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Eine Büchersammlung der Lutherzeit Aspekte der Erforschung von Blocks Gelehrtenbibliothek Von Jürgen Geiß-Wunderlich
ОглавлениеI Eine Privatbibliothek als Geschichtsquelle
Das Entdecken und Interpretieren neuer Quellen ist für den Historiker immer mit einem unvergleichlichen Reiz verbunden. Die Erforschung des Lebens und Wirkens des pommerschen Reformators Johannes Block ist ein Paradebeispiel dafür. Zentrales Dokument, das es hierbei zu erforschen gilt, ist seine Bibliothek, eine private Büchersammlung, die nach dem Tod ihres Besitzers gut 450 Jahre in der Marienkirche in Barth in einem tiefen »Dornröschenschlaf« versunken war. Da Block anderweitig, das heißt außerhalb seiner Büchersammlung, nur ganz punktuell bezeugt ist und diese Angaben bislang noch nicht systematisch aufeinander bezogen wurden, war eine historisch adäquate Einschätzung seiner Person als »Leuchtturm« der frühen evangelischen Bewegung in den Ostseeländern bis heute kaum möglich. Mein Beitrag konzentriert sich daher darauf, Blocks Prädikantenbibliothek als historische Quelle kritisch zu sichten. Hieraus ergibt sich die Gelegenheit, die Büchersammlung in den Kontext der außerbibliothekarischen Quellen einzuordnen.1 Leitend waren für mich dabei zwei methodische Grundfragen: Inwiefern lassen sich aus einer historischen Gelehrtenbibliothek wie derjenigen Blocks Aufschlüsse über sein Leben und Wirken gewinnen? Und – etwas weiter gefasst – was für ein Licht wirft das Leben des bislang unbekannten Reformators auf die Übergangszeit vom alten zum neuen Glauben im politischen Einflussgebiet der Hanse?
Auf Johannes Block und seine Büchersammlung stieß ich eher zufällig gegen Ende der 1990er Jahre. Ich forschte damals zur Rezeption der Werke des italienischen Protohumanisten Francesco Petrarca nördlich der Alpen; dabei konzentrierte ich mich auf die älteste gedruckte Überlieferung seiner Werke bis etwa 1520.2 Mit Blick auf Block war der Fund eines niederländischen Schuldrucks aus seiner Büchersammlung3 der Anfang, der sich im Nachhinein als Griff in eine Goldgrube erwies. Denn bei nachfolgenden Recherchen fand ich in einer Märzwoche des Jahres 2001 in der 4.000 Bänden der Kirchenbibliothek nicht weniger als 123 Bände aus Blocks Büchersammlung.4 In den Folgejahren kamen noch einige Bücher hinzu, so dass bis heute 127 Codices nachweisbar sind; einer fand sich erst kürzlich in der Berliner Staatsbibliothek.5 Die genannten 127 Bände enthalten neun spätmittelalterliche Handschriften und die stattliche Anzahl von 260 Drucken, darunter 40 Inkunabeln. Viele sind Sammelbände, die überwiegend aus Drucken – vereinzelt auch aus Manuskripten – bestehen. Alles in allem ist das ein zeittypisches, bunt zusammengewürfeltes spätmittelalterlich-frühneuzeitliches Buchensemble, das Block über die Jahre durch Kauf oder Schenkung zu einer der bedeutendsten Privatbibliotheken seiner Zeit im Norden geformt hat. Vom Umfang her entspricht diese Sammlung in etwa dem Bestand einer kleineren zeitgenössischen Klosterbibliothek.6 Doch nicht nur die Größe beindruckt, sondern auch der Erhaltungszustand. Hier haben die langfristig günstigen Überlieferungsbedingungen in einer abgelegenen Kirchenbibliothek ihren Teil dazu beigetragen, dass wir nur mit geringen Verlusten rechnen müssen – auch wenn wir in Ermangelung eines zeitgenössischen Inventars nicht wissen können, wie groß die Block-Sammlung ursprünglich war. Unabhängig davon dürfte die Büchersammlung des Barther Reformators jedoch die einzige annähernd erhaltende Privatbibliothek eines Reformators und Zeitgenossen Luthers im Ostseeraum gewesen sein. Schon allein das macht sie zu einem einzigartigen und in jeder Hinsicht schützenswerten Ensemble, das wertvolle Aufschlüsse zur Religiosität und zur Kultur- und Bildungsgeschichte an der Schelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit und im Übergang zur Reformation in Nordosteuropa verspricht.
