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DIE KLIMAKRISE IST EINE GESELLSCHAFTSKRISE
ОглавлениеEs ist ein beträchtliches Verdienst insbesondere der Naturwissenschaften, auf die Unverfügbarkeit, die Begrenztheit und auch die in Teilen unwiderrufliche Zerstörung von dem hingewiesen zu haben, was wir – allen Steuerungsfantasien zum Trotz – heute noch »Natur» nennen können und wollen. Doch all ihre Befunde sind bloß Indikatoren, stehen also nicht für sich selbst, sondern deuten auf etwas hin. Und das, was sie anzeigen, ist bei genauerer Betrachtung keine Krise des Klimas. In einer Krise befinden sich nämlich nicht die klimatischen Begebenheiten, sondern die zu kalter Technik erstarrten Naturverhältnisse von immer mehr Menschen: Vermüllung und Übernutzung im einen, Überformung und Beherrschung im anderen Moment – und mittendrin die Zurichtung jener Natur, die wir Menschen selbst sind. Nein, es handelt sich nicht um eine Klima-, sondern um eine Gesellschaftskrise. Und die hat verheerende Folgen für das Klima und die Natur – für die gesamte Welt, wie wir sie heute kennen. Das Aussterben und Abtöten von Tierarten sowie Pflanzensorten, der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur sowie all die Neben- und Folgesfolgen, die damit einhergehen, sind nicht einfach auf einen schicksalhaften Lauf der Dinge zurückzuführen. Sie haben Ursachen, bisweilen Gründe, selten Rechtfertigungen. Und die offenbaren sich darin, wie die Gesellschaften des globalen Nordens wirtschaften.
Es liegt demzufolge nahe, die Wirtschaftswissenschaften um eine kompetente Einschätzung der Sachlage sowie mögliche Auswege zu bitten. Doch fallen die anerkannten Wissenschaften des Wirtschaftens derzeit eher durch Schweigen oder Ratlosigkeit auf. Das ist kein Zufall, eben weil die klimatologischen Befunde jene Wirtschaftsformen für gescheitert erklären, die auf Naturbeherrschung angewiesen sind, die Wirtschaftswissenschaften aber auf breiter Front für sie Partei ergreifen. Doch die Klimakrise, die eine Gesellschaftskrise ist, führt glasklar vor Augen: Es irrt, wer glaubt, die beste aller Welten käme »naturwüchsig« zustande durch Gewinnstreben, unablässige Privatisierung und das lehrbuchhafte Schaffen von Märkten, durch Effizienz, Wachstum und neue (smarte, grüne etc.) Technologien der Naturbeherrschung.
Es ist historisch ausführlich belegt, dass die Wirtschaftswissenschaften an der hier verhandelten Krise bis in die Gegenwart hinein, absichtsvoll oder aus Gedankenlosigkeit, tatkräftig beteiligt waren, nachzulesen etwa bei Ivan Boldyrev und Ekaterina Svetlova. Allerdings und unbezweifelbar hat ihre auf Effizienz, Opportunismus und Nutzenkalkülen beruhende Vernunft in den vergangenen fast 300 Jahren auch materiellen Wohlstand und Wohlbefinden für zumindest einen Teil der Menschen hervorgebracht. Wir leben in Zeiten, die an Gütern und Dienstleistungen voller kaum sein könnten. Dieser Denkstil jedoch, der die Welt zum »business case« erklärt, hat en passant viel Tatendrang und Ideenreichtum in Bezug auf andere Zukünfte trockengelegt, die ein gelingendes, ein besseres Leben ermöglichen könnten. Und er kapert und durchsetzt beständig neue Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wenn Bildung, Gesundheit oder Mietraum zum »Risikokapital« werden, Kunst als Ware einen Zweck bekommt, der auf dem »Kunstmarkt« gehandelt wird, wenn Professuren für »Feministische Theorie« als »Diversitymanagement« nachbesetzt werden oder ehemals »Politische Ökologie« nun als »Nachhaltigkeitsmanagement« verhandelt wird, dann ist das weder eine Spezialisierung »auf Höhe der Zeit« noch eine rein sprachliche Profilbildung, die wir feiern sollten. Es ist ein Denkmuster, das sich nur noch im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsverhältnissen bewegt, die selbst nicht als strittig betrachtet werden (können). In der praktischen Folge wird mitunter ein CO2-Preis festgesetzt und nur noch über die Höhe dieses Preises gestritten, nicht aber über das Mittel der Bepreisung, das als alleinseligmachend immer schon vorausgesetzt wird. Wir müssen diesen Denkstil vermutlich nicht verteufeln oder fallenlassen, wohl aber lernen, ihn in die Schranken zu weisen, wie ich schon in Vom Nutzen und Nachteil der Ökonomik für das Leben deutlich ausgeführt habe. Economists4future reflektieren daher ihre praktische Wirkungsmacht: #reflexivität. Sie binden diese zurück und ziehen theoretische Konsequenzen aus ihr. Ihr Denken wirkt weder manipulativ noch gleichgültig oder übergriffig, sondern bricht sich Bahn als Demut, die mit Hoffnung, Verantwortung und Trotz in eins fällt.