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V. Zugang über Werke: Das Gebet im Neuen Testament

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Neben der Korrespondenz nimmt die Kategorie der «Manuskripte» den Löwenanteil des Nachlasses ein. Aus dieser ursprünglich pragmatisch ange­legten, breiten Kategorie wurden während der Sichtung des Materials ein Bereich umgeordnet: Die Korrespondenzen aus Cullmanns Feder, also Briefe, Brieffragmente, Briefentwürfe, Abschriften oder Kopien, wurden in einer eige­nen Kategorie der Korrespondenz zusammengefasst. Cullmann legte selbst ein Dossier mit Konzilsakten an, das zahlreiche Manuskripte enthält und das geschlossen in die Kategorie «Zweites Vatikanisches Konzil» ein­ging. Ob eine weitere Differenzierung notwendig sein wird, muss die Be­nut­zung des Archivs zeigen. Jedenfalls sind die Quellen in der gegenwärtigen Ord­nung problemlos greifbar.

Die Kategorie der «Manuskripte» ist reich ausgestattet und umfasst eine Vielfalt von Quellengattungen. Ich nenne drei Beispiele zur Illustration: In einem Entwurf aus den Jahren 1938/1939 notiert Cullmann seine Ein­schät­zun­gen der Entwick­lung der Theologischen Fakultät in Basel. Nachdem vertriebene oder geflohene Kollegen aus Hitlerdeutschland aufge­nom­men worden seien, spiele die Theologische Fakultät eine internationale Rolle. Es ist nicht klar, in welchem Zusammenhang der Bericht steht, ob es sich um einen Vortrag oder um eine Stellungnahme handelt.111 1979 hielt Cullmann eine Laudatio für Willem Visser ’t Hooft aus Anlass der Würdi­gung durch die Fondation Boegner in Genf.112 Aus dem gleichen Jahr sind Notizen zur |36| Auseinandersetzung mit Hans Küng vorhanden. Cullmann war der Auf­fassung, Küng stelle Rom unbillige Bedingungen für den Dialog.113

Ein grosser Anteil der handschriftlichen und maschinengeschriebenen Manu­skripte entfällt auf die Vorlesungen und auf unveröffentlichte oder spä­ter veröffent­lichte Publikationen. An den Vorlesungen lässt sich Cull­manns Vorgehen in der Lehre nachvollziehen. Meistens beliess er den Grund­stock einer Vorlesung, bearbei­tete diesen aber im Verlauf der Jahre und benutzte Teile auch für andere Veranstal­tungen. Die Ordnung der einzelnen Manu­skripte, die Karlfried Froehlich vornahm, war nicht einfach, weil einzelne Teile manchmal weit verstreut waren.

Bei den Publikationen ist oft die Genese von den ersten Manuskripten zu einem Thema in Vorlesungen oder Vorträgen bis zur Drucklegung erkennbar. Als Beispiel nenne ich Cullmanns letzte grosse Arbeit zum Gebet im Neuen Testament, die 1994 auf Deutsch und 1995 in französischer, eng­lischer und italienischer Übersetzung sowie 1997 auf Deutsch in zweiter Auflage erschienen ist.114 Schon aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre gibt es einen Aufriss für eine mögliche Arbeit über das Gebet sowie Notizen mit einem Zeitplan für die Abfassung eines Vortrags oder eines Arti­kels.115 In Tantur wurde für die Jahre 1978 bis 1981 das Gebet als Studienthema fest­gelegt.116 Aus dieser Zeit zeugen mehrere Manuskripte, die das Gebet bei Paulus und das Gebet im Johannesevangelium behandeln, von einer intensi­ven Arbeit am Thema.117 Die Manuskripte stehen im Zusammenhang mit Vorträgen, die Cullmann in Athen, Tantur und bei den Waldensern in Rom gehalten hatte. Aus dieser Beschäfti­gung gingen dann auch entsprechende |37| Publikationen hervor.118 Aus den folgenden Jahren sind zahlreiche Materia­lien mit Vorbereitungen für das Buch zum Gebet vorhanden. Mehrere Blöcke und lose Blätter aus den Jahren 1985 bis 1994 enthalten Exzerpte, Konzepte und Entwürfe, die anschaulich Cullmanns Arbeitsweise zeigen.119 Verschie­dene Widmungsentwürfe, die Cullmann offenbar vor dem Eintrag in die Ge­schenkexemplare präzis vorbereitet hatte, zeigen seine weitläufigen per­sön­lichen Beziehungen. So sind beispielsweise die Widmungen an Papst Johan­nes Paul II. und an Josef Kardinal Ratzinger vorhanden. Neben Notizen und Bemerkungen liegen Angaben für die Buchanzeigen oder das Vorwort für die zweite Auflage in den Dos­siers.120 Eine Liste aus dem Jahr 1995 mit unge­fähr 100 Personen nennt die frankopho­nen Empfänger der französi­schen Ausgabe.121 So überrascht eigentlich nicht, dass es auch weitere Mate­ria­lien mit Ergänzungen, Korrekturen, Literaturhin­weisen, Fotokopien von Aufsät­zen, Briefen für die Überarbeitung der weiteren Auflagen gibt.122

Das ganze Konvolut gibt Einblick in die beharrliche Vorgehensweise und zeigt eindrücklich die intensive Auseinandersetzung des betagten Wis­senschaftlers mit dem Thema und der einschlägigen Literatur. Für die thema­tische Behandlung des Gebets wären ausserdem Vortragsmanuskripte zum Vaterunser in französischer und deutscher Fassung aus den 1930er und 1940er Jahren sowie die Gebete aus den bereits erwähnten Andachten beizuziehen.123 Cullmann hat seine Monographien über lange Zeiträume vorbereitet. Und er hat mit seinen Veröffentlichungen das Gespräch gesucht. Die Zustellung |38| seiner Bücher an einen weiten Kreis von Kollegen und Freunden verdankt sich nicht einfach der Eitelkeit des Wissenschaftlers, über die er im Übrigen gut Bescheid wusste,124 sondern dem angestrebten Dialog.

Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick

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