Doch nicht nur für die Kulturgeschichte im Allgemeinen, sondern auch für die Biographie Blocks im Besonderen besitzt seine Büchersammlung einen immensen historischen Zeigewert. Fragen wir, was wir von dem Barther Prädikanten und seinem Verständnis von »Reformation« wüssten, wenn seine Bücher nicht als Legat an die Barther Marienkirche gegangen wären, so müssten wir einräumen: »Praktisch nichts!« Die anderen Quellen sind – wie oben bereits angedeutet – äußerst rar, und was Blocks eigene Werke betrifft, so stehen wir ohnehin vor einer »tabula rasa«: Keine einzige Predigt – ob lateinisch oder niederdeutsch, ob Konzept, Original oder Abschrift – ist von ihm erhalten geblieben. Wir besitzen auch keine Abschrift eines anderen Werks aus seiner Feder, kein autobiographisches Selbstzeugnis, nicht einmal aus seiner Barther Zeit, wo es – im Gegensatz zu seinen anderen Wirkungsorten (Danzig, Dorpat/Livland, Wiburg/Finnland) – zumindest in den lokalen und regionalen Kirchenakten der frühen Reformationszeit punktuelle Zeugnisse seines Lebens und Wirkens gibt. Hier bietet Barth, wo Block 1533/35 die Reformation eingeführt hat und wo er auch gestorben ist, am meisten: Die Grabplatte des Reformators, die bis in das 19. Jahrhundert hinein vor dem Nordportal der Sankt-Marien-Kirche in den Boden eingelassen war, ist heute zwar verloren, liefert aber mit dem Beginn seines reformatorischen Wirkens (23. Februar 1533) und seinem Tod (9. November 1545) die wichtigsten Kerndaten zu seinem Leben und zu seinem Wirken für die evangelische Bewegung vor Ort. In den Barther Kirchenrechnungen, einer zweiten wichtigen Quelle, wird Block Weihnachten 1544 noch als Mitarbeiter (»kercken denere«) erwähnt, zu Ostern 1545 aber schon nicht mehr. Da er andererseits 1545 als Teilnehmer an einer Provinzialsynode der pommerschen Kirche in Greifswald noch genannt wird, bleibt hier die Frage nach seinem Rückzug aus dem Barther Kirchendienst bzw. nach seinem Todesdatum offen. Hier kann man hoffen, in den Daten aus seiner Bibliothek weitere Klärungen zu erhalten. Das gilt gleichermaßen für den Beginn seines Kirchendienstes als Barth, zumal Block noch eine Zeitlang (bis 1538) an zweiter Stelle nach dem altgläubigen Pfarrer (Kirchherren) Nikolaus Brun genannt wird. Konsequenterweise zählt der Schreiber der Kirchenrechnungen den Reformator erst ab 1536 unter die Gruppe der »kerken denere«, ab 1537 bezeichnet er ihn dann regelhaft als »(overste[n]) predicante[n]« bzw. als »preddycker«; als Pastor taucht er hier allerdings nirgends auf.
Die früheren Quellen zu Blocks Leben außerhalb Barths sind noch punktueller und eröffnen nicht mehr als Schlaglichter. Geht man chronologisch vor, haben wir zunächst einen erst kürzlich von mir entdeckten Quellenfund aus dem Domarchiv von Blocks Heimatdiözese Kammin.7 Als Kleriker, Vikarspfründner und Sakristan ist er hier 1515 erstmals historisch bezeugt, als er eine enorme Erhöhung seiner jährlichen Pfründeneinkünfte von 4 auf 80 Mark erreichte. Diese Pfründe scheint Block auch nach seinem späteren Übertritt zur Reformation beibehalten zu haben. Zudem vernetzte er sich mit dem Kauf eines Kurienhauses in Kammin (1522) fest im politischen Machtgefüge seiner Diözese, wie die Kamminer Urkunden an anderer Stelle verraten. Auf diese ökonomischen Ressourcen verzichtete er nach Aktenlage endgültig erst 1538 – und damit genau zu einer Zeit, als er als evangelischer Oberprediger und Pastor in Barth endgültig Teil des landesfürstlichen Reformationsnetzwerks der Pommernherzöge geworden war.
