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III
ОглавлениеSpätestens seit der deutschen Wiedervereinigung lässt sich der Befund von der relativen Bedeutungslosigkeit des Heimatbegriffes in der politischen Sphäre nicht mehr halten. Vielmehr ist Heimat in vielen widersprüchlichen, gar gegensätzlichen Varianten wieder en vogue und in der breiten Diskussion. Gegenwärtige Heimatkonzeptionen reichen vom Gartenzwergformat der Schrebergärten über die Plattitüden der Werbeindustrie, die schon lange die Heimattümelei als Verkaufsfaktor entdeckt hat, ökologisch begründeten Regionalismus bis hin zu den rechtsradikalen Wiederaneignungen der niemals als zur Gänze verschwundenen nationalistisch-völkischen Ideologie. Es ist wichtig, sich diese Vielfalt von parallel existierenden – mal einschließenden, mal ausschießenden – Heimatbegriffen vor Augen zu führen, weil sich daran erst sinnvoll die Frage anschließen lässt, ob es einen neutralen oder gar »unschuldigen« Heimatbegriff überhaupt gibt und unter welchen Bedingungen »Heimat« zu einem relevanten Konzept in der Demokratie entwickelt werden kann.
Im deutschen Wiedervereinigungsdiskurs haben sich Befürworter wie Gegner immer wieder auf den Heimatbegriff mit seinen historischen Belastungen bezogen. Während die einen die Wiederkehr des völkisch-rassistischen Nationalismus (das »Vierte Reich«) prognostizierten, wertete die große Mehrheit der Deutschen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten als eine legitime Rückkehr zu einem Zustand nationalstaatlicher Ursprünglichkeit. Und so lässt sich nicht von der Hand weisen, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch der nationsbezogene Heimatdiskurs eine neue Dynamik erlangte. Die politischen Erschütterungen, die ökonomisch-sozialen Verwerfungen und die kulturellen Entwurzelungsprozesse der »Großen Transformation« haben insbesondere in Ostdeutschland soziale Bewegungen entstehen lassen, die in ihrer Suche nach Orientierung und nach Sicherheitsankern auf Angebote vermeintlicher Authentizität zurückgreifen, die scheinbar das ersehnte Gefühl von Übereinstimmung mit der eigenen Umwelt wiederherstellen können. Umgekehrt sind in dieser Phase gravierender, politisch und sozial oft unvermittelter und in sich widersprüchlicher Wandlungsprozesse welthistorischen Ausmaßes, die wir gerade erleben – nationalstaatliche Einheit neben politischer Europäisierung, ökonomische Globalisierung neben dynamischen Migrationsbewegungen – Freiräume für antidemokratische Hasardeure entstanden, indem lokale und regionale Traditionen, Logiken und Interessen aus politischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeklammert wurden und keine Beachtung fanden.21
Die Rückkehr von Heimat als politischem Begriff lässt sich also ziemlich genau datieren. Das Aufkommen von Pegida und seiner Ableger befeuerte eine neuerliche Debatte über den Verlust und die Wiederaneignung von Heimat, die seit 2014 von der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland in die Parlamente getragen wurde.22 Diese Manifestationen und Proteste, die Bezug nehmen auf ein vermeintlich homogenes und unveränderliches »jüdisch-christliches« Abendland als »europäische Heimat«, hatten allerdings einen eindeutig rassistischen, insbesondere antimuslimischen Grundton.23 Die Verwendung des Heimatbegriffes bei rechtspopulistischen Bewegungen ist jedoch ambivalent. Einerseits greift die rassistisch motivierte Unterscheidung des »Eigenen« (Heimat) und des »Fremden« (Bedrohung der Heimat, die ferngehalten werden muss) zweifellos auf völkische historische Vorbilder zurück. Doch weisen diese Proteste, die mitunter das Ausmaß einer sozialen Bewegung angenommen haben, auch darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Zentrum und Peripherie grundsätzlich gestört ist. In diesem Sinne steht Heimat für den demokratischen Ort, an dem lokale Interessen formuliert und ausgehandelt werden sollen. Die Alternative für Deutschland hat diese Tendenzen am konsequentesten aufgegriffen und für ihre politischen Zwecke zu nutzen gewusst. Mit Wahlkampfslogans wie »Der Heimat eine Zukunft geben« (Niedersachsen 2017), »Unser Land, unsere Heimat« (Sachsen 2019) oder »Hol dir dein Land