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Monika Niehaus Das Auge des Zyklopen

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„Und du glaubst wirklich nicht an Magie, Sihdi?“

Halef, mein Führer und Gefährte, der ein paar Pferdelängen vor mir ritt, drehte sich zu mir um, sein dünner Bart ob so viel Begriffsstutzigkeit empört gesträubt.

„Das meiste, was abergläubische Leute für Magie halten, lässt sich wissenschaftlich erklären. Und was uns heute noch phantastisch erscheint, werden wir morgen verstehen“, entgegnete ich ihm.

„Sihdi, du bist so klug; wenn du nur auf mich hörtest, könnte aus dir der größte Magier von allen werden. Also werde ich dich überzeugen, du magst wollen oder nicht …“ Er trieb sein Pferd zu einem flotten Trab an.

Diese Diskussion hatten wir schon häufiger geführt, daher hörte ich nur mit halbem Ohr zu und studierte den Ring an meiner linken Hand. Wir befanden uns auf dem Weg von Djelfa nach El Oued und wollten nach einem Abstecher über den Schott el Dscherid weiter nach Kairo. Unterwegs hatten wir in einer Karawanserei in Touggourt Rast gemacht. Dort hatte ich einem Ägypter einen Dienst erwiesen und er hatte darauf bestanden, sich erkenntlich zu zeigen. Ich bin eigentlich kein Freund von Schmuck, doch um den alten Mann nicht zu kränken, hatte ich den Ring angenommen. Es war ein schmaler Silberreif mit einem Onyx, aus dem ein Relief herausgearbeitet war.

Ein Ausruf Halefs ließ mich auffahren. „Sihdi, ein Reiter nähert sich …“

Wir zügelten unsere Pferde und ich versicherte mich, dass mein Revolver griffbereit war. Dies waren unsichere Gegenden und unsichere Zeiten.

Der Reiter kam in gestrecktem Galopp auf uns zu. Kurz vor uns stoppte er sein Pferd und grüßte höflich. „As-salama alaykum, ich suche einen Franken, der ein großer Gelehrter sein soll …“

„Wisse, Fremder, mein Sihdi ist der weiseste aller Männer und …“ Halef verstummte verblüfft, denn der Reiter hatte den Teil seines Burnus, der sein Gesicht bis auf die Augen verhüllte, fallen lassen, und wir sahen in das Gesicht einer jungen Frau mit ebenmäßigen Zügen und dunklen, fast nachtschwarzen Augen.

Ich trieb mein Pferd einen Schritt vor. „Ich bin Franke, man nennt mich Kara Ben Nemsi, und das ist mein Gefährte Halef, aber woher weißt du von mir?“ Sollte sie von unserem kleinen Abenteuer in Touggourt gehört haben? Das war eigentlich unmöglich …

Die junge Reiterin lächelte. „Nachrichten wandern oft schneller durch die Wüste als der Wind. Mein Name ist Asifa. Der Scheik der Uëlad Sebira, die in der Nähe ihre Herden weiden, bietet euch seine Gastfreundschaft an. Er braucht deinen Rat.“

„Und er hat dich ausgeschickt, mich um Hilfe zu bitten?“

„Mich schickt niemand!“ Ihre Augen blitzten selbstbewusst. „Ich bin Binti Riih, die Tochter des Windes, und ich komme und gehe, wie es mir gefällt.“ Sie wies auf den Himmel hinter uns. „Und momentan seid ihr auf meine Hilfe angewiesen.“

Ich drehte den Kopf. Der Himmel im Westen hatte sich verfinstert, und als Vorboten eines Sandsturms prasselten die ersten scharfkantigen Sandkörner auf die Kruppen unserer Pferde, die sichtlich unruhig wurden und schnaubten.

Halef drängte sein Pferd an meine Seite. „Sihdi, und was ist, wenn dieses schöne Weib eine Dschinnīya1 ist, die uns in die Irre führen will?“, flüsterte er besorgt. „Der Sturm kommt aus dem Nordwesten, wenn wir scharf nach Osten abbiegen, müssten wir ihm auch ohne ihre Hilfe entkommen.“

Asifa, die offensichtlich ein feines Gehör hatte, lachte. „Du hast Recht, vorsichtig zu sein, aber ihr werdet einen Führer brauchen, denn direkt im Osten liegt das Sandmeer, das wir durchqueren müssen.“

Von dieser Region aus Treibsand und Geröll hatte ich gehört, sie galt als höchst gefährlich. „Du kennst den Weg?“, fragte ich Asifa.

