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Karl-Ulrich Burgdorf: Jörg Ernst Weigand, etymologisch

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»What’s in a name?«

– William Shakespeare: Romeo und Julia

»Le style, c’est l’homme« oder, richtiger zitiert: »Le Style, c’est l’homme même«: Diesen Ausspruch tat der Naturforscher Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, in der Antrittsrede, die er 1753 unter dem Titel »Discours sur le style« anlässlich seiner Aufnahme in die Académie Française hielt. Übersetzen könnte man das etwa mit »Der Stil eines Menschen ist das Abbild seines Charakters«.

Wenn das zutrifft (und wer bin ich, es zu bezweifeln?), könnte man dann nicht vielleicht auch den womöglich ebenso zutreffenden Satz »Le nom, c’est l’homme (même)« aufstellen, also »Der Name eines Menschen ist das Abbild seines Charakters«? Die alten Lateiner jedenfalls haben dies getan, denn für sie galt, dass der Name zumindest auf den Charakter eines Menschen oder einer Sache vorausdeutet: »Nomen est omen!«

Dieser Gedanke kam mir, als ich von Karla Weigand und Rainer Schorm die Einladung erhielt, einen Beitrag zu der hier vorliegenden Festschrift zu verfassen, mit der wir den 80. Geburtstag unseres Freundes und Kollegen Jörg Weigand feiern wollen. Sagt der Name »Jörg Weigand« also womöglich etwas über den Charakter des Jubilars aus, und wenn ja, was? Um das herauszufinden, beschloss ich, Jörg Weigands Namen einer – zugegebenermaßen laienhaften – etymologischen Untersuchung zu unterziehen, und ich möchte Sie herzlich einladen, mich auf dieser kleinen Reise durch Namenskunde und Sprachgeschichte zu begleiten. Schon jetzt kann ich Ihnen versprechen, dass wir dabei Erstaunliches zutage fördern werden.

Und bevor ich es vergesse: Auch ein zweiter, vielleicht nicht so allgemein bekannter Vorname des Jubilars wird Teil unserer Untersuchung sein; davon später mehr.

Der Nachname: Weigand

Just in den Tagen, als die Einladung bei mir eintraf, hatte ich wieder einmal, so wie ich es gerne tue, in Nabil Osmans Kleinem Lexikon untergegangener Wörter geblättert, das bereits 1971 zum ersten Mal erschienen ist und das als Band 487 der Beck'schen Reihe in der 10. Auflage von 1998 in meinem Bücherregal steht. Eine vage Erinnerung trieb mich dazu, dort als Erstes nachzuschauen, und tatsächlich fand ich auf Seite 229 den Eintrag »Weigand, Wiegand – Kämpfer«. Das klang nun außerordentlich spannend, denn ein Kämpfer ist Jörg Weigand in der Tat, und darum begann ich zu exzerpieren, was Nabil Osman an Quellen zur Bedeutung dieses Wortes zusammengetragen hat.

Johann Christoph Adelung etwa, seines Zeichens Polyhistor und Sprachforscher, schreibt dazu in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, dem bekanntesten lexikalischen Werk des 18. Jahrhunderts, dies sei »ein längst veraltetes Wort, welches ehedem einen Kriegsmann, braven Soldaten, tapferen Helden« bedeutet habe. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1854–1960, ergänzt:

»(Es) ist nach hoher blüthe zumal im volksepos des mittelalters seit ende des 13. jh. zurückgegangen, lebt aber im ganzen sprachgebiet bis anf. d. 16 jh. … dichter und gelehrte des 17. jh. knüpfen ausdrücklich an mhd. sprachgebrauch an … Gottsched, Adelung, Campe haben die erneuerung des worts nicht unterstützt, von den classikern zeigt nur Wieland neigung dafür, die wenigen dichter, die sich sonst dafür einsetzen, dringen nicht durch … so ist das wort über den gelehrtenkreis kaum hinausgedrungen; nicht zu vergleichen mit den gelungenen erneuerungen altdeutscher wörter wie: hain, halle, minne, norne, rune.«

Deshalb zieht Nabil Osman das Fazit:

