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Demokratie

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Sie wird umstandslos geliebt und ist Fixstern aller Debatten, ob besorgt-bürgerlich, staatstragend oder progressiv. »Pegida bekennt sich voll und ganz zum Grundgesetz, zur Demokratie und zum Rechtsstaat«, hieß es auf der Dresdner Bühne. Dieses Bekenntnis ist entweder Folge einiger Stangen Kreide, die Festerling für mediale Zwecke gefressen hat. Oder, das macht die Angelegenheit deutlich komplizierter, hier wird unter Demokratie etwas ziemlich Unübliches verstanden.

Im besorgten Oberstübchen ist alles recht einfach: Weil Demokratie Volkssouveränität heißt und sie und niemand anderes das Volk sind, müssten eigentlich die besorgten Bürger das Zepter schwingen. Wenn da nicht die linksversiffte diktatorische Elite wäre. Politiker seien eigentlich Angestellte des Souveräns, die nur leider ihren Dienst nicht tun, wie vom Volk geheißen. Diese gesinnungslosen und korrumpierten Angestellten drücken stattdessen ihren Minderheitenterror gegen das Volk durch. Angetrieben wird diese Argumentation vom Phantasma, tatsächlich und ohne Zweifel die Mehrheit zu repräsentieren.

Das besorgte Demokratieverständnis leidet allerdings unter einigen Aporien. Oder − anders formuliert − der Sinn des Begriffs wird soweit verwässert, dass sich seine moralische und sachliche Aussagekraft bedenklich einer Nulllinie nähert. Los geht es beim robust vorgetragenen Anspruch, auf vergleichsweise kleinen Kundgebungen für die Gesamtheit der Bevölkerung zu sprechen. Diese Haltung untergräbt ein wesentliches demokratisches Moment: die Anerkennung unterschiedlicher Perspektiven. Weil das wahre Volk, biologisch verknotet, patriotisch bis in die Haarspitzen ist und sich für Spaziergänge begeistert, sind alle abweichenden Meinungen undemokratisch. Von diesem Moment an müssen Besorgte nicht länger in umständliche Debatten über Repräsentation eintauchen oder verschiedene Varianten von Aushandlungsprozessen diskutieren. Noch weniger bedarf es einer Klärung der Frage, wer eigentlich in welcher Form mitbestimmen darf. Die Logik des »Wir für alle« zwingt dazu, Elemente direkter Demokratie für das Phänomen selbst zu halten und folglich Volksentscheide als einzige Lösung demokratischer Defizite zu beschwören. Die vermeintlich demokratische Funktion der souveränen Menge besteht dann darin, die apodiktischen Forderungen, die von den Bühnen schallen, mit brüllender Zustimmung zu untermauern. Das Volk sekundiert den Führern und drückt seine Souveränität aus − wer dagegen ist, kann nicht zum Volk gehören. Wann immer politische Gegner Thema sind, ruft es umgehend »Volksverräter«.

Nun ist die Geschichte der Demokratie lang und kompliziert. An ihrer griechischen Wiege war sie jener mächtige Impuls der Anteillosen, die mittun wollten. Sie war der Name für die Einsicht, dass es keinen natürlichen Grund für irgendeine Ordnung gibt, dass nichts aus sich heraus Macht und Herrschaft begründet. Der Ort der Macht müsse leer bleiben, brachte der Philosoph Claude Lefort diese wichtige Kontur »eigentlicher« Demokratie auf den Begriff. Die gegenwärtigen Staatsformen, die diesen Namen tragen, lassen einen solchen Impuls kaum erkennen, was seit längerer Zeit heftige Kritik auf den Plan ruft. Die Defizite deutscher und europäischer Institutionen, deren demokratische Kontur bestenfalls blass erkennbar ist, wird vom besorgten Denken in eine andere Richtung aufgelöst: Man muss nur das Diktat der völkischen Beobachter, um ihren Vorteil bemüht und jede Form von Pluralität für widernatürlich haltend, als eigentliche Demokratie definieren. [rf]

Wörterbuch des besorgten Bürgers

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