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Angst

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Angst ist erstens ein subjektives Gefühl, die gleichermaßen drängende wie diffuse Empfindung, bedroht zu sein. Angst ist zweitens eine Emotion, der für andere − etwa als Erbleichen, Zittern oder Schweißausbruch − sichtbare individuelle Ausdruck dieses Bedrohungsgefühls. Angst ist drittens ein kollektiver Affekt, eine überindividuelle Stimmung des Bedrohtseins, die Welt- und Selbstwahrnehmung in toto einfärbt. Angst als Affekt unterläuft die Differenz von Verstand und Gefühl, sie wirkt ansteckend und kann sich bis zur Massenpanik steigern. Viertens schließlich besitzt Angst auch eine kommunikative Dimension. Von Angst wird geredet, und sie verbreitet sich, indem von ihr geredet wird. Besonders in politischen Auseinandersetzungen fungiert sie als Argument, mit dem sich nahezu alles rechtfertigen lässt.

Angstkommunikation dramatisiert und erzeugt einen Sog. Sie signalisiert: Die Sache ist dringlich. Zeit kennt sie nur als stets viel zu knappe Frist. Die Angstuhr steht immer auf fünf vor zwölf. Wer Angst sagt, schaltet um in den Alarmmodus. Es muss etwas geschehen, und zwar sofort. Daraus folgt eine Dynamik der Überbietung, die in sich selbst keinen Haltepunkt findet: Immer ist da jemand, der sagt, es gehe nicht schnell genug, es werde nicht genug oder das Falsche getan, und überhaupt sei die Lage noch viel schlimmer, als die Verantwortlichen zugeben. Das Sprechen über Angst wirkt selbstverstärkend. Je mehr darüber geredet wird, desto größer wird sie. Bestimmen Angstthemen erst die Agenda, können die zu ergreifenden Maßnahmen gar nicht radikal genug sein. Wo die Angst regiert, herrscht die Logik des Ausnahmezustands: Demokratische Aushandlungsprozesse − dauern viel zu lang; humanitäre Erwägungen − ein Luxus für bessere Zeiten. Schon Fragen zu stellen heißt, dem Gegner in die Hände zu spielen. Stattdessen wird die Wirklichkeit radikal vereinfacht: Wir oder die Anderen, Freund oder Feind, Schwarz oder Weiß. Für Zwischentöne und Ambivalenzen bleibt kein Platz. Als subjektives Gefühl mag Angst quälend sein, als Brille, durch die man auf die Welt schaut, ist sie verlockend. Sie löst zwar keine Probleme, aber entlastet ungemein.

Die Berufung auf Angst hat einen weiteren strategischen Vorteil: Wer die Angstkarte ausspielt, unterläuft jede Kritik. Man kann sie nicht widerlegen, weil sie auf die Authentizität ihres Gefühls pocht. Auf jeden Einwand wird erwidert: »Aber ich habe doch meine Angst! Wer wollte sie mir bestreiten?« Der Affekt immunisiert gegen Fakten. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob etwas stimmt, als dass es affektiv anschlussfähig ist. Was dem Zirkel der Selbstverstärkung zuwiderläuft, wird geleugnet oder als Komplott der Lügenpresse denunziert. Wer auf überprüfbare Tatsachen pocht, gilt selbst als Teil der Bedrohung. Die Angstrhetorik erzeugt einen Erregungszustand, in dem noch die abstrusesten Geschichten Glauben finden. Statt um Sachhaltigkeit geht es um Einschwingen in den Sog. Daraus speisen sich antisemitische Verschwörungstheorien ebenso wie xenophobe Horrorgeschichten. Angstkommunikation beansprucht für sich zwar gute Gründe, entzieht sich aber dem Anspruch auf Begründbarkeit. Weil sie keine Gegenrede duldet und die Vernunft immer schon auf ihrer Seite weiß, lizenziert sie die Unvernunft.

