Читать книгу Pandemie - Группа авторов - Страница 15
WIR SIND FÜR SIE DA!
Оглавлениеvon Armin Möhle
Anton Bauza verspürte ein Kribbeln in der rechten Hüfte, als er sich im Bett aufsetzte. Er drehte sich herum, stellte die Füße auf dem Boden auf und erhob sich. Ein stechender Schmerz durchfuhr das rechte Bein. Ächzend ließ er sich auf das Bett zurückfallen.
Was war das? Eine Fehlfunktion der MedBots?
Er atmete tief durch und stemmte sich hoch. Der Schmerz peinigte erneut sein Bein und konzentrierte sich auf das Hüftgelenk. Anton Bauza biss die Zähne zusammen, stützte sich an der Wand ab und humpelte aus der Schlafnische in die Wohnküche. Er kniff die Augen zusammen, da sich ein dünner, wallender Grauschleier in sein Sehfeld gelegt hatte, ohne sein gewohntes Sehvermögen dadurch wieder herstellen zu können. Er verspürte ein Kratzen in der Kehle.
Anton Bauza ließ sich in den Wellness-Sessel fallen und musste zweimal niesen.
Er räusperte sich. »Ich will mit dem Gesundheitsdienst reden«, wies er die Halb-KI seines Appartements an. »Sofort!«
Bauza wusste um seine Erkrankungen, und in einem war er sich auch sicher: Er war nicht dement. Er kannte seine Ansprüche. Und als ehemaliger leitender Mitarbeiter eines großen IT-Unternehmens war es gewohnt, sich durchzusetzen. Medizinische Versorgung bis zur Vollendung seines achtzigsten Lebensjahres hatte er durch seinen Rentenanspruch erworben, vier weitere Jahre hinzugekauft. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer seines Geburtsjahrgangs lag bei 87 Jahren. Es könnte also passen. Und wenn nicht … Die Euthanasie war kostenlos.
Der holografische Monitor baute sich vor ihm auf. Das Symbol des Gesundheitsdienstes erschien, ein Äskulapstab auf blauen Hintergrund, der von den Flaggen der Vereinigten Staaten von Europa linker Hand und den deutschen Republiken rechter Hand flankiert wurde.
Das Emblem verschwand und machte einer blonden Frau mittleren Alters Platz, die Bauza an seine Ex-Frau erinnerte und vor einer Karte der Vereinigten Staaten von Europa stand.
»Guten Morgen, Herr Bauza!«, sagte die Frau. »Sie können mich Emma nennen. Was kann die Deutsche Health Division für Sie tun?«
Anton Bauza räusperte sich. »Ich habe den Eindruck, dass meine MedBots ausgefallen sind. Meine Hüfte macht mir wieder Probleme, der Graue Star ist zurück und ich habe auch den Verdacht, dass ich mich mit der Grippe angesteckt habe.«
Die Frau wirkte einen Moment abwesend. »Ja«, sagte sie dann. »Ihre Herzinsuffizienz ist ebenfalls wieder aufgetreten, wie uns die Telemetrie Ihrer Med-Bots verrät.«
Die Umstellung der Sozialversicherungssysteme war in den ersten Berufsjahren Bauzas vorgenommen worden, wie er sich erinnerte. Für alle Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Europa – damals noch Europäische Union – war das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt worden, was klassische Alterssicherungssysteme obsolet gemacht hatte. Zum Ausgleich war die Gesundheitsfürsorge für Ruheständler den bisherigen Rentenversicherungen übertragen worden – aber nicht grenzenlos, sondern bis zu bestimmten Altersgrenzen.
»Wenn Sie wissen, wie es mir geht, werden Sie mir sicherlich sagen können, was mit den MedBots nicht funktioniert!«, fuhr Anton Bauza die Frau an. Ihm war klar, dass er es nicht mit einer menschlichen Frau, sondern mit dem Avatar einer KI zu tun hatte, sodass sein Gefühlsausbruch sinnlos war, aber zu den Methoden gehörte, mit denen er seinerzeit die ihm unterstellten Mitarbeiter angetrieben hatte.
»Wenn Sie die Nachrichten-Feeds der letzten Tagen verfolgt hätten, Herr Bauza, würden Sie wissen, dass sich auch die Vereinigten Staaten von Europa einem Angriff des hochentwickelten polymorphen Romenna-Virus – eines Computervirus, damit wir uns nicht falsch verstehen – ausgesetzt sehen«, erklärte Emma geduldig. »Nicht nur die USA, die Russische Föderation, die Zentralafrikanischen Republiken, die Südamerikanische Union, die Australische und Neuseeländische Republik, sondern auch wir. Die Regierungen vermuten das Vereinigte Groß-China als Entwickler und Verbreiter des …«
»Aber China ist auch betroffen«, wandte Bauza ein.
