Читать книгу Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов - Страница 17
VI. Fazit
ОглавлениеÜberblickt man den Nachlass Cullmanns, so rücken mit Sicherheit die bekannten, grossen Themen ins Blickfeld, die auch in Zukunft wichtige Bereiche der vertiefenden Erforschung bleiben sollten: die Rolle Cullmanns während des Konzils, das Konzept der Einheit durch Vielfalt, der neutestamentliche Exeget und Theologe oder das Konzept einer biblischen Heilsgeschichte. Daneben aber tauchen weitere Themenbereiche auf, die mit der besonderen Signatur des Nachlasses zu tun haben, in der sich letztlich die Persönlichkeit Cullmanns – wenn auch gebrochen – spiegelt. Ich nenne abschliessend drei Elemente, die dem Nachlass seine spezifische Kontur verleihen:
(1) Der Nachlass ist gekennzeichnet durch Vielsprachigkeit. Cullmann verfasste Buchmanuskripte in Französisch und Deutsch, schrieb Vorträge zuweilen auch in Englisch und trug ausserdem in Italienisch vor. Cullmann lebte in verschiedenen Kulturen. In Strassburg und Basel unterrichtete er, später lehrte er ausser in Basel auch in Paris und Rom und war schliesslich Gastprofessor in den USA, in Deutschland und als Emeritus auch in Jerusalem. Zu Recht wurde Cullmann «ein Mittler zwischen verschiedenen Kulturen» genannt.125
(2) Mit dieser interkulturellen Prägung hängt die weltweite Vernetzung mit Kollegen, Geistlichen und weiteren Persönlichkeiten aus Universität, Kirche und Gesellschaft sowie mit Freunden und Schülern zusammen. Diesen Umstand dokumentiert die ausgreifende Korrespondenz, aber auch die Art, wie sich Cullmann als Wissenschaftler selbst verstand. Er strebte das Gespräch an und war auch nicht abgeneigt, einen polemischen Disput zu führen, wo er es für notwendig hielt. Das zeigen auch die vielfältigen Reaktionen und Rezensionen, die den Publikationen beschieden waren.
(3) Cullmann dachte über die eigene Fachdisziplin hinaus. Selbstverständlich verstand er sich als Neutestamentler, ging in seinen wissenschaftlichen Bemühungen immer wieder von der Exegese der biblischen Texte aus, schlug dann aber den Bogen über die Kirchengeschichte weiter zur systematischen |39| Theologie. Damit hängt auch zusammen, dass er über die eigene Konfession hinausblicken und die Vertreter der römischen Kirche respektieren konnte, was wiederum auf die interkulturelle Prägung und die Dialogfähigkeit verweist.
Weil Cullmann den Dialog über sprachliche, fachliche und konfessionelle Grenzen hinaus suchte und auf unterschiedlichen Ebenen pflegte, in der Korrespondenz, der Lehre an der Universität, in den Ansprachen und Vorträgen an eine engere oder breitere Öffentlichkeit, den Publikationen in Zeitschriften oder Monographien und nicht zuletzt in persönlichen Gesprächen, erhält der Nachlass diese weite und komplexe Anlage. Die Erforschung des Nachlasses stellt daher auch erhöhte Anforderungen, denn der Überblick über das Ganze und die Vernetzung im Einzelnen liegen nicht einfach auf der Hand. Trotzdem lockt ein vielfältiges, gehaltvolles und gut geordnetes Archiv zu Erkundungsgängen, die mit faszinierenden Einblicken in die Geschichte von Theologie und Wissenschaft, von Universitäten und Kirchen, Konfessionen und Ökumene sowie von Gesellschaft und Politik über nahezu das ganze 20. Jahrhundert belohnen. |40|