„Ja, aber noch viel besser kennen Rasad und Ifrit die sicheren Pfade!“ Sie steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Wenige Augenblicke später galoppierten zwei Hyänen heran und umkreisten ihre Herrin hechelnd.

Halef fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Sihdi, wir können unmöglich …“

„Um den Geistern des Sandmeeres zu entkommen, müssen wir sehr schnell reiten, sonst ziehen sie uns in die Tiefe“, unterbrach Asifa seinen Protest und ließ sich von ihrem Pferd gleiten. „Daher werde ich mein Pferd mit dem deines Effendi tauschen, denn ich bin viel leichter als er – vertraust du mir jetzt?“

Asifa ritt eine milchweiße Araberstute reinsten Geblüts, die ich schon die ganze Zeit bewundert hatte und gegen die unsere kleinen, struppigen Berberpferde wie Klepper wirkten. Dieses großmütige Angebot ließ Halefs Zweifel auf der Stelle schwinden. „O Sihdi, Asifa ist eine edle Tochter der Wüste. Keine Dschinnīya würde ein solches Pferd aufs Spiel setzen!“

Ich zögerte einen Augenblick, auf den Tausch einzugehen, aber sie legte mir die Hand auf den Arm. „Effendi, vertrau mir“, bat sie.

Für weitere Diskussionen blieb keine Zeit. Es war auf einmal drückend schwül geworden; die Vorläufer des Sturms hatten uns erreicht und mit ihnen ein feiner roter Staub, der uns einhüllte wie Mehltau und die Sonne wie eine von violetten Schlieren durchzogene Kupferscheibe erschienen ließ. Es war höchste Zeit – wir mussten fliehen, bevor uns die schreckliche Sandwolke einhüllte. Also folgten wir unserer Führerin, die rasch voranritt, die Hyänen immer an ihrer Seite.

Schließlich wandte sie sich um. Vor uns erstreckte sich ein breiter, mehrere Kilometer langer und ungewöhnlich tiefer Talkessel mit von Sand und Wind polierten Wänden, in deren Spalten verkrüppelte Dornengewächse vegetierten. Gefüllt war dieser Kessel mit feinem, hellem Sand, durch den sich ein Labyrinth aus dunkleren Bahnen zog, die im Abendlicht blutrot leuchteten. Nur diese Adern waren fest genug, um kurze Zeit das Gewicht eines Reiters zu tragen.

„Hier beginnt das Sandmeer“, erklärte unsere Führerin und warf einen besorgten Blick auf den Himmel, dessen Kupferton inzwischen in ein schmutziges Orange übergegangen war. „Möge Allah uns gnädig sein!“ Sie machte Rasad und Ifrit ein Zeichen. „Vorwärts! Bleibt in meiner Spur, aber nicht zu nah, sonst trägt der Sand nicht!“ Asifa setzte den Hyänen, die ein erstaunliches Tempo vorlegten, in gestrecktem Galopp nach, gefolgt von Halef, und ich bildete die Nachhut.

Angefeuert von den lauten „Jalla-jalla“-Rufen unserer Führerin jagten wir über die Sandfläche, wohl wissend, dass jeder falsche Schritt unser Verderben sein konnte. Und wir durften keinesfalls langsamer werden, sonst würde uns der Sand verschlingen. Hinter uns heulte der Sandsturm, und getrieben von seinem Gluthauch hetzten wir keuchend vorwärts.

Ich weiß nicht, wie lang dieser Höllenritt schon gedauert hatte, als Asifa sich in den Steigbügeln erhob, einen Schrei ausstieß und nach vorne deutete. Dort war der Ausgang des Talkessels, wir hatten es gleich geschafft – als uns eine heftige Sandbö einholte und Halefs Pferd ins Straucheln geriet. Es kam vom sicheren Pfad ab, fing sich wieder, strauchelte erneut, brach in den tückischen Treibsand ein.

„Sihdi!“, brüllte Halef in höchster Not.