Ein weiteres, zwar punktuelles, aber überaus wertvolles Quellendokument kommt aus Finnland. Es handelt sich dabei um einen Geleitbrief, den Blocks damaliger Dienstherr Graf Johann von Hoya in seinem Machtzentrum Wiburg (Karelien, heute Rußland) für seinen Prediger im August 1532 ausgestellt hat. Die Urkunde wurde erst in den 1980er- oder 1990er-Jahren von dem finnischen Reformationshistoriker Simo Heininen entdeckt und mit Hilfe des ehemaligen Barther Pastors und Kirchenbibliothekars Michael Reimer auf den pommerschen Reformator Block bezogen.8 Sie ist deswegen so wichtig, weil Block hier nicht nur erstmals auch als Protagonist der Reformation in Finnland hervortritt, sondern weil sie ihn das erste (und einzige) Mal zu dieser Zeit als verheiratet bezeichnet. Im überaus quellenarmen Finnland zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist der Wiburger Geleitbrief über die engeren biografischen Bezüge hinaus ein wichtiges Zeugnis zur Reformationshistorie, dessen Tragweite bezüglich der Protagonisten, Förderer und politischen Verflechtungen bislang nicht einmal in Ansätzen erkannt bzw. ausgewertet wurde. Es verdient eine besondere Hervorhebung, dass Blocks Wirken in Wiburg eines der frühesten Reformationszeugnisse im Land überhaupt darstellt, das in enger Beziehung zum ersten Auftreten des finnischen Protoreformators Michael Agricola in Turku (1528) gesehen werden muss.
Was die Fürstenreformation in Pommern betrifft, so ist Block – über die oben genannten Belege hinaus – in zwei Visitationsrezessen des Herzogs aus den Jahren 1536 und 1544 als »overster predicante« der Barther Marienkirche belegt, schließlich in den Jahren 1541, 1544 und – wie oben bereits erwähnt – 1545 als Abgesandter der Marienkirchengemeinde auf drei Provinzialsynoden in Greifswald und Stettin. Es ist diese Urkundengruppe, die uns zu der Annahme berechtigt, dass Block in Pommern schon sehr früh als Protagonist der evangelischen Bewegung im Baltikum bzw. in Finnland wahrgenommen wurde, was ihn als den geeigneten Mann erscheinen ließ, von der Herzogstadt Barth die Durchsetzung der Reformation durchzusetzen. Aus Barth ist schließlich ist noch das Bild der dortigen Renaissancekanzel zu erwähnen, das Block in der Nachfolge des Evangelisten Johannes (seines Namenspatrons) zeigt.9 Das Bild wurde von einem unbekannten Meister gegen Ende des 16. Jahrhunderts, vermutlich als Nachzeichnung einer zeitgenössischen Vorlage, gefertigt. In den Händen hält der äußerlich mit kargen Gesichtszügen und einem mächtigen weißen Bart gekennzeichnete Prädikant ein Buch mit der niederdeutschen Fassung einer Bibelstelle nach Johannes (3,16): »Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab …«. Die evangelische Gemeinde in Barth formte damit eine Generation nach Blocks Tod ein Erinnerungsbild von ihrem Reformator mit einem hohen Identifikationsfaktor für die eigene Geschichte im reformatorischen Barth und in Pommern. Das gilt umso mehr, als die Kirchenoberen »ihren« Prediger auf der neuen Kanzel offenbar bewusst neben die großen Wittenberger Theologen Philipp Melanchthon und Paul Eber sowie neben den ersten pommerschen Superintendenten Jakob Runge platzierten.
Fassen wir diesen kargen und von Zufälligkeiten bestimmten Quellenbefund zusammen und lassen wir Blocks Bibliothek erst einmal beiseite, so steht der pommersche Prädikant vor allem als Reformator des Barther Landes und als Mitorganisator des entstehenden evangelischen Kirchenwesens in Pommern ab den frühen 1530er-Jahren vor uns. Seine Vorgeschichte als Kleriker und Pfründner der pommerschen Diözese Kammin (1515, 1522, 1538) und als gräflicher Schlossprediger im finnischen Wiburg (1532) leuchtet nur ganz punktuell auf. Mit Blick auf seine Büchersammlung ist die spannende Frage, was diese zur Ergänzung oder zur Korrektur dieses bruchstückhaften Bildes beitragen kann.
