaten des Westens längst keine „heiße Religion“ (Rüdiger Safranski) mehr darstellt. Religion prägt in den meisten Fällen den Alltag auch der nominellen Christen nicht mehr. Bereits bedeutende Kulturkritiker des 19. Jahrhunderts wie Dostojewski haben hervorgehoben, dass der Glaube erst dann relevant werde, wenn er grenzziehend wirke. Davon ist in unseren Breiten wenig zu spüren. Das geistig-kulturelle Vakuum ist unübersehbar und bestimmt weithin den Alltag.39 Bei vielen Muslimen kann man hingegen andere Beobachtungen machen.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Positionierung von Glauben und Christentum in den Gegenwartsdebatten ist aufgrund der Veränderungen der letzten Jahre nicht so einfach, wie es bei der Rezeption durch die deutschsprachige Publizistik den Anschein hat. Vernimmt man den kirchenamtlichen Hauptstrom beider Konfessionen, so sind die Relationen klar: Rechte Phänomene lassen sich demnach mit christlichen Lehrmeinungen wie auch mit christlicher Ethik nicht vereinbaren. Konkret gelten demnach AfD, „Pegida“ und Identitäre Bewegung als pauschal widerchristlich. Doch bei genauerem Hinsehen sind nicht nur einzelne Forderungen dieser Gruppierungen mit diversen Aussagen des kirchlichen Lehramtes zu verbinden. Weiter ist festzustellen, dass höhere kirchliche Amtsträger in östlichen Ländern Europas vieles von dem verlautbaren lassen, was hierzulande in den Geruch eines perhorreszierten „rechten Christentums“ kommt. Der Widerstand gegen die zunehmende Islamisierung ist dabei nur eine wichtige Forderung.

Da der 2018 erschienene Sammelband „Rechtes Christentum?“40, der bereits bei seiner Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst des Jahres Aufsehen erregte, einige Facetten dieser Strömung hervorkehrt, möchte der hiermit vorliegende Folgeband weitere Themenfelder präsentieren. Die Bezeichnung „rechtes Christentum“ berührt schon begrifflich zwei Dimensionen des Glaubens: die des rechten Bekenntnisses im Sinne der Orthodoxie und die der Verbindung mit politisch konservativen sowie nationalen Erscheinungen, soweit sie innerhalb des christlichen Credos zu verorten sind. Die Linksverschiebung beider Kirchen, vor allem von deren Leitungen, wird als grundsätzliches Problem gesehen. Denn sie ist natürlich nicht die einzig mögliche politische Auslegung des überlieferten Glaubensgutes. Es gibt auch andere legitime politische Implikationen.

Wie beim Vorgängerband möge der Leser auch hier keine „rote Linie“, kein Mosaik, keinerlei einheitliches Bild erwarten. Wir präsentieren eine Vielfalt an Stimmen, die keine „Schule“ und erst recht keine „Front“ vertreten wollen, sondern ein Denken und ernsthaftes Suchen abseits des theologischen und kirchenpolitischen Hauptstroms.

Thomas Wawerka widmet sich einer eingehenden Untersuchung der theologischen Leitbegriffe „Nächstenliebe“ und „Barmherzigkeit“. Er analysiert ihre Verwendung in der aktuellen politischen Diskussion und arbeitet die Unterschiede zu ihrer Verwendung in der christlichen Ethik heraus. Besondere Beachtung erfährt dabei die Methode des moralischen Framings und die Frage, warum sie so effektiv funktioniert. Nach einem Exkurs zum christlichen Ideal der Liebe interpretiert Wawerka das Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ durchaus konträr zum kirchlichen Mainstream und kommt zu überraschenden Einsichten. Abschließend plädiert er für eine Dekonstruktion des „Totalaltruismus“ und seine Ersetzung durch eine „Ethik des sozialen Nahraums“, als deren Resultat er die Entfaltung einer besseren karitativen Wirksamkeit erwartet.

Godehard Michaelis untersucht, welche Bedeutung und Bewertung den Bezugsgrößen „Volk“ und „Nation“ im Laufe der jüdisch-christlichen Geschichte beigemessen wurden. Er stützt sich dabei auf die Aussagen der Bibel sowie auf Ausschnitte theologischer Texte älteren und neueren Datums. Das dabei entstehende Bild zeigt die Ordnung der Menschheit in Völker bzw. Nationen als konstitutive und theologisch gerechtfertigte Ordnung sowie die Anerkennung dieser Ordnung und die Sorge um ihre Bewahrung als ethische Verantwortung, die aus dem christlichen Glauben resultiert.