zurück – vollende die Wende« (Brandenburg 2019) wird zunächst die Gefährdung, teilweise schon der Verlust von Heimat suggeriert. Das bezieht sich aber – anders als zum Beispiel ökologische Heimatbewegungen – nur zum Teil auf landschaftliche Zersiedelung oder städtebaulicher Verschandelung. Für die Anhänger der AfD spielt – insbesondere seit 2015 – der angebliche Verlust einer ethnisch-kulturell homogen Heimat als Ort der Identitätsbildung eine weitaus größere Rolle. Heimat und die angrenzenden Wort- und Bedeutungsfelder sind zu politischen Hochwertwörtern erhoben worden, die die eigenen Anhänger erreichen und mobilisieren sollen.24 Dort, wo Heimat, die eigene kleine Welt, als gefährdet erachtet wird, lohnt es sich zu kämpfen. Die semantische Vielschichtigkeit und bewusste Vagheit des Begriffs Heimat ermöglicht seinen Einsatz auch in sehr widersprüchlicher Weise. Denn einerseits wird mit der Heimat gegen nationale (Berlin!) und internationale (Brüssel!) Bevormundung des eigenen regionalen Raums agitiert, andererseits wird Heimat auch als ein nationaler Raum verstanden, der gegen innere wie äußere Feinde verteidigt werden müsse. So erhob Bernd Höcke 2017 die AfD in Thüringen zur »Heimatpartei« und stellte ein umfassendes »Heimatkonzept« vor, das neben der regionalen Ausrichtung auch stark nationalistische Züge trug. Dass solche Haltungen anschlussfähig für offen rechtsextreme Positionen sind, liegt auf der Hand. So haben sich in den letzten Jahren zahllose rechtsradikale Kleinstgruppen formiert, die sich in irgendeiner Form Heimat auf die Fahnen geschrieben haben und – mal offen, mal verdeckt – mit lokalen Parteigliederungen der Alternative für Deutschland kooperieren.
Das demokratische politische Deutschland hat auf diese Tendenzen mit der Einrichtung von drei »Heimatministerien« reagiert: in Bayern (gekoppelt an das Finanzministerium) 2014, in Nordrhein-Westfalen (gekoppelt an die Bereiche Kommunales, Bau und Gleichstellung) und im Bund (gekoppelt an die Ressorts Inneres und Bau) jeweils 2017. In allen drei Fällen wurde die Schaffung des Teilressorts »Heimat« kontrovers diskutiert, bestenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben. Die liberale Wochenzeitung Die Zeit sah darin ebenso wie die linke Tageszeitung taz prinzipiell eine »Chiffre der Ausgrenzung«.25 Die Zielrichtung der Heimatministerien ist politisch nicht ganz eindeutig: Die spärlichen Definitionsversuche der Ministerialleitung und die zugewiesenen Aufgabengebiete einerseits sowie die konkreten politischen Maßnahmen der Ministerien andererseits lassen auf eine Gratwanderung schließen zwischen identitärer Aufladung insbesondere des ländlichen Raums und klassischer Infrastrukturpolitik vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Wohnungsbau. So ist mit dem »Heimatministerium« möglicherweise nur ein institutioneller Ort geschaffen worden, der zwar emotionsbeladene Sehnsüchte nach Ursprünglichkeit und Homogenität bedient, ansonsten aber offen ist für eine ganz neue, inkludierende Form des Heimatdenkens.26 »Heimat« ist wieder chic und daher attraktiv für politische Vereinnahmungsversuche jeglicher Couleur. Darin liegt durchaus eine Chance für die Weiterentwicklung und Popularisierung eines offenen, partizipativen und demokratischen Heimatbegriffs, über dessen konkrete Ausgestaltung dann politisch gestritten werden kann. Doch liegt darin ebenso die Gefahr der Re-Normalisierung eines historisch verbrannten Heimatbegriffes, der in einer modernen demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr beanspruchen sollte. Die Verwendung des Heimatbegriffes bleibt also eine zutiefst ambivalente Angelegenheit, die durch Unachtsamkeit oder Vorsatz jederzeit in eine offen antidemokratische Richtung umschlagen kann. Wenn zum Beispiel das Verteidigungsministerium den geplanten Freiwilligen Wehrdienst mit »Heimatschutz« in Verbindung bringt, dann handelt es sich dabei aufgrund der akuten Bedrohungen durch rechtsterroristische Gruppen, die sich einem offen rassistischen und gewalttätigen »Heimatschutz« verschrieben haben, um einen völlig inakzeptablen Vorgang, weil er als fahrlässige Ermunterung verbrecherischer Organisationen gesehen werden könnte.27