Ich spornte die Stute an und hielt auf Halef zu, riss den Kleinen zu mir auf den Sattel und stürmte auf das Ufer des Sandmeeres zu. Halefs Pferd, von seiner Last befreit, rappelte sich auf und rammte im Vorbeistürmen die Stute, die nun doppeltes Gewicht zu tragen hatte. Diese stolperte und drohte wenige Schritt vor Erreichen des rettenden festen Bodens mit der Hinterhand einzusinken. Das edle Tier so kurz vor dem Ziel aufgeben? Niemals! Es gab nur eine Möglichkeit, die Stute zu entlasten, und ich stemmte mich in den Steigbügeln ab – ein gewaltiger Purzelbaum über den Hals des Pferdes, und Halef und ich landeten auf festem Boden. Einen Moment später gesellte sich die Stute zitternd und schnaubend, aber unversehrt zu uns.

„Sihdi, das war ein schrecklicher Ritt“, stöhnte Halef, während er sich aufrappelte. „Und wenn du nicht Asifas Stute geritten hättest, hätten die Sandgeister mich wohl ins Verderben gezogen.“

Die junge Frau war neben uns getreten. Ihr Gesicht war bleich unter der Sonnenbräune, während sie ihre Stute streichelte, um sie zu beruhigen. „Effendi, so wütend habe ich die Geister des Sandmeeres selten erlebt – es ist fast, als wollte eine böse Macht euch von hier fernhalten. Aber die Zelte der Uëlad Sebira sind nicht mehr fern.“

Sie bestieg ihre Stute, und als ich mich in den Sattel meines Berberpferdes schwang, konnte ich ein Stöhnen kaum unterdrücken.

Meinem aufmerksamen Halef war das nicht entgangen. „Sihdi, hast du dich verletzt?“

„Mein Fuß. Nur eine kleine Verstauchung, die ich mir wohl beim Sturz zugezogen habe“, entgegnete ich beschwichtigend.

„Maschallah, und du hast deinen Ring verloren!“

Ich sah auf meine Hand. „Er muss mir vom Finger geglitten sein, als ich dich zu mir herüberzog.“

Der Kleine grinste. „Dein guter Halef gegen einen Ring? Da haben die Sandgeister einen schlechten Tausch gemacht, findest du nicht?“

Wir hatten die Ausläufer des Sandsturms hinter uns gelassen, und über uns wölbte sich ein Sternenhimmel, so klar und rein, wie man ihn nur in der Wüste findet. Da es fast Vollmond war und der helle Sand das Licht zurückstrahlte, bereitete uns die Sicht keine Schwierigkeiten. Die Hyänen trabten voraus, sie schienen den Weg genau zu kennen. Manchmal ließen sie ein Wimmern hören, dem ein boshaftes Kichern folgte, und sie erhielten aus der Weite der Wüste vielstimmig Antwort.

„Wie kommt es, dass du ausgerechnet mit Hyänen jagst, Asifa?“, wollte ich wissen.

Die junge Frau wandte mir ihr Gesicht zu und um ihren Mund spielte ein sonderbares Lächeln. „Rasad und Ifrit sind mir gute Gefährten. Sie sind treu und klug, und die Jagd mit ihresgleichen hat eine lange Tradition.“

„Diese Aasfresser haben im Allgemeinen keinen sehr guten Ruf“, wandte ich ein.

Ihre Augen blitzten. „Effendi, ihr Franken nennt den Löwen edel und die Hyäne feige. Doch es sind meist die Löwen, die diese von euch so genannten Aasfresser von ihrem Riss vertreiben und sich den Bauch mit fremder Beute vollschlagen, weil sie die Stärkeren sind.“

Ich musste ihr im Stillen Recht geben, aber so richtig anfreunden konnte ich mich mit ihren Jagdgefährten dennoch nicht – sie waren einfach zu hässlich. Und unheimlich, wie ich mir eingestand.

Einer Antwort wurde ich enthoben, denn der scharfäugige Halef, der vorausgeritten war, drehte sich um. „Sihdi, ich glaube, ich erkenne das Lager der Uëlad Sebira!“

Und richtig, vor uns hoben sich die Silhouetten von ein paar Dutzend Zelten gegen den Nachthimmel ab, und wir konnten auch einige Lagerfeuer flackern sehen, in deren Schein Pferde und auch einige Kamele dösten. Nicht weit entfernt blökte ein Schaf, und Halef schnüffelte. „Hamdullilah, Sihdi, ich rieche den Duft gebratenen Hammels!“, meinte er und rieb sich erwartungsvoll über den Bauch.