II Von der Büchersammlung zur Biographie
An das vorher Gesagte schließt sich eine methodische Grundfrage an, die lautet: Wie lassen sich Blocks Bücher für die Rekonstruktion des Lebens und Wirkens eines Zeit- und Gesinnungsgenossen Martin Luthers zum Sprechen bringen? Welche Hilfsmittel brauchen wir, um die verstreuten Steinchen der Büchersammlung zusammen mit den anderen Quellen zu einem Mosaik der frühen Reformationszeit im Ostseeraum zusammenzufügen? Um diese Fragen zu beantworten,10 möchte ich zunächst mit den Kauf- und Besitzvermerken in seinen Büchern beginnen. Block hat diese wertvollen historischen Dokumente glücklicherweise in die meisten seiner Bücher eingetragen. In ihrer Zusammenschau wird es möglich, nicht nur seine Privatbibliothek aus der deutlich größeren Sammlung in der Marienkirche in Barth herauszuschälen, sondern über seine Selbstbezeichnungen und die Datierungen auch ein Itinerar seines Lebens und Wirkens im Ostseeraum in der Zeit von etwa 1490 bis 1545 zu erstellen. Einige dieser Vermerke sind datiert, was uns die Möglichkeit eröffnet, von hier aus ein tragfähiges zeitliches Gerüst zu errichten. Überraschend – und aus den anderen Quellen völlig unbekannt – ist dabei Blocks Selbsttitulierung als »cappellanus Stolpensis« in den frühen 1490ern im Umfeld einer unbekannten Lateinschule im Norden. Überliefert dieser Beleg nur ein kleines und eher unbedeutendes Detail seines frühen Lebens, so überrascht in den datierten Bezeugungen seiner Bücher eine (anderenorts unbekannte) Wanderbewegung von Pommern über die Ostseemetropolen Danzig und Dorpat in den ersten beiden Jahrzehnten (1512, 1513 bzw. 1514, 1526) nach Finnland. Die Wiburger und Barther Zeit treten mit den Datumsangaben 1532 bzw. 1539 und 1541 noch etwas profilierter hervor als über die außerbibliothekarischen Zeugnisse.
Doch es sind nicht nur die datierten Kauf- und Besitzvermerke, die hier neue Aufschlüsse über Blocks Leben ermöglichen, es sind auch diejenigen ohne Datum, bei denen entweder die Druckdaten, die Einbände oder die Preisangaben in verschiedenen regionalen Münzfüßen helfen, eine erste Skizze zu einem deutlicher erkennbaren Lebensbild auszumalen. Bei den Preisvermerken kommen vornehmlich Angaben in preußischer, rigischer und lübischer Mark und (sundischen) Groschen vor. Für Dorpat, wo die rigische Mark Hauptzahlungsmittel war, weiten sich die Möglichkeiten der Ortszuweisungen durch die hier überproportional häufig überlieferten Buchpreise deutlich aus. Für die bucharchäologische Gesamtschau sind die Datumsangaben der Drucke ähnlich bedeutend, aber auch die durch Materialvergleich möglichen Lokalisierungen (und davon abgeleiteten Datierungen) der Einbandateliers (hier v. a. Werkstätten der Handelsstädte Antwerpen, Rostock, Stralsund, Danzig und Dorpat). Nimmt man die vielen Detailbeobachtungen zusammen, so lassen sich die verschiedenen Lebensstationen des Wanderpredigers Blocks mit Hilfe der buchkundlichen und bibliographischen Angaben aus seinen Büchern viel genauer fassen als in allen anderen historischen Quellen zusammen. Das mit Blick in seine Bücher nun deutlich retuschierte und schärfer fokussierbare Bild weist nun die Diözese Kammin (vor 1512), die von niederdeutschen Fernkaufleuten geprägten Handelsstädte Danzig (1512-1513), Dorpat (1514-1528) und Wiburg (1528-1532/34) sowie Barth (1532/34-1545) als die dominanten Lebens- und Wirkungsstationen Blocks in Pommern, Preußen, im Baltikum und in Finnland aus.
