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II

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Im Alten Reich war Heimat ein vergleichsweise präziser Rechtsbegriff. Eine Heimat zu haben bedeutete, Haus und Hof in einer Gemeinde zu besitzen. Das Heimatrecht regelte, wer sich in einer Gemeinde niederlassen, dort leben und einer Arbeit nachgehen durfte. Daran geknüpft waren soziale Rechte und Pflichten, insbesondere in der Armenfürsorge. Zwei Leitthemen moderner Heimatkonzeptionen seit dem 19. Jahrhundert sind hier schon angelegt. Zum einen der Zwiespalt zwischen Heimat als inkludierender und exkludierender Kategorie: Denn das Heimatrecht konnte zwar durchaus durch Zuzug, Einheirat oder Hauskauf erworben werden. Doch wurde es größtenteils als regional begrenztes Geburtsrecht ausgelegt, das oftmals zur formalen Abwehr jener Gruppen angewendet wurde, die außerhalb der ständischen Ordnung und in tiefer Armut den Status der Heimatberechtigten bedrohten. Und zum anderen die Dialektik von Verlust und erzwungenem Aufbruch in die Fremde und dem Verharren in der Heimat. Denn aufgrund begrenzter Ressourcen konnten nicht alle Nachfahren einer Familie in der Heimat bleiben. Die nachgeborenen Nichterben wurden meist aus der Heimat entlassen und waren gezwungen, andernorts eine neue Heimat zu finden.

Nach 1800 beginnt die Bedeutung von Heimat sich tiefgreifend zu wandeln und allmählich zu entkonkretisieren. Die Grundlage hierfür bilden Erfahrungen von politischem und gesellschaftlichem, schließlich auch ökonomischem Wandel. Mit der napoleonischen Herrschaft über weite Teile Europas wurde das von unzähligen lokalen Traditionen geprägte Alte Reich unwiederbringlich in neue Formen zentraler Staatlichkeit überführt. Die neuen Zentralbehörden wie auch die von ihnen regierten Menschen mussten die forcierte Vereinheitlichung auf staatlicher Ebene mit den bestehenden lokalen kulturellen Eigenheiten in Einklang bringen. Insofern bedeutete der neue Heimatbezug nicht nur eine nostalgische Rückwendung, sondern eine Vermittlungs- und Integrationsinstanz auf dem Weg zur modernen Nation.8 Heimat und Nation waren jedoch keineswegs deckungsgleich, sondern blieben, letztlich bis heute, eng miteinander verknüpft, doch unterscheidbar. Ein zweiter, zeitlich später einsetzender Wandlungsprozess von eminenter Bedeutung für die Ausbildung des modernen Heimatbegriffs ist die zunehmende Industrialisierung und, daran geknüpft, die Ausbildung kapitalistischer Formen des Wirtschaftens. Auch das Mobilitätsverhalten der Menschen veränderte sich und damit gleichermaßen die Zusammensetzung wie auch der Erfahrungshorizont der Bevölkerung, sowohl in den städtischen wie in den ländlichen Räumen. Je mehr die Lebenswelten der Menschen, ob nun reale oder imaginierte angestammte, von Zerstörung bedroht schienen, desto größer wurde das Bedürfnis, diese noch einmal festzuhalten, gewissermaßen einzufrieren. Bürgerinnen und Bürger besangen und beschrieben, erforschten und rekonstruierten plötzlich ihre unterschiedlichen Heimaten und reagierten damit auf eine tiefgreifende Transformation. Der maßgebliche Ort, wo Heimat alltäglich ausgestaltet wurde, war der lokale Verein. Dort wurde ausgehandelt und festgelegt, zu welchen Bedingungen die Teilhabe an der sich wandelnden Gemeinschaft möglich ist.9 Festzuhalten bleibt, dass die Hinwendung zur Heimat als einem Ort vermeintlich ursprünglicher Sicherheit und Geborgenheit eine Reaktion war auf reale säkulare Wandlungsprozesse und auf die Verwerfungen, die sie begleiten. Es wäre falsch, die Suche nach Heimat ausschließlich als eine antimoderne reaktionäre Bewegung zu deuten. Denn erstens war ihr ein reflexives Moment eigen, ein Nachsinnen über die Unwiederbringlichkeit des Verlustes; und zweitens bewegten sich insbesondere romantische Vorstellung von Heimat in einem widersprüchlichen Spannungsverhältnis zu Fernweh und Aufbruch.10 An dieses Denken in komplexen Widersprüchen und Wechselbeziehungen knüpft das heutige Konzept der »Glocalization« an. Ihm lieg die Vorstellung zugrunde, dass Globalisierung nicht ausschließlich als eine von außen aufgezwungene Sinn- und Handlungsstruktur gedacht werden sollte, sondern dass auch die lokalen Vermittlungsinstanzen berücksichtigt werden müssen. Globalisierung muss also nicht notwendigerweise in eine einheitlich normierte Weltgesellschaft führen, sondern ist immer in einen lokalen Kontext eingebettet, der damit auch verändert wird.11