Die Hyänen waren uns derweilen vorausgeeilt und hatten das Lager mit ihrem heiseren Jaulen von unserer Ankunft unterrichtet. Achmed es Sallah, der Scheik der Uëlad Sebira, hieß uns persönlich vor seinem Zelt willkommen und bat uns hinein. Er war ein Mann in den besten Jahren mit graumeliertem Bart und einem strahlend weißen Burnus, und wie es die Gastfreundschaft erforderte, bewirtete er uns zunächst einmal mit süßem schwarzem Tee und zu Halefs großer Freude mit Hammelpilaw. Erst als Gebäck und Datteln gereicht wurden, kam er zur Sache. Dass Asifa ganz selbstverständlich im Kreis der Männer saß und von ihnen respektvoll mit Binti Riih angeredet wurde, zeugte von ihrer besonderen Stellung in dieser Beduinengesellschaft, in der das Wort von Frauen im Allgemeinen wenig gilt.

„Effendi, der Ruhm deiner Weisheit ist bis in unsere Zelte gedrungen, und als die Binti Riih erfuhr, dass euch eure Schritte in diese Gegend führen, erbot sie sich, euch unsere Gastfreundschaft anzubieten. Denn wir brauchen deinen Rat, ein Fluch hat uns getroffen. Und falls du nicht nur ein großer Gelehrter, sondern auch ein Magier bist …“

„Mein Sihdi könnte der größte Magier von allen sein, wenn er nur wollte“, fiel Halef ein. „Aber meist findet er es unter seiner Würde, seine magischen Fähigkeiten einzusetzen, und löst Rätsel lieber mit der Schärfe seines Verstandes.“

Ich warf dem Kleinen einen tadelnden Blick zu. Dann wandte ich mich wieder dem Scheik zu. „Erzähl mir von dem Fluch.“

„Herr, du hast Asifas Stute gesehen, sie stammt von meinem berühmten Hengst Falasch2, ein Pferd, wie es Allah nur alle hundert Jahre einmal erschafft. Nun hat auch ein reicher Heilkundiger namens Iskander vom Ruhm meines Hengstes gehört. Die Leute sagen, der Mann stamme von einem einäugigen Riesen ab, dessen Schädel den Eingang seines Zeltes bewacht, deshalb wird er auch Abu Sikulus3 genannt. Er wollte Falasch unbedingt kaufen, doch ich weigerte mich. Daraufhin prophezeite er mir, sämtliche Nachkommen meines Hengstes würden sein Zeichen tragen … und sieh her …“

Er nickte zweien seiner Männer zu, die aufstanden und kurz darauf mit einer Decke zurückkehrten. Der Scheik schlug sie auf. Darin lag ein wunderschönes schwarzes Fohlen mit seidigem schwarzem Fell und langen schlanken Beinen.

„Maschallah!“, entfuhr es Halef. „Welch ein Unglück!“

Mitten auf der Stirn des Fohlens prangte ein einziges, großes Auge.

„Wir haben es töten müssen, denn sein Fluch hat sich bewahrheitet!“ Der Schmerz über den Verlust des Fohlens war dem Scheik anzuhören.

„Hm.“ Ich runzelte nachdenklich die Stirn. „Solche Missbildungen kommen vor. Es könnte Zufall sein …“

Achmed es Sallah schüttelte den Kopf. „In unseren Herden sind seit dem letzten Regen auch mehrere Zicklein und Lämmer mit diesem Zeichen geboren worden. Es ist ein Fluch! Und Abu Sikulus hat mir einen Boten geschickt, als er von dem Füllen hörte. Er wiederholte sein Kaufangebot, aber zu einem deutlich geringeren Preis, da er dem Hengst zunächst den Scheitan austreiben müsse, der in ihn gefahren sei. Er hält morgen eine Mawaaid5 im Wadi Messuwar ab und hat mir bis dahin Bedenkzeit gelassen.“

Während der Scheik sprach, hatten die Hyänen, die bislang zu Asifas Füßen geschlafen hatten, den Kopf gehoben und die Ohren gespitzt. Offensichtlich hatten sie etwas vernommen …

„Vorwärts!“ Draußen war das Knallen von Halefs Kurbatsch zu hören, gefolgt von einem Wehlaut, und dann stolperte ein Schwarzer ins Zelt, gefolgt von einem aufgebrachten Halef.

