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Proprietäre Märkte als Strategie und Praxis

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Aus einer anderen Perspektive erscheint eher interessant, in welches größere wirtschaftliche Projekt diese Datenökonomie eingelassen ist – schließlich kann eine Volkswirtschaft nicht nur aus Onlinewerbung bestehen. Meine Antwort auf diese Frage lautet, dass wir es mit einem Projekt zum Aufbau proprietärer Märkte zu tun haben. Die Vorstufe solcher Märkte in Privatbesitz sind die Plattformunternehmen des kommerziellen Internets, die sich vielerorts als Handelsmonopole für bestimmte Dienstleistungen etabliert haben, etwa bei Taxifahrten, Musik- und Videostreaming oder Essenslieferungen. Diese Privatmärkte sind eingelassen in die sozio-technischen Ökosysteme einer kleinen Zahl von Unternehmen, unter denen Google, Apple, Amazon und Facebook die potentesten sind. Über die Bindung unserer Aufmerksamkeit kontrollieren diese Konzerne in zunehmendem Maße, was wir überhaupt wahrnehmen. Diese Machtposition gleicht einer Goldgrube, weil auf immer kompetitiveren Verbrauchermärkten nur diejenigen etwas verkaufen können, die Wahrnehmung für ihre Produkte erzeugen können. Die überwachungskapitalistische Werbung ist nur ein Mittel zur Kontrolle dieser Wahrnehmung. In dieser Lesart speisen sich die Profite der marktgleichen Leitunternehmen aus unterschiedlichen Gebühren, die sie (auch in der Form von Werbeeinnahmen) für ihre Vermittler- oder besser gesagt Marktfunktion erheben.

Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets agieren also, so die zugespitzte These, nicht wirklich auf Märkten, deren Preisbildungsmechanismen sie beispielsweise verzerren könnten. Sie sind diese Märkte. Das heißt: Nicht ein abstrakter Marktzwang oder eine Internalisierung von Konkurrenzdenken ist hier primärer Treibstoff der Ökonomisierung. Vielmehr wird die Marktfunktion selbst privatisiert, um in den Dienst einzelner Kapitalinteressen gestellt zu werden.

Durch die stetige Expansion des eigenen Produkt- und Dienstleistungsportfolios und die Kontrolle der Distributionskanäle für die Produkte einer stetig steigenden Zahl externer Anbieter erweitern die Privatmärkte des kommerziellen Internets permanent ihr Angebot. Auf der Nachfrageseite des Marktes, also bei den Konsument:innen, setzen sie zudem auf unterschiedliche Lock-in-Strategien: Zum einen werden die eigenen Systeme fortlaufend auf maximalen Komfort hin optimiert, um das Bedürfnis, in ein anderes System zu wechseln, zu reduzieren. Zum anderen macht man es den User:innen so schwer wie möglich, bestimmte Dienste außerhalb des eigenen Ökosystems zu nutzen.

Nehmen wir Zuboffs Lieblingsfeind Alphabet (Google): An der Unternehmensgeschichte kann man ablesen, dass Google auf eine immer größere Varianz innerhalb seines Angebots gesetzt hat, um User:innen in das eigene Netzwerk zu integrieren: Zur Suchmaschine kamen – auch durch Firmenkäufe – der Kartendienst (Maps), das Gratis-Emailkonto (Gmail), das soziale Netzwerk (Google+; mittlerweile wieder eingestellt), der Cloud-Speicher (Drive) und zahlreiche weitere Anwendungen hinzu. In letzter Zeit ist Google zudem zu einer wichtigen Figur im Bereich der Unternehmenssoftware sowie im Bereich der schulischen Bildung geworden. Der entscheidende Meilenstein für Googles Ökosystem war wohl der Kauf von Android Inc. (2005) und die Präsentation des ersten Android-Betriebssystems für Mobilgeräte (2008) sowie des zugehörigen App-Stores. Bei Smartphones hat Android heute einen globalen Marktanteil von rund 80 %. Betriebssystem und App-Store dienen als Basis diverser hauseigener Dienstleistungen, aber auch als Ort, an dem eine ständig wachsense Zahl von Drittanbietern eigene Produkte einstellt. Hier kommen Produzenten und Konsument:innen zusammen. Es handelt sich um einen Markt mit stetig und systematisch wachsendem Angebot.

Im Vergleich zu klassischen Produzentenmonopolen, denen man in der Wirtschaftstheorie vor allem eine verbraucherschädliche Preiskontrolle unterstellt, materialisiert sich die Macht des Marktbesitzes in vier unterscheidbaren Formen der Kontrolle: Informationskontrolle durch Überwachung, auf die Zuboff abhebt, ist dabei nur der erste Schritt, der nebenbei keineswegs nur auf Konsument:innen, sondern auch auf die Produzierenden zielt. Sie ermöglicht drei weitere Formen der Kontrolle: von Zugängen, von Preisen und von Leistungen. Auf Seite der Produzierenden können sich Plattformunternehmen entscheiden, welcher Konkurrenz sie die Tür öffnen bzw. verschließen wollen – auf der Konsument:innenseite können sie kontrollieren, wer welche Angebote zu welchen Preisen zu sehen bekommt (Zugangskontrolle). Dies eröffnet nicht nur ein eigenes Geschäftsfeld, die algorithmische Preissetzung, sondern es ermöglicht den Plattformen zugleich eine lukrative Strategie der Preiskontrolle. Diese Strategie wird − anders als in der Monopoltheorie erwartet − bisher vornehmlich zu Gunsten, nicht zu Lasten der Konsument:innen eingesetzt: Durch ihre Macht über die Angebotsseite wird es den Marktbesitzern nämlich möglich, die Konkurrenz zwischen den Marktteilnehmern zum Nutzen der eigenen Profite zu optimieren. So haben die Plattformbetreiber beispielsweise die Möglichkeit, das Angebot strategisch zu erweitern, um die Preise für Konsument:innen zu senken (und damit die Umsätze zu steigern).

Das Profitmodell proprietärer Märkte ist die Besteuerung des Handels. Die Quantität des Warenumschlags scheint dabei wichtiger als die Höhe der jeweiligen Handelspreise. Die Plattformbetreiber können außerdem – und sie tun dies tatsächlich – die von ihnen kontrollierten Marktinformationen und Zugänge nutzen, um eigene Angebote zu lancieren und systematisch zu bevorzugen – ein Vorwurf, der von verschiedenen Firmen seit geraumer Zeit gegen Amazon gerichtet wird. Auch Google steht hierfür in der Kritik und kassierte auch bereits Strafen der EU für Selbstbevorzugung auf seinem Dienst Shopping. Auch in der Reisebranche befürchten verschiedene Vermittlungsplattformen vom Markt gefegt zu werden, sollte Google hier seinen eigenen Dienst Trips stärken. Schließlich macht die Bündelung von Kontrollmacht eine vierte Strategie möglich: Leistungskontrolle, also die Fähigkeit der Marktbesitzer, den Produzierenden die Bedingungen der Leistungserbringung bis ins Detail zu diktieren. Ein besonders sichtbares Werkzeug sind dabei die auf Plattformen systematisch eingesetzten Kaufbewertungen, die von den Betreibern nach eigenen Kriterien gestaltet werden können, um die Qualität einer Dienstleistung zu messen und die Disziplin der Produzentenseite zu erzwingen.

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