Der Heimatbegriff verliert am Ende 19. Jahrhundert zusehends seine Komplexität und Widersprüchlichkeit, indem er als völkisch-rassistisch aufgeladener politischer Kampfbegriff eingesetzt wird. Völkische Publikationen, wie die von Paul de Lagarde (Deutsche Schriften) oder Julius Langbehn (Rembrandt als Erzieher), völkische Vereine und Bewegungen, wie der Alldeutsche Verband oder die zahlreichen Krieger- und Militärverbände, formulierten und popularisierten einen rassistisch gegründeten, andere ausschließenden Heimatbegriff mit einer eindeutig antisemitischen Stoßrichtung.12 Heimatvereine transformierten sich zu Trägern einer politischen Bewegung. Der Heimatstil, ein reformistischer gesamteuropäischer Architekturstil, der sich vornehmlich auf ländlich-regionale Traditionen bezog, transformiert um 1900 zum völkisch-national aufgeladenen Antimodernismus. Heimatschutz wurde zu einer Quelle von politischer gegenrevolutionärer Gewalt.13 Die völkische Disposition bildet auch die ideologische Brücke zwischen der Heimatbewegung und dem nach 1918 aufkommenden Nationalsozialismus. Von nun an wurde Heimat zunehmend im Sinne einer Blut-und-Boden-Ideologie als Bollwerk gegen Demokratie, Urbanität, Fremde oder die Moderne schlechthin in Stellung gebracht.14 Der völkische Heimatbegriff ließ sich ebenso mühelos in die nationalsozialistische Ideologie integrieren wie die zahllosen Heimatverbände und Heimatvereine in die Reihen der Volksgenossen. Gleichwohl wurden Heimatdenken und Regionalismus wichtige Quellen für den Konservatismus der Demokratisierung nach 1945. Die Ursachen dafür lagen zum einen in der Allgegenwart von Heimatverlust durch Krieg und Vertreibung nach Kriegsende,15 zum anderen in der Abkehr von zentralistischen Staatsvorstellungen nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs«. Vor allem Vertriebenenverbände, konservative Politiker und Unterhaltungsindustrie bedienten sich eines weitgehend unreflektierten Heimatbegriffs, als wäre er frei von jeglicher Affinität zum Nationalsozialismus gewesen.16 Doch ist auch unübersehbar, dass die Bedeutung des Heimatbegriffs im öffentlichen Diskurs schon in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stark abnahm. In den Parlamentsdebatten des Deutschen Bundestags tauchte der Begriff Heimat vor 1989/90 nur noch einmal prominent auf, und zwar ausgerechnet im Zusammenhang mit den Skandalen um den gewerkschaftseigenen Bau- und Immobilienkonzern »Neue Heimat«.17

Auch in der alten Bundesrepublik lebte das Denken in überlieferten Heimatbegriffen fort – in großzügig bemessenen gesellschaftlichen und politischen Nischen. Doch galt diese Art zu denken als rückschrittlich, als Ausdruck hinterwäldlerischer Provinzialität und war von vornherein als reaktionär-konservativ etikettiert. Wenn überhaupt eine nennenswerte politische Kraft mit dem Heimatbegriff operierte, dann tat dies auf sehr instrumentelle Weise die CSU, die sich damit erfolgreich als bayerische Staatspartei etablierte und obendrein knallhart regionale Interessen im föderalen Staat durchzusetzen wusste.18 Seit den 1970er-Jahren jedoch entstanden insbesondere auf dem Land neue Formen gemeinschaftlicher Zusammenschlüsse, die Heimat in ganz anderer Form thematisierten als zuvor. Als eine Antwort auf die Verheerungen der Umwelt infolge einer ungebändigten Industrialisierung und Technisierung entstand ein bundesweites Netzwerk lokaler Initiativen, die – sicherlich nicht ohne innere Widersprüche – auch an einem neuen Heimatbegriff arbeiteten.19 Zudem entstanden zumeist von Schülern und Studenten getragene Initiativen – sogenannte Geschichtswerkstätten –, welche nach dem Motto »Grabe, wo Du stehst« sich mit der lokalen beziehungsweise regionalen Geschichte befassten, insbesondere mit der im Nationalsozialismus, aber auch die Geschichte jener Themen und Gruppen kritisch in den Blick nahmen, die von Heimatkundlern bislang bewusst ausgespart worden sind.20 Nichts verdeutlicht besser diese neue Hinwendung zur Heimat – allerdings in kritischer Auseinandersetzung mit älteren Heimatkonzepten – als Edgar Reitz’ über drei Jahrzehnte (1981–2012) entstandene Filmreihe »Heimat«. Heimat dort ist sehr viel mehr als nur Schauplatz des Geschehens, das Epos ist nichts weniger als eine Chronik deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Sie ist ein Ort der emotionalen Bindung und der herkunftsbedingten Verstrickung (»Heimat«), kann aber auch ein Ort frei gewählter Assoziation sein (»Die zweite Heimat«) und mutiert schließlich zu einem mehrfach gebrochenen und hybriden Ort der Erinnerung (»Heimat 3«).

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