„Sihdi, ich bin hinausgegangen, um nach unseren Pferden zu schauen, als ich diese schwarze Kröte entdeckte, die offensichtlich eure Unterhaltung belauschte!“

„Nun, was hast du uns zu sagen?“, herrschte der Scheik den Mann an, der sich vor ihm auf die Knie geworfen hatte. Der schüttelte nur den Kopf und antwortete nicht. Der Scheik wiederholte seine Frage auf Türkisch, erntete aber wieder nur ein Kopfschütteln.

„Effendi, willst du es probieren?“, wandte er sich an mich.

Ich versuchte es mit einigen Dinka- und Nuba-Dialekten – ohne Erfolg. Schließlich kam mir ein schlimmer Verdacht und ich bedeutete dem Schwarzen, den Mund zu öffnen. Und meine Ahnung hatte mich nicht betrogen. „Man hat dem armen Kerl die Zunge herausgeschnitten. Und da er sicher nicht lesen und schreiben kann, können wir ihn nicht fragen, wer ihn geschickt hat. Durchsuch ihn, Halef!“

Schnell lagen die wenigen Habseligkeiten des Schwarzen vor uns auf dem Boden. Eine kleine Pfeife, ein schmieriger Geldbeutel mit wenigen Piastern, ein paar Datteln und eine kleine, silberne Tabakdose.

Neugierig öffnete Halef die Dose. „Sie trägt im Deckel ein hübsches Muster, ist aber so gut wie leer …“ Er steckte seine Nase hinein und schnüffelte. „Der Tabak riecht wie … hatschi!“ Er schnäuzte sich. „Sihdi, das ist kein gewöhnlicher Tabak! Dieses Zeug fährt einem wie ein Blitz durch die Nase ins Gehirn und wieder hinaus!“, staunte er.

Ich lachte. „Ja, ich kenne es, die Almani5 nennen es Schnupfpulver. Aber wie es hierhin in die Wüste kommt …“ Ich untersuchte die Dose genauer. „Kann es sein, dass dieser Heilkundige kein Ibn al-Arab6 ist?“

„Maschallah, Effendi, woher weißt du das?“, fragte der Scheik verblüfft. „Man munkelt, er sei Grieche!“

„Sieh her, das, was Halef für ein Muster gehalten hat, sind griechische Schriftzeichen. Sie bilden das Wort Alexandros, die griechische Form des arabischen Iskander.“

Asifa, die offenbar nichts von der Schwatzhaftigkeit vieler ihrer Geschlechtsgenossinnen hielt, hatte bisher schweigend zugehört. Nun lächelte sie und in ihren Augen glomm ein seltsames Feuer. „Ich denke, Scheik Achmed, wir sollten der Mawaaid dieses Vaters der Zyklopen morgen einen Besuch abstatten!“

Das Wadi Messuar war ein tief eingeschnittenes, weitgehend ausgetrocknetes Flussbett, das sich etwa zwei Kilometer weit in ostwestlicher Richtung erstreckte. Um eine kleine Senke, in der sich ein flacher See gesammelt hatte, drängten sich unter einem kleinen Hain aus Dattelpalmen und Olivenbäumen einige Lehmhäuser und zumeist ärmliche Zelte. Eines dieser Zelte war hingegen mit Troddeln und Wimpeln verziert und gehörte offenbar einem reichen Mann.

Während sich Neugierige und Bittsteller um den kostbaren Teppich drängten, auf dem der vorgebliche Heilkundige seine Audienz gab, hatte ich Zeit, ihn unauffällig zu betrachten. Iskander war ein fetter, kleiner Mann um die Vierzig. Er trug einen langen, blütenweißen Kaftan und einen roten Fes, unter dem ölige schwarze Locken hervorquollen. Seine eng zusammenstehenden Augen hatten einen stechenden Blick, und das ständige Lächeln, das um seinen vollen Mund spielte, wirkte falsch.

„Iskander gilt als großer Hekim“, flüsterte Asifa mir zu. Wir hatten verabredet, dass sich Scheik Achmed und seine Beduinen im Hintergrund halten sollten, bis wir klarer sahen. Asifa und ihre Tiere waren im Wadi hingegen offenbar ein gewohnter Anblick und man grüßte sie auch hier respektvoll als Binti Riih.

