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Infrastrukturoffensiven

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Auf die eine oder andere Weise trifft die Logik proprietärer Märkte auf alle Konzerne des Gafa-Komplexes (Google, Apple, Facebook und Amazon) zu, ohne dass einer von ihnen gänzlich auf dieses Modell reduziert werden könnte. Facebook ist zuvorderst ein soziales Netzwerk – aber es ist eben auch zu einer Art Markt für Informationen geworden, über den die Mehrheit der Menschen Nachrichten bezieht. Texte werden heute nach den durch Facebook definierten Standards produziert, weil für Medienproduzenten die dort gebündelte Aufmerksamkeit unerlässlich ist. Amazon verdient zwar auch exorbitante Summen mit seiner Cloud-Sparte Amazon Web Services, stellt aber zugleich dasjenige Gafa-Unternehmen dar, in dem über die eigene Handelsplattform die Logik der Kapitalisierung durch Marktbesitz am stärksten realisiert ist und nach wie vor am nachdrücklichsten verfolgt wird. Die Firma steht dabei für den Versuch, das Modell proprietärer Märkte aus dem enger gefassten Bereich des kommerziellen Internets in die Welt der materiellen Dinge zu übersetzen. Amazon muss entsprechend mit wesentlich höheren Fixkosten kalkulieren, was erklärt, weshalb das Unternehmen – besser gesagt: seine E-Commerce-Sparte – eine deutlich niedrigere Profitrate aufweist als Google, Apple und Facebook. Apple weist auf den ersten Blick noch am ehesten Ähnlichkeiten mit herkömmlichen Produzenten auf, da es den überwiegenden Teil seiner Gewinne mit dem Verkauf von Endgeräten erwirtschaftet. Allerdings war Apple mit dem iPod und dem angebundenen iTunes-Store auch der Pionier des beschriebenen Profitmodells und der App-Store ist nicht nur der Inbegriff eines umfassenden proprietären Markts, sondern auch eine schnell wachsende und immer wichtiger werdende Profitquelle.

Auch an der Investitions- und Akquisitionspolitik der Leitunternehmen in den letzten Jahren lässt sich das Ziel der Unternehmen ablesen, gleich einem Markt zu agieren. Die Konzerne haben vor allem in Finanztechnologie (»Fintech«), Cloud-Dienstleistungen und künstliche Intelligenz investiert – allesamt Infrastrukturelemente proprietärer Märkte. Fintech-Anwendungen, insbesondere proprietäre Bezahlsysteme, runden beispielsweise das Profil der einzelnen Märkte an der Schnittstelle zu den Konsument:innen ab. Sie ermöglichen einerseits die Kontrolle der Zahlungsflüsse, andererseits die Entwicklung neuer Sekundärprodukte mithilfe der auflaufenden Daten, etwa Bonitätsratings oder Konsumkredite. Damit generieren die Marktbesitzer nicht nur neue Einnahmequellen, sondern erweitern zudem das eigene Produktportfolio. Als Vorbilder für diese Strategie können die chinesischen Leitunternehmen Alibaba und Tencent gelten, die über eine ganze Phalanx von Fintech-Unternehmungen verfügen. Das berühmteste Element der proprietären Finanzkomplexe dieser Konzerne sind die Bezahlsysteme Alipay und WeChat Pay: Ersteres verfügte Anfang 2019 über die sagenhafte Zahl von einer Milliarde registrierten User:innen, letzteres versammelte über 900 Millionen nachweislich aktive Nutzer:innen. Als Duopol kontrollieren Alipay und WeChat Pay den chinesischen Markt für Mobile-Payments so gut wie vollständig. Die Kontrolle der Zahlungsflüsse durch proprietäre Systeme bietet den Plattformen zwei entscheidende Vorteile: Erstens erheben sie Transaktionsgebühren, was die Profite steigert. Zweitens werden Konsument:innen, vor allem aber Händler:innen und Produzierende über die Bezahlsysteme unmittelbar in die proprietären Märkte integriert.

Cloud-Anwendungen sind ein weiteres zentrales Infrastrukturelement. Sie ermöglichen die fortschreitende Integration des jeweiligen Produkt- und Dienstleistungsportfolios durch die Sicherung und Expansion von Informationskontrolle. In den Rechenzentren der Leitunternehmen werden sämtliche marktrelevanten Daten der Nutzer:innen gespeichert und verwertet. Kein digitales Ökosystem funktioniert heute ohne diese im Hintergrund laufende Infrastruktur. Dass immer mehr Unternehmen, aber auch staatliche und andere Institutionen auf sie angewiesen sind, zeigt sich etwa am schier unglaublichen Bedeutungszuwachs des führenden Cloud-Anbieters Amazon Web Services (AWS), der derzeit einen Anteil von über 30 % am globalen Cloud-Markt hält (andere Leitunternehmen wie Microsoft, Google und Alibaba folgen auf den Plätzen). Die Liste der Unternehmen und Organisationen, die AWS nutzen, verdeutlicht, wie zentral die Amazon-Cloud für die digitale Weltinfrastruktur ist. Laut Amazon zählen zu den über eine Million Anwendern nicht nur prominente »Old Economy«-Unternehmen wie Kelloggs, Unilever, Volkswagen und BMW, sondern auch die Nasa, die Uno oder das US-Verteidigungsministerium.