Von besonderem Wert für die Ausleuchtung von Blocks Biographie mit Hilfe seiner Bücher – vor allem für die rekonstruierbaren Brüche seines Lebens als Wanderprediger im Baltikum und Finnland – sind seine Selbstbezeichnungen. Es lassen sich hier, je nach Lebensphase, verschiedene Typen unterscheiden, die sich recht klar den oben genannten Lebensstationen zuordnen lassen. Zunächst das Wichtigste: Johannes Block bezeichnet sich in seinen Büchern nur zwischen 1519/20 und 1524/25 in Dorpat und ab 1528 in Wiburg und Barth als Prediger (»predicator«, »concionator«, »ecclesiasticus«). Die Tatsache, dass er sich in Dorpat gleichzeitig als Prediger an zwei Kirchen bezeichnet (am Dom und an der Stadtpfarrkirche St. Marien), zeigt deutlich seine Zugehörigkeit zu dieser neuartigen und für die Reformation wichtigen Berufsgruppe. Die schon in vorreformatorischer Zeit häufig als »Prädikanten« bezeichneten Personen, die ausschließlich für die Zahl ihrer Predigtdienste entlohnt wurden und nicht in den Messfeiern, sondern in Predigtgottesdiensten eingesetzt wurden, gerieten seit dem späten Mittelalter in scharfem Gegensatz zum Pfarrklerus mit seinen Pfründen, aber auch zu den auf die Predigt spezialisierten Bettelorden. Oftmals gefördert vom Rat der Städte und durch Predigtstiftungen wohlhabender Bürger wurden die Prädikanten – je nach konfessioneller Perspektive – häufig zu Leuchttürmen oder zu Trojanischen Pferden für die Reformation. So war das offensichtlich auch bei Block in Dorpat, nur dass er sich nach den Bilderstürmen in der Stadt (1524/25) plötzlich nicht mehr als »Prediger« bezeichnete, sondern schlicht – wie vorher – als »Johannes Block Stolpensis«. Daraus lässt sich schließen, dass er seine um 1520 erlangte Doppelprädikatur schnell wieder verloren hat, wohl deshalb, weil sich in den beginnenden konfessionellen Grabenkämpfen kein Dienstherr – weder die Stadt noch der Bischof – der Loyalität ihres (ehemaligen) Predigers mehr sicher sein konnte.
In Barth hingegen war Block im Rahmen der durch Johannes Bugenhagen angestoßenen landesfürstlichen Reformation (1534) zu einem Teil des entstehenden evangelischen Pfarrklerus in Pommern geworden. Konsequenterweise nennt er sich in den Besitzvermerken (analog zu den Barther Kirchenrechnungen) »predicante« und »minister ecclesie«, später auch »pastor«. In vorreformatorischer Zeit, d. h. in Kammin, Danzig und in seiner frühesten Zeit in Dorpat (bis 1520), hatte er sich hingegen nur als »clericus«, dann ab 1515, als er seine Kamminer Vikariatspfründe erhalten hatte, als »presbyter« bezeichnet, was mit den Domstiftsurkunden aus Kammin korrespondiert. Im Zusammenspiel mit den außerbibliothekarischen Quellen lassen sich die Besitzvermerke damit in einen Rahmen einbringen, der hilft, die Schichtungen von Blocks Bibliothek und ihre Wechselwirkungen mit seinem Engagement als Prediger und Reformator im Ostseeraum genauer beschreiben zu können.
III Chancen und Grenzen der Erkenntnis
Wir sehen also: Im Vergleich mit den außerbibliothekarischen Quellen wirft Blocks Büchersammlung entscheidende Schlaglichter auf sein (bislang nur rudimentär erkennbares) Wirken als Prediger im Hanseraum. Geht man einen Schritt weiter, stellt sich die Frage, ob sich mit Hilfe der buchkundlichen Quellen auch ein möglicher Zusammenhang zwischen seiner Erwerbung von Büchern, ihrem Arrangement zu einer Gelehrtenbibliothek und den verschiedenen Phasen seines Lebens und Wirkens aufdecken lässt. Das ist für den Übergang Blocks vom alten zum neuen Glauben und für die Einschätzung seiner Bedeutung als einer der ersten regionalen Reformatoren der Lutherzeit sicherlich die spannendste Frage. Interessant hierbei ist, dass er auch als reformatorischer Prädikant die in einer vorreformatorischen Phase erworbenen Bücher aufbewahrt hat – Bücher aus seiner Schulzeit, dazu Literatur zu den Themenbereichen Predigt, Kirchenrecht, Theologie, Patristik und Humanismus. Diese scheinen für ihn durch den Übertritt zur Reformation um 1520 zumindest nicht so untragbar geworden zu sein, dass er sich von ihnen hätte verabschieden müssen. Im Gegenteil: Die reformatorische Literatur lagerte sich in der Folge an seine spätmittelalterliche Predigerbibliothek an wie neue Jahresringe um einen Baumstamm.
