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EINLEITUNG

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Zu allen Zeiten haben die Menschen ihre Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Konflikte auf Figuren projiziert und in Geschichten verarbeitet. Ein erster Band hat solche „Schlüsselfiguren der Imagination“ aus der Antike vorgestellt. Der vorliegende Band setzt den Gang durch die europäische Geschichte, der in sieben Schritten bis zum 20. Jahrhundert führen wird, mit dem Mittelalter fort. Der Haupttitel „Mythen Europas“ könnte freilich gerade bei dieser Epoche zu Missverständnissen führen. Es sei daher ausdrücklich hervorgehoben, dass die Reihe „Mythos“ ausschließlich als ein Rezeptionsbegriff verwendet wird: Ganz unabhängig von ihrer historischen Faktizität oder Fiktionalität werden die verschiedenen Figuren nach ihrer Wirkungskraft auf die kollektive Imagination befragt.

Diese „mythische“ Wirkung ist offensichtlich in bestimmten Eigenschaften einer Gestalt begründet. Dennoch zeichnet sich immer wieder deutlich ab, dass ihre Rezeption gemäß dem jeweiligen Bedürfnis der Zeit völlig neue Akzente setzen kann. Historische Figuren etwa können Transformationen durchlaufen, die ihnen selbst unvorstellbar gewesen wären oder ihren Intentionen völlig zuwiderlaufen. Die Absichten des heiligen Franziskus beispielsweise sind relativ gut dokumentiert; im religiösen und politischen Klima späterer Zeiten mussten sie von den Franziskanern aber teilweise überspielt werden, um den Orden unter den geänderten Umständen überlebensfähig zu halten, ohne die Kontinuität mit dem Ordensgründer aufzugeben.

Der Wandel, dem manch andere Gestalt mit der Zeit unterworfen wurde, mag noch radikaler gewesen sein, nur dass wir oft wenig über die ursprüngliche historische Person wissen. Ein wesentlicher Bestandteil des mythischen Status scheint auch zu sein, dass die Schlüsselfigur für verschiedene gesellschaftliche Gruppen Verschiedenes bedeutet. Artus ist jeweils ein anderer für die Waliser, für England und für den Rest von Europa. Auf Martin, so Konrad Vollmann, beriefen sich einerseits die Menschen von Tours und Poitiers, andererseits die merowingischen Herrscher; seine Gestalt bleibt aber auch für nachfolgende Generationen bedeutungsträchtig, polyvalent und adaptierbar.

Betrachten wir die Gestalten, die wir aus dem Früh- und Hochmittelalter ausgewählt haben, nach ihrer Herkunft, so ergibt sich folgendes Bild: Ein antiker Herrscher, Alexander, dessen Bild sich im Mittelalter gegenüber demjenigen, das er selbst von sich zu entwerfen suchte, stark verändert hat – drei Gestalten des Neuen Testaments, Christus selbst sowie zwei Personen seiner unmittelbaren Umgebung, Jakobus und Maria, die neu ausgedeutet wurden – zwei Herrscher der Völkerwanderungszeit, Artus und Theoderich – ein heiliger Bischof aus derselben Zeit, Martin – Karl der Große als zentrale Herrscherfigur des Frühmittelalters – dann aus dem beginnenden Hochmittelalter Gottfried von Bouillon, Held des Ersten Kreuzzugs – und schließlich der heilige Franziskus, Gründer des Franziskanerordens. Dazu tritt die abstrakte Figur der Minnedame, die zunächst in der Lyrik ihren Platz hat.

Bei Gestalten aus dem Früh- und Hochmittelalter ist es unumgänglich, sich die Überlieferungsbedingungen klarzumachen. Die früh- und hochmittelalterliche Gesellschaft war, nach einer weitverbreiteten Auffassung, dreigeteilt: in Kämpfer, Beter und Nahrungsproduzierende, das heißt: Adel, Kirche und Bauern. Während der Epoche, von der hier die Rede ist, lag das Monopol der schriftlichen Überlieferung noch weitgehend in den Händen nur einer dieser drei Gruppen, der Kirche. Diese war natürlich in sich selbst nicht monolithisch. Zudem war ihre Hierarchie zum großen Teil mit Adeligen besetzt und ihr pastoraler Auftrag verpflichtete sie der bäuerlichen Bevölkerung. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass wir von volkstümlicher Überlieferung zu unseren Schlüsselfiguren aus dieser Zeit nur Mittelbares erfahren können. Der Adel selbst ergreift erst im Hochmittelalter in der Troubadourlyrik und in Versromanen das Wort.

