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DIEDERICHSEN UND TOMAYER

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Michael Rudolf

Gerade auf Jahresende beehren den Buchmarkt zwei Musikjournalisten mit ihren gesammelten Kolumnen. Zum einen Diedrich Diederichsen (Freiheit macht arm – Das Leben nach dem Rock ’n’ Roll 1990–1993, Köln 1993), der, nachdem er seine Platt(en)kritiken zu Literatur erklärte, verzweifelt neue Affirmationsmodelle für sein linksradikales Spießertum sucht. Not for regular folks! Daneben gab er jahrelang den Spex-Redakteur (Sie wissen schon: das ubiquitäre WG-Klo-Triumvirat konkret/Titanic/Spex), der Zeitung also, nach deren Lesen man sich prinzipiell blöder vorkommt als zuvor. Und zum anderen das bürgerliche Pendant Karl Bruckmaier, früher Zündfunk-Redakteur bei Bayern 2 und regelmäßiger Kolumnist für die Süddeutsche Zeitung (I’m Only In It For The Zeilenhonorar – Kritiken, Aufsätze, Interviews 1983–1993, Augsburg 1993). Beide konstatieren: Pop ist tot. Aber während sich Bruckmaier wohltuend nur bei der Analyse aufhält resp. sich in einem Beitrag über die unerklärliche Kohärenz von Jazz und Lyrik amüsiert, muß Diederichsen fremdwortüberfrachtete Essays hervorquetschen, in denen er für HipHop die legitime Nachfolge des Rock ’n’ Roll postuliert und in selben »Grundbedingungen neuen linken Denkens« ausmacht. Das ist dann die politische Korrektheit, der wir die Existenz von Gesinnungsmusikanten wie Ice-T oder Rage Against The Machine zu verdanken haben. Bruckmaier zählt hingegen genüßlich seine Feindbilder auf. Und da gehe ich voll mit: »Videos mit obdachlosen und hungernden Kindern […] Senatsbeauftragte für Rockmusik […] Winselnde Weltanschauungswachteln […] ABM-Rocker […] Classic Rock […] Gewaltvideoverbieter […] Jazzmessen […]«. Will man Popkritik auch als Zeitdokument begreifen, sollte man beide Bücher haben. Und lesen.

Auch voll zum Mitgehen ist das schon etwas betagte Bändchen von Horst Tomayer, Hirnverbranntes und Feinziseliertes (Hamburg 1990), mit einer Sammlung seiner Arbeiten für das altultralinke, aber sympathische Magazin konkret. Tomayer kennen wir zudem als Kleindarsteller in Otto-Filmen, als begnadeten Kleinschriftsteller, als Rennradler, der mühelos 200 km/d abbürstelt, und einen, der sich aufs Remittieren von altbackenen Hostien und aufs Pilzezubereiten versteht wie keiner sonst (na gut, außer Wiglaf Droste und mir). Illustriert ist der ganze Spaß auch noch von Ernst Kahl, und das ist schon Grund allein.

Konkret ist übrigens das Heftchen, welches ostdeutschen Versifexen gelegentlich die Kommata nachzählt. Diese revanchieren sich dann, indem sie den Namen des Herausgebers Gremliza permanent falsch (mit tz) schreiben. So was kann auch unterhaltsam sein. In etwa so unterhaltsam wie die Variante, die mir neulich Harry Rowohlt anbot, um sich für sein Falschschreiben der Ortsnamen Schleiz und Greiz (beides ebenfalls mit tz) zu rehabilitieren. Und dem lasse ich alles durch. Verraten wird hier aber nix von.

Brocken/Kickelhuhn/Pulverturm 11/1993

Der Mann mit den 999 Gesichtern

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