Felix Dirschs ausführlicher Beitrag legt die Bezeichnung „rechtes Christentum“ im Sinne eines heimat- und volksnahen Verständnisses aus. Dieses grenzt er von einer Umfunktionierung des Christentums in den weiten Rahmen einer globalen Agenda ab. Er betont die Notwendigkeit einer universalistischen Dimension des Christentums, wofür es in der Heiligen Schrift diverse Anhaltspunkte gibt. Allerdings lassen sich diese Aussagen nicht in eine (zumeist entleerte und widerchristliche) One-World-Ideologie transformieren. Zur „Neuen Weltordnung“ zählt zentral die profane Trias zwischen Menschenrechten, Migration und der These vom primär menschengemachten Klimawandel. Ihre Umsetzung lässt entscheidende Nachteile für die einheimische Bevölkerung erkennen, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. Rechtes Christentum bekämpft stets sämtliche Facetten einer „cucked christianity“, wie sie in den USA heißt. Gemeint ist damit ein Glaube, der die Selbstbehauptung der eigenen Kultur und des eigenen Staates nicht fördert, sondern unterminiert. Natürlich kann man dagegen einwenden, die Hauptaufgabe des Glaubens sei eine andere, nämlich das Heil in Jesus Christus zu vermitteln. Das ist nicht zu bestreiten. Aber die Basis zur Erreichung dieses Zieles berührt nun einmal die kulturellen Grundlagen des Eigenen. Das abendländische Christentum, um ein einleuchtendes Beispiel anzuführen, besitzt eine exzentrische Dimension in dem Sinne, dass wichtige kulturelle Grundlagen ursprünglich von außerhalb der eigenen Grenzen kommen. Sein Glaubensgut wird freilich spezifisch durchdrungen und bekommt eine neue Form, ohne seine Inhalte substanziell zu verändern. Der Paradigmenwechsel, den der Glaube im Abendland durchlaufen hat, war durchaus ein mehrfacher.41 Früher – als der Germanenbegriff noch unbelasteter verwendet werden konnte als heute–sprach man von der kulturellen Vermengung von Germanentum und Christentum. Diese spezifische Mixtur galt lange Zeit, mitunter auch noch heute, als Quintessenz des abendländischen Geistes. Dieser war stets übernational ausgerichtet, stellte aber die Existenz verschiedener Nationen und Völker nicht infrage. Bereits im Mittelalter erwies sich dieses Spannungsverhältnis als fruchtbar. Im Abendland-Begriff liegt bis heute ein großer Teil unserer Identität, die stets von außen herausgefordert wurde und bis heute wird – wenngleich in anderer Weise als in der Vergangenheit. Ohne das abendländische Christentum gibt es auch keine abendländische Kultur mehr. Von dieser Erkenntnis, die manchen vielleicht als zu hoch gegriffen erscheinen mag, blitzte ein wenig auf, als am Abend des 15. April 2019 die Nachricht des Brandes der altehrwürdigen Kathedrale Notre-Dame in Paris viele schockierte. Handelte es sich dabei um einen symbolischen Untergang des Abendlandes, den man schon so oft verkündet hatte?

Lothar Mack begibt sich mit dem deutsch-jüdischen Philosophen Eugen Rosenstock-Huessy in einen intensiven Gedankenaustausch zum Thema „Deutschland als Heimat“, aus dem eine Art prophetische Meditation resultiert. Der Austausch erfolgt über eine Zeit von hundert Jahren hinweg, geht aber dabei doch von so frappierend übereinstimmenden Bedingungen der geistig-geistlichen Situation und Verfasstheit aus, dass die damals gewagten Gedankenwürfe auch Licht in unsere Gegenwart bringen und sie klären helfen können. Der Tendenz zur politischen, kulturellen und intellektuellen Selbstverschließung unserer Zeit setzt Lothar Mack den tastenden Aufbruch ins Offene, Dunkle und noch Unerkannte entgegen.

Daniel Zöllner steuert eine kulturphilosophische Betrachtung zu Europa als Ursprungsort und ideengeschichtlichem Entwicklungsraum der Säkularisierung bei. Die Säkularisierung wertet er im Unterschied sowohl zu einem linken Geschichtsverständnis, das in ihr die positive Überwindung des Christentums versteht, als auch zu einem rechten Geschichtsverständnis, das in ihr die negative Entfremdung vom Christentum sieht, als notwendige Konsequenz des christlichen Glaubens selbst. Als Kronzeugen ruft er dabei den jüdischen Philosophen Jacob Taubes und den zu Unrecht in Vergessenheit geratenen jungkonservativen Theologen Friedrich Gogarten auf. Zöllners Sicht legt nahe, dass Europa als Kulturraum aus der Verbindung von Christentum und Säkularisierung entstanden ist und nur durch deren bleibende Verbindung als solcher bewahrt werden kann.