Diese Problematik betrifft vor allem die frühe Überlieferung zweier unserer Figuren, Theoderich/Dietrich und Artus. Im Falle Theoderichs sind zwar die Fakten seiner Vita gut bezeugt und ebenso sein weitgehend negatives Bild in der kirchlichen Tradition. Der andere, mindestens ebenso wesentliche Strang der Überlieferung jedoch, sein Nachleben im Munde der germanischen Völker, ist zunächst nicht recht greifbar und lässt sich nur aus gelegentlichen Bemerkungen erschließen. Es ist aber sehr zu vermuten, dass seine Bewertung von der kirchlichen Tradition abwich und ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorchte. Typisch für diese rein mündliche Form der Überlieferung ist die Reduzierung der Zeittiefe: So wird ein sehr viel früherer Herrscher aus demselben Geschlecht, Ermanarich, zu Theoderichs Onkel. Auch dass die Ostgoten nach ihren anfänglich großen Erfolgen unter Theoderich sich in Italien letztlich nicht halten konnten, dürfte das Bild von Theoderich beeinflusst haben; vielleicht hat das zu der Sage von Dietrich als Exilant geführt. Ferner scheinen in die Heldensagen schon früh übernatürliche und außermenschliche Elemente eingedrungen zu sein; Dietrichs Kämpfe gegen Riesen und Zwerge wären dann nicht erst eine Erfindung späterer Märchenepen. Jedenfalls war Dietrich zu dem Zeitpunkt, als ihn der Dichter des Nibelungenliedes in seinen Text einführte, für das Publikum bereits eine sehr bekannte Figur. Ihre Dimensionen können wir jedoch nicht ausloten, weil ihre Verschriftlichung bereits mit einer Verschiebung der Anliegen einherging, die mit der Gestalt verbunden wurden. Das Nibelungenlied selbst war ein ambitioniertes Unternehmen: die Einkleidung eines älteren Sagenkomplexes in eine neue höfische Form, ein literarisches Experiment mit moralischen Konsequenzen. Das musste unweigerlich zu einer gewissen Brüchigkeit und Ambiguität der Bewertung führen. So geriet auch Dietrich ins Schillern und wurde einer möglicherweise negativen Sicht ausgesetzt. Der literarische Erfolg dieses Experiments legte den zuvor sicher beweglichen Stoff in mancher Hinsicht fest. So wurde die dort geschilderte Episode im Leben Dietrichs für spätere Dichtungen kanonisch. Carola Gottzmann zeigt, wie unterschiedlich gleichwohl in der Folge das Bild Dietrichs in den Heldenepen und den Märchenepen ausfiel.

Vergleichbares lässt sich über die frühe Überlieferung zu Artus sagen, nur dass hier zeitgenössische Quellen völlig fehlen und auch die chronikalische Tradition eine längere Stufe rein mündlicher Überlieferung durchlaufen hat. Obwohl Artus nicht auf der Seite der germanischen Eindringlinge, sondern offenbar gegen sie stand – allerdings ist auch dies schon angezweifelt worden –, scheint die mündliche Überlieferung der Waliser und Bretonen über ihn ähnlichen Gesetzmäßigkeiten gefolgt zu sein: Man integrierte Sagengestalten in seinen Umkreis, die ursprünglich nichts mit ihm zu tun hatten, und führte übernatürliche Elemente ein. Wiederum verschoben sich mit den Verschriftlichungen auch die Absichten; das frühere Artusbild wurde verwischt und überlagert. Hier wurden jedoch zwei Verschriftlichungen kanonisch: die historisierende des Geoffrey of Monmouth und die epische des Chrestien von Troyes, die neben Geoffrey wohl auch auf bretonische Sagen zurückgriff und das märchenhafte Element stärker integrierte.