Damit lassen sich in einer groben Skizze in Blocks Predigerbibliothek drei zeitliche Phasen unterscheiden:
(1) Bei Blocks spätmittelalterlicher Predigerbibliothek, die er um 1500-1520 in der Diözese Kammin, in Danzig und in seiner frühen Zeit in Dorpat (bis 1519/20) aufbaute, liegt der Schwerpunkt eindeutig bei den Predigtmuster- und Predigtlehrbüchern (23%), gefolgt von humanistischer Schulliteratur (15%), patristischen Standardwerken (14%) und scholastischer Orthodoxie (12%). Eine geringere Rolle spielten die Bereiche Recht und Aszetik, was bereits eine deutliche Ablösung Blocks aus dem Strom der innerkirchlichen Reformbewegung anzuzeigen scheint. Die massive Aufstockung seiner Pfründe durch die Übernahme des Kamminer Vikarsamtes (1515) ermöglichte ihm in der Folge den Erwerb großer und auch kostspieliger Werkausgaben. Damit stieg sicherlich auch sein Renommée als Besitzer einer gut sortierten und breit aufgestellten Prediger- und Gelehrtenbibliothek.
(2) Zwischen 1520 und 1532 ist in Blocks Büchersammlung in Dorpat und Wiburg eine rapide frühreformatorische Über formung erkennbar. Block setzte in dieser Phase völlig neue Schwerpunkte beim Neuerwerb von Büchern und legte bislang unbekannte Interessen an bestimmten Textsorten und Themenfeldern an den Tag; so interessierte er sich in dieser Zeit erstmals auch für die Hebraistik. Einen hohen qualitativen Zeigewert für das Herauswachsen aus dem spätmittelalterlichen Kontext in dieser Phase haben Kontroversschriften bzw. Schriften, mit denen sich die Reformation als eigenständige Richtung auszuprägen begann (48%). Hier sind vor allem die Schriften aus dem Streit zwischen Erasmus und Luther über den freien Willen zu nennen, die für die frühe reformatorische Bewegung insgesamt von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Was allerdings fehlt, sind Zeugnisse der Auseinandersetzung zwischen Luther und seinen frühen Kontrahenten des »linken« Spektrums (Müntzer, Karlstadt, Zwingli). Dies scheint ein Beleg dafür zu sein, dass sich Block recht unbefangen und breit ein relativ ausgewogenes Meinungsbild über eine geistige Bewegung verschaffte, die von dem bibelphilologischen und reformorientierten Geist des Erasmus inspiriert war. Ein wichtiges Element sind hier evangelische Bibelkommentare (30%), welche traditionelle (reform)theologische Schriften zu dieser Zeit fast gänzlich an die Wand drängten (9%). Da diese jedoch nicht vollständig fehlen, liegt es nahe anzunehmen, dass Block auch in dieser Phase einer explizit reformatorischen Profilierung traditionelle und ihm vertraute theologische Literatur für die Ausbildung seines eigenen Verständnisses von »der« Reformation verwendet hat.
(3) In seiner Barther Zeit (1533-1545) hat der städtische Prädikant und Reformator seine Büchersammlung dann vollends als evangelische Predigerbibliothek ausgebaut. Hier dominieren an Neuerwerbungen v. a. einschlägige Bibelkommentare Wittenberger, oberdeutsch-schweizerischer und hessischer Provenienz (52%). Zunehmend kommen nun auch Schriften der evangelischen Orthodoxie bzw. Systematik (26%) in seinen Besitz. Einzelne Kontroversschriften (11%) zeigen an, dass die Suche nach einem evangelischen Profil bei Block zu dieser Zeit noch nicht abgeschlossen war. Nicht unwahrscheinlich ist, dass er auch als evangelischer Prädikant für die Vorbereitung seiner Predigten auf seine alten spätmittelalterlichen Musterpredigten zurückgegriffen hat; diese konnte er jedenfalls mit Hilfe der evangelischen Kommentarliteratur leicht auf das Niveau und die theologischen Vorstellungen des neuen Glaubens bringen.