»Untergangsgrund: [wir erinnern uns: dies ist schließlich das Kleine Lexikon untergegangener Wörter!] misslungene Neubelebung eines altdeutschen Wortes. Wie Ger, Kämper, Minne, Norne, Rune u. a. misslungene Neubelebungen alter Wörter konnte sich das Wort trotz Neubelebungsversuchen im 18. Jh. nicht durchsetzen. Da die Theoretiker Gottsched, Adelung, Campe nicht mitgehen wollten, drang das Wort über den gelehrten Kreis kaum hinaus.«

Festhalten sollten wir also, dass »Weigand« »Kämpfer« bedeutet. Damit enden allerdings die Parallelen, denn was Osman über den Untergang des Wortes »Weigand« sagt, trifft auf die Person Jörg Weigand keineswegs zu. Dieser Weigand ist schließlich keineswegs »untergegangen«, sondern nach wie vor obenauf; er hat sich als Autor wie als Kritiker durchgesetzt und ist, nachdem er einmal die (SF-) Szene betreten hatte, auch nie wieder weg gewesen. Außerdem ist es ihm sehr wohl gelungen, über den »gelehrten Kreis« hinaus zu dringen, denn auch wenn er eine Reihe von Sachbüchern veröffentlicht hat, werden seine Unterhaltungsromane auch von einfachen Menschen gelesen, denen der Sinn einfach nur nach spannender Lektüre steht. »Neubelebungsversuche« waren deshalb niemals nötig, ja, man darf sogar sagen, dass Jörg Weigand gerade jetzt, zu seinem 80. Geburtstag, in »hoher blüthe« steht, da er nach wie vor eifrig produziert und veröffentlicht – woraus wir lernen können, dass auch die Etymologie eines Wortes bisweilen in die Irre führen kann.

Aber schauen wir weiter, denn mit einem Nachnamen allein ist es ja nicht getan.

Der erste Vorname: Jörg

In den Polizeirevier 87-Kriminalromanen des amerikanischen Autors Ed McBain gibt es einen Cop, der nicht nur mit Nachnamen, sondern auch mit Vornamen »Meyer« heißt. Also: Meyer Meyer. Natürlich bringt ihm das eine Menge Spott ein, und er fragt sich mit schöner Regelmäßigkeit, was sich seine Eltern wohl dabei gedacht haben mögen, ihm einen solchen Vornamen zu geben.

Ein ähnliches Schicksal hätte auch Jörg Weigand treffen können, denn tatsächlich ist »Weigand« nicht nur ein Nach-, sondern auch ein Vorname. (Wenn Sie’s nicht glauben: Ich habe wirklich mal jemanden gekannt, der mit Vornamen »Weigand« hieß. Mit Nachnamen allerdings nicht.)

Glücklicherweise haben Jörg Weigands Eltern auf diese extravagante Art der Namensgebung verzichtet. Statt als »Weigand Weigand« ist er als Jörg Weigand in die Welt hinausgetreten, und diese hat es ihm gedankt, indem sie im Gegensatz zum armen Meyer Meyer keinen Kübel voll Spott über seinen Namen ausgegossen hat.

Aber passt der zunächst einmal ganz friedlich klingende Vorname »Jörg« überhaupt zum, wie wir im Zuge unserer bisherigen etymologischen Untersuchung herausgefunden haben, recht streitbaren Nachnamen »Weigand«?

Der Vorname »Jörg« ist natürlich eine Nebenform von »Georg«. Legenden-, Mythen- und Fantasyanklang: Georg und der Drache! Aber wer ist das historische Vorbild dieses sagenhaften Drachentöters? Um das herauszufinden, greife ich zu Herders Kleinem Lexikon der Heiligen, das mir, wenngleich in recht knapper Form, die gewünschte Information liefert: Beim Namenspatron für jeden Georg und damit auch für jeden Jörg handelt es sich um

»Georg von Kappadozien, Hl. [heißt offenbar: Heiliger; aber das wussten wir dank des Lexikontitels ja ohnehin schon], Märtyrer, einer der Vierzehn Nothelfer, der große Verehrung in der ganzen christlichen Welt genoss. Patron vieler Länder, Bistümer und Kirchen. Angerufen bei Fieber und in Kriegsgefahr.«