Die Frau lächelte. »Bedauerlicherweise sind inzwischen auch die Server der Deutschen Health Division infiziert, die die medizinischen Nanoroboter in den Körpern unserer Klienten steuern. Wir arbeiten an der Bekämpfung der Pandemie, können Ihnen aber zurzeit nicht helfen.«
Anton Bauza wurde blass und schwindelig. »Diese verdammten MedBots…«, flüsterte er. Seine Eltern hatten noch Implantate erhalten, wenn das Herz schwächelte, die Knochen spröde wurden oder die Sehkraft nachließ. Aber kontinuierlich war die Versorgung auf die MedBots umgestellt worden – es war billiger, einem Menschen mehrere Tausend NanoBots zu injizieren als einen Chirurgen an ihm herumschneiden zu lassen.
»Herr Bauza, hören Sie mich noch?«, fragte Emma besorgt.
Er atmete tief durch. »Es geht schon wieder«, antwortete er.
Emma nickte. »Gut«, sagte sie. »Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass Sie wegen der Fehlfunktion Ihrer MedBots für unbestimmte Zeit unter Quarantäne stehen. Sie dürfen Ihr Appartement nicht verlassen. Ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln wird sichergestellt, diesbezügliche Wünsche dürfen Sie gerne äußern. Wir werden Sie informieren, wenn die Pandemie eingedämmt ist. Haben Sie das verstanden?«
Anton Bauza nickte. »Ja«, presste er heraus.
Die Frau strahlte ihn an. »Sehr schön! Abschließend darf ich Sie noch darauf aufmerksam machen, dass wir auf weitere Kommunikationsanfragen in dieser Angelegenheit nicht eingehen werden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!«
Die Holografie erlosch. Anton Bauza saß konsterniert in dem Wellness-Sessel. Früher, auch das wusste er, hatte man Schmerzmittel einnehmen können, heute aber …
Er schrak zusammen, als sich der holografische Monitor erneut aufbaute und mit einem hohen, aufdringlichen Summen auf einen Kommunikationsversuch hinwies. Sprachanruf, erschien auf dem Monitor. Und weiter: Quelle unbekannt.
Anton Bauza runzelte die Stirn. Ein anonymer Kontaktversuch? In der Datensphäre, die vielleicht in Teilen Afrikas noch Lücken und unidentifizierbare Teilnehmer aufwies, aber doch nicht in Europa …!
»Annehmen!«, befahl er mit rauer Stimme der Halb-KI.
Ein junger Mann erschien auf dem Bildschirm, mit glatt rasiertem Gesicht, gekräuselten schwarzen Haaren, der hinter einem leeren Schreibtisch saß, von der Holografie rechterhand abgesehen, deren Rückseite durch ein Schachbrettmuster für den Gesprächspartner unkenntlich gemacht worden war. Im Hintergrund erkannte Bauza einen mitteleuropäischen Wald; die sonnenbeschienenen Äste und Zweige der Bäume wiegten sich sanft im Wind. Eine Holografie, natürlich.
»Hallo!«, begann der junge Mann das Gespräch. Bauza schätzte ihn auf Ende zwanzig. »Ich bin Randy. Und ich bin kein Avatar, sondern ein echter Mensch! Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich Ihr Gespräch mit der Deutschen Health Division belauscht habe. Aber ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann.«
Randy lächelte erwartungsvoll.
Anton Bauza lachte spöttisch. »Sie wollen das Gespräch verfolgt haben …? Wie denn, ohne dass es der Gesundheitsdienst bemerkt hat?«, fragte er.
Randy winkte ab. »Wissen Sie, Herr Bauza, die Kommunikationskanäle der Deutschen Health Division sind in der derzeitigen Situation sehr, sehr offen. Auf jeden Fall für diejenigen, die das erforderliche Know-how besitzen, um sie anzapfen zu können. Und weil wir uns dabei passiv verhalten, nicht in die Server der Deutschen Health Division einzudringen versuchen, ist es fast nicht möglich, auf uns aufmerksam zu werden.«
Bauza zuckte mit den Schultern. Die Unterhaltung amüsierte ihn. Welcher Spinner sich hier wohl in die Datensphäre eingeklinkt hatte? »Schön, schön«, antwortete er. »Und welches Angebot können Sie mir machen?«
»Wir können Ihre MedBots wieder in Betrieb nehmen, Herr Bauza!«, sagte Randy.
Bauza spürte, wie ihn die Wut zu übermannen drohte. »Treiben Sie keine Scherze mit mir«, rief er aus.
»Nichts liegt uns ferner«, antwortete Randy und schüttelte den Kopf. »Gerne will ich Ihnen demonstrieren, dass wir über die Möglichkeiten verfügen, um unser Versprechen zu halten.« Randy berührte ein paar Punkte auf der Schreibtischoberfläche vor ihm. »Wie finden Sie das, Herr Bauza?«
Anton Bauza spürte, wie der dumpfe Schmerz in seiner rechten Hüfte nachließ. Der Grauschleier vor seinen Augen verschwand.
