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2 Herausforderung der Moderne – Typologien der Neuen Frau bei Gabriele Tergit

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Tergit schreibt in ihren Reportagen und Prosatexten über junge und alte Frauen, über Berufstätige und Hausfrauen, über Grandes Dames, Reinigungskräfte und Stars. Verschiedene Aspekte des zeitgenössischen Diskurses um die Neue Frau grundieren dieses Spektrum. Tergits Texte spiegeln immer die gesellschaftlichen Verhältnisse, streifen verschiedene soziale Milieus und thematisieren tagesaktuelle politische und kulturelle Begebenheiten sowie zeittypische Phänomene: Arbeit in der Großstadt, Präsenz und Einfluss populärer Massenkultur, soziale Missstände, Arbeitslosigkeit und Machtverhältnisse.

Dabei repräsentiert Tergit selbst den neuen Typus von Schriftstellerinnen, der, so Erika Mann, neben Beiträgen für Zeitschriften auch Prosatexte veröffentlicht, die häufig besonders Frauen adressieren.22 Dass sich die Autorin hierbei immer wieder – dies sei nebenbei bemerkt – in der gemeinhin als feminin geltenden ›Kleinen Form‹ des Feuilletons auch über Geschlechterkonstellationen ausließ, ist bemerkenswert und doppelbödig, da sie sich vor allem mit ihren Gerichtsreportagen in einer deutlich durch männliche Autorschaft geprägten Tradition befand.23 Wohlwissend hatte Tergit ihre frühen Arbeiten auch aus diesem Grund unter männlichem Pseudonym verfasst.24 Als promovierte Historikerin verfügte sie »über keinerlei rechtswissenschaftliche Vorkenntnis«.25 Auch zeichnen ihre Gerichtsreportagen zu aktuellen Prozessen und Urteilen keine Emanzipationsgeschichten nach, sondern dokumentieren vor allem ihr poetologisches Programm, die sozialen Zusammenhänge einer Epoche zu diagnostizieren,26 die sich beispielsweise in den populären Debatten um den § 218 zeigten.27 In vielen ihrer Texte kontrastiert die Autorin Facetten des neuen Frauenbilds mit den Vorstellungen älterer Generationen, etwa in ihrem 1928 im »Berliner Tageblatt« veröffentlichten Beitrag »Kleine Diskussion«, in dem sie die Differenzen zwischen der »alten« Generation der Frauen der Jahrhundertwende, »die uns unsere Freiheit verschafften, von dieser Freiheit (aber) selber noch nicht ergriffen sind«, und der neuesten Generation, »der alles selbstverständlich geworden ist«, aufgreift.28 Sie fasst zusammen, was bis dato erreicht worden ist – »die Möglichkeit zu materieller Unabhängigkeit, zur Bildung, und die Ausdehnung des männlichen Sittengesetzes auf uns«29 –, und kommt zu dem appellhaften Schluss, dass nicht allein gesetzliche Regelungen den Umgang der Geschlechter in Hinblick auf Moral, Liebesleben und Privilegien regeln könnten, sondern – hier argumentiert sie ähnlich wie Rühle-Gerstel – gemeinsam daran gearbeitet werden müsse, »die ganze erkämpfte Freiheit und materielle Unabhängigkeit innerhalb und außerhalb der Ehe« zu manifestieren.30 So regt sie, wie auch in ihrem Text »Die Frauen-Tribüne«,31 zum Diskurs zwischen den Generationen an, während sie etwa in ihrer Reportage über »Anspruchsvolle Mädchen« den Fokus auf das Phänotypische, das »make up«, als den schwierigen Lebensumständen geschuldetes ökonomisches Verwertungsprinzip identifiziert:32 »Das neue Mädchen, die junge Frau von heute, ist in unsicheren Zeiten aufgewachsen, in Zeiten, in denen das Notwendigste in Frage gestellt wurde. Sie kennt das Leben, und sie ist bereit, jeden Tag zu arbeiten (…) sie muß und will nett aussehen. Das Hübschaussehen, das ›make-up‹ (…) ist ja keine Sache der Koketterie mehr, geschieht nicht, um einen reichen Mann zu finden, wie in früheren Zeiten, sondern seidene Strümpfe und gewellte Haare sind Waffen im Lebenskampf geworden.«33 Darüber hinaus stellt die Autorin die Mehrfachbelastung der Frauen als signifikanten Teil des vielschichtigen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit changierenden Konzepts der Neuen Frau dar: »(…) manche (Frau) unterstützt daheim eine alte Mutter und die Familie des arbeitslosen Bruders«.34 Und ihr Artikel über den Club der Soroptimisten, dem sie zeitweise angehörte, skizziert Frauen als überaus wandlungs- und anpassungsfähig und endet mit den lapidaren Worten: »Die Männer sind die gleichen geblieben, haben Konflikte, Gefahren und Ängste und Arbeit, sie legen Grundsteine, eröffnen Ausstellungen, machen Transaktionen, Pleite und gewaltige Erfindungen, geändert hat sich überall in den Ländern der Menschheit anderer Teil, die Frau.«35

