Читать книгу Péter Nádas' Parallelgeschichten - Группа авторов - Страница 10

2. Quellen lesen

Оглавление

Folgt man der Lesart ihres Autors, basieren die Parallelgeschichten nicht allein auf einer Auseinandersetzung mit schriftlichen Zeugnissen der Vergangenheit. Stattdessen nimmt sein Erzählen ausdrücklich auch Phänomene in den Blick, die nicht ausschließlich sprachlich verfasst und daher nur bedingt zitierfähig sind:

Zu meinem Vorhaben gehörte es auch, bestimmten historischen und philosophischen Zusammenhängen nachzugehen und bestimmte Fragen zur Zeitgeschichte in Bezug auf Architektur und Mode und zur Kriminologie zu klären. Diese Zusammenhänge bleiben zwar im Hintergrund, bilden aber das Gerüst des Buchs.1

Neben „Architektur und Mode“ macht vor allem die ausführliche Darstellung von Körper- und Gewalterfahrungen innerhalb der Parallelgeschichten deutlich, dass schriftliche Zeugnisse lediglich einen Ausschnitt der Historie repräsentieren, deren Verwendung wiederum Historikerinnen wie Schriftstellerinnen vor besondere Probleme stellt. Geschichtliche Ereignisse lassen sich niemals vollständig in Begriffe übersetzen und können zudem nicht zeitgleich zu ihrem Geschehen zu Papier gebracht werden. Darüber hinaus erscheint die Sprache historischer Quellen bisweilen ähnlich fremd und entfernt wie die durch sie repräsentierten Ereignisse, da ihr Gebrauch und ihre Bedeutung einem geschichtlichen Wandel unterliegen, der nicht selten für Verständnisschwierigkeiten und Zitationsprobleme sorgt.

In der Lektüre historischer Zeugnisse wird somit eine Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart erfahrbar, deren Konsequenzen Dominick LaCapra beschreibt:

Ein Problem für die Geschichtsschreibung ist offenkundig das Verhältnis zwischen sympathetischer Beschäftigung mit der Vergangenheit, was eine gewisse Identifikation erfordert, und kritischer Distanz zur Vergangenheit im Interesse sowohl der Objektivität wie des Urteils.2

Der Versuch, Geschichte zu schreiben verlangt vom Schreibenden eine Positionierung, die von der Perspektivität des Quellenmaterials in der Regel deutlich unterschieden ist. Eine zu große Nähe zum historischen Geschehen und Quellenmaterial mündet letztlich in sentimentale Erzählungen der Vergangenheit à la Walter Scott, die bereits Flaubert mit Spott überzieht:

Allen diesen Werken gegenüber erhoben sie den Vorwurf, sie sagten nichts über das Milieu, die Epoche, die Sitten und Gewohnheiten der betreffenden Figuren aus. Nur die Herzensangelegenheiten seien wichtig, immer nur das Gefühl! Als ob es auf der Welt nichts anderes gäbe!3

Doch nicht nur die Literatur, auch die Geschichtsschreibung ringt bereits zu ihren professionellen Anfängen im 19. Jahrhundert um die richtigen Ansprüche und Standpunkte, die einer ihrer prominentesten Vertreter folgendermaßen beschreibt:

Die Historie unterscheidet sich dadurch von anderen Wissenschaften, daß sie zugleich Kunst ist. Wissenschaft ist sie: indem sie sammelt, findet, durchdringt; Kunst, indem sie das Gefundene, Erkannte wieder gestaltet, darstellt. Andere Wissenschaften begnügen sich, das Gefundene schlechthin als solches aufzuzeichnen: bei der Historie gehört das Vermögen der Wiederhervorbringung dazu.4

Der Wille zur „Wiederhervorbringung“ geschichtlicher Ereignisse rückt für Leopold von Ranke Methode und Gegenstand der Historie in die Nähe der Literatur.

Die geforderte Imaginationsleistung bedingt eine bewusste Gestaltung historischen Quellenmaterials durch den Historiker (Sammeln-Finden-Durchdringen), der so von einem objektiven Entdecker zum Erfinder historischer Wirklichkeit mutiert.

Péter Nádas' Parallelgeschichten

Подняться наверх