»Und Ihr Pankreas-Karzinom können wir auch in Schach halten«, fügte Randy hinzu,
»Einen Moment«, sagte Bauza. Nach ein paar Sekunden fuhr er fort: »Dem Gesundheitsdienst muss doch auffallen, dass meine MedBots wieder funktionieren. Immerhin ist die Datenübermittlung noch intakt und …«
»Vergessen Sie das«, unterbrach ihn Randy. »Die Deutsche Health Division fährt sämtliche Server herunter, um die weitere Ausbreitung des Romenna-Virus zu verhindern. Es besteht also keine Gefahr, dass …«
»Sind Sie dafür verantwortlich?«, fragte Bauza mit schneidender Stimme. »Für das Virus, meine ich.«
»Nein, und nochmals: nein«, antwortete Randy. »Wir wissen auch nicht, aus welchem Software-Labor das Virus freigesetzt wurde. Oder ob es sich um die mutierte, gefährlichere Version eines früheren Virus handelt. Wir wollen nur helfen.«
»Nicht ohne Gegenleistung, nehme ich an«, sagte Bauza.
Randy breitete die Hände aus. »So ist das nun einmal im Geschäftsleben … Ich glaube, wir sind fair. Wir wünschen, dass Sie zwei Monate Ihrer zusätzlichen medizinischen Versorgung auf eine unserer Angestellten übertragen, die den Anspruch ihrerseits weiterverkaufen wird, versteht sich.«
Anton Bauza war überrascht. Nicht darüber, dass eine Forderung nach Verrechnungseinheiten ausgeblieben war – seit dem Beginn seines Ruhestandes verfügte er über keine nennenswerten finanziellen Reserven mehr –, sondern, weil nur zwei Monate seines Zusatzanspruchs verlangt wurden.
»Ich bin einverstanden«, beeilte er sich zu sagen. »Ihr Angebot ist sehr kulant.«
Randy zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, wir machen solche Angebote in dieser dramatischen Zeit sehr vielen Menschen, die in einer ähnlichen Lage sind wie Sie«, erklärte er. »Glauben Sie mir, da kommt einiges zusammen … Wir müssen noch die Formalitäten erledigen. Bitten signieren Sie die Übertragungserklärung mit Ihrem Identifikationscode und setzen Sie Ihren Daumenabdruck darauf.«
Die Wiedergabe des jungen Mannes rückte nach rechts, um einem Formular Platz zu machen, das Bauza überflog, bevor er es abzeichnete.
Das Formular verschwand, und Randy füllte wieder die komplette Holografie aus,
»Wie kann ich Sie erreichen, wenn es Probleme gibt?«, frage Bauza.
Randy grinste. »Herr Bauza, ich bitte Sie!«, antwortete er. »Sie können uns nicht kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag! Bleiben Sie gesund!«
Die Holografie erlosch.
Drei Monate später …
Das rechte Bein gab nach, nachdem sich Anton Bauza aus seinem Wellness-Sessel erhoben hatte, um sich ein weiteres Glas synthetischen Wodkas zu holen (der Gesundheitsdienst war großzügig, was die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken anging, bei Alkoholika gab es aber nur die billigsten Varianten) und er stürzte zu Boden. Die rechte Hüfte knirschte. Bauza fühlte, wie das Bein vom Hüftgelenk aus abwärts taub wurde.
Gleichzeitig verschwand die VR-Show auf dem holografischen Bildschirm, die sich Bauza leicht benommen angesehen hatte, und machte dem Symbol der Deutschen Health Division Platz. Er schob sich mit dem linken Bein vor den Sessel, griff mit den Händen nach den Lehnen, stemmte sich hoch und ließ sich auf die Sitzfläche fallen.
»Annehmen«, sagte er mit dumpfer Stimme.
Eine Frau erschien auf der Holografie, schlank, fast dünn, schwarzhaarig und mit strengen Gesichtszügen. Bauza hatte den Eindruck, dass sie seiner Geliebten ähnelte, mit der er seine Frau in den letzten Jahren ihrer Beziehung betrogen hatte.
»Hallo!«, sagte der Avatar. »Ich bin Anastasia. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass das Romenna-Virus vorläufig eingedämmt werden konnte. Ihre Quarantäne ist aufgehoben. Die Deutsche Health Division übernimmt wieder die Kontrolle über Ihre MedBots. Oh!«
Anastasias Gesicht wurde starr. Nach ein paar Sekunden schüttelte sie den Kopf und sah Bauza vorwurfsvoll an. »Wir registrierten eine massive Fehlfunktion Ihrer MedBots, als wir versuchten, sie mit einer neuen Firmware-Version zu überschreiben. Herr Bauza, Sie wissen doch, dass jegliche Manipulation der MedBots untersagt ist. Ich bedauere es, aber damit haben Sie den Anspruch auf die medizinische Versorgung im Ruhestand verloren.«
»Aber …«, versuchte Bauza sich zu erklären. »Ohne die MedBots hätte ich es während der Quarantäne gar nicht ausgehalten.«