In ihrem Berlin-Roman »Käsebier erobert den Kurfürstendamm«, der in der Endphase der Weimarer Republik erscheint, spürt die Autorin auch Fragen des zeitgenössischen Geschlechterverhältnisses nach, wodurch sich überdeutlich »mimetische Abbildung und prospektiver Entwurf«36 mischen. Die Romane von Frauen unterscheiden sich, so Erhard Schütz, grundsätzlich von denen der männlichen Autoren der Zeit, indem sie »eine viel tiefergehende Erfahrung von Unglück, von der Unmöglichkeit der Liebe haben, und ihr Schicksal nüchterner, weniger sentimental und pathetisch, weitaus gefaßter hinnehmen. (…) Stereotype von Männern über Frauen in Literatur (greifen) nicht mehr.«37 Dies veranschaulicht Tergit anhand der Figuren Fräulein Dr. Kohler und Käte Herzfeld, mit denen sie in ihrem Roman exemplarisch zwei ›Neue Frauen‹ der Weimarer Republik entwirft, die sich dem Dilemma zwischen Tradition und Moderne stellen und sich in dem Zwischenraum behaupten müssen, der auf der einen Seite von der Müttergeneration und deren moralischen Vorstellungen und auf der anderen Seite vom Typus der »Girlgeneration« mit ihren zahlreichen Implikationen geprägt ist. Anhand des »weiblichen Flaneurs«38 Charlotte Kohler, die auf ihren Streifzügen durch Berlin die heterogenen Lebensverhältnisse wahrnimmt, versucht Tergit ein Zeitschicksal abzubilden.39 Frances Mossop bemerkt in diesem Zusammenhang: »What perhaps surprises about Tergit’s literary explorations of the Weimar capital is the way in which they do not thematize the 1920s topic of the ›New Woman‹ and her new freedom of mobility.«40 Und tatsächlich legt Tergit keinen Fokus auf die Verbindung von Topografie und Genderfragen, sondern auf Aspekte der Wahrnehmung von Großstadt.41 In der Figur Charlotte Kohler zeigen sich die Veränderung des sozialen und politischen Klimas am Ende der Weimarer Republik und die Auswirkungen auf den »Subjektstatus des Individuums«.42

Als Kontrast zu der unglücklich verliebten Akademikerin Charlotte zeichnet Tergit mit der Gymnastiklehrerin Käte den »ganz neuen Typ«,43 nämlich eine selbständige, emanzipierte, sportliche und anpassungsfähige Frau. Im Rückblick war die Autorin mit der Konzeption dieser Figur, die sich im Romanverlauf als geschicktes kaufmännisches »Verkaufstalent«44 erweist, nicht zufrieden und schlug für die Neuauflage des Romans in den 1970er Jahren eine Änderung des Namens vor.45 Die Lektorin befand die Figur jedoch als durchaus zeittypisch: »Es ist eine sehr schillernde und für die Zwanziger Jahre typische Gestalt, wie sie fast nur von einer Berliner Jüdin verkörpert werden kann. Wir fanden gerade die Beschreibung dieser Frau sehr reizvoll und in keiner Weise diskriminierend, geschweige denn antisemitisch.«46

In Tergits Texten zeigt sich das Soziale als zentrales Thema der Moderne. Und ihre Frauenfiguren verdeutlichen die Widersprüchlichkeit der ›Neuen Frauen‹ in der Weimarer Republik, die im privaten und öffentlichen Sektor zwischen Selbstverantwortung und Abhängigkeit sowie der konservativ-(groß)bürgerlichen Müttergeneration und dem Ideal der emanzipiert-gleichberechtigten Frau oszillieren. In Bezug auf Oberflächenphänomene – äußere Erscheinung, Habitus, Mode und Attribute – zeigen sich ihre Frauen emanzipiert, während der innere Entwicklungsprozess mit Verzögerung folgt; prägende traditionelle Verhaltensmuster können, vor allem im Umgang zwischen den Geschlechtern, nicht mit gleicher Konsequenz und vergleichbarem Tempo abgelegt werden.

Und so umweht Tergits Blick auf die Idee der Neuen Frau und der Gleichberechtigung zuletzt ein Hauch von Melancholie: »Wir wurden Ärztinnen und Juristinnen und Journalistinnen und Ministerialbeamtinnen. Wir gingen in den Lebenskampf und bewährten uns, soweit man sich, geduldet halb und halb gehaßt, bewähren kann. Wo wir aber auftauchten, kurzröckig, kurzhaarig und schlankbeinig, fuhren die Männer der älteren Generation zusammen und fragten: ›Was sind das für Geschöpfe?‹ Wir antworteten: ›Die neue Frau‹. Das war alles gestern.«47

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