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kindergefängnis | Peter Paul Wiplinger

im halbdunkel des kellers stehen mit dem gesicht zur kalkweißen wand nur durch ein hoch oben knapp über dem gehsteig angebrachtes kleines fenster einem sogenannten gugerl fällt etwas licht herein und zerteilt das dunkel in hellere und dunklere bereiche des zweiräumigen kellers in dem es modrig riecht nach eingelagerten erdäpfeln und sauerkraut nach möhren und sellerie im sand und nach katzenurin und katzenkot in diesem gemüsebeetkatzenklo unbeweglich stehen dass du dich ja nicht rührst und schon gar nicht anlehnst oder woanders hinstellst hatte die erzieherin dieses ehemalige bdm-weib eindringlich und in scharfem ton zu mir gesagt bevor sie die vergitterte tür hinter sich schloss den reiber umdrehte sodass sich die tür von innen nicht mehr öffnen ließ selbst nicht mit gewalt jedenfalls nicht mit der kraft die ich als kleiner bub mit etwa acht bis zehn jahren hatte und dann schloss sie auch noch die zweite türe die flügeltüre am ausgang des zweiten kellerraumes und drehte das licht ab sodass es zuerst ganz dunkel war und wie mir schien sich der erste raum in dem ich stand erst ganz langsam durch das licht das durch das kleine schmale gleichfalls mit einem feinmaschigen drahtnetz vergitterte kellerfenster hoch oben an der kante zum gewölbten plafond hereindrang erhellte auch wenn du schreist wird dich niemand hören hatte die erzieherin noch triumphierend gesagt auch wenn du noch so sehr schreist wird dich draußen niemand hören der keller lag ja tief unten und die steinernen mauern waren vielleicht mehr als einen meter dick nein da wird dich niemand hören sagte ich zu mir selber in diesem gefängnis in diesem verlies wie der gefangene ritter löwenherz kam ich mir vor versetzte mich in diese seine lage als gefangener im verlies irgendeiner burg in dürnstein sagte mir später einmal eine lehrerin und diese fantasievorstellung ein gefangener ritter und nicht ein geschlagener im keller meines elternhauses eingesperrter bub zu sein erleichterte mir mein los durch diese heroisierung ich war kein niemand mehr wie man mir gesagt hatte sondern doch ein jemand ein eingesperrter ritter in einem dunklen verlies einer burg und schon begann meine fantasie zu arbeiten an der weiß gekalkten wand verfolgte ich die linien der verschiedenen risse im kalk und verputz und plötzlich wurden aus den rissen grenzen wurden flüsse und gebirge und aus den durch diese risse gebildeten flächen wurden länder und meere und schon war ich nicht mehr in diesem mir verhassten keller in dem wir auch kurz zuvor noch bei fliegerangriffen im letzten kriegsjahr gesessen waren sondern ich befand mich plötzlich und wieder einmal denn ich hatte dieses spiel schon des öfteren gespielt wenn ich hier eingesperrt war also ich befand mich plötzlich in einer weiten unbekannten welt in einer welt von der ich aus büchern die ich gerne las wusste dass es sie gab in der ich aber noch nie gewesen war außer in meinen vorstellungen oder im traum aber da vernahm ich wieder ohne dass sie im raum gewesen wäre die schneidende stimme der erzieherin die sagte nein fast schrie eine halbe stunde hast du hier unbeweglich zu stehen und mach ja nicht in die hose sonst stehst du noch eine verlängerungshalbestunde zur strafe also verkneif dir dein lulu ansonsten setzt es noch was zu dieser strafe dazu erziehungsmaßnahmen nannte sie das ich glaube die eltern wussten nichts davon denn diese erzieherin die selbst nur eine unausgegorene göre wie die deutschen so was nannten war sagte immer wieder beim strafvollzug und zu deinen eltern brauchst du gar nichts zu sagen die wissen das sowieso und ich bin die erzieherin ich soll dich erziehen und einen folgsamen anständigen buben aus dir machen du missratenes stück kind du ja so ähnlich sprach sie für mich damals unbegreiflich und heute das gesamte szenario unverständlich das geschehen diese art von strafe und erziehung unmenschlich eine einzige kindesmisshandlung und sonst nichts aber es sollte ja auch ein anständiger bub aus mir werden ich war ja wie man sagte völlig aus der art geschlagen ich war aufsässig nein nicht von natur aus sondern durch diese erzieherin geworden und nur bei ihr war ich so und manchmal auch bei meinen eltern sozusagen aus kindlicher rache dafür dass sie mich einer solchen erzieherin aussetzten wenn sie doch wussten wie dieses weib dieses dem bdm-mädchentum entwachsene weib wirklich war nämlich bösartig sadistisch grausam gefühllos und hart im keller war es ganz still autos fuhren damals noch nicht über den marktplatz nur die schritte der vorbeigehenden konnte man hören man hörte das klappern von sandalen im sommer und das auftreten mit festeren schuhen zu einer kälteren jahreszeit da das eingesperrtsein in diesem keller noch schwerer zu ertragen war als im sommer wenn ich den kopf zur seite drehte sah ich auch die füße und ein stück von den beinen der am trottoir über mir am kellerfenster vorbeigehenden und ich stellte mir vor wer diese leute waren manchmal schrie ich auch aber ich wusste dass mich niemand hören konnte und so war auch mein schreien mein trotziges wehgeschrei mehr ausdruck meines zorns und meiner wut als ein hilferuf eine ewigkeit wie mir schien stand ich dann jedes mal so da ich unartiger ich der ich aus der art geschlagen war wie sie sagten eine halbe ewigkeit stand ich so da längst schon musste ich dringend aufs klo aber bloß nicht daran denken sonst wird es noch ärger das war meine erfahrung sich ablenken mit allem was nur möglich ist das war die devise das war das rezept um diese tortur halbwegs gut und heute würde ich sagen würdevoll zu überstehen und irgendwann ging dann wieder die tür auf und die erzieherin kam mit stolz geschwellter brust herein packte mich an den haaren und zog mich hinaus in den zweiten kellerraum und dann hinauf bis zur stiege ins sogenannte vorhaus in den eingangsbereich zwischen haustor und geschäftstür und ausgang zum hof und dann zischte sie noch wie eine schlange nur dass du es dir merkst du elender fratz nur damit du es dir auf ewig merkst du verdammter bengel du hast mir zu gehorchen und keine schwierigkeiten zu machen und brichst du dein versprechen brav zu sein so wanderst du gleich wieder einmal in den keller dann stehst du aber eine ganze stunde und das überstehst du nicht so leicht wie das soeben jetzt also gib endlich deinen trotz auf und mach das was ich dir sage und was ich will und zwar ohne widerrede sondern in blindem gehorsam denn ich bin deine erzieherin und du bist in wirklichkeit nichts also merk dir das und vergiss das nie und ich habe das alles auch nicht vergessen und heute mit fünfundsiebzig jahren da ich mich wie so oft daran erinnere an diese erziehungsmaßnahmen an diese grausamkeit an diese kindesmisshandlungen an diese quälerei spüre ich immer noch wie meine wut hochkommt mein zorn in mir brennt genauso wie damals als ich ein kind war

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