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Besondere Kerzen Karin Schachl

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Mitte Oktober 1945 wurden wir aus Österreich ausgewiesen. Seit Februar galten wir als Flüchtlinge, jetzt stiegen wir in einen Viehwaggon, unsere Mutter und wir vier Mädchen. Vor und hinter uns andere Frauen, andere Kinder, weinende Babys, Alte und Kranke: gefangen im muffigen Halbdunkel, in der schwarzen Nacht. Halbwüchsige Buben spielten Mundharmonika. Die fröhlichen Töne lenkten uns Kleinere ein wenig ab. Die Fahrt war lang. Schließlich erreichten wir Breitenbach in Oberhessen. Als der Flüchtlingszug hielt, standen zwei oder drei Pferdefuhrwerke bereit, um unser spärliches Gepäck aufzunehmen.

Wir sollten auf einen Bauernhof ins zehn Kilometer entfernte Lingelbach. Der Bauer musste uns ein Zimmer überlassen. Arbeitskräfte für seine Landwirtschaft wären ihm lieber gewesen. Eine junge Frau mit vier Töchtern: In seinen Augen war das nichts als eine zusätzliche Belastung. Denn außer uns war schon seit Jahren eine weitere vaterlose Familie bei ihm einquartiert. Eine Frau mit drei Buben, die in Hamburg ausgebombt worden waren.

Von dieser Familie sprechen wir bis heute mit Ehrfurcht, wenn es ums Teilen geht: Ihren gesamten Wintervorrat, das Holz, die Kartoffeln, den eingekochten Rübensirup, das Dörrobst und die getrockneten Pilze teilten sie mit uns. Von allem bekamen wir die Hälfte.

Schnell wurden aus diesen Nachbarn Freunde. Die Buben waren in unserem Alter, unsere Mütter konnten ihre Sorgen miteinander teilen und wohl auch Erinnerungen an die verlorene Zeit, als wir alle noch ein richtiges Zuhause gehabt hatten.

November verging, Advent und bald schon Weihnachten standen vor der Tür. Zum ersten Mal ohne unseren Vati. Die Nachricht von seinem Tod hatte uns wenige Tage vor unserer Flucht erreicht.

Würden wir in dieser Not wenigstens einen Adventskranz haben? Das Tannengrün für den Kranz durften wir uns im nahen Wald besorgen, doch was wäre ein Adventskranz ohne Kerzen? Auch dafür wussten unsere neuen Freunde Rat. Den ganzen Sommer über hatten sie Kerzenstummel und Wachsreste gesammelt. Nun schmolzen sie das Wachs in einer Blechbüchse und füllten es in zwei Gläser. Je ein gehäkelter Baumwollfaden diente als Docht. Zwar reichte es nicht für acht Kerzen, vier für jeden Kranz, doch jede Familie hatte auf diese Weise eine etwas größere, die an allen vier Adventssonntagen Licht spenden sollte.

Das größte Geschenk, das uns die Freunde in diesem Advent machten, war eine weiße Tischdecke. Aus Dankbarkeit hütete sie unsere Mutter noch Jahrzehnte später. Mit dieser Tischdecke, dem Tannenkranz und der Kerze, mit Liedern und Geschichten und mit dem Duft von Bratäpfeln wurde aus unserem ungemütlichen Zimmer ein Zuhause.

Hat meine Vorliebe für Kerzen ihren Ursprung in dieser Erinnerung?

So feierten wir damals

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