Nun, die medizinischen Ratschläge, die dieser falsche Hekim gab, schienen sich auf das Austeilen von Amuletten und die Entgegennahme von Piastern zu beschränken. Einem kleinen Jungen, der an Räude litt, hätte ein Bad wohl mehr geholfen als ein Talisman gegen den Bösen Blick. Als der Hekim einem jungen Mann, der sich offensichtlich eine Maulsperre zugezogen hatte, ein weiteres Amulett in die Hand drücken wollte, hielt ich es nicht länger aus. Ich warf Asifa einen raschen Blick zu. Sie nickte nur – ein Handzeichen, und Ifrit und Rasad bahnten mir einen Weg durch die Menge.

Dann trat ich auf den jungen Mann zu – „Du erlaubst?“ – und versetzte ihm eine kräftige Ohrfeige.

Der Geschlagene taumelte zurück. „Was fällt dir ein … oh!“ Er bewegte seine Kinnlade. „Ich kann wieder sprechen! Du hast mich geheilt! Bist du ebenfalls ein Hekim, Effendi?“

Ich lächelte. „Solche einfachen Handgriffe kennt bei uns in Frankistan jedes Kind. Aber lass sehen, was in dem Amulett steckt, das Iskander dir gegeben hat.“

Der Grieche war aufgesprungen, das Gesicht gerötet. „Ich verbiete es! Darin wohnt ein mächtiger Dschinn …“

„… der die Gestalt einer toten Fliege angenommen hat“, vollendete ich seinen Satz. Und schnippte das Insekt in den Sand, wo es blitzschnell von einer kleinen Eidechse verschlungen wurde.

Iskander riss sich zusammen. „Effendi, Unheil wird über dich kommen!“, versicherte er mir. „Und es wird noch schlimmer werden, wenn du mir nicht sofort meinen Sklaven Abdul auslieferst, den dein Diener festhält.“

„Gern, wenn du mir sagst, was er tief in der Nacht bei den Uëlad Sebira zu suchen hatte!“

„Frag ihn doch selbst!“, spottete der Dicke. „Aber wenn du mir mein Eigentum nicht wiedergibst, bist du ein Dieb.“

Weiter kam er nicht, denn der kleine Halef war auf den Teppich gesprungen und hatte seine Peitsche gezogen. „Wer meinen Sihdi einen Dieb nennt, macht mit meiner Kurbatsch Bekanntschaft!“, rief er.

„Und wer meinem Herren droht, mit mir!“ Aus dem Schatten des Zeltes war ein Koloss getreten, kahlgeschoren und nackt bis zur Hüfte. Auf seiner Stirn trug er ein aufgemaltes drittes Auge. Er hätte für den antiken Polyphem Modell stehen können. „Ich diene dem Vater der Zyklopen. Willst du es mit mir aufnehmen, Zwerg?“

Wenn Halef etwas nicht leiden konnte, dann, wenn man ihn auf seine geringe Körpergröße ansprach. „Nichts lieber als das, Großmaul!“

„Nein, Halef, ich verbiete es, du rennst in dein Unglück!“, protestierte ich und wollte mich zwischen ihn und den Riesen stellen, doch die schöne Araberin hielt mich zurück. „Effendi, du humpelst, dein Fuß ist verletzt. Vertrau deinem Gefährten. Kopf und Herz sind oft wichtiger als rohe Kraft!“ Diesen Augen war schwer zu widerstehen, und schließlich gab ich nach, woraufhin Asifa Halef aus seinem Überwurf half und seinen Oberkörper auf seine Bitte hin mit Talg einrieb.

Dann stellte sich der Kleine seinem Gegner. Ein Raunen ging durch die Menge und mein Magen zog sich zusammen. Der Kerl war nicht nur einen Kopf größer als Halef, sondern auch muskelbepackt wie ein Stier. Er griff ohne Vorwarnung sofort an, aber Halef wich ihm geschickt aus und zielte mit heftigen Tritten immer wieder nach den Knien seines Gegners. Einmal gelang es dem Riesen, Halef zu packen, und die Menge hielt den Atem an, aber dank des Talgs gelang es dem Kleinen, sich ihm wie ein Aal zu entwinden. Plötzlich ging Halef in die Hocke, schleuderte dem Riesen eine Handvoll Sand ins Gesicht und sprang ihm an die Kehle. Der taumelte einen Moment, wischte sich den Sand aus den Augen, schüttelte Halef ab und lachte heiser. Nun hatte der Kleine seinen Trick ausgespielt und würde bald die Nerven verlieren. Und tatsächlich, Halef sah sich gehetzt um, machte auf der Ferse kehrt und flüchtete. Sein Verfolger setzte ihm nach wie ein gereizter Stier. Wie blind vor Angst lief Halef direkt auf die riesige Palme zu, die den Platz beschattete. Nur noch einen Moment, dann würde der Riese ihn zwischen sich und dem Stamm zerquetschen. Aber statt seine Richtung zu ändern, griffen Halefs nackte Füße in die Rinde der Palme. Er rannte den Stamm zwei volle Schrittlängen empor und machte dann einen geschmeidigen Salto rückwärts. Der Koloss hatte keine Chance mehr zu bremsen und streckte die Hände vor, um den unvermeidlichen Aufprall abzumildern. Halef landete direkt hinter ihm, und mit der vollen Wucht, die ihm sein Schwung verlieh, trat er den Koloss ins Gesäß. Dessen Schädel prallte mit einem dumpfen Ton gegen den Stamm und er brach zusammen, ohne einen weiteren Laut von sich zu geben.

