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Mein Freund Jörg. Fröhliche Erinnerungen von Thomas Le Blanc

Wir haben uns in den späten 1970ern kennengelernt, in einem anderen Jahrhundert, in einer anderen Zeit.

Die Bundesregierung residierte noch in Bonn, die Mauer in Berlin stand noch, es gab noch zweierlei Deutschland. Im Fernsehen babbelte sich Heinz Schenk durch den Blauen Bock, die Bahn fuhr deutlich langsamer als heute, war dafür aber pünktlich, und das Standardlexikon hieß noch Brockhaus und stand schwer und zwanzigbändig im Bücherregal. Das Internet war noch nicht erfunden, Mobiltelefone waren backsteingroß und backsteinschwer, und für jede Form der Kommunikation war noch das Staatsunternehmen Deutsche Bundespost mit hoheitlichem Festnetz und ersten Experimenten in Richtung Btx zuständig. Von E-Mails träumte allein die Science-Fiction, und alle zukunftsgläubigen Science-Fiction-Autoren schrieben ihre Texte noch auf der Schreibmaschine und verschickten sie per Brief.

Der Heyne Verlag startete mit Wolfgang Jeschke als verantwortlichem Science-Fiction-Redakteur durch, Perry Rhodan war mit Willi Voltz als Exposéentwickler auf der Höhe seines Erfolgs, die deutsche Fantasy befand sich mit Michael Ende erst in ihren Anfängen, Wolfgang Hohlbein schrieb noch gar nicht, und Tolkien war gerade erst gestorben. Und das Genre Science-Fiction existierte, trotz seines stetig wachsenden Erfolgs bei den Lesern, unterhalb einer öffentlichen Wahrnehmungsschwelle, denn Literaturwissenschaft und Feuilleton begegneten ihm mit gleicher Ignoranz.

Doch da tauchten mit Jörg und mir ziemlich gleichzeitig zwei Freelancer auf, die sich in Tageszeitungen, allen voran in der WELT, wohlwollend kritisch und vor allem einführend mit Science-Fiction befassten und diesem Genre endlich seine verdiente Reputation vorbereiteten.

Jörg registrierte meinen Namen1, und ich las ebenso seinen Namen, und wir stellten fest, dass wir in denselben Medien dasselbe Thema behandelten. Also mussten wir uns kennenlernen, denn es ging um die Frage, ob wir als Konkurrenten oder als Freunde arbeiten wollten. Ich schrieb ihm am 10. September 1977 einen ersten Brief2, er antwortete bereits vier Tage später3, wir korrespondierten daraufhin mehrfach, telefonierten auch, und schließlich trafen wir uns am 23. Mai 1978 das erste Mal4 in Bonn, wo Jörg damals im ZDF-Hauptstadtstudio arbeitete. Als wir zwei Stunden miteinander geklönt und festgestellt hatten, dass wir durchgehend auf derselben Wellenlänge lagen, da wussten wir, dass wir Freunde werden würden.

Fortan stimmten wir unsere Arbeit aufeinander ab. Und als die linke Neidfraktion der Science Fiction Times, die publizistisch alles niedermachte, was nicht auf ihrer politischen Wellenlänge funkte oder wenigstens über ihre Agentur Utoprop vermittelt wurde, hämisch konstatierte, dass keine von Jörg Weigand herausgegebene Anthologie ohne einen Text von Thomas Le Blanc veröffentlicht wurde und umgekehrt kein von Thomas Le Blanc zusammengestelltes Buch ohne einen Beitrag von Jörg Weigand erschien, da beschlossen wir mit diebischer Freude, diese wechselseitige Reverenz zu unserem Markenzeichen zu machen. Das bedeutete allerdings nicht, dass wir kritiklos alles nahmen, was der andere anbot. Wir redigierten unsere Texte wechselseitig, wie wir das auch bei allen anderen Kollegen taten, stets die Idee und die literarische Qualität im Blick. Und es geschah sogar das Seltsame, dass ich die erste Story, die Jörg mir für eine Anthologie anbot, nämlich »Sonnensegel«, zunächst als zu flach ablehnte, weshalb er sie anderweitig publizierte5, und ich ihre Qualität erst später begriff6 und sie heute für seinen eindrucksvollsten Text halte.

Das Du bot mir Jörg bei einem verträumten Pils an einer spätnachmittäglichen Theke in Wetzlar an, die den Vorabend7 einer kleinen Tagung im August 1981 einleitete, zu der ich allerlei Journalisten, Schriftsteller, Verlagslektoren und Buchhändler eingeladen hatte und die zwei Jahre später rückwirkend zu den »1. Wetzlarer Tagen der Phantastik« erhoben wurde.

Fortan sahen wir uns regelmäßig, da ich mindestens einmal pro Quartal die Kulturredaktion der WELT in Bonn mit meiner Anwesenheit beglückte und mich dazu in meinen unverwüstlichen VW Polo setzte und dann via Limburg die A3 Richtung Köln nahm, Abfahrt Siebengebirge die Berge runter kurvend ins Rheintal, dann die Konrad-Adenauer-Brücke rüber in die Godesberger Allee, wo ich zunächst in der WELT und später auch im RHEINISCHEN MERKUR meine erledigten Aufträge ablieferte und neue akquirierte. Anschließend ging’s in die Rheinaue in den Langen Grabenweg, wo mich Jörg an der Pforte des ZDF-Studios abholte und in der Cafeteria dann eine lange Arbeitspause einlegte – die allerdings manchmal abgebrochen werden musste, denn auch im beschaulichen Bonn wurde gelegentlich Politik gemacht.