Zugleich bringt die kommunizierte Angst, die Angst als Argument, erst das Gefühl, die Emotion, den Affekt hervor, auf die sie sich beruft. Angst ist etwas, in das man sich hineinreden, das man sich oder anderen einreden kann. Sie ist nicht zuletzt ein Effekt des Sprechens über Angst. Populistische Agitatoren wissen das zu nutzen, und die sozialen Netzwerke fungieren als mediale Affektverstärker. Damit der Erregungspegel nicht absinkt, darf der Strom der Facebook-Einträge, Online-Kommentare und Tweets nicht abreißen.

Dass Angst im Unterschied zur Furcht diffus ist, bedeutet nicht, dass sie kein Objekt hat, es bedeutet vielmehr, dass sie sich auf alles Mögliche richten kann ( Sorge). Sie sucht sich ihre Anlässe und erfindet sie notfalls. Gleichwohl sind sie nicht beliebig. Es gibt einen gesellschaftlichen Fundus an Situationen und Figuren, vor denen wir Angst haben dürfen oder sollen. Aus ihm bedienen wir uns intuitiv, und die populistischen Angstmacher wissen nur zu gut, welche Register sie ziehen müssen. Sie sind Resonanzvirtuosen, die geschickt jene Motive anspielen, die ihr Publikum hören will. Das Stichwortverzeichnis des AfD-Wahlprogramms liest sich wie das Ranking populärer Ängste der Deutschen, das die R+V-Versicherung jährlich erstellen lässt.

Affekte sind nicht nur beweglich im Hinblick auf ihre Objekte, sondern auch auf ihre Qualität. Selten ist ihre Färbung eindeutig, Mischungen unterschiedlicher Affektlagen sind die Regel. Angst, Wut und Hass gehen ineinander über, oder das eine kippt schlagartig ins andere um. Entscheidend ist ohnehin die Intensität der Erregung. Auch deshalb lässt sich Angstkommunikation so schwer fassen: Was lauthals beschworen wird, ist nicht unbedingt das, was tatsächlich getriggert und mobilisiert wird. Stimme, Mimik oder die verwendeten Sprachbilder verraten hier oft mehr als die expliziten Aussagen. Es bedarf keiner besonderen hermeneutischen Fähigkeiten, um festzustellen, dass bei denjenigen, die derzeit am lautesten von den Ängsten der Menschen und dem drohenden Untergang des deutschen Volkes schwadronieren, eher Aggression als Angst am Werk ist. Ihr Brüllen verrät sie. Angst ist das Argument, in das sie ihren Hass gegen Flüchtlinge und ihre Wut gegen die etablierte Politik kleiden. Sie wollen geradezu Angst haben, um sich aufregen zu können, wollen Angst machen, damit auch andere es tun. Als Sprechakt zeitigt der Satz »Ich habe Angst vor den Fremden« andere Effekte als die Aussage »Ich hasse sie«: Wer sich auf seine Angst beruft, beansprucht, ernst genommen zu werden; aber kein noch so besorgter Politiker käme auf die Idee zu fordern, man müsse den Hass der Menschen ernst nehmen und deshalb die Asylgesetze verschärfen. Wenn die Demagogen rhetorisch illegitime in legitime Affekte konvertieren, können sie sicher sein, dass ihr Publikum sie schon richtig versteht. Für das augenzwinkernde Einverständnis braucht es nicht mehr als einen gemeinsamen Sündenbock.