André Thiele versucht in einem kurzen, aber prägnanten Essay, Realität und durchaus antibürgerliche Radikalität des Kreuzes als Einbruch einer absoluten Gegenwelt ins Politische jeder Art zu fassen.

Marc Stegherrs Aufsatz thematisiert die katholischen Traditionalisten, ein mittlerweile weitgespanntes Netz aus Priesterbruderschaften und Interessengruppen. Diese eint ihre Ablehnung der Anpassung der kirchlichen Lehre und Liturgie an progressive, linksliberale Zeitströmungen. Sie deshalb als politisch rechts zu bezeichnen, greift zu kurz und wird der Problematik nicht gerecht. Man versucht damit, die substanzielle Kritik der Anhänger der Tradition, ihre paradigmatische Anfrage an die Kirche, ob sie aus der Tradition lebt oder sich quasi täglich „neu erfindet“, ins Politische abzuschieben und zu stigmatisieren. Auch sind die Ansätze und Charismen der verschiedenen Gemeinschaften der Tradition trotz generell gemeinsamer Anliegen zu heterogen, um sie – wie es oft geschieht – auf den simplen und im Grunde unscharfen Nenner des „Traditionalismus“ zu bringen.

Jaklin Chatschadorian formuliert eine Fundamentalkritik am christlich-islamischen Dialog. Werden seitens der Politik und der Leitmedien durchweg die Erfolge dieses Dialogs beschworen – bzw. bereits der Dialog an sich zum Erfolg erklärt –, deckt sie Missverständnisse und Falschdarstellungen auf, die bisher noch nirgendwo Eingang in die Berichterstattung gefunden haben. Sie erklärt, was unter dem Stichwort der Islamisierung zu verstehen ist, warum dies kein eingebildeter, sondern ein höchst wirklicher und wirksamer Prozess ist und warum gerade der mit zu vielen irrigen Hoffnungen überfrachtete „Dialog“ kein echter Dialog ist, sondern zum Katalysator der Islamisierung geworden ist. Als Juristin denkt sie vornehmlich von der rechtlichen Sicht auf die Phänomene her, verfügt aber gleichzeitig über vielfältige persönliche Erfahrungen im Bereich der Integrationspolitik. Ihre Kritik richtet sich ebenso sehr gegen den Tunnelblick der christlichen Seite wie gegen die Haltung der islamischen Seite und regt zum grundsätzlichen Überdenken der bisherigen Voraussetzungen und Umsetzungen des christlichislamischen Dialogs an.

Volker Münz sieht im Populismus eine Reaktion auf Krisensymptome der Demokratie, welche angesichts der wachsenden Kluft zwischen der Minderheit der Gewinner und der Mehrheit der Verlierer der Globalisierung zutage treten. Er bricht eine Lanze für einen wohlverstandenen Populismus, der eine christlich-konservative Politik unterstützen kann.

Daniel Führing arbeitet in seinem Aufsatz die Quintessenz des vielfach auslegbaren Naturrechts heraus, das der damalige Papst Benedikt XVI. 2011 in seiner Bundestagsrede als große Errungenschaft des abendländischen Geistes herausgestellt hat. Naturrecht ist nicht ohne das Richtmaß der Vernunft zu denken. Aus der schon seit Generationen feststellbaren Abkehr vom Naturrecht und aus der Dominanz des rein formalistischen Rechtspositivismus resultieren verschiedene Deformationserscheinungen wie die „Ehe für alle“ oder die Abirrungen des Gender-Mainstreamings. Zu Recht zitiert Führing mit Leo Strauss einen großen Vertreter jüdisch-abendländischen Geistes, der durch den Rassenwahn aus seiner Heimat vertrieben wurde und gerade deshalb die verbindlichen Maßstäbe eines epochenübergreifenden Rechts mit Verve verteidigt hat: „Die gegenwärtige Ablehnung des Naturrechts führt nicht zum Nihilismus, nein, sie ist identisch mit Nihilismus.“

Weihbischof Athanasius Schneider nimmt den Brand der Kirche Notre-Dame zum Anlass für ein Mahnwort an die deutsche Christenheit, sich den christlichen Glauben mit neuem Ernst persönlich anzueignen und für den Erhalt der christlichen Identität des Abendlands einzustehen.

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