Da er beim ZDF sein Brot als politischer Redakteur verdiente, sah ich ihn damals auch alle paar Wochen in »heute« oder in einem Nachrichtenmagazin, allerdings nur mit seinem halb angeschnittenen Hinterkopf, wenn er mal wieder einem Regierungsmitglied oder einem anderweitig wichtigen Bonner Politiker für ein Statement ein Mikrophon unter die Nase hielt, sodass ich über viele Jahre hinweg verfolgen konnte, wie sein Haar auch am Hinterkopf schütter wurde.

1996 nahte dann der Abschied von Bonn; er ging in Pension, verließ nicht nur das ZDF, sondern zog gleich nach Südbaden, aus dem stickigen Bonner Kessel in den mediterranen Breisgau. Statt nun seine Pension genügsam zu verfuttern, startete er jetzt publizistisch richtig durch. Ein Buch folgte dem anderen, seine zahlreichen Reisen finanzierte er sich mit Gruselkrimis unter weiblichen Pseudonymen, und mit seiner zweiten Frau schrieb er fast um die Wette.

Unsere Treffen intensivierten sich im neuen Jahrtausend auf andere Weise. Jedes Mal, wenn er Urlaub auf Föhr macht8, unterbricht er seine Süd-Nord- oder Nord-Süd-Fahrt in Wetzlar für eine Nacht, und dann sitzen Jörg, Karla und ich abends im »Postreiter« und erfreuen uns an einer bürgerlichen Speisekarte, die von einem Koch verwaltet wird, der gerne auch auf Jörgs lukullische Wünsche eingeht und der uns beibrachte, wie Tonka-Eis schmeckt. Als kulinarischer Banause, der ich über die Bedienung meiner Mikrowelle nie hinausgekommen bin, lerne ich jedes Mal von ihm, was Essen eigentlich bedeutet – denn er erzählt regelmäßig von der zweiten Reiseunterbrechungsnacht, die er in Düsseldorf verbringt, wo er Monikas Küche okkupiert.

Und heute? Heute telefonieren wir meist einmal pro Woche; wir haben oftmals keinen Anlass, sondern nur den Grund, mit ein paar Worten unsere Freundschaft zu pflegen, und es ist mir stets eine Freude, seine Stimme zu hören. Mir ist es aufgrund meiner Reisefaulheit erst zweimal gelungen, ihn in Staufen zu besuchen; er dagegen nutzt die vielfältigen Angebote, die die Phantastische Bibliothek bietet, um nach Wetzlar zu kommen. Und obwohl die Science Fiction Times und ihre Genossen längst dem gnädigen Vergessen anheimgefallen sind, ist jeder von uns beiden immer noch in jeder Anthologie des anderen mit einer Story vertreten. Die gegenseitige Einladung sichert uns unsere Kreativität, mit der wir unsere Welt definieren. Jörg ist es auch gewesen, der eine singuläre Anthologie9, die als Begleitung der »31. Wetzlarer Tage der Phantastik« produziert wurde, zum Start einer erfolgreichen Serie erhob, der er auch mit »Phantastische Miniaturen« den aussagekräftigen Titel verpasste und die mittlerweile längst die 40 Bände überschritten hat. Ich unterziehe mich der Arbeit, für immer wieder neue verrückte Storys zu werben, mit unbändiger Freude, und ich danke ihm für die Idee.

Fazit: So schwer ich mich tue, Freunde fürs Leben zu finden, so darf er sich zu den engsten Freunden zählen, zu den Menschen, die mein Leben prägen.

Anmerkungen

1 Am 7., 8. und 9. Januar 1976 erschien mein erster Artikel auf der Kulturseite der WELT über »Science Fiction in Deutschland« als Dreiteiler.

2 »Lieber Herr Dr. Weigand, ich finde es wird Zeit, daß wir auch einmal direkten Kontakt miteinander aufnehmen …«

3 »Lieber Herr Le Blanc … Einverstanden: wenn Sie nach Bonn kommen, sollten wir uns mal zusammensetzen …«

4 Ich habe jahrzehntelang Tagebuch geschrieben. Das zahlt sich jetzt für die Belegführung dieses Artikels aus.

5 Im Science-Fiction-Magazin »2001«, Ausgabe 9/10, 1978.

6 … und sie in meine erste Sternenanthologie aufnahm: »Antares«. München: Goldmann, 1980.

7 Auch wenn ich in diesem Beitrag viel Persönliches verrate, gibt es für diesen Abend einen für mein Leben wichtigen Hintergrund, den ich nicht öffentlich machen darf und will … und auch Jörg erst bei unserem nächsten Treffen beichten werde. Männerthema.

8 Ich korrigiere für das Freiburger Finanzamt: Wenn er zu schriftstellerischen Recherchen eine Dienstreise an die Nordsee unternimmt.

9 Thomas Le Blanc und Falko Löffler (Hrsg.): »Ihr Haar zersprang wie blaues Glas«. Wetzlar: Phantastische Bibliothek, 2011.

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