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Advent in den 50ern Mechthild Müller

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Anfang der 1950er Jahre lebten wir im Elternhaus meiner Mutter in der ersten Etage. Im Erdgeschoss wohnten meine Oma Anna, Onkel Heini und die Tante mit zwei Kindern. Eine echte Großfamilie und ein Kinderparadies. Onkel Heini besaß eine Wagnerei, in der die Bauern des Dorfes ein und aus gingen, außerdem gab es einen Holzplatz, einen Stall mit zwei Kühen, mit Schweinen und Hühnern und einen großen Hof: unser Spielplatz. Nebenan die Metzgerei und der Bäckerladen mit einem stattlichen Backhaus: Überall hatten wir Kinder unsere Nasen drin.

Der Wechsel der Jahreszeiten prägte unseren Alltag. Im Sommer lebten wir „auf der Gass“. Wenn es kälter wurde, begann die Zeit der Bilderbücher – gepaart mit leichter Langeweile. Mit dem ersten Adventssonntag wurde es erneut spannend und – geheimnisvoll.

Sonntags war Papa zu Hause. Er war es, der die erste Kerze anzünden durfte, nach dem voll Ungeduld gesungenen „Wir sagen euch an den lieben Advent“. Tannenduft verbreitete sich, Wachsgeruch, wohlige Wärme. Dann erzählte Papa alljährlich dieselbe Begebenheit von seiner Gefangenschaft in Amerika:

Die Überfahrt in einem kleinen Schiff war so stürmisch gewesen, dass alle sicher waren, nach den überstandenen Schrecken des Krieges jetzt im weiten Atlantik ertrinken zu müssen. Doch es ging gut. In den USA gab es dann erstaunlich viel zu essen. Mein Vater war mit den anderen Gefangenen beim Bau einer Brücke eingesetzt, in Texas. Nun hatte meine Mutter bereits im September eine Blechdose mit Weihnachtsplätzchen abgeschickt. Angekommen sind sie jedoch erst im Januar, als Krümel. Mein Vater öffnete die Dose, sah die Krümel und sagte zu seinen Freunden: „Holt Löffel. Die Krümel werden gegessen! Sie sind von daheim!“ Und schweigend löffelten die Gefangenen im fernen Texas die deutschen Krümel.

In der Adventszeit waren auch die Werktage außergewöhnlich. Wir Kinder durften den Plätzchenteig durch den Fleischwolf Marke „Alexanderwerk“ drehen. Aus den Teigresten formten die Mütter eine Brezel, die wir sogleich nach dem Backen verspeisen durften. Die Plätzchen dagegen wurden in bunten Blechdosen gut verwahrt und versteckt: unterm Sofa nämlich und auf dem Speicher. Wir taten so, als würden wir diese Verstecke nicht kennen.

Im Religionsunterricht hielt uns Fräulein Steinforth dazu an, freundlich zu sein und für jede gute Tat einen Strohhalm zu sammeln, der am Heiligen Abend dem Jesuskind im Krippchen ein weiches Lager bereiten sollte.

Schreckensauftritt im Kindergarten: Der Nikolaus im Bischofsgewand, mit Bart und heiligem Buch, im Schlepptau Knecht Ruprecht – unverkennbar: die Schwesternhaus-Liss! Wenn das vorüber war, stand abends ein Teller mit Schokolade vor der Tür, mit Orangen und einer Lebkuchenfigur, der ein Nikolausbildchen aufgepappt war. Ein Hochgenuss!

Und allmorgendlich durften wir unseren gemeinsamen Adventskalender öffnen. Abwechselnd. Auf einer Kordel waren Streichholzschachteln aufgereiht, gefüllt mit kleinsten Zweiglein, winzigen Schokoladenfiguren und Bonbons.

Im Mittelpunkt all dieses Geschehens lag der Adventskranz auf seinem weißen Keramikteller, mit dicken roten Kerzen, breiten roten Bändern. Lediglich seine Größe variierte von Jahr zu Jahr ein wenig. Daneben, auf der roten Decke mit den Sternen, lag das noch volle Schächtelchen „Welthölzer“. Spätestens am zweiten Advent hatten wir jedoch allen Respekt verloren: Die Kerzen wurden malträtiert. Sie seitlich ein wenig einzukerben genügte. Schon lief das Wachs einen neuen Weg entlang. Die Kerzen ähnelten bald kleinen, dickbäuchigen Chiantiflaschen. Wir Kinder waren beschäftigt, und unsere gütige Mutter gab es schließlich auf, das pyromanische Treiben unterbinden zu wollen.

Es war eine karge Zeit. In meiner Erinnerung steht sie mit ihrem Tannenduft und ihrem Kerzenlicht in der Dunkelheit dennoch als Symbol für Geborgenheit, für Advent – eine Ankunft.

So feierten wir damals

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