Einen Moment herrschte Totenstille, dann brach die Menge in Jubel aus. Auch wenn die Umstehenden dem falschen Heilkundigen bisher freundlich gesonnen waren, konnten sie nicht anders, als dem Sieger dieses ungleichen Kampfes Respekt zu zollen. Und Asifa zwinkerte mir zu. Hab’ ich es dir nicht gesagt?

„Halef, mein lieber Halef, du hast es tatsächlich geschafft!“ Erleichtert nahm ich den Kleinen in den Arm.

„Sihdi, du wirst doch nicht an deinem Hadschi Halef Omar gezweifelt haben?“ Er schnüffelte. „O Allah, ich dufte wie ein Hammel, der gleich aufgetischt werden soll!“

Der Grieche war unterdessen aus seiner Erstarrung erwacht.

„Das war ein übler Trick!“, heulte er. „Diese Fremden sind böse Zauberer, die ihr schleunigst fortjagen solltet, wenn euch nicht der Fluch des Zyklopen treffen soll!“ Er wies auf den Schädel, der wie ein Wächter über dem Eingang seines Zeltes hing.

„Den sollten wir uns einmal genauer ansehen!“ Bevor er mich daran hindern konnte, hatte ich den Schädel von seiner Aufhängung geangelt.

Der Grieche wollte sich auf mich stürzen, doch die beiden Hyänen knurrten drohend. Dabei entblößten sie ein Gebiss, das einem Leoparden Ehre gemacht hätte, und er blieb wie angewurzelt stehen.

Ich untersuchte den etwa kürbisgroßen Schädel genauer. Der Unterkiefer fehlte, aber der Schädel war eindeutig natürlichen Ursprungs, keine Fälschung, wie ich zunächst vermutet hatte. Und mitten auf der Stirn prangte ein großes Loch.

„Der Schädel ist echt!“, musste ich zugeben.

„Seht, hier saß das Auge des Zyklopen!“, erklärte der Grieche, der wieder Oberwasser spürte, eilfertig. „Er war einer meiner Vorfahren, und sein Geist ist mein Diener.“

Halef, Asifa und der Scheik, der inzwischen mit seinen Männern vorgetreten war, sahen mich besorgt an. Wenn der Grieche tatsächlich kein Betrüger war … Ich drehte den Schädel herum. Der Unterkiefer fehlte, aber die Zahnreihe im Oberkiefer war intakt. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

„Einem Effendi aus Almania7 kann man nicht so leicht etwas vormachen“, erklärte ich den Umstehenden. Ich griff nach dem vermeintlichen Zyklopenschädel und hob ihn hoch. „Seht her, hat sein Vorfahr etwa Stoßzähne gehabt? Das Loch in der Mitte, das ihr für den Sitz des Auges haltet, ist die Nasenöffnung, dort setzt der Rüssel an! Er hat euch den Schädel eines jungen Zwergelefanten, wie sie in grauer Vorzeit auf den Inseln vor der Küste lebten, als Kopf eines Zyklopen verkauft!“

„Maschallah!“ Die Umstehenden drängten sich neugierig heran, um den Schädel näher zu betrachten.

Aus der Menge löste sich ein älterer Beduine, der einen respektheischenden Eindruck machte. Er wandte sich an den Scheik. „Scheik Achmed es Sallah, wir wissen, dass dein Hengst Falasch ein Fohlen mit einem einzigen Auge auf der Stirn gezeugt hat – genau, wie von Abu Sikulus prophezeit. Wie kann das sein, wenn er nicht wirklich dem Geist dieses Zyklopen befiehlt?“

Der Scheik warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.