Interessant: Wer alles den Hl. Georg in Kriegsgefahr anrufen kann, darüber schweigt sich das Kleine Lexikon der Heiligen aus, und von einem Drachen ist auch nirgendwo die Rede … Das schreit nun geradezu nach weiterer Recherche! Also ein erneuter Griff ins Bücherregal, diesmal zum siebten Band (Gas – Gz) meines Großen Brockhaus von 1930 (einen aktuelleren besitze ich leider nicht, aber über diesen frühchristlichen Märtyrer wird in den letzten neunzig Jahren wohl nicht so viel Neues ans Tageslicht gekommen sein). Und da steht nun zu lesen:

»Georg, christl. Heiliger, einer der 14 Nothelfer, Patron der Sattler und Küfer, Schutzpatron der Krieger und seit dem 13. Jahrh. Englands, gewöhnlich Ritter Sankt G. genannt, in der morgenländ. Kirche als der Siegbringende und der Großmärtyrer gefeiert, stammte nach der Legende aus Kappadokien und starb unter Diokletian (angeblich 303 n. Chr.) den Märtyrertod. (…) In der späteren Legende wird er zum Drachentöter, so in der Legenda aurea des Jakobus de Boragine, die als Erste berichtet, dass G. einen Lindwurm getötet habe, der die Königstochter Aja (Kleodolinde) zu verschlingen drohte. Als Drachentöter ist er ein beliebtes Motiv der Malerei, der Plastik sowie der Dichtung geworden.«

Das Heiligenlexikon hat also mehr als nur ein bisschen geschummelt: Dass der Hl. Georg ein Kriegsmann war, unterschlägt es ganz, desgleichen auch, dass es die Krieger sind, die ihn in Kriegsgefahr anrufen dürfen, nicht die menschlichen Kollateralschäden (früher einmal auch »Zivilisten« genannt).

Aber zurück zum Thema.

Georg/Jörg ist also selbst Kriegsmann und zugleich Schutzheiliger der Krieger in Kriegsgefahr! Das hat auf seine Weise etwas beruhigend Science-Fiction-Mäßiges, denn es erinnert an ein Möbiusband, bei dem ja auch beide Seiten letztlich eins sind.

Damit könnten wir die Diskussion des Vornamens »Georg/Jörg« eigentlich abschließen, aber bevor wir zum nächsten Punkt übergehen, sei zuvor die Lektüre im Heiligenlexikon beendet. Dort heißt es nämlich weiter:

»An seinem Feste findet die Pferdesegnung statt (Georgsritt). Dargestellt mit Drachen, Rittern, Pferden und weißer Fahne mit rotem Kreuz.«

Das nun passt leider nicht so ganz zu unserem Jubilar, denn das Fest des Heiligen fällt keineswegs auf den 21. Dezember, also Jörg Weigands Geburtstag, sondern auf den 23. April. Und dass Jörg Weigand etwas mit Pferden und ihrer Segnung zu tun hätte, ist wenigstens mir bisher noch nicht bekannt geworden. Aber sei’s drum – schließlich gilt auch hier der Satz »Nobody is perfect.«

Der zweite Vorname: Ernst

»Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.« Dieser Ausspruch stammt von Victor Hugo, und er führt uns geradewegs zu Jörg Weigands zweitem Vornamen. In schon fortgeschrittenem Alter hat unser Jubilar nämlich damit begonnen, all das, was er nicht in Worten auszudrücken, über das er aber auch nicht zu schweigen vermochte, in Musik zu fassen.

Kurz: Er hat nicht nur angefangen, Klavier zu spielen, sondern auch zu komponieren, wovon eine erste CD inzwischen klangvoll Zeugnis ablegt. Für diese Komponistentätigkeit nun hat er sich auf seinen zweiten, bis dahin in seiner schriftstellerischen Tätigkeit nie gebrauchten Vornamen besonnen, nämlich »Ernst«. Und auch den wollen wir nun einer kleinen etymologischen Untersuchung unterziehen.

Dafür greifen wir nun allerdings nicht mehr auf das gedruckte Wort, sondern auf modernere Medien zurück, nämlich das Internet. Unter www.wissen.de finden wir ohne große Mühe die nachfolgende Erklärung:

»Ernst. Das Wort geht über mhd. ernest, ernust auf westgerm. *ernustu, ›Kampf, Aufrichtigkeit‹ zurück, das seinerseits auf idg.* er–/or– ›erheben, sich erregen, hochfahren‹ beruht; auch in griech. éris, ›Kampf‹ und lat. adorior; die Bedeutung entwickelte sich von ›Kampf‹ über ›Kampfeseifer‹ und ›Verfestigung im Kampf‹ zum heutigen ›Verfestigung des Willens‹.«

(Wobei »idg.« natürlich »indogermanisch« bedeutet.)

Ganz ohne Abkürzungen, dafür aber auch etwas weniger tiefschürfend sagt es auch Wikipedia:

»Ernst kommt vom althochdeutschen ›ernust‹, ›Kampf‹ und bedeutet demgemäß ›der Entschlossene‹, dann auch ›der Ernsthafte‹, einer der wenigen einstämmigen deutschen Namen. Als latinisierte Version liegt auch Ernestus vor, mit der Variante Ernestinus.«

Ein Nachname und zwei Vornamen – eine Zusammenschau

Am Ende unserer kleinen etymologischen Untersuchung kommen wir somit zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass alle drei Bestandteile von Jörg Ernst Weigands Namen, die beiden Vornamen ebenso wie der Nachname, entweder mit Krieg, Kampf oder mit tapferem Streitertum zu tun haben. Passt das zu seiner Person? Ist in diesem Falle nomen wirklich omen, gilt also die zu Beginn dieser etymologischen Untersuchung probeweise als Parallele zu Comte de Buffons Meinung über den (Schreib-) Stil eines Menschen aufgestellte These »Le nom, c'est l'homme même« – »Der Name eines Menschen ist das Abbild seines Charakters«?

Wer mir bei dem kleinen Rundgang durch die Herkunftsgeschichte der Namen »Jörg«, »Ernst« und »Weigand« gefolgt ist, und wer darüber hinaus das Glück hat, Jörg Weigand persönlich zu kennen, wird mir gewiss ohne jedes Zögern zustimmen: Ja, zumindest im Falle Jörg Weigands stimmt diese These. Denn ein Kämpfer ist Jörg Weigand in der Tat, wenngleich keiner, der etwa kriegerische Gewalt gegen Personen oder Sachen üben würde. Seine Waffe ist vielmehr die des streitbaren Intellektuellen, nämlich das geschliffene Wort, mit dem er nicht nur bei der Diskussion über kontroverse Themen brillant zu fechten versteht, was jeder bestätigen wird, der ihn jemals als Diskussionsredner – etwa bei den »Tagen der Phantastik« in Wetzlar – erlebt hat. Darüber hinaus aber meldet er sich auch in gedruckter Form immer wieder entschlossen und ernsthaft zu Wort, wenn es um Themen geht, für die zu streiten ihm dringend nötig erscheint. Das hat er nicht nur in vielen seiner Kritiken bewiesen, sondern zuletzt auch wieder in seinem Sachbuch Träume auf dickem Papier. Das Leihbuch nach 1945 – ein Stück Buchgeschichte, das seit Kurzem in einer erweiterten 2. Auflage vorliegt und in dem er sich nicht nur für die Ehrenrettung der so oft als trivial verschrienen Unterhaltungs- und Genreliteratur einsetzt, sondern auch nach bester Sankt-Georgs-Manier eine Lanze für deren Autoren bricht. Hier ist, was er dazu zu sagen hat und was mancher Verlagsdrache sich endlich einmal hinter die schwefeligen Ohren schreiben sollte:

»Unterhaltungsliteratur ist in jedem Falle alle Mühen wert, die man darauf verwenden kann – als Leser, als Autor und als Kritiker. […] Wichtig ist mir, zu zeigen, dass im eigentlichen Sinne der Autor der wichtigste Faktor im Zirkus der Veröffentlichungen ist. Ohne ihn kann der Verlag nicht arbeiten, haben die Lektoren Freilauf, finden viele Drucker kein Auskommen, hat der Vertrieb nichts zu verteilen, sitzen die Buchhändler auf dem Trockenen. Der Autor ist der Verursacher und der Erhalter vieler Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten.«

Womit wir am Schluss dieser kleinen Untersuchung angelangt wären. Was ich mich allerdings frage, ist: Warum ist Jörg Weigand als ausgewiesener Pseudonymkenner und (vide sein Buch PSEUDONYME. Ein Lexikon) eigentlich nie auf die Idee gekommen ist, sich selber den Namen »Georg Streiter« als Pseudonym zuzulegen?

Horribile dictu: Womöglich wusste er bisher gar nicht, was sein Name bedeutet … aber dem ist ja nun Abhilfe geschaffen.

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