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Thomas Le Blanc Merhamehs Tochter

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Wer ihr Vater war, wusste sie nicht. Natürlich war auch ihr das Gerücht zu Ohren gekommen, dass, als der greise Kara ein letztes Mal in Ardistan gewesen war, er sich vom Liebreiz Merhamehs hätte verzaubern lassen. Aber ihre Haut war zu dunkel, um Nemsi-Blut in sich zu haben. Sie war wohl eher der Spross eines arabischen Scheik oder eines persischen Mirza, den Merhameh nicht nur mit Worten besiegt hatte und der dann erfahren hatte, dass Frieden stets mit Liebe zu besiegeln ist.

Merhameh war bei der Geburt ihrer Tochter gestorben, und so hatte man den Säugling wiederum Merhameh getauft – in der Erwartung, dass das Mädchen die Stärke der engelsgleichen Mutter in sich tragen würde. Die Stärke und die Fähigkeit jener unvergleichlichen Frau, die mit bloßen Worten die erbittertsten Feinde zur Versöhnung bewegen konnte, deren Blick kein Hass standhielt, deren sparsame Gesten stärker waren als jedes Gewehr und jedes Schwert.

Als nun die ersten Orks aufgetaucht waren, eingewandert von Ard nach Ardistan, da rief man sie deshalb, obschon sie erst sieben Jahre alt war.

„Geh zu deinem Dunklen Herrn zurück und sag ihm, dass in unserer Welt kein Platz für euch und euresgleichen ist.“ Mit diesen Worten trat sie vor den gewaltigen Ork, der an der Grenze ihres Landes aufragte und es nun mit Krieg und Terror überziehen wollte.

Ein siebenjähriges Mädchen, kaum größer als ein Halbling, mit hüftlangen braunen Haaren und einem leisen Stimmchen, das in Kontrast zur Kraft seiner Worte stand. Das Mädchen verschwand fast vor der Masse des zottigen, acht Fuß hohen und dreihundert Pfund schweren Monsters, dessen grollende Stimme wie ein unterirdischer Donner klang. Einer verständlichen Sprache war der Ork nicht mächtig, er gab lediglich gutturale Laute von sich, die in tiefem Bass drohten, die jeden Gegner niederbrüllten, die angriffen und vernichteten, die namenlose Angst verbreiteten: die Urangst vor dem Bösen.

Doch nicht bei dem Mädchen, das unverrückbar vor dem Monster stand und sich nicht beeindrucken ließ. „Geh wieder“, wiederholte es. „Verlass unsere Welt wieder.“ Merhamehs Stimme war um keinen Grad lauter geworden, aber jedem Zuschauer schien es, als ob ein rosiger Äther um die Gestalt entstanden war.

Mit einem einzigen Fußtritt hätte der Ork das Mädchen zerschmettern können, seine mächtigen Hände hätten den kleinen, zarten Körper mühelos zerreißen können, und der Kopf des Kindes wäre mit einem einzigen Zubeißen zwischen den mächtigen Hauern in seinem Schlund verschwunden.

Doch er griff nicht an. Er brüllte noch einmal, doch diesmal bereits merklich kraftloser.

Merhameh bewegte sich zunächst nicht, nur ihr lang herabwallendes Haar spielte im leichten Wind. Dann hob sie die Hand in einer sanften, aber unnachgiebigen Abwehrgeste.

Dass jemand keine Angst vor ihm hatte, machte das Monster plötzlich schwach und hilflos. Seine schwarzgraue Haut wurde blass und fahl, Haare und Horn weichten auf, der Körper verlor an Konsistenz, wurde milchig, schließlich durchsichtig und leicht wie verfliegender Rauch. Dann war er weg. Und einen Augenblick später verschwand auch sein Schatten.

Merhamehs Tochter drehte sich nun um zu denen, die sie gerufen hatten. „Da das Böse allein von der Angst lebt, ist es auch einfach zu besiegen“, sagte sie. „Indem man ihm ohne Angst entgegentritt und nicht weicht. Wenn man das weiß, ist es ganz leicht.“

Auf phantastischen Pfaden

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