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2. Annäherungen
ОглавлениеNoch immer ist die wissenschaftliche Begleitung und Reflexion der Praxis der religiösen Erwachsenenbildung defizitär. So stellte Martina Blasberg-Kuhnke bereits im Jahr 1995 fast schon resigniert die Frage: «Wie ist das verhängnisvolle Theorie-Praxis-Problem der Erwachsenenbildung zu überwinden, das wissenschaftliche Theoretiker der Erwachsenenbildung und ihre Veranstalter aneinander vorbeiarbeiten lässt, mit der Konsequenz einer weithin theoriearmen Praxis und zahlreicher folgenloser Theorieentwürfe?»44 Leider fühlt sich – nach wie vor – keine wissenschaftliche Disziplin letztlich für dieses Handlungsfeld zuständig, weder die Praktische Theologie noch die profane Erwachsenenbildung/Weiterbildung, am ehesten noch die Religionspädagogik, die die Evangelische Erwachsenenbildung allerdings zumeist lediglich als Teilbereich der (in einem weiten Sinne verstandenen) Gemeindepädagogik thematisiert. Mit dem skizzierten Theoriedefizit korrespondiert eine defizitäre Forschungslage. Manche Dissertationen sind zweifellos kluge Werke, die inspirieren, in denen aber die konkrete Bildungspraxis nur schwache Spuren hinterlässt. Mit Rudolf Englert soll daher idealtypisch unterschieden werden zwischen:
1 Funktionärstheorien, die vorwiegend der Legitimation der eigenen Praxis dienen und häufig die Erwartungen von Zuschussgebern im Blick haben
2 Qualifikationstheorien, die vor allem als wissenschaftlicher Qualifikationsnachweis ihres Verfassers/ihrer Verfasserin dienen mit keinem oder wenig Bezug zur Praxis
3 Überschalltheorien, d. h. grossflächig angelegte, z. T. sehr innovative Theoriemodelle ohne Bezüge zu den Spezifika des erwachsenenbildnerischen Alltagshandelns.
4 Praxistheorien, bei denen es primär um die Aufklärung gegenwärtiger oder geschichtlicher Praxis geht mit der Intention, Orientierungsperspektiven für die zukünftige Praxis generieren zu können.45
Die Forderung nach Theoriemodellen, die ihren Ausgangspunkt bei der konkreten Erwachsenenbildungspraxis haben, ist nicht akademische Rhetorik, denn sowohl Grundlagenforschung als auch empirische Bildungsforschung sind notwendig, um die gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Potenziale der religiösen |29| Erwachsenenbildung zu erkennen, zu reflektieren und zu strukturieren. Noch immer fristet religiöse Erwachsenenbildung im kirchenpolitischen Spektrum ein Schattendasein und zählt zu den verzichtbaren adiaphora. Religiöse Erwachsenenbildung darf nicht eindimensional reduziert werden auf Evangelische Akademien. Es gibt auch den Alltag, die Arbeit in Institutionen mit einer regionalen Bedeutung: Heimvolkshochschulen, städtische Bildungszentren, dekanatliche Bildungswerke, Familienbildungsstätten. Dabei sind auch die spezifischen institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Institution, die Bildungshandeln ermöglichen, erschweren oder auch verhindern können, zu berücksichtigen. Exemplarisch seien folgende Problemfelder gegenwärtiger Bildungspraxis genannt: Geänderte Förderrichtlinien als Folge kirchlicher und staatlicher Sparmassnahmen führen zur Notwendigkeit, zunehmend Drittmittel (Projektmittel, Gelder von Stiftungen, Sponsoring) generieren zu müssen. Inhaltliche Entscheidungen werden aufgrund dessen durch extern definierte Kriterien für eine Förderung determiniert. Qualitätsmanagementsysteme werden als Voraussetzung für eine finanzielle Förderung fast flächendeckend eingeführt, ohne jede bildungstheoretische oder theologische Begründung und ohne qualifizierte empirische Überprüfung, ob der Anspruch einer Qualitätssteigerung auch tatsächlich erfüllt wird.