Читать книгу Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов - Страница 14
III. Zugang über Quellengattungen: die Korrespondenz
ОглавлениеEine der reichhaltigen Quellen im Nachlass Cullmanns ist die Korrespondenz. Karlfried Froehlich schätzt den Umfang auf ungefähr 30 000 Briefe.75 Obwohl Cullmann von wichtigen Briefen jeweils Entwürfe, Abschriften oder Durchschläge hinterliess, sind diese der kleinste Anteil der Korrespondenz. Die Antworten der Adressaten überwiegen bei weitem. Für die Zukunft wäre hilfreich, nach Möglichkeit die Korrespondenz Cullmanns durch Kopien zu sammeln. Erste Schritte dazu hat die Fondation Oecuménique Oscar Cullmann bereits unternommen.76 Weitere gezielte Anstrengungen wären vor allem bei Forschungsprojekten unerlässlich.
Und natürlich stellt sich die Frage, wo genau die Schätze in der Korrespondenz zu heben sind. Es sind die klingenden Namen der Zeit freilich vorhanden, die deutschen Fachkollegen Karl Ludwig Schmidt und Rudolf Bultmann oder die frankophonen Exegeten Pierre Benoît77 und Stanislas Lyonnet,78 die Dogmatiker Karl Barth, Gerhard Ebeling oder Wolfhart Pannenberg, |30| die frankophonen Ökumeniker Yves Congar,79 Jean Daniélou80 oder Jean Guitton81. Und selbstverständlich gibt es auch die Korrespondenz mit den Päpsten.82 Der Zugriff auf den umfangreichen Quellenbestand wird von den verfolgten Forschungsinteressen abhängen: ein bestimmter Zeitabschnitt wie der Zweite Weltkrieg, eine Personengruppe, beispielsweise das Kollegium der Basler Theologischen Fakultät, ein konkretes Projekt, etwa die gemeinsame Kollekte oder die Auseinandersetzungen um eine bestimmte Publikation.
Im Folgenden seien lediglich zwei Beispiele zur Veranschaulichung erwähnt: Während des Zweiten Weltkriegs zeigte sich Cullmann als aufmerksamer Beobachter der unterschiedlichen Kulturen im Dreiländereck. 1940 schrieb er in einem Briefentwurf an einen Freund in Clermont-Ferrand, die Schweizer seien keine Deutschen. Die Schweizer seien Schweizer mit ihren eigenen Fehlern, geprägt durch eine eigene Geschichte. Sie pflegten ein kühles Verhältnis zu den Nachbarn, verachteten und bewunderten zugleich die Deutschen. Die deutschen Kollegen hätten kaum Kontakte mit Schweizer Familien.83 1944 charakterisierte er gegenüber einem Basler, der ihn ausdrücklich danach gefragt hatte, den schweizerischen Nationalcharakter kritisch |31| und bat im Gegenzug den Adressaten, ihm die Fehler «bei uns» (den Franzosen) anzugeben.84
Als zweites Beispiel sei auf den Briefwechsel zwischen Cullmann und Lukas Vischer verwiesen. Vischer hatte nach Kriegsende Theologie in Basel, Göttingen sowie Strassburg studiert. Bei Cullmann promovierte er über Basilius den Grossen und verfasste während des Pfarramtes eine Habilitationsschrift im Fach Neues Testament.85 Nach dem Pfarramt in Herblingen/SH (1953–1961) wurde Vischer theologischer Studiensekretär, später Direktor der Abteilung für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Vischer war vom ÖRK als Beobachter an das Zweite Vatikanische Konzil delegiert.86 Regelmässig berichtete er dem damaligen Generalsekretär des ÖRK, Willem Visser ‘t Hooft, aus Rom. Die Berichte und Briefe liegen im Archiv des ÖRK in Genf. Sowohl Vischer als auch Visser ’t Hooft standen mit Cullmann im Briefwechsel.87 Vischers Briefwechsel ging natürlich über das Zweite Vatikanische Konzil weit hinaus. Auf die Publikation Einheit durch Vielfalt im Jahr 1986 schrieb Vischer einen langen Brief, den Cullmann in der zweiten Auflage als weiterführenden Beitrag ausführlich aufnahm.88