Die realen oder erdichteten Angstgeschichten, die man nicht müde wird in immer neuen Varianten zu erzählen, gewähren obendrein eine perfide Befriedigung. Insbesondere die Obsession, mit der Berichte über angebliche oder tatsächliche sexuelle Übergriffe ausgebreitet werden, zielt unmittelbar auf eine Mischung aus Faszination und Abscheu − und damit selbst auf einen sexualisierten Erregungszustand. Es ist ein ähnlicher Mechanismus wie bei den Nachrichten über Kriminalfälle in der Zeitung. Auch da erhalten Sexualdelikte die höchste Aufmerksamkeit. Zugleich darf man sich seinen eigenen Gewaltfantasien hingeben, weil man sie auf die Fremden projiziert. Hier greift unmittelbar das rassistische Klischee vom triebgesteuerten, patriarchalisch geprägten schwarzen Mann, der sich der weißen Frau bemächtigt ( Afrikaner, deutsche Frau). Wenn solche Geschichten politisiert werden, geht es immer auch um das Verhältnis von Sex und Macht, von Sex und Gewalt. Psychoanalytisch gesehen ist offenkundig: Was am meisten verdammt wird, wird auch heftig begehrt, und sei es nur, dass begehrt wird, darüber zu reden. Sich aufzuregen ist auch eine Art des Sich-Aufgeilens. Aus ähnlich trüben Quellen speisen sich die Debatten um ein Burka-Verbot: So leidenschaftlich, wie sie sich dafür ereifern, muss die Vorstellung, einer muslimischen Frau in der Öffentlichkeit qua Gesetz den Schleier herunterzureißen, auf viele deutsche (französische, österreichische …) Männer höchst erregend wirken. Auf die Idee, das als Beitrag zum Kampf gegen den Terror oder als Maßnahme zur Integration zu verkaufen, muss man jedenfalls erst mal kommen.

Solche symbolischen Scheingefechte kennzeichnen die aktuellen Politiken der Angst insgesamt: Die mühsame Suche nach Lösungen überlassen die populistischen Affektmanager den verachteten Gutmenschen, die dumm genug sind, noch daran zu glauben. Stattdessen bieten sie wohlfeile Gelegenheiten, sich zu einer Erregungsgemeinschaft zusammenzurotten, zivilisatorische Hemmungen hinter sich zu lassen und das Mütchen an Schwächeren zu kühlen. Es denen »da oben« mal richtig zu zeigen, verschafft zusätzliche Befriedigung. Die Panikreflexe von Horst Seehofer (CSU) bis Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) reichen, damit der kleine Mann sich ganz groß vorkommt. Was braucht es ein Programm, wenn man ein Feindbild hat? Die Angstrhetorik suggeriert eine Notwehrsituation: Weil die Gefahr so groß ist und die Regierenden versagen, so die Botschaft, müssen die Aufrechten die Sache selbst in die Hand nehmen. Um »Asylchaos«, »Terrorgefahr«, »Islamisierung des Abendlands« und »großen Austausch« abzuwehren, ist dann alles erlaubt − am Ende auch brennende Flüchtlingsunterkünfte.

Sollte man die Ängste, welche die völkischen Hetzer unentwegt im Munde führen, also besser ignorieren, um die Erregungsspirale nicht weiter anzutreiben? Das sicher nicht. Einiges wäre schon gewonnen, wenn man ihre Worte nicht für bare Münze nähme, sondern den Hass darin hörte, der sich als Angst unangreifbar zu machen versucht. Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die sich ängstigen, ohne gleich nach Sündenböcken Ausschau zu halten. Umso wichtiger, ein Sensorium zu entwickeln für die Unterschiede und Übergänge zwischen Angst und Hass, zwischen Angst als Gefühl, Emotion, Affekt − und als rhetorische Allzweckwaffe. Fatal ist dagegen die Parole »Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen«, mit welcher Politiker der etablierten Parteien der völkischen Konkurrenz das Wasser abzugraben versuchen. Wem zum grassierenden Fremdenhass nichts anderes einfällt, als mantrahaft herunterzubeten, die Menschen hätten begründete Ängste und die Politik müsse darauf eingehen, sonst wählten sie halt die AfD oder demonstrierten mit Pegida, der bewirtschaftet Ressentiments und lässt sich von den rechten Bewegungen vor sich hertreiben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Es gibt in unserer Gesellschaft ein erhebliches Potenzial an fremdenfeindlichen, islamophoben und antisemitischen Einstellungen. Alle empirischen Untersuchungen belegen, dass diese sich keineswegs auf rechtsextreme Gruppen beschränken, sondern längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind (wenn sie nicht immer schon dort zu Hause waren). Es sind viele, die es drängt, ihren Hass endlich auszuleben − zumindest verbal. Um das tun zu können, berufen sie sich auf ihre Angst. Anlässe finden sich dann. Es sind nicht alle rechts, die von Angst reden. Aber wer Angst sagt, hat auch nicht automatisch Recht. [ub]

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