Ich lächelte.

„In meiner Heimat gibt es eine Pflanze, sie wird Nieswurz genannt und führt, wenn Muttertiere sie während ihrer Trächtigkeit fressen, zu Missbildungen bei der Frucht – einem einzigen, großen Auge auf der Stirn.“

Der Alte nickte. „Ich habe von dieser Pflanze gehört, wir nennen sie Kharabaq. Aber sie wächst nicht in unserer Gegend …“

„Nein, aber ihre unterirdischen Teile werden seit eh und je pulverisiert und zu Schnupfpulver verarbeitet, daher der Name …“ Ich zog die silberne Dose aus der Tasche. „Diese Dose haben wir Abdul abgenommen, und Iskander hat öffentlich zugegeben, dass der Stumme sein Sklave ist. Es war ein perfider Plan. Ein paar Dutzend Datteln, mit Schnupfpulver gefüllt, auf der Weide der Uëlad Sebira verteilt – und Monate später bringen die Stuten missgebildete Fohlen zur Welt. Niemand denkt an eine lange zurückliegende Vergiftung – alle glauben an einen mächtigen Zauber.“

Aus der Kehle der Menge stieg ein tiefes Grollen. Scheik Achmed es Sallah ergriff meine Hände. „Mein Hengst ist also nicht verflucht?“

Ich bejahte durch Kopfschütteln. „Er ist völlig gesund.“

„Al-hamdu-lillah! Aber, o Allah, was für ein Schurke. Dafür soll er in der tiefsten Dschehenna8 schmoren!“

Zustimmendes Gemurmel ringsum. Die Verstümmelung eines Sklaven nahmen diese Wüstenbewohner nicht besonders schwer, die Vergiftung edler Pferde war in ihren Augen hingegen ein todeswürdiges Verbrechen.

Der Grieche klammerte sich an mich. „Effendi, Gnade! Du bist ein Franke wie ich und darfst nicht zulassen, dass sie mich umbringen!“

Ich stieß ihn von mir. „Abu Sikulus, du bist ein Vater der Lügen, ein gemeiner Schurke und Feigling und hast keine Gnade verdient. Doch du bist es nicht wert, dass wir uns die Hände mit deinem Blut beflecken! Lasst Allah sein Richter sein!“

Rundum erhob sich Protest, doch Asifa gebot mit einer Handbewegung Schweigen. „Wenn der Effendi verlangt, dass niemand von uns Hand an ihn legt, dann sollten wir dem Schurken sein elendes Leben lassen. Gebt ihm ein Pferd und Wasser für drei Tage und jagt ihn in die Wüste. Allah wird sein Urteil sprechen!“ Sie klopfte den Hyänen auf den Rücken. Die Tiere kicherten heiser wie über einen guten Witz und ihre grünlichen Augen funkelten.

Nachdem wir einen leichten Imbiss eingenommen und uns herzlich von Scheik Achmed es Sallah und den übrigen Uëlad Sebira verabschiedet hatten, schwangen wir uns auf unsere Pferde und nahmen unseren Ritt in Richtung Osten wieder auf.

Halef war bester Laune. „Sihdi, dieses Abenteuer wird unseren Ruhm im ganzen Reich des Padischah verbreiten! Diesmal hattest du ausnahmsweise Recht, der Zauber war ein fauler Zauber. Das heißt aber nicht, dass es keine Magie gibt. Das werde ich dir beweisen, so wahr ich den Riesen dieses Vaters der Lügen besiegt habe!“

„Halef, du bist ein tapferer kleiner Kerl und ein treuer Freund, aber du bist und bleibst ein Großmaul!“, wies ich ihn lächelnd zurecht. „Besser ist es manchmal, über das Erlebte zu schweigen.“

Und so verschwieg ich ihm auch, wie mich die glutäugige Asifa verabschiedet hatte. Bevor sie mir einen Kuss auf die Wange hauchte, hatte sie mit einem spitzbübischen Lächeln mir etwas in die Hand gedrückt. Als ich sie öffnete, lag darin der Ring, den ich im Sandmeer verloren hatte. Das Relief auf dem Stein zeigt Imentet, die antike Göttin mit dem Hyänenkopf.

Auf phantastischen Pfaden

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