Da Block keine eigenen Schriften hinterlassen hat, lassen sich diese Vermutungen nicht eindeutig belegen. Dazu kommt, dass die Textsortenanalyse der Erwerbungen nur unter der Annahme funktioniert, dass Block seine Bücher nicht nur gekauft und besessen, sondern auch gelesen hat. Hier verspricht eine Analyse seiner (eher spärlichen) Glossen und anderer Benutzungsspuren (Rubrizierungen, Flecken und abgegriffene Stellen, inhaltlich plausible Arrangements zu Sammelbänden, Inhaltsverzeichnisse) zwar einen gewissen Aufschluss, aber sicher kann man sich hier nirgendwo sein. Ein halbes Jahrtausend nach Block müssen wir uns eingestehen, dass selbst bei einer so gut rekonstruierbaren Büchersammlung wie derjenigen des Barther Reformators Unsicherheiten und offene Fragen bleiben, die es schwierig machen, von den Büchern auf die religiösen Einstellungen, gelehrten Interessensfelder und kirchenpolitischen Haltungen ihres Besitzers zurück zu schließen. Diese methodischen Einschränkungen schmälern den kulturhistorischen Wert von Blocks Büchersammlung freilich nicht. Seine Privatbibliothek ist zweifellos ein außergewöhnliches und bemerkenswertes Denkmal, das uns Aufschlüsse über die religiösen und politischen Wandlungen und Umbrüche von Geisteshaltungen zu einer Zeit zu geben vermag, als Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 die Welt veränderte. Bei Block kommt es darauf an, die Hinweise in seinen Büchern aufmerksam zu lesen, kritisch zu interpretieren und aus der Archäologie des Buches heraus neue Fragen an den pommerschen Reformator und seine Bibliothek zu stellen.
1 Um Wiederholungen zu vermeiden, wurde in diesem methodisch ausgerichteten Beitrag auf konkrete Quellenangaben weitgehend verzichtet. Diese finden sich dem Beitrag Jürgen GEISS-WUNDERLICH: Pommern, Livland, Finnland – und zurück: der Wanderprediger und Reformator Johannes Block im Spiegel seiner Büchersammlung, in diesem Band S. 125178.
2 Jürgen GEISS: Zentren der Petrarca-Rezeption in Deutschland (um 1470-1525): rezeptions-geschichtliche Studien und Katalog der lateinischen Drucküberlieferung. Wiesbaden 2002, v. a. 65; 211 f.
3 Ebd, 211 f.
4 Jürgen GEISS: Die Bücher des Johann Block von Stolp: Untersuchungen zu einer frühreformatorischen Predigerbibliothek im Ostseeraum. Hausarbeit zur Prüfung für den höheren Bibliotheksdienst, FH Köln. Köln 2001; Jürgen GEISS: Die Kirchenbibliothek zu St. Marien. In: Stadt Barth 1255-2005/ hrsg. von Jörg Scheffelke und Gerd Garber. Schwerin 2005, 413-416, hier: 414 f.
5 Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz [SB], Inc. 1515,5 (1990,5); aufgefunden durch meinen Berliner Kollegen und Leiter des »Gesamtkatalogs der Wiegendrucke«, Falk Eisermann, dem ich für die Mitteilung herzlich danke.
6 So bestanden die gut ausgestatteten Studienbibliotheken der Franziskaner und Dominikaner in der Hansestadt Greifswald um 1530 aus etwa 400 bzw. über 200 an Lesepulte angeketteten Bänden, vgl. Jürgen GEISS: Buchhandel, Bettelorden, Büchersammlungen: Erkundungen zur Bibliothekslandschaft im spätmittelalterlichen Greifswald. Quaerendo 41 (2011), 214-224, hier: 217.
7 Berlin, SB, Ms. Boruss. fol. 97. Es handelt es sich hierbei um ein Inventar der Urkunden und Akten, das 1640 angefertigt wurde und einen Zugriff auf das verschollene bzw. nur in Teilen (z. B. im Pommerschen Landesarchiv Greifswald) erhaltene Domstiftsarchiv zumindest in Form von Regesten ermöglicht.
8 Simo HEININEN: Johannes Block, praedicator Wiburgensis. In: Pro Finlandia 2001: Festschrift für Manfred Menger/ hrsg. von Fritz Petrick und Dörte Putensen. Reinbek 2001, 79-82.
9 Abbildung auf dem Frontispiz des vorliegenden Bandes.
10 Zur Dokumentation der Quellenbelege aus der Bibliothek vgl. zusätzlich zu den Literaturangaben in Geiß-Wunderlich: Pommern, Livland, Finnland … (wie. Anm. 1) die einschlägigen Lemmata des Buch- und provenienzhistorischen Registers zum Katalog unten S. 266-274.