Auch die Überlieferung zu Karl dem Großen hat eine ähnliche Phase durchlaufen, die sich in den Chansons de geste widerspiegelt, auch wenn sie kürzer ausfiel und in einem Kulturraum stattfand, wo Schriftlichkeit in stärkerem Maße präsent war.

Demgegenüber ist für das Leben der mittelalterlichen Heiligen ein weit früheres Einsetzen der Schriftlichkeit und eine kontinuierliche schriftliche Tradierung charakteristisch, die gleichwohl ihren eigenen Transformationen unterworfen ist und sich oft gegenüber mündlicher Überlieferung als durchlässig erwies. Für die Erhebung zum Heiligen war es nämlich bereits im Frühmittelalter nötig, dass das Zeugnis einer Vita des Betreffenden vorlag. Schon von daher haben wir eine schriftliche Überlieferung aus der unmittelbaren Umgebung des heiligen Martin und des heiligen Franziskus von Assisi, deren Etablierung als Heilige offensichtlich schon zu ihren Lebzeiten abzusehen war.

Das Hochmittelalter bringt zwei grundlegende literarische Innovationen mit sich, die Troubadour- oder Minne-Lyrik und den höfischen Roman. In ihnen drückte sich ein neues Lebensgefühl des Adels in einem neuen Medium aus. Zwei unserer Gestalten sind eng mit diesen Innovationen verbunden. Der höfische Roman begann zwar mit einer neuen Verarbeitung antiker Stoffe, einschließlich der Abenteuer Alexanders des Großen, aber in seiner voll erblühten Form ist er unweigerlich mit dem Artusstoff verbunden. Das zentrale Moment der Troubadour-Lyrik dagegen, so Ingrid Kasten, ist der neue Frauenkult, die Verehrung der Minnedame. Da sie eine sich neu entwickelnde lyrische Konvention darstellt, fehlt dieser Gestalt zunächst ein narratives Moment. Auch ist sie vor allem von ihrer Wirkung auf das lyrische Ich her definiert und daher zwar in vieler Hinsicht festgelegt, aber auswechselbar. Die neu konzipierte Paarkonstellation der Troubadourlyrik greift jedoch bald über den lyrischen Rahmen hinaus und wird auch in narrativen Texten durchgespielt. Eine der einflussreichsten Darstellungen ist die Beziehung von Lancelot und Ginevra, mit der dieses Thema in den Artusstoff Eingang findet, wie Walter Haug vorführt. Artusroman wie Minnelyrik zeigen eine Lust am Experiment: In der kontrollierten Umgebung der fiktionalen Artus-Welt werden die Konsequenzen von Neubewertungen modellhaft durchgespielt; und die Aufführungssituation der Troubadour-Lyrik kommt einem Gesellschaftsspiel nahe. Beide verkörpern diesseitige, weltliche Utopien, die erstmals wieder deutlich neben die christlichen, jenseitigen treten. Artus und Lancelot sind Träger dieser Utopien.

Es ist sicher kein Zufall, dass diese Neuerungen zeitlich in etwa mit neuen Entwicklungen auf religiösem Gebiet zusammenfallen, die sich in den Beiträgen zu Christus, Maria und Franziskus abzeichnen. Der Übergang vom Frühmittelalter zum Hochmittelalter ist gekennzeichnet durch ein Freiwerden von Räumen. Im Frühmittelalter stand die Sicherung des Überlebens der Gemeinschaft und die Legitimierung der dazu nötigen Herrschaft im Vordergrund. Dies bestimmte die Erwartungen, die an Helden wie Dietrich, Artus und Karl sowie an Heilige wie Martin und Jakobus, ja selbst an Christus und Maria gerichtet wurden. Im Hochmittelalter weitet sich der Horizont. Der Blick richtet sich einerseits mehr nach innen, auf das Individuum, andererseits geht er weiter nach außen: über Sippe, Stadt, Bistum, über Mittel- und Westeuropa hinaus – ohne dass Fragen der Herrschafts- und Gemeinschaftssicherung ihre Brisanz dadurch verloren hätten. Zweifellos stand der ökonomische Aufschwung des 11. Jahrhunderts im Hintergrund und lieferte die Basis für diese Neugewichtungen. Peter Dinzelbacher arbeitet etwa heraus, wie ein Rückgang der Kindersterblichkeit intensivere Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erlaubt hat. Gleichzeitig lässt der Wandel von Herrschaftsstrukturen, der mit dem Stichwort Feudalisierung verbunden ist, um diese Zeit als Kehrseite der Freiheit eine gewisse Unsicherheit aufkommen. Rollen müssen neu definiert werden. So erhebt sich ein Bedürfnis nach neuen Leitfiguren; alte Leitfiguren geraten in neue Perspektiven.

