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4. Geschichten von unten

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Die dem Bild abgerungenen Perspektiven verweisen auf die Schwierigkeiten einer adäquaten Repräsentation historischer Ereignisse und der an ihnen beteiligten Akteurinnen in Geschichtsschreibung und Literatur. Indem der Romantext bestimmte Standpunkte formuliert und der Kritik seiner Leserinnen darbietet, bringt er zugleich andere Positionen zum Verschwinden, wie Péter Nádas bereits in seinem Essay „Wort und Strich“ selbstkritisch notiert:

Wäre es nicht richtiger zu sagen, in meinem Satz sprechen die, die nicht reden? Und daß ich nicht mehr und nicht weniger sagen kann als das, was ihr Schweigen umfaßt?1

Diese Problematik betrifft neben dem eigenen Schreiben wohl auch die historiographische Darstellung und spiegelt sich dementsprechend im historischen Quellenmaterial wider, wie Walter Benjamin festhält:

Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.2

Weil Geschichte traditionell von Siegerinnen geschrieben wird, sind die ihr Unterlegenen ständig von der Gefahr bedroht, aus dem kulturellen Gedächtnis getilgt zu werden. Im Gegensatz dazu rückt in den Parallelgeschichten die Erinnerung an die Opfer und Marginalisierten des historischen Prozesses in den Fokus der Erzählung. Geschichte erscheint als Fülle bislang negierter oder zu wenig beachteter historischer Details und Deutungsmöglichkeiten. Anhand von Figuren, Ereignissen und Schauplätzen wird eine Geschichte von unten entworfen, die als Korrektiv zur herkömmlichen, national geprägten Heldengeschichtsschreibung fungiert:

Wo sich die Strömung ein hohes Ufer ausgewaschen hatte, hingen aus den Sandwänden in einer dicken Schicht Knochen, Schädel, Schienbeine, Becken, Zehenknöchelchen heraus, die erstaunlich heil geblieben waren, aber in der Hand mit dem Sand zusammen zerbröselten. Südlich der Stadt, ungefähr zwei Kilometer von der Spitze der Zigeunerinsel entfernt, hatten sie diese mehrere Jahrhunderte vergessene Stelle entdeckt, obwohl sie wussten, dass laut Geschichtsschreibung die schicksalsträchtige Schlacht gegen die Türken an einem ganz anderen Ort, am Fuß der Hügel von Majs stattgefunden hatte.3

Die Lektüre des Romans gerät zum Plädoyer, der offiziellen Geschichtsschreibung zu misstrauen, um der historischen Erkenntnis buchstäblich neue Wege des Denkens, Fühlens und Handelns zu ebnen.

Péter Nádas' Parallelgeschichten

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