Insbesondere für andere Digitalunternehmen ist AWS heute überlebenswichtig. Zu den Kunden aus diesem Feld zählen das deutsche Unternehmenssoftware-Powerhouse SAP, die Flatsharing-Plattform Airbnb und der Videostreaming-Dienst Netflix, der seinen gesamten Traffic über AWS abwickelt. Wie bedeutend die private Infrastruktur von Amazon mittlerweile für das gesamte kommerzielle Internet ist, wurde den US-Bürgern am 8. Februar 2017 deutlich, als Services wie Netflix, Spotify, Tinder, Dropbox und Tausende andere für ihre Nutzer:innen vier Stunden lang nicht erreichbar waren. Was war passiert? Ein AWS-Mitarbeiter hatte sich »vertippt« und aus Versehen mehr Server offline genommen als geplant. Seither spricht man von diesem Datum als jenem Tag, an dem »das Internet offline ging« – genauso richtig wäre es zu sagen, dass für vier Stunden ein Großteil des Marktes verschwand.

Auch das Zauberwort »künstliche Intelligenz« (KI) wird ein Stück greifbarer, wenn man sich deren Verwendung durch die Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus ansieht. Der Begriff »KI« ist heute im öffentlichen Diskurs mit zwei unterschiedlich umfassenden Bedeutungen anzutreffen: erstens als Metapher für die fortschreitende Vernetzung von Dingen und Prozessen durch Algorithmen, wodurch beinahe jede Programmiertätigkeit irgendwie zu diesem Komplex gehört; zweitens spricht man in einem engeren Sinne von KI, wo es um Prozesse des maschinellen Lernens geht. Mit maschinellem Lernen ist gemeint, dass Algorithmen relativ selbstständig große Datensätze (Big Data) nach Mustern (Korrelationen) durchsuchen und aus den Ergebnissen Handlungsimplikationen ableiten. Big Data bildet die notwendige Basis dieser Technologie und die Herrscher über die großen Datensätze sind die Leitunternehmen im Bereich KI. Entsprechend hat die öffentliche Beunruhigung über KI viel mit dem Szenario zu tun, dass die Konzerne als Avantgarde der technologischen Entwicklung diese neue Grundlagentechnologie unter ihre exklusive Kontrolle bringen könnten.

In den Forschungsabteilungen und Datenzentren der Leitunternehmen wird tatsächlich in KI-fähige Infrastruktur investiert, da Rechenpower und KI systematisch zusammenhängen. Jenseits des Aufbaus von Server-Kapazitäten investieren die Leitunternehmen dabei zunehmend auch in die Entwicklung eigener KI-Chips. Ziel dieser Expansion im Feld der Infrastruktur ist nicht nur die Einführung einer neuen Produktkategorie oder -komponente – selbst wenn dies selbstverständlich eine wichtige Rolle spielt. Vielmehr geht es auch um die sukzessive Schließung der proprietären Märkte, indem eine weitere Schnittstelle zu den Konsument:innen besetzt wird. Immer größere Teile der Rest-Ökonomie sollen auf diesem Weg in Abhängigkeit zu den Meta-Plattformen geraten.

Auf der Konsument:innenseite zeigt sich diese Entwicklung vor allem mit Blick auf die ganz konkreten Verwendungsweisen von KI. So kommen bislang vor allem Sprach- und Interaktionsassistenzprogramme zum Einsatz, die das Marktprofil der Leitunternehmen abrunden und erweitern. Diese »Kontaktvereinfacher« sollen es Konsument:innen noch leichter machen, auf den proprietären Märkten zu agieren. Man arbeitet an der Beseitigung eines der letzten Vorteile des stationären Handels: der sprachlich vermittelten Interaktion. In Form smarter Mikrofone wie der Echo-Linie von Amazon, des Apple-Homepod oder der Google-Home-Geräte rücken die Leitunternehmen noch näher an die potenzielle Kundschaft heran. Der Markt für diese Produkte ist in den vergangenen Jahren insbesondere in den USA geradezu explodiert: Die Smart-Speaker-Absätze haben sich dort allein von 2016 auf 2017 verdreifacht, im Frühjahr 2018 verfügte bereits jeder fünfte US-Haushalt über ein solches Gerät. Weltweit wurden im ersten Quartal 2018 über neun Millionen Speaker verkauft, was einem Wachstum von über 200 % im Vergleich zum Vorjahrsquartal entspricht.

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