Die Paarbeziehung wurde immer mehr als eine persönliche Beziehung gesehen; dies gilt auch für die zeitgenössische Neubewertung der Ehe durch die Kirche. Gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer persönlicheren Beziehung zu Christus und Maria immer intensiver. So lässt sich die erotische Aufladung mystischer Erlebnisse, besonders in der Frauenmystik, auf den Einfluss der Minnethematik zurückführen und umgekehrt die religiöse, manchmal fast blasphemisch anmutende Metaphorik der Liebestheorie auf franziskanische und andere mystische Strömungen. Obwohl diese Entwicklungen neuzeitliche Konzeptionen von romantischer Liebe und religiösem Erleben nachhaltig beeinflusst haben, wirken extremere Manifestationen auf uns heute geradezu grotesk: lebensbedrohlicher Liebeswahnsinn bei Lancelot, hysterischer Nachvollzug der Passion durch weibliche Anbeterinnen.

Dass diese neue Radikalität in Gefühl und Verhalten auch damals soziale Sprengkraft besitzen konnte, wird verschiedentlich deutlich: Das Artusreich übersteht weder seine Kollision mit dem absoluten Anspruch der Liebe von Lancelot und Ginevra noch seine Konfrontation mit dem religiösen Anspruch der Gralsqueste. Der Erfolg des heiligen Franziskus als Leitfigur unter zahlreichen anderen Heiligen und Häretikern, die sich um die Reform der Kirche bemühten, rührt, wie Helmut Feld zeigt, auch aus einem Widerspruch in dieser Figur: Die Radikalität seiner Ideen und seiner Selbstinszenierung führt Franziskus bis an den Rand der gesellschaftlichen Tragbarkeit; aber ein konservativer Impuls lässt ihn dann gerade noch innerhalb der Grenzen bleiben oder auch sich wieder hinter sie zurückziehen. Der überaus hohe emotionale Anspruch, den das neue Konzept der persönlichen geistigen und auch körperlichen Christus-Nachfolge stellt, erklärt zum Teil, wie Roswitha Wisniewski zeigt, auch die neue Rolle der Maria: eine Vorbildfigur, deren persönliche Beziehung zu Christus alle zur Nachahmung aufruft, die aber besonders den Frauen, die im Hochmittelalter in wachsender Zahl eine religiöse Lebensführung anstreben, zur Orientierung dient.

Wie bereits oben bemerkt, richtet sich der Blick im Hochmittelalter nicht nur verstärkt nach innen, sondern auch weiter nach außen. Wie schon in der Antike und wieder in der Neuzeit erschien im Mittelalter Alexander als ein Beispiel für den raschen Aufstieg zu größter Macht wie für den jähen Sturz aus höchsten Höhen. Das konnte als Exempel für das Wirken der Fortuna und ihres Schicksalsrades, aber auch als Warnung vor Hochmut aufgefasst werden. Dem Mittelalter erschien Alexander jedoch vor allem als ein Erkunder der unbekannten Ferne. Schon in der Spätantike hatte man die Erfahrungen Alexanders auf dem Zug nach Indien in fantastischen Farben ausgemalt. In dem Maße, in dem sich der Horizont durch den Zerfall des Römischen Reiches und die Ausbreitung des Islam verengte, wurde auch der Nahe Osten fremd und exotisch. Im frühen Hochmittelalter wandte sich die Aufmerksamkeit des westlichen Europa diesen Gegenden wieder verstärkt zu – der Beginn der Kreuzzüge sorgte dafür. Damit könnte zusammenhängen, dass, wie Thomas Noll vorführt, das Motiv der Greifenfahrt Alexanders um diese Zeit besonders beliebt wurde. Dieses Abenteuer hatte ja nicht nur im Fernen Osten stattgefunden, wo man das Paradies vermutete, es drohte sogar die Grenze zum Himmel zu durchbrechen. Wo dieses Motiv eindeutig ausgelegt wird, deutet es auf den frevelhaften Hochmut Alexanders. Offensichtlich faszinierte es aber über diese schlichte allegorische Auslegung hinaus und verkörperte etwas von den Ängsten, die das Überschreiten der Grenzen zum Unbekannten hin auslöste. Das muss nicht nur auf geografische Grenzen hin verstanden werden. Denn in diese Zeit fallen auch die ersten Zeichen einer Neubelebung der Wissenschaften, auch des Quadriviums, also der mathematischen Wissenschaften und mit ihnen der Naturwissenschaft, fällt eine wachsende Bereitschaft, auch geistig Neuland zu betreten. Natürlich verkörpert die Greifenfahrt auch, wie der Ikarus-Mythos, den Traum des Menschen vom Fliegen, aber auf eine eigentümlich pragmatische Weise: Alexander fliegt nicht selbst, sondern konstruiert einen von Ungeheuern getriebenen Flugapparat.

Der geöffnete Blick nach außen führt oft gleichzeitig zur Abgrenzung, besonders dem Islam gegenüber, trotz Perioden regen kulturellen Austausches in Spanien, Unteritalien und auch Palästina. Die Kreuzzugsthematik bestimmt natürlich vor allem das Bild Gottfrieds von Bouillon, des Helden des Ersten Kreuzzugs, dessen Wirkungsgeschichte Friedrich Wolfzettel nachzeichnet. Aber sie spielt auch in der Geschichte des Jakobskultes eine wesentliche Rolle, insofern der heilige Jakobus als Vorkämpfer gegen die Sarazenen Spaniens in Anspruch genommen wurde und dabei besonders innerspanisch zu einer einigenden Figur wurde. Diese Tradition strahlte ferner in die Karlsrezeption aus, in der Karl einerseits als Führer des christlichen Europa, andererseits als Herrscher Frankreichs erscheint, und das Gegenbild der Sarazenen zur schärferen Profilierung dieser doppelten Führerrolle dient. Die Auseinandersetzung mit anderen Religionen, die das Alte Testament, aber nicht das Neue anerkannten, hat auch im Marienkult ihre Spuren hinterlassen: Die theologische Diskussion um die Geburt Christi, als ein entscheidender doktrinärer Unterschied zu Islam und Judentum, verfestigt sich zu einem Schatz an geläufigen Metaphern und allegorischen Auslegungen aus dem Alten Testament, die in der religiösen Dichtung streckenweise aneinandergereiht werden. Ebenso führt die stärkere Mobilität, die mit der Häufung von Pilgerreisen verbunden ist, mitunter, wie Klaus Herbers bemerkt, auch zur Stärkung von Vorurteilen zwischen den Völkern Europas, obwohl sich das Symbol Jakobs, die Jakobsmuschel, bis zum späteren Mittelalter in ganz Europa verbreitet.

Abschließend möchte ich betonen, dass jede der hier behandelten Figuren – auch wenn die Darstellung in diesem Rahmen gelegentlich auf Zeugnisse nur eines Sprachraums beschränkt werden musste – sich über die Sprachgrenzen hinaus in einem europäischen Diskurs bewegt. Dieser ist unterfüttert durch die gemeinsame Orientierung auf die christliche Kirche und die Erinnerung an das römische Imperium, sowie vermittelt durch die Lingua franca des Lateins. Dazu tritt im Hochmittelalter das sich schnell verbreitende Konzept des höfischen Rittertums. Freilich trennte das gemeinsame Erbe schon damals so häufig wie es vereinte – das demonstriert Johannes Fried an der Erinnerung an Karl den Großen.

Sämtliche hier versammelten Beiträge wurden im Wintersemester 2003/04 an der Katholischen Universität Eichstätt als Vorträge gehalten. Die Konzeption wie die organisatorische Durchführung des Programms lag in den Händen von Karl Graf Ballestrem, Verena Dolle, Andreas Hartmann, Inge Milfull, Michael Neumann, Almut Schneider, Michael Schwarze, Christine Strebl, Gabor Varga und Frank Zschaler.

Inge Milfull

Menschen, die Geschichte schrieben

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