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»Der Menschheit anderer Teil, die Frau« Gabriele Tergit und die Neue Frau in der Weimarer Republik 1 Die Frauenfrage

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Gabriele Tergits Reportagen, die in den 1920er und 1930er Jahren im Feuilleton verschiedener Publikationsorgane wie der »Vossischen Zeitung«, dem »Berliner Tageblatt« und der »Weltbühne« erschienen, rekurrieren häufig auf Typisierungen und Spielarten der sogenannten Neuen Frau – immer essayistisch pointiert und oftmals auf die für Tergits Schreiben konstitutive lakonisch-knappe Weise. Ihre Texte durchzieht spürbar der Modus »liebenswürdiger Ironie«, während sie sich von stereotypen Attitüden des Geschlechterkampfs samt forcierter Rhetorik abheben: »(Tergit) kämpft, indem sie für Frauen wirbt, die aber ganz ungeschoren auch nicht bleiben.«1 Später arbeitet die Autorin in literarischer Form verschiedene Aspekte der im öffentlichen Diskurs der Weimarer Republik hochaktuellen Gender-Debatte differenzierter heraus, etwa anhand der unterschiedlichen Frauenfiguren ihres Großstadtromans »Käsebier erobert den Kurfürstendamm« aus dem Jahr 1931.2

Mediale Bilder und literarische Inszenierungen der Neuen Frau der Zwischenkriegszeit und das ihnen zugrunde liegende kulturgeschichtliche Konzept sind in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Kunst- und Mediengeschichte ikonografisch aufbereitet, kultur- und literaturwissenschaftlich besprochen und häufig ambivalent beurteilt worden. Bereits die öffentlichen Debatten in der Weimarer Republik dokumentieren die oft widersprüchliche Haltung gegenüber dem Phänomen, das sowohl die Wandlungen des Phänotypus als auch sich ändernde Moralvorstellungen fokussierte, tradierte Geschlechterrollen infrage stellte und die Entwicklung der Frauenrolle in Beruf, Haushalt und Ehe als ›neu‹ attribuierte.3 Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war »neu« zu einem Leitbegriff avanciert, »der Aufbruch signalisierte und Utopien evozierte«4 und besonders im Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht und dem Label »Neue Frau« in den folgenden Jahren allenthalben inflationär verwendet wurde.

Der Grundstein für das Herausbilden eines veränderten, selbständigen Frauentypus und der Weg zur Gleichstellung von Frau und Mann war vor allem den Ambitionen der Frauenbewegung um die Jahrhundertwende zu verdanken, die nicht nur das Wahlrecht für Frauen, sondern auch einen verbesserten Zugang zur Bildung zur Folge hatten. Zwar war in »Deutschland (…) die ›Neue Frau‹ (noch) zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr als ein Versprechen, eine Jahrhundertphantasie«;5 der Kampf um soziale Gleichrangigkeit, adäquate Bildungschancen und die Möglichkeit, bis dato den Männern vorbehaltene Berufe auszuüben, war aber unübersehbar in Gang gekommen und positionierte die Frauen auf der Schwelle zwischen Tradition und Moderne.6 Im Jahr 1908 waren Frauen zum Studium zugelassen worden, was eine der »Segnungen der akademischen Bildung« bedeutete,7 die auch Gabriele Tergit nutzte und ihr Studium im Jahre 1925 mit einer Dissertation abschloss. Hatten zunächst viele Frauen, die sich der Gruppe ›neuer Frauen‹ zugehörig fühlten und »das Stadtbild vor allem der Großstadt nach dem Ersten Weltkrieg prägte(n)«,8 noch eine (groß-)bürgerliche Herkunft und somit die materiellen Grundbedingungen, alternative Lebenskonzepte auszuprobieren und sich aktiv an politischer Einflussnahme zu beteiligen, orientierten sich später vor allem Frauen aus der Mittelschicht an dem schönen Schein der dynamisch-modernen Frau, der sich freilich spätestens nach der Weltwirtschaftskrise als Schimäre entpuppte.9 Die wirtschaftlich veränderte Stellung der weiblichen Angestellten im tertiären Sektor der Dienstleistungen10 und das allerorts medial transportierte Bild einer »Hyperfrau«11 dienten nun als wichtiges Vehikel für Emanzipationsbestrebungen.

Die »Frauenfrage«, so Alice Rühle-Gerstel im Jahr 1929, sei mit der Aufgabe verknüpft, die äußerlich errungenen Freiheiten der Frauen nun auch im Wortsinn zu verinnerlichen: »(…) daß wir mit unseren errungenen Freiheiten innerlich nichts anfangen können, weil es männliche Freiheiten sind (…). Das Weibliche ist nur noch ein Anachronismus oder erst nur eine Verheißung.«12 Die Frauenfrage in der Weimarer Republik blieb durch das »festgelegte ikonographische System (…), das zum Massenphänomen und Leitbild der Bildmedien werden sollte«,13 ein zentrales Thema im öffentlichen Diskurs und immer wieder auch bei Gabriele Tergit.

Als soziopolitische Kategorie war die Neue Frau innerhalb eines Jahrzehnts massiven Modifikationen unterworfen. Nicht zuletzt durch Typisierungen wie »Girl«, »Garçonne« und »Flapper«,14 von denen vor allem die letzte Gruppe sich als »explizit apolitisch gerierte«,15 fand ein zunehmender Transfer auf Oberflächenphänomene statt. Die beiden vorherrschenden Bildwelten der Magazine und des Films konstituierten und variierten zeitgenössisch aktuelle Konzepte der Neuen Frau und prägten die Repräsentationen von Weiblichkeit und ihr visuelles Framing.16 Dabei überlagerten sich verschiedene Diskurse und deren soziale Realität unter den besonderen historischen Bedingungen der Weimarer Republik: die Neue Frau und die Geschlechterproblematik, die Angestelltenkultur, die Strömung der Neuen Sachlichkeit und die Medien. Die »lebensweltliche Umwälzung (ließ) dabei wenig aus, was bisher Bestand hatte«.17 Und die Literatur – zumal von Autorinnen der Weimarer Republik, die als »Vivisekteure der Zeit«18 den Forderungen neusachlicher Programmatik folgten – erwies sich einmal mehr als Reflex auf gesellschaftliche Prozesse und als ein Medium, »in dem das Leben sich selbst zu erkennen versucht«,19 wenn sie Frauenfiguren abbildete, die wie die »ersten It-Girls« zwischen zwei Polen, nämlich »der aktiven Selbstgestaltung als Funktionselement von Gesellschaft und dem hedonistischen Selbstbezug«, angesiedelt waren.20

Die kosmopolitische und selbstbewusste Neue Frau wurde in der diffusen Atmosphäre der 1920er Jahre zur ambivalenten (Identifikations-)Figur mit großer Strahlkraft. Sie war durch die Ambivalenz von Wünschen und Normen, Selbstverwirklichung und Grenzerfahrung markiert und geriet zur Chiffre für die Idee der intellektuellen, kulturellen und gesellschaftlichen Gleichberechtigung. Aber nicht nur die Bemühungen zur Gleichstellung von Frau und Mann mündeten in einer Sackgasse; auch die Wirkmächtigkeit und der mediale Glanz der heterogenen (modischen) Varianten des Konzepts ›Neue Frau‹ als konsumorientiertem Kulturwesen begann mit der Weltwirtschaftskrise 1929 langsam zu verebben und wurde durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten von einem rückwärtsgewandten Frauenbild abgelöst.21

TEXT + KRITIK 228 - Gabriele Tergit

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