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deutsche Sprache

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Sie nennen sich Patrioten und wollen die deutsche Sprache retten. Sie tauschen Handynummern, packen Babys in Plüsch, wenn sie zur Grillparty gehen, sie mögen Auto und Vorgarten, kuscheln bei Kaffee mit dem Onkel und rauchen Zigaretten, bis ihnen blümerant um die Rosette wird. Sie haben Respekt vor Chef und Sporttrainer, lieben Wein, aber verachten andere Drogen, leben vielleicht ihre Emotionen auf der Toilette aus und machen eine Szene, wenn das Militär schlecht wegkommt. Von kriminellen Handlungen distanzieren sie sich prinzipiell, denn sie sind moralisch integer. Alle kursivierten Begriffe haben einen anderen Ursprung als Germanisch.

Besorgte wie Peter Hauk (CDU) fordern eine Deutschpflicht im Internet, die CSU will sie auch in Moscheen. Schließlich reden die alle so komisch, da weiß man nie, was die wieder planen! (Dass zur freien Religionsausübung auch die Sprache gehören muss, kann man getrost ignorieren, denn in katholischen Kirchen wird ausnahmslos auf Deutsch gebetet. Wobei, Halleluja ist hebräisch.) Mit diesen zum Scheitern verurteilten Attacken versuchen Besorgte nicht nur, arabisch- oder türkischsprachige Gruppen zu germanisieren, sondern auch, Einfluss auf einen Bereich zu nehmen, der lebendig, dynamisch und zwangsläufig nie abgeschlossen ist. Sprachkontrolle funktioniert selbst in Ländern mit strikteren Vorgaben (Frankreich oder Island) kaum, weil sich Sprache im Ganzen nicht steuern lässt. Man mag einzelne Begriffe kritisieren, aber pauschale Sprachpflichten untergraben Vielheit, die einigen gefährlich, weil fremd vorkommt. Ein solcher Versuch kann nur danebengehen.

Die wenigsten besorgten Urlauber oder gar Auswanderer werden sich daran halten, ausschließlich die Sprache des Gastlandes zu sprechen; etwa Holger Apfel, vormals NPD und mittlerweile Kneipier auf Mallorca, oder Lutz Bachmann, der in Südafrika vermutlich wenig Afrikaans oder eine der vielen anderen Amtssprachen des Landes gelernt hat − und für seinen neuen Arbeitsmittelpunkt Teneriffa auch kein Spanisch-Diplom mitbringt. Die Besorgten fordern, die »Neuen« sollten »genau wie wir damals« diese komplizierten Grammatik- und Rechtschreibregeln lernen. Gut gebrüllt, Löwe. Wir haben aufgehört, die Fehler in besorgten Statements zu zählen.

Die Idee einer homogenen Sprache, die sich nicht verändert und nur aus sich selbst heraus Wortschatz generiert, ist so alt wie absurd. Schade nur, dass es im besorgten Umkreis noch keine Lexikvorschläge à la Dörrleiche für Mumie oder Jungfrauenzwinger für Kloster gibt. Zu Hochzeiten des deutschen Sprachpurismus im 17. und 18. Jahrhundert war Latein des Bösen Wurzel; heute ist es Englisch. Aber sogar Michael Klonovsky, früher beim Focus, später publizistischer Berater von Frauke Petry, nannte sich selbst Spindoctor. »Propagandabeauftragter« ist sprachhistorisch vermutlich